Da gibt es ne interessante englischsprachige Seite, fossilworks.org. Is ne akademische Fossil-Datenbank. Hab mich in den letzten Jahren mit der frühen Tetrapodenentwicklung befaßt und dafürvor knapp 2 Jahren die Datenbank mühselig nach den dort dokumentierten Arten aus den diversen Kollektionen weltweit durchgestöbert. Letztlich hab ich mühselig alle Tetrapodenarten (also Landwirbeltierarten) rausgeschrieben / rauskopiert, freilich nur gesicherte, und keine reinen Spurenfossilien oder Gelegefossilien, sondern "knochenbasiert" (weil Eier und Trittsiegel auch zu bereits via Knochen bezeugten Arten gehören könnten). Ein paar Fehler mögen mir unterlaufen sein, doch dürfte ich schon bis auf wenige Prozent Abweichung den in der Datenbank vorhandenen Artenbestand erfaßt haben.
Allerdings habe ich nicht sämtliche Wirbeltierspezies erfaßt. Außen vor geblieben sind sämtliche zu den Lissamphibia, Testudinata, Archosauria, Lepidosauria sowie den drei Säugergruppen der Monotremata, Metatheria und Eutheria gehörenden Wesen. Also Null heutige Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugetiere bis zurück zu dem letzten gemeinsamen Vorfahren und ab dem sämtliche seiner Nachkommen, selbst wenn diese ausgestorben sind.
Was wir Reptilien nennen, ist nicht monophyletisch. Monophyletisch sind aber die Testudinata (Schildkröten und frühe Verwandte), Archosaurier (Krokodile und enge Verwandte, Vögel samt deren Dino-Vorfahren, ebenso Pterosaurier), Lepidosaurier (der bucklige Rest der "Reptilien"; also Echsen, Schlangen).
Vom Landgang an der Devon-Karbongrenze an (vor grob 360 Millionen Jahren) über das Karbon und Perm sowie bis zur frühen Trias hab ich also sämtliche Landwirbeltierarten erfaßt, ab der mittleren Trias dann nicht mehr alle Landwirbeltiere.
So, wie viele Landwirbeltierarten hab ich denn nun erfaßt? Es sind 3012 Arten. Und zwar 1121 Arten für das Erdaltertum (ab dem ersten Auftreten vor 360,7 Millionen Jahren bis zur Perm-Trias-Grenze von 252,3 Millionen Jahren, also für 108,4 Millionen Jahre), 1752 Spezies des Erdmittelalters (252,3 - 66,043; also 186,257 Millionen Jahre) und gerade mal 139 Arten für die Erdneuzeit (die letzten 66,043 Millionen Jahre) Allein heute leben gleichzeitig ca. 35.000 Landwirbeltierarten. Von denen vor einigen Millionen Jahren nicht eine einzige Spezies existiert haben dürfte, sondern andere, Vorläuferarten und einiges nachkommenlos Ausgestorbenes. Die größte erfaßte Artenzahl gleichzeitig lebender Spezies habe ich für das Wuchapingian gefunden, die vorletzte Stufe des Perm, vor 259 bis 254 Millionen Jahre vor heute. Damals lebten noch keine der von mir nicht gezählten Gruppen, ergo habe ich alle damaligen Wirbeltiergruppen berücksichtigt. Fürs Wuchapingian nun listet fossilworks gerade mal 353 verschiedene Wirbeltierarten auf.
Das wäre gerade mal ein Prozent der heutigen Tetrapoden-Vielfalt! Und das können wir echt knicken! Wahrscheinlich lag die Artenvielfalt damals bei 20...25 Prozent der heutigen Vielfalt. Viel eher bedeutet es: von den damals lebenden Arten haben wir nur eine von 20...25 Arten bis heute gefunden.
