Nemon schrieb:Den Leser erst mal in die gemütliche Schmoll-Ecke mitnehmen und die Ignoranz der etablierten Wissenschaft beklagen.
Schauen wir uns also mal den Artikel etwas genauer an:
Bereits der Titel bietet Interpretationsspielraum: "Ammoniak und Phosphin in den Wolken der Venus als potentielle biologische Anomalien" - es wird also nicht behauptet, dass sich Ammoniak und Phosphin in der Venusatmosphäre bzw. in den Venuswolken befinden, sondern es wird die Möglichkeit hervorgehoben, beide Gase in den Venuswolken wären biologische Anomalien - sofern sie vorhanden sind, muss man sich dann hinzudenken.
Ich arbeite mich jetzt durch die einzelnen Abschnitte des Artikels durch und gebe eine Kurzübersicht.
1. Einleitung: Es wird angekündigt, dass zwei von mehreren Anomalien in der Venusatmosphäre diskutiert werden und dass die wissenschaftliche Gemeinschaft auf dieselbe Weise darauf reagiert hat wie bereits in der Vergangenheit auf Anomalien reagiert wurde. Die Autoren meinen, dass die Untersuchung dieser Anomalien zu neuen und wichtigen Entdeckungen über die Venus führen werden.
2. Anomalien in den Wolken der Venus: Ammoniak und Phosphin: Es wird darauf verwiesen, dass mehrere Venus-Sonden in der Atmosphäre Hinweise auf ein Ungleichgewicht im Redox-Zustand festgestellt hatten. Das Vorhandensein von diversen Gasen gemeinsam mit Schwefelsäure wird als Vorhandensein eines solchen Ungleichgewichts gewertet. Angeführt werden hier insbesondere das Vorhandensein von O
2, H
2S und CH
4 mit H
2SO
4 sowie das Vorhandensein von PH
3 oder NH
3 mit H
2SO
4.
Aufschlussreich ist hierbei, dass zum einen zwar zugestanden wird, dass solche Ungleichgewichte graduell vorkommen und daher darüber debattiert werden muss, ab welchem Ausmaß ein Ungleichgewicht als signifikantes Ungleichgewicht bezeichnet werden darf, zum anderen aber hier keine Quantifizierung vorgenommen wird, sondern lediglich qualitativ das gemeinsame Vorhandensein von Sauerstoff, Schwefelwasserstoff und Methan mit Schwefelsäure sowie das gemeinsame Vorhandensein von Phosphin und Ammoniak mit Schwefelsäure als "Anomalie" gewertet wird, die als Evidenz für biologische Aktivität angesehen wird.
2.1. Ammoniak: Es wird angeführt, dass Ammoniak in zwei Messreihen in den 1970er Jahren nachgewiesen worden ist, dies aber als Messfehler abgetan wurde, weil alle anderen gemessenen Parameter auf eine Atmosphäre hindeuteten, die sich im Redox-Gleichgewicht befindet. Allerdings wird in der jüngsten Zeit insbesondere von Schulze-Makuch die These vertreten, dass sich die Venus-Atmosphäre im Ungleichgewicht befindet und O
2, H
2, H
2S und SO
2 koexistieren.
2.2. Phosphin: Hier werden die verschiedenen Messungen angeführt, die als Vorhandensein von Phosphin interpretiert wurden. Interessanterweise wird hier nicht angeführt, dass die Messungen inzwischen entkräftet worden sind, es also keinen gesicherten Nachweis von Phosphin in der Venusatmosphäre gibt. Stattdessen der Hinweis, dass die von den Wissenschaftlern bevorzugte Option einer abiotischen Erklärung die typische Reaktion auf das Vorhandensein von Anomalien sei.
3. Die Rolle von Anomalien in wissenschaftlichen Entdeckungen: Hier wird ausführlich auf Kuhns Paradigmen-Ansatz verwiesen, den ich hier nicht ausbreite.
3.1. Eine Fallstudie: Die Entdeckung des Planeten Uranus: Die Entdeckung von Uranus im Jahre 1781 kam völlig überraschend und stellte für die Wissenschaftler damals eine Anomalie dar. Erst die Bestimmung der Bahnparameter rund sechs Monate später ließ Uranus als weiteren Planeten jenseits von Saturn erkennbar werden. Davor galt Uranus als Komet, weil entsprechend des astronomischen Modells jener Zeit das Sonnensystem nur bis zum Saturn reichte.
3.2. Wie fundamentale Prinzipien die Wissenschaftler blind machen für alternative Erklärungen von Anomalien: Hier findet sich ein Sammelsurium von Beispielen, wo zunächst innerhalb der gerade gültigen wissenschaftlichen Modelle nach Erklärungen gesucht wurde, bevor sich eine alternative Erklärung durchsetzte: die Entdeckung von Ribozymen, die passenden Küstenlinien von Südamerika und Westafrika, die Einteilung von Walen zu Fischen in der vordarwinistischen Ära.
4. Ammoniak und Phosphin als potenzielle biologische Anomalien: Hier wird wieder darauf verwiesen, dass die Annahme, dass sich die Venusatmosphäre in einem Gleichgewichtszustand befindet, die Interpretation des Vorhandenseins von Ammoniak und Phosphin als Biomarker behindert. Dann wird auf beobachtete Methanvorkommen auf dem Mars verwiesen, um diese "Blindheit" erneut zu dokumentieren. Man solle doch ergebnisoffen an die Suche herangehen und die Befunde neutral bewerten ... usw. usw. ...
Aufschlussreich ist dieser Satz: "If present, the anomalous ammonia and phosphine in the atmosphere of Venus represent
a case of a potentially biological anomaly." (S. 7 - Beginn des letzten Absatzes) - "Falls vorhanden, repräsentiert das anormale Ammoniak und Phosphin den Fall einer potenziellen biologischen Anomalie." - also nur "falls", aber was, wenn nicht? Die genannten Befunde von Ammoniak und Phosphin sind nicht gesichert, stellen also keine gesicherten Fakten dar, die man dann ggf. als biologische Anomalie werten könnte, sondern sind nach wie vor hypothetisch vorausgesetzt!
Die Zusammenfassung auf der nächsten Seite beginnt mit diesem Satz: "In sum, the (still tentative) detections of anomalous amounts of ammonia and phosphine in Venus’ atmosphere hold forth the promise of expanding our current scientific understanding
of how (both) biological and abiotic processes affect planetary atmospheres." - "Zusammenfassend versprechen die (noch vorläufigen) Messungen von Ammoniak und Phosphin in der Venusatmosphäre die Erweiterung unseres gegenwärtigen wissenschaftlichen Verständnisses, wie (beide) biologischen und abiotischen Prozesse Planetenatmosphären beeinflussen."
Auch hier wieder wird von der hypothetischen Möglichkeit ausgegangen und zugegeben, dass es sich beim apostrophierten Nachweis von Ammoniak und Phosphin in der Venusatmosphäre nicht um gesicherte Fakten handelt. Der Tenor des Artikels liegt also eindeutig auf einem "Was wäre, wenn?" und nicht auf einem "Was ist und was folgt jetzt daraus?" und auf der Basis des "Was wäre, wenn?" wird dann kritisiert, dass Wissenschaftler zunächst konservativ sind und erst später alternative Erklärungen in Betracht ziehen.
Wie schon geschrieben: Für die Astrobiologie enthält dieser Artikel nichts von Wert.