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22.08.2022 um 09:34Meinung / Sanna Marinhttps://yle.fi/uutiset/3-12584885
Kolumne von Matti Mörttinen: Kommen Sie zurück, Dr. Raimo - die Nation braucht seinen Therapeuten
Wie kann ein Entscheidungsträger Druck abbauen und Hilfe bei Ängsten bekommen, wenn niemandem zu trauen ist, fragt Matti Mörttinen.
MATTI MÖRTTINEN
6:45
Vielleicht ist es der derzeitigen Premierministerin entgangen, ein bestimmtes Buch zu lesen. Dort heißt es wie folgt:
"Der Premierminister führt ein Land, in dem die meisten Menschen wollen, dass er scheitert."
Das Zitat stammt aus einer Biographie von Alexander Stubb (Kokoomus). Darin berichtet er über die schwierigsten Zeiten und den größten Druck in seiner politischen Karriere in den Jahren 2014 und 2015, als er die finnische Regierung führte.
Stubb, mit seinen Shorts und Dartwürfen, war ein anderer Premierminister als seine Vorgänger. Mindestens das Gleiche gilt für Sanna Marin (sd), die das Amt in einer noch schwierigeren Zeit ausübt als Stubb.
In gewisser Weise haben Krisen Marin geschützt. Nun hat der Druck die Form verändert.
Die außergewöhnlichen Krisen, die Corona-Pandemie und die Angst vor einem kriegerischen Russland schützten Marin gewissermaßen eine Weile.
Die meisten Menschen wollten, dass sie Erfolg hat. Doch nun sind es nur noch gut sieben Monate bis zu den Parlamentswahlen. Vor allem aber hat sich das Privatleben der Premierministerin auf eine neue Art und Weise dem Blick der Öffentlichkeit geöffnet.
Der Druck hat die Form verändert.
Entscheidungsträger haben, wie jeder von uns, unterschiedliche Möglichkeiten, mit Druck umzugehen. Der eine macht einen ruhigen Spaziergang im Wald, der andere treibt Sport bis zur Erschöpfung. Die einen basteln in ihrer Heimwerkstatt, die anderen suchen online nach neuer Intimität.
Eine der traditionellsten Methoden, den Druck abzubauen, ist das Feiern. Aus irgendeinem Grund schließt der Begriff "Feiern" im finnischen Wortschatz automatisch den Konsum von Rauschmitteln ein.
Die sog. öffentliche Meinung akzeptiert Gifte, die sich auf das zentrale Nervensystem auswirken, solange es sich bei dem Wirkstoff um Alkohol und nicht bspw. um Methamphetamin handelt, mit dem finnische Soldaten im Fortsetzungskrieg gedopt wurden.
Der Premierminister hat auch das Recht auf Freizeit und Erholung in den von ihr gewählten, legalen Form, doch sie ist jederzeit Premierministerin.
Vom Objekt der Aufmerksamkeit werden Erklärungen verlangt. Es steht inmitten eines trockenen Pulverfeldes, kratzt an den Streichhölzern der Erklärungen und hofft, dass diese erlöschen, bevor sie den Boden erreichen.
Was letzte Woche geschah, sollte für Marin keine Überraschung gewesen sein. Wir leben nicht mehr in der Kekkonen-Ära, in der selbst die unzüchtigsten Feiern der politischen Führer totgeschwiegen wurden, obwohl sie bekannt waren. Nur in extremen Fällen wie dem von Ahti Karjalainen (Mitte) wurden Probleme öffentlich.
Jetzt überholt der Hype die Inhalte. Das gleiche Muster scheint sich jedes Mal zu wiederholen. Vom Objekt der Aufmerksamkeit werden Erklärungen verlangt. Es steht inmitten eines trockenen Pulverfeldes, kratzt an den Streichhölzern der Erklärungen und hofft, dass diese erlöschen, bevor sie den Boden erreichen.
Wenn es Lücken in den Erklärungen oder neue Verdachtsmomente gibt, setzt sich der gleiche Strudel fort, bis jemand beschämt wird - und man ein Opfer hat. Und es ist nicht nur eine Frage in den veränderten Medien. Die Medien spiegeln die Kultur wider, die in der jeweiligen Gesellschaft vorherrscht.
In den letzten Jahrzehnten gab es eine Satireserie im Radio, in der Dr. Raimo, der nationale Therapeut, die Hauptrolle innehatte. In einzelnen Episoden besuchten wichtige Entscheidungsträger Raimo wie in einer Praxis, um ihren politischen Ängsten Luft zu machen.
Die Politik ist eine Welt des Wettbewerbs, und oft ist der schlimmste Konkurrent ein Parteifreund aus demselben Wahlkreis.
Manchmal hat man den Eindruck, dass den Spitzenpolitikern von heute auch im wirklichen Leben ein nationaler Therapeut zur Verfügung stehen sollte. Wenn die Mauern auf die Person selbst einzubrechen scheinen, sollte ein Entscheidungsträger auch mit jemandem sprechen können, dem er vorbehaltlos vertrauen kann.
Wenn man in der Politik ein offenes Ohr und eine Schulter zum Anlehnen braucht, lohnt es sich selten, sich an enge Kollegen zu wenden.
Als der Druck auf Premierminister Stubb zu groß zu werden schien, bat er um Hilfe und bekam sie von dem inzwischen vorausgegangenen Arzt Aki Hintsa. Dem Steuerzahler entstanden keine Kosten für das arbeitsbezogene Thema. Hintsa, der als treibende Kraft hinter den Formel-1-Fahrern bekannt war, setzte sich für sein Land ein.
Zufällig unterhielt ich mich kurz vor Marins Party-News mit einem Bekannten über den Druck, der auf Entscheidungsträgern lastet. Dieser Bekannte arbeitet im Ausland in einer verantwortungsvollen öffentlichen Position. Er erzählte mir, dass er ein privates Jobcoaching erhält, das er selbst bezahlt.
Ich habe mich gefragt, ob hochrangige Entscheidungsträger in der finnischen Gesellschaft bei ihren anspruchsvollen Aufgaben eine sichere und professionelle Beratung oder gar Therapie erhalten?
Eine berechtigte Frage in einer Zeit, in der die Zukunft nicht nur von Corona, sondern auch von anderen Bedrohungen wie Klimakatastrophen, Wirtschaftskrisen und Kriegen geprägt ist.
Matti Mörttinen
Der Autor ist Sachbuchautor und Journalist in Pirkanmaa, Finnland, und hat die Arbeit von dreizehn finnischen Premierministern verfolgt.