@Kayla Der umstrittene Paulus
"Der "frohen Botschaft" folgt auf dem Fuß die allerschlimmste: die des Paulus. In Paulus verkörpert sich der Gegensatz-Typus zum "frohen Botschafter", das Genie im Hass, in der Vision des Hasses, in der unerbittlichen Logik des Hasses. Was hat dieser Dysangelist alles dem Hasse zum Opfer gebracht! Vor allem den Erlöser: er schlug ihn an sein Kreuz. Das Leben, das Beispiel, die Lehre, der Tod, der Sinn und das Recht des ganzen Evangeliums - nichts war mehr vorhanden, als dieser Falschmünzer aus Hass begriff, was allein er brauchen konnte. Nicht die Realität, nicht die historische Wahrheit! ... er strich das Gestern, das Vorgestern des Christentums einfach durch, er erfand sich eine Geschichte des ersten Christentums. Mehr noch: er fälschte die Geschichte Israels nochmals um, um als Vorgeschichte für seine Tat zu erscheinen: alle Propheten haben von seinem "Erlöser" geredet ... Die Kirche fälschte später sogar die Geschichte der Menschheit zur Vorgeschichte des Christentums ..."
(Nietzsche, dt. Philosoph, 1844-1900)
Für die einen war er der Begründer der Kirche schlechthin, derjenige, der Jesus Christus weiterentwickelt habe, (wobei sich die Frage erhebt, welche Art von Gott sich überhaupt von Menschenhirnen entwickeln lässt und die Antwort impliziert, dass Gott eben nichts anderes ist als menschliche Projektion, was wir ja schon von Feuerbach her wissen.) Heiliger, Mystiker, der geistige Wegbereiter des Christentums soll er gewesen sein.
Für die anderen hat er die Lehre Jesu Christi korrumpiert und sabotiert, hat sich sein Apostolat erschlichen, da er Jesus von Nazareth gar nicht persönlich kannte ("Apostel der Ketzer" nach Kirchenvater Tertullian), war Mystagoge und Demagoge. Paulus hat, nach Nietzsches' Ansicht, die Frohe Botschaft der reinen Lebenspraxis in die allerschlimmste verkehrt und so den Erlöser wirklich ans Kreuz geschlagen. Mit seiner Lüge vom wiedererstandenen Jesus verlegte er das gesamte Schwergewicht des Daseins hinter das Dasein und leistete jener Entwicklung den Vorschub, die zur Ausbildung der christlichen Dogmen führte.
"...Wenn man das Schwergewicht des Lebens nicht ins Leben, sondern ins "Jenseits" verlegt - ins Nichts -, so hat man dem Leben überhaupt das Schwergewicht genommen. Die große Lüge von der Personal-Unsterblichkeit zerstört jede Vernunft, jede Natur im Instinkte, - Alles, was wohltätig, was Leben fördernd, was zukunftverbürgend in den Instinkten ist, erregt nunmehr Misstrauen...
Wie wir schon bei Jesus Christus gesehen haben, so verlaufen sich auch bei Paulus die historischen Wurzeln im Dunkeln. Das Bild des Paulus, welches der angebliche „Historiker“, besser Geschichtenschreiber Lukas in seiner Apostelgeschichte zeichnet, ist unter historischen Gesichtspunkten weithin völlig unbrauchbar. Das wird seit Baur von den meisten Theologen anerkannt. (Ferdinand Christian Baur, * 1792, † 1860 Professor in Tübingen, deutscher Kirchen- und Dogmenhistoriker; führte die historisch-kritische Methode in die neutestamentliche Forschung ein: Tübinger Schule).
Und so ist es nicht zu weit gegriffen, wenn man behauptet, dass der Verfasser der Apostelgeschichte, wie auch die Verfasser der Evangelien, uns unbekannte kirchliche Schriftsteller aus dem 1. und 2. Jahrhundert sind, die einen Apostel namens Paulus nicht persönlich kannten. Das, was Lukas uns über ihn und sein Wirken berichtet, sind keine Nachrichten aus erster Hand. Das gesteigerte Interesse des Verfassers an mirakulösen, wunderbaren Erzählungen, Heilungs-, Befreiungs- und Strafwundern, das „Überwiegen der Personallegende“ erweckt vielmehr den Eindruck, dass es hier um eine retrospektive Konstruktion geht, deren Form weitgehend der Rhetorik des griechischen Romans entlehnt ist und deren Absichten die moderne Kritik unzweideutig aufgedeckt hat. Uta Ranke-Heinemann (Prof. Dr. theol., * 1927) hat das, was uns die Apostelgeschichte über das Wirken des Paulus und seines Kollegen Petrus berichtet, unter die Überschrift: "Die Märchen der Apostelgeschichte" gestellt, die von allerlei Wundertaten der Apostel, von Krankenheilungen und Toten -Erweckungen, von einer wunderbaren Befreiung aus dem Gefängnis zu mitternächtlicher Stunde, von Engeln, die plötzlich erscheinen usw. berichten. Man wird mit gutem Grund sagen können, dass wir es hierbei nicht mit der Darstellung von Geschichte zu tun haben, sondern, dass hier an einer Legende gewoben wird, freilich nicht nur an der des Paulus, sondern an derjenigen der urchristlichen Kirche und ihrer Apostel insgesamt.
