@al-chidr: Dass der Koran kein kausales Zeitverständnis kennt, ist richtig. Und uns Abendländlern ist so eine Schriftform nahezu völlig unbekannt, so etwas zu lesen und zu verstehen, fällt uns schwer. Wir sind an zeitlich aneinander gereihte oder aufeinander abgestimmte Abläufe seit Jahrunderten gewohnt. Daher fasziniert uns einerseits dieses orientalische einmalige Werk, aber es ist für uns aus dem Westen schwer fassbar.
Ob es daher gut und richtig war, dass man die Suren später nach Themen oder der Länge nach umsortiert hat, darüber ließe sich streiten. Ich persönlich hätte lieber eine chronologische Reihenfolge mit jeweiliger Datierung bevorzugt. Im übrigen ließe sich so auch leichter ein Zusammenhang zu bestimmten Hadithen feststellen. Einige Offenbarungen bekam Mohammed kurz vor oder nach gewichtigen persönlichen Erlebnissen. Diese sind teils in den Hadithen festgehalten. Bei einer besseren chronologischen Zusammenstellun könnte man bestimmte Suren den Hadithen und bestimmte Hadithe den Suren besser zuordnen. Dadurch würden sich auch verschiedene Suren besser erklären, wie zB. die oft von Kritikern bezeichneten Kampfsuren, weil diese eben nämlich immer in Bezug zu einem bestimmten kriegerischen Ereignis stehen und nicht absolut zeitlos da stehen und sozusagen für Jedermuslim jederzeit als Rechtfertigung zB. für Terrorakte herbei gezogen werden können.
Dass die Propheten räumlich und zeitlich austauschbar sind, möchte ich mal bezweifeln. Dass sie gleich vor Gott da stehen und Gott bei ihnen keine Unterschiede macht, ist meiner Ansicht nach Auslegungssache und anders gemeint. Jeder Prophet hatte einen göttlichen Auftrag zu einer bestimmten Zeit. Und Gott weiß sehr wohl warum er zu jener Zeit zB. zu Abraham sprach, zu einer anderen Zeit zu David, zu Mose usw. und eben nicht zu irgend welchen anderen Menschen. Jeder Prophet hat an der Stelle wo Gott zu ihm spricht und in eben dieser Zeit und keiner anderen, seine Aufgabe. Und weder Zeit, noch Raum, noch die Propheten selber sind austauschbar. Moses hätte niemals das Werk Jesu verrichten können. Abraham nicht das des Jonas, Noah nicht das eines Propheten Jesaja usw...
Und auch Mohammed wäre nicht austauschbar gewesen, sondern war zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Raum mit einer bestimmten Aufgabe betraut. Es ist überhaupt kein Mensch austauschbar - ob Prophet oder nicht, jeder Mensch ist einmalig und ist in einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort, weil Gott das von Anbeginn schon so bestimmt hat.
Dass die Offenbarung kein notwendiger Endpunkt ist, davon bin ich allerdings auch überzeugt. Aber wie verträgt sich das denn mit der muslimischen Überzeugung, dass er der letzte Prophet gewesen sein soll, also das Siegel der Propheten und danach keine Offenbarung mehr kommt? Letzteres glaube ich schon deshalb nicht, weil Gott schon immer zu uns Menschen gesprochen hat, seit Anbeginn der Welt. Und daher wird er es sich auch nicht nehmen lassen es weiterhin, wenn notwendig zu tun. Viele Christen glauben, dass die Bibel abgeschlossen ist, bedeutet: Mit der Offenbarung des Johannes sei alles gesagt und danach kommt bis zum jüngsten Tage nichts mehr. - Allein das glaube ich nicht, immerhin ist das nun schon etwa 2000 Jahre her. Wenn Gott uns liebt und durch die Wirren der Zeit begleitet und beisteht, kann er uns nicht 2000 Jahre lang alleine lassen ohne sich jemals wieder zu Wort zu melden.
Die sechs Schöpfungstage zeugen nicht von einem kausalen Zeitverständis - Gott hätte die Schöpfung auch mit einem Wimpernschlag erschaffen können... Da bin ich mir nicht so sicher. Die sechs Schöpfungstage sind sicherlich nicht wortwörtlich zu nehmen, und ein Tag entspricht wahrscheinlich irgend einer Schöpfungsperiode von Äonen von Jahren. Aber die sechs Schöpfungsperioden gehören zB. kausal zusammen, die kann man nicht einfach zerschneiden und anderweitig aneinander setzen, damit würde der Sinn völlig verloren gehen. Und was den Wimpernschlag betrifft - es mag sein, dass Gott dies möglich gewesen wäre eine Schöpfung in einem Augenblick aus dem Nichts hervorzubringen, Gott ist Allmächtig. Aber er tat es eben nicht auf diese Weise - warum auch immer, es schien eben offensichtlich nicht sein Plan, nicht sein Wille zu sein. Was wissen wir schon von Gottes Ratschlüssen und seiner Weisheit?
Vieles was sich seit Anbeginn der Schöpfung, also am ersten Tag auf den Weg machte zu Gott - oder dem Menschen den Weg für sein Erdendasein bereitete, hatte seinen Sinn und Zweck. Sonst hätte Gott die Schöpfung anders erschaffen. Solche Dinge kann man nur hinnehmen und darüber nachdenken warum, aber eine Erklärung wird man schwerlich finden.
Ein letztes noch zur Aufteilung der Suren nach der Länge: In der Anfangszeit der Offenbarungen des Korans wurde dieser sozusagen immer wieder mündlich weitergegeben, sozusagen auswendig gelernt und erzählt - da aber immer wieder neue Offenbarungen hinzu kamen, war es an sich kaum möglich in einer anderen Reihenfolge als der chronologischen, den Koran zu rezitieren. Wie aber kann man dann später hingehen und etwas aus mündlich (chronologisch korrekten) Rezitationen völlig anders wieder zusammenstellen?
Ich weiß nicht, wenn einem das Wort eines Propheten heilig ist, wer will es antasten und sich daraus eine andere Reihenfolge zusammenstellen? Hätte man das nicht vor lauter Ehrfurcht tunlichst vermieden? Wie auch immer - der Koran ist in der Tat ein Werk, dass es so nicht ein zweites mal gibt, und für uns aus dem Abendland aufgrund seiner aussergewöhnlichen Form, ohne chronologische Zusammenhänge nur schwer verständlich, diese Form kennen wir nicht und daher ist es schwer, sich da hinein zu denken. Wir aus dem Westen, wo die Sonne untergeht, brauchen Fixpunkte als Wegweiser um uns daran zu orientieren, einen Weg zu gehen, wir brauchen einen zeitlich gegebenen und nacheinander ablaufenden Rahmen um etwas nachvollziehen zu können, den Weg quasi Vers zu Vers geistig nachwandern zu können. Ohne chronologische Abfolge verlieren wir uns und haben keine Orientierung mehr. Vielleicht haben wir es dadurch schwerer den Koran zu verstehen?