Dafür spricht, daß ich mir nochmals zwei Jahre zuvor schon mal die Mühe gemacht hatte, und bei der damaligen "Volkszählung" bin ich nur auf 2257 statt 3015 Spezies gekommen. In diesen rund zwei Jahren stieg die Zahl der erfaßten Spezies um sage und schreibe 33% an! OK, womöglich ist die Datenbank noch im Aufbau, und in besagtem Zwischenraum wurden nur noch mehr längst existierende wissenschaftliche Kollektionen eingearbeitet. Aber es wurden und werden eben auch neue Spezies entdeckt, wissenschaftlich beschrieben und damit erfaßt, sodaß sich die Zahl fossiler Spezies von Jahr zu Jahr deutlich erhöht. Und vor allem in den letzten Jahrzehnten sind enorm viele Neuspezies hinzugekommen, viele neue Dinoarten, aber auch Arten anderer Tiergruppen. Allein unter unseren direkten Vorfahren kamen in den letzten Jahren der Homo floresiensis (2003) hinzu, der Homo naledi (2015), der Homo luzonensis (2019), der Denisovaner (2010; streng genommen sogar zwei verschiedene Denisovanerarten), eine Geistpopulation aus dem westliche Afrika, die ähnlich wie der Denisovaner sich durch Genspuren im Erbgut (westafrikanischer Volksgruppen) bemerkbar gemacht hat. Auch unter den Australopithecinen gabs Zuwachs, der Australopithecus deyiremeda (2015), der Australopithecus bahrelghazali (1995), Australopithecus garhi (1997), Australopithecus sediba (2008). Aber auch der Orrorin tugenensis, der Sahelanthropus tchadensis und der Ardipithecus kaddaba gehören in unsere Ahnengalerie (alle drei 2001). Alles aus den letzten 30 Jahren! In diesem Zeitraum hat sich die Artenfülle des Homininenstammbaums rund verdoppelt!
Laßt uns mal noch tausend Jahre lang weiter buddeln, mal sehen, wie viele fossile Arten wir dann kennen.
Ach ja, Dinos waren die Herren des Erdmitelalters / Mesozoikums ab der oberen Trias. Und obwohl sie die dominante Tiergruppe unter den Landwirbeltieren waren, kannten wir vor 20 Jahren gerade mal 700 verschiedene Arten. Selbst 2021 findet man diese Zahl noch als aktuellen Wert, was natürlich Unisinn ist, denn ich kann mich an zahlreiche News über neugefundene Dino-Spezies erinnern, allein mehrere Tyrannosaurier-Verwandte und -Vorfahren. Und die
Wiki schreibt
Im Mittel kommen gegenwärtig pro Monat zwei neue Gattungen und pro Jahr mindestens 30 neue Arten hinzu.
Dennoch dürfte die 1000 kaum nennenswert überschritten sein. Das zeigt, daß die Größenordnung der von mir erfaßten "Volkszählung" mit lausigen grob 3000 Spezies wird auch durch die von mir nicht erfaßten Tiergruppen nicht in schwindelnde Höhen getrieben. Wir mögen derzeit vielleicht 10...20.000 Landwirbeltierarten durch Fossilien kennen (20.000, wenn neozoische Fossilien häufiger gefunden werden, weil z.B. aus Eiszeit und Folgezeit auch nichtfossilisierte Funde vorliegen). Kommen noch Fischfossilien hinzu und Wirbellosenfossilien, da vor allem besser fossilisierende Gruppen mit Kalkschale. Und das weite Feld der Pflanzenfossilien. Hunderttausend Arten halte ich durchaus für möglich, wenns hoch kommt sogar 250.000. Aber eben: Arten, nicht Gattungen.
Das Verhältnis Artenzahl zu Gattungszahl ist etwas schwierig zu bestimmen. Zum Beispiel gibt es laut
http://www.nationalgeographic.de/thema/saeugetiere (Archiv-Version vom 22.02.2017) 1142 Gattungen und 4765 Arten lebender Säugetiere. OK, laut
Wiki sinds 6399 Arten, aber so oder so oder so gibts grad mal 4 bis 6 mal so viele Arten wie Gattungen unter den Säugern. Aber das gilt halt nur für die Gegenwart. Wie ich schon schrieb, lebte vor mehreren Millionen Jahren nicht eine der heutigen Arten, sondern hauptsächlich Vorgängerarten Allerdings gab es da bereits etliche der noch heute vorhandenen Gattungen. So lebt heute nur eine Art der Gattung Homo, nämlich wir, der Homo sapiens. Aber innerhalb der letzten 2 1/2 Millionen Jahren waren es doch einige mehr, bekannt sind (Minimum) Homo rudolfensis, H. habilis, H. erectus, H. neandertalensis, zwei Denisovaner, der Hobbit, der Luzonmensch und der Homo naledi. Ach, und die Geisterpopulation von Westafrika. Gibt noch ein, zwei Handvoll fraglicher Spezies, am bekanntesten oder sichersten noch Homo heidelbergensis und Homo ergaster. Also wenigstens zehn-Homo-Arten statt einer. Innerhalb von 2,5 Millionen Jahren. Für Säugetiere allgemein könnte dies also günstigenfalls auf 40...60 Arten pro erdgeschichtlicher Gattung hinauslaufen.
