@wolf359 Ich habe mir das Video gerade mal angesehen. Es ist ganz hübsch gemacht, weist aber denselben Knackpunkt auf, den ich in den anderen Theorien, Modellen usw. auch schon ausgemacht habe: Es gibt keinen Aufschluss über die Entstehung eines Translationsmechanismus, der essenziell ist, um Genotypen der Selektion zugänglich zu machen. Im Video wird behauptet, dass einige Nukleotidsequenzen schneller replizieren als andere und somit ein Selektionsvorteil entstünde. Mir ist nicht ganz klar, wie das funktionieren soll, da die Replikation über die Anlagerung von komplementären Monomeren an die Matrize vor sich geht. Bei einer reinen Zufallsverteilung wäre anteilig etwa 25 Prozent Adenin und 25 Prozent Guanin als Base vorhanden. Die Komplementärbasen Uracil bzw. Thymin sowie Cytosin wären ebenso oft vertreten. Die Wasserstoffbrückenbindungen liegen damit hinsichtlich Anzahl und Verteilung (A-U hat zwei ; G-C hat drei Bindungen) bei Zufallssequenzen gleichartig vor, so dass die Auftrennung und Neubindung gleich schnell bzw. gleich langsam abläuft.
Weiterhin ist mir unklar, wie die Verknüpfung der Nukleotide zu einem Polymerstrang ohne Helfermoleküle vonstatten gehen soll. Selbst wenn also zufällig Polymerstränge z.B. auf Mineraloberflächen synthetisiert werden, würde sich die Monomerkette, die sich komplementär an die Basensequenz anlagert, nicht zu einem Polymerstrang verknüpft werden, weil das Analogon zu einem rezenten Enzym fehlt. Der Verweis auf die RNA-Welt ist hier nicht hilfreich, da katalytisch aktive Ribozyme ebenfalls über eine bestimmte Kettenlänge verfügen müssen. Hier klafft also eine Lücke in Szostacks Szenario.
Nehmen wir an, dass neben RNA-Strängen (oder anderen Nukleinsäuresträngen) auch Polypeptide entstanden sind, deren Sequenz eine gewisse katalytische Aktivität entfalten, dann müssten diese nach den spontanen Vesikelteilungen in den Tochtervesikeln ebenfalls vorhanden sein, um als Helfermoleküle zu fungieren. Problematisch ist dabei jedoch, dass Aminosäuresequenzen nicht komplementär vervielfältigt werden können, also haben wir es auch hier mit reinen Zufallsfunden zu tun, die noch nicht eigenständig synthetisiert werden können. Das heißt, gefundene Lösungen für geeignete Enzyme können nicht weitergegeben werden. Dazu bedarf es eines Translationsmechanismus, der über Nukleinsäuren das Protein liefert.
Dieser Mechanismus muss in der Lage sein, Aminosäuren wenigstens einigermaßen spezifisch an Nukleinsäuren zu binden und diesen Komplex mit anderen Komplexen in Passung zu bringen, so dass eine Sequenz nacheinander aufgebaut wird. Weiterhin müssen Nukleinsäuren bewirken, dass die Aminosäurekette zu einem Polypeptid verbunden wird. Diese Aufgaben werden heute von Ribosomen erledigt - in Zusammenarbeit mit den AARS, die aber eine später gefundene Lösung darstellen dürften. Die synthetisierten Polypeptide müssten sich sukzessive der Zufallsverteilung von abiogen entstandenen Polypeptidketten überlegen erweisen, so dass ein Zellstoffwechsel entsteht, der aus einem Vesikel mit Genotyp einen echten Phänotyp werden lässt, der wiederum der Selektion zugänglich ist. Erst dann können wir von echtem Leben sprechen, weil sich Mutationen auf den Phänotyp auswirken und diese Mutationen auch vererbt werden - und damit auch die phänotypische Variationsbreite, an der eine natürliche Selektion ansetzen kann.
Die Entstehung eines Translationsmechanismus fällt sowohl bei Szostak als auch bei allen anderen Modellbauern bislang völlig unter den Tisch, auch wenn die diversen Modelle sämtlich hübsch zu lesen und noch hübscher anzuschauen sind, wenn sie als Animation vorliegen.
Monod
P.S.: Damit kein falscher Eindruck entsteht - Ich bin kein Kreationist und halte auch nichts von deren Propaganda. Im Gegenteil - ich bin der festen Überzeugung, dass naturgesetzlich alles mit rechten Dingen zugegangen ist, nur, dass die Naturgesetze sich lediglich darauf beschränken lassen, dass sie den Rahmen aufspannen, innerhalb dessen sich die Entstehung von Leben vollziehen kann. Ich sehe allerdings keine Notwendigkeit, dass sich innerhalb dieses Rahmens die Entstehung von Leben vollziehen muss - oder anders: Es gibt kein Naturgesetz, aus dem die Entstehung von Leben folgt - ebenso wie es kein Naturgesetz gibt, welches der Entstehung von Leben widerspricht (was in Anbetracht unserer Existenz offensichtlich ist!). Was auf der Erde geschehen ist, vollzog sich zwar auf dem Fundament von Physik und Chemie, stellt für sich genommen jedoch eine eigene Klasse von Wechselwirkungen dar, die sich aus den Gesetzen von Physik und Chemie nicht ableiten lässt, da es emergente Phänomene sind. Analog dazu lässt sich aus den Gesetzen der Biologie nicht die Kulturentwicklung des Menschen ableiten, die z.B. zur Erfindung des Computers führte. Auch das ist eine Kann- aber keine Muss-Folge der Anthropogenese.