Wahrscheinlich braucht man noch nicht einmal ein besonders kritischer Geist zu sein, um sich die Frage zu erlauben, welche Gründe die theologische Wissenschaft heute noch zu dem sehr selbstsicher vorgetragenen Urteil berechtigen, dass die paulinischen Briefe bzw. der Teil davon, den die heutige Kritik noch als „echt“ anerkennt, authentische Schreiben des Apostels aus der Mitte des ersten Jahrhunderts sind. Anders gefragt: Was berechtigt die modernen Verfechter dazu, im Fall des Apostels Paulus die Ausnahme – und zwar die einzige! – von der von ihnen selber aufgestellten Regel zu statuieren, dass nämlich die im biblischen Kanon enthaltenen Schriften durchweg nicht von den in ihnen genannten Verfassern, sondern von pseudonymen Autoren stammen?
Beim Studium des überlieferten Schriftgutes zeigt sich einem das Bild eines recht seltsamen Heiligen:
Abstammend aus Tarsus in der heutigen Türkei und aufgewachsen in einer streng jüdischen Familie besaß er tarsisches und römisches Bürgerrecht. Von Beruf war er Zeltmacher (Apg 18,3), war im hellenistischen Diasporajudentum religiös sozialisiert und erhielt eine pharisäisch-theologische Ausbildung bei dem im Judentum sehr bekannten und geachteten Pharisäer Gamaliel dem Älteren (Apg 22,3). Er war weltoffener Städter und viel gereist.
Vom Temperament eher orientalisch aufbrausend, beschimpfte er seine Gegner oft wüst, unbeherrscht und unheilig, als Tempelräuber und Ehebrecher (Röm 2,22 f.), als Gemeine und Menschenräuber, Vatermörder, Muttermörder, Menschenmörder, als Lügner und Meineidige, Unzüchtige und Knabenschänder (1 Tim 1, 9-10); wünscht ihnen dass sie gleich ganz zerschnitten oder entmannt werden, (Gal 5,12), .
Eiferer und wohl auch eifersüchtig und intolerant war er in Bezug auf Simon Kephas, genannt Petrus, auf Jakobus, den Bruder Jesu und Vorsteher der Urgemeinde, ja auf alle, die Jesus persönlich kannten. Wahrscheinlich wertete er deswegen den Umgang mit dem lebenden (fleischlichen) Jesus ab und legte sein Hauptaugenmerk und seine Aufwertung auf den nachösterlichen, geistigen, imaginierten Messias- Erlöser. Seine Briefe enthalten bei näherer Betrachtung so gut wie keine Angaben über die geschichtliche Gestalt Jesu. In dem bekannten Paulusbuch des Theologen G. Bornkamm wird von dem „erstaunlichen Sachverhalt“ gesprochen, dass Paulus nirgends „…von dem Rabbi von Nazareth, dem Propheten und Wundertäter der Zöllner und Sünder, von seiner Bergpredigt, seinen Reich-Gottes-Gleichnissen und seinem Kampf gegen Pharisäer und Schriftgelehrte“ redet. Alles, was wir bei Paulus über Jesus erfahren, bleibt eigenartig blass und schemenhaft: Jesus ist „geboren aus dem Weib, getan unter das Gesetz“ (Gal 4,4), er gehört als Same Abrahams (Gal 3,18) und Abkömmling Davids (Röm 1,4) zum Volk Israel (Röm 9,4), er hat gelitten (Röm 8, 17), er ist am Kreuz gestorben (Röm 6,6), begraben (Röm 6,4) und wieder auferstanden (Röm 4,24; 6,4). Wann und wo dies alles geschehen sein soll, erfahren wir nicht. Wie in dem Apostolischen Glaubensbekenntnis klafft zwischen Geburt und Tod Jesu bei Paulus eine große, rätselhafte Lücke. Im Gegensatz zum Glaubensbekenntnis, in dem immerhin von Maria und Pontius Pilatus die Rede ist, fehlt in den paulinischen Briefen nicht nur der Name der Mutter Jesu sowie der des römischen Statthalters, sondern auch andere aus den Evangelien vertraute Namen und Begriffe (z.B. Johannes der Täufer, Josef, Galiläa und Jerusalem, Getsemani und Golgota).
Usw.......
der Link ist insgesamt lesenswert
http://www.glauben-und-wissen.de/M29.htm