Tatsächlich kennen wir aber nicht mehrere Dutzend fossile Arten pro fossiler Gattung. Das Verhältnis mag eher bei 3:1 liegen. Auch das zeigt, wir finden nur einen kleinen Bruchteil aller früher existiert habenden Arten, deswegen finden wir überdurchschnittlich häufig auch ne neue Gattung, wenn wir ne neue Art gefunden haben. Das ist wie mit z.B. hundert durchnumerierten Kugeln in zehn verschiedenen Farben in einem Topf. Unter den ersten fünf Kugeln, die wir mit geschlossenen Augen aus dem Topf fischen, sind wahrscheinlich vier verschiedene Farben bei. Aber unter den letzten zwanzig Kugeln werden wir wohl keine noch nicht rausgefischte Farbe mehr finden.
Alles spricht also dafür: Die womöglich 250.000 bekannten fossilen Spezies sind ein kleiner Bruchteil der tatsächlichen Artenzahl der Erdgeschichte.
Ach, noch was. Vor ein paar Jahren hab ich für den Thread
Arthropoden-Gliederfüßer der frühen Erdgeschichte mal alle bei fossilworks auffindbaren Spinnentiere (Arachnida, da gehören auch die Skorpione zu) rausgesucht. Für das gesamte Paläozoikum, also vom Aufkommen bis Ende Perm. Meine Zusammenfassung lautete
perttivalkonen schrieb am 14.06.2018:So, nu bin ich durch. Gefunden habe ich für die Kategorie "Arachnida", Spinnentiere (Spinnen, Skorpione, Milben, Weberknechte) insgesamt 195 fossile Arten.
[...]
6 Spezies gehören ins Silur (443.7...416.0 Millionen Jahre), 39 Spezies ins Devon (416.0...360.7), 146 Spezies ins Karbon (360.7...298.2) und 4 Spezies ins Perm (298.9...252.3). Auch aus Trias und Jura sind nur wenige Arten fossil bezeugt (geschätzt je unter zehn); erst ab der Kreidezeit und dann Paläogen und Neogen gehen die Zahlen wiederordentlich hoch. DIe Fossilisiation solch leicht vergänglicher Lebewesen ist halt sehr schwer. Daß aus dem Karbon so viele Spinnenarten belegt sind, liegt an den idealen Fossilisationsbedingungen, nicht an einer besonderen Arachnidenblüte im Karbon. Am auffälligsten hingegen ist die recht hohe Anzahl an Spezien aus dem Devon- Dies könnte tatsächlich eine besonders starke Verbreitung/Artenvielfalt anzeigen.
Daß wir für eine Zeit, die als Hoch-Zeit wirbellosen Landlebens (Schlagwort "Zeitalter der Insekten" (und Insekten-Jäger!)) nur so kümmerlich wenige Arten kennen liegt nicht daran, daß es da so wenig gab. Heute leben laut Wiki um 100.000 Arachniden-Arten. Wird damals
mindestens in die Zigtausende gegangen sein. Pro Jahrmillion!
Da ich in jenem Beitrag auch die Artnamen aufgelistet habe, konnte ich grad eben noch die Gattungen auszählen. 195 Arachnidenarten finden sich unter 131 Arachnidengattungen. Die 51 Skorpionarten verteilen sich auf 34 Gattungen, die restlichen 144 Arten auf 97 Gattungen. Macht insgesamt wie in den Einzelgruppen ziemlich genau ein Verhältnis 1,5 : 1 von Art zu Gattung. Auch das zeigt, wie wenige der tatsächlich gelebt haben müssenden Spinnentiere durch die Funde repräsentiert werden.
Aber wird sowas jene "Evolutionswiderleger" beeindrucken?