@Kayla Das Geheimnis der schwarzen Madonnen
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An zahlreichen, weit über Europa verteilten Orten beten Gläubige zu einer
schwarzen Mutter Gottes. Manchmal zu einer strengen Darstellung - wie
auf der Fraueninsel im Chiemsee. Oder zu einem ikonenartigen Bild - wie in
Tschenstochau, dem größten Heiligtum des polnischen Volkes. Im
Schweizer Kloster Einsiedeln soll die Madonna einst schwarz geworden
sein durch Jahrhunderte voll Ruß von Kerzen, Öllampen und Weihrauch.
Dann aber wurde sie gereinigt - und vom Volk nicht mehr angenommen.
Erst als ein Maler sie wieder schwarz gefärbt hatte, kamen die Pilger
wieder. Warum übt gerade das Phänomen der schwarzen Madonnen eine
besonders intensive Anziehungskraft auf die Menschen aus? Verbirgt sich
in den dunklen Bildnissen ein Geheimnis, das über die Grenzen der
christlichen Theologie hinaus geht? Es gibt vielfältige Deutungsversuche
und Mythen, gilt doch in den abendländischen Kulturen die Farbe "schwarz"
vorwiegend als negativ besetzt. Schwarz nimmt alles Licht auf, reflektiert
nichts und kennzeichnet so den Bereich der Finsternis und des Okkulten,
der Bedrohung und des Todes. Liturgisch betrachtet verweist die Farbe auf
den Karfreitag, auf Trauer und Schmerz. Doch für viele Menschen bedeuten
die schwarzen Madonnen Trost und Frieden. Lange Zeit galt für die dunklen
Frauen die einfache Erklärung, sie seien nur von Ruß und anderen
Umwelteinflüssen geschwärzt - doch das Phänomen "schwarze Madonna"
ist sicherlich wesentlich komplexer und vielschichtiger. Ihr eigentlicher
Ursprung ist bis heute rätselhaft. Das Christentum und seine religiöse
Bilderwelt fußt auf wesentlich älteren Glaubensvorstellungen, auf
elementaren menschlichen Bedürfnissen, die sich in archetypischen Bildern
niedergeschlagen haben. Diese gilt es gerade auch im Zusammenhang mit
den schwarzen Madonnen zu sehen und nach möglichen Entwicklungen zu
fragen.
In der Frühgeschichte der Menschheit war der patriarchalen
Gesellschaft eine matriarchale Form vorausgegangen. Fast alle Völker
kannten einen Mythos mit einer mütterlichen Gottheit, einer Urmutter. Diese
galt als Spenderin des Lebens, gab Wachstum und Reichtum, doch
zugleich auch als die alles Leben wieder Verschlingende. Vor allem dieser
zweite Aspekt mit seiner bedrohlichen Assoziation führte zur schwarzen
Färbung der Götterbildnisse. Als große Urmutter wurden diese Gottheiten
unter den verschiedensten Namen verehrt: in Altägypten als Isis, Mutter des
Horus, als Artemis in Ephesus, als Freyja, die altnordische Göttin der Liebe
und Fruchtbarkeit, in Germanien - die Aufzählung ließe sich lange
fortführen. Betritt man nun im weiteren Verlauf der Geschichte den Boden
des Christentums, so ist in diesem Kontext ein männlicher Schöpfergott
zentral. Es stellte sich damit für die junge Kirche das schwerwiegende
Problem, dass missionierte Völker den ihren eigenen Traditionen so
entgegenstehenden neuen Glauben meist nur oberflächlich annahmen und
vielfach zu ihren tief verwurzelten heidnischen Gottheiten zurückkehrten.
Eine umfassendere Etablierung des Christentums war erst mit der
Grundlegung der Marienverehrung durch das Konzil von Ephesus im Jahr
431 möglich. Bei diesem Konzil sprach man die Verehrungsstätten der
Kybele und der Isis der christlichen Gottesmutter zu, und in der Folge
nahmen viele Städte Maria als Schutzpatronin an. An Orten, an denen
vormals schwarze Göttinnen verehrt wurden, bekam auch die Gottesmutter
bisweilen ein schwarzes Antlitz, und insofern kann man davon ausgehen,
dass es sich bei Plätzen, an denen sich in unseren Tagen Gläubige an eine
schwarze Madonna wenden, um sehr alte Kultstätten handelt. Die schwarze
Färbung darf insofern sicherlich als nicht zu unterschätzender Faktor für
den Brückenschlag zwischen heidnischen Traditionen und christlichem
Glauben angesehen werden.
Die Umwandlung einer alten Kultstätte in
einen Ort der Marienverehrung ist vielfach historisch belegt. Ein Beispiel:
die schwarze Madonna von Chartres. Sie stammt nachweislich aus
vorchristlicher Zeit und geht auf eine Gottheit der Kelten zurück. Der Ort, an
dem heute die Kathedrale steht, war in keltischer Zeit ein Heiligtum der
Druiden, mit Dolmen und heiliger Quelle. Die Kelten verehrten - wie andere
Völker und Stämme - ihre Gottheiten oft in der Nähe heiliger Brunnen. Und
diese Nähe lässt sich nicht nur bei der Madonna in Chartres nachverfolgen.
An der Kathedrale von Chartres kann auch historisch die Zeit festgemacht
werden, in der das Bild der schwarzen Madonna in das allgemeine
Interesse rückte: es ist das 10. bis zum 13. Jahrhundert. Damals verbreitete
sich der Kult. Viele Gotteshäuser, die in dieser Zeit des Kathedralenbaus
entstanden, wurden eigentlich für eine schwarze Madonna errichtet,
darunter Reims, Le Puy, Poitiers und viele andere. Die schwarze Mutter
Gottes kennzeichnete die meistverehrten und bedeutendsten Pilgerstätten
des Mittelalters, die berühmteste - Santiago de Compostela in Spanien -
eingeschlossen. "Schwarz bin ich, doch schön" - blickt man nach diesen
kurz skizzierten Überlegungen auf den biblischen Text, den das Hohelied
der Liebe (1, 5f.) überliefert, so scheint ein sehr ermutigender Aspekt auf
Die junge Frau, die als eine sich aus tiefer Überzeugung in den göttlichen
Willen Fügende erlebt wird, weist als schwarze Madonna aufrechte, starke
und selbstbewusste Züge auf. In diesem Sinne spielte und spielte sie auch
für die Befreiungstheologie eine gewichtige Rolle und kann in Zeiten
zunehmender weltanschaulicher und religiöser Orientierungslosigkeit den
engen Horizont der modernen Gesellschaft zu einer ganz anderen
Wirklichkeit öffnen und weiten.
Literatur:
Die Schwarze Madonna. Hintergründe einer Symbolgestalt. Von Brigitte Romankiewicz, Patmos,
Düsseldorf 2004.
Die Schwarze Frau. Kraft und Mythos der schwarzen Madonna. Von Sigrid Früh, Kurt Derungs. TB
Unionsverlag Zürich 2003.
http://www.patrona-bavariae.info/uploads/media/Das_Geheimnis_der_schwarzen_Madonnen.pdf (Archiv-Version vom 21.03.2013)