@kbvor4kbvor4 schrieb:Natürlich ist es ein Irrglaube, wenn man denkt, sich selbst angemessen beobachten und einschätzen zu können,
Bevor ich zum Kern des Themas etwas schreibe, zunächst noch eine Anmerkung zu deinem Beitrag:
Ich kann hier nur aus persönlicher Erfahrung sprechen und muss daher sagen, dass der reine Akt der Beobachtung zunächst nichts mit Angemessenheit oder Einschätzung zu tun hat. Das heißt: Es ist schlichtweg unmöglich, angemessen zu beobachten. Die beiden Attribute "angemessen und eingeschätzt" entstehen erst dann als etwas Zusätzliches, wenn man das Beobachtete zu etwas in Beziehung gesetzt hat. Denn das eigentlich Beobachtete ist selbst noch völlig ohne jegliches zusätzliches Attribut. Deswegen ist es uns ja überhaupt möglich, im Rahmen unser geistiger Fähigkeiten trotzdem etwas zu bemerken, obwohl wir nicht wissen, worum es sich handelt.
Beispiel:
Wenn jemand zum ersten Mal einen PC sieht und nicht weiß, was das ist, dann sieht er keinen PC. Er bemerkt zwar, dass da etwas ist, aber hat keine Ahnung, worum es sich handelt. Er sieht einen Kasten, einen Bildschirm und könnte denken "sieht aus wie ein Fernseher oder eine Waschmaschine". Das heißt: Einschätzung und Angemessenheit bedürfen Erinnerungen und eines Bezugssystems.
kbvor4 schrieb:Die Worte "in jemand anders hineinversetzen" treffen es wohl ganz gut, auch wenn das gleichermaßen unmöglich ist
Ja, hier muss ich dir zustimmen. Es wird dir niemals möglich sein, etwas zu sehen, wie ich es sehe, etwas zu hören, wie ich es höre, etwas zu denken, wie ich es denke, etc. -
Was dabei tatsächlich passiert, wenn man sagt, dass man versucht sich in jemand anderen hineinzuversetzen, ist: Du kannst immer nur deine eigenen Vorstellungen benutzen (die du dann als "mich" ansiehst) um mit ihnen sowie mit Erinnerungen dann zu einer Einschätzung zu gelangen, wie ich wohl etwas erleben könnte. Das nennt man dann "sich in jemanden hineinversetzen".
kbvor4 schrieb:Aber - und das fällt mir häufig in Situationen auf, in denen man im Unrecht ist, dies aber nicht einzugestehen vermag - wenn man seinen Blick möglichst neutral auf eine Szenerie wirft & seinen Standpunkt außen vor lässt, fällt es einem (gut, ich spreche in diesem Fall eher von mir im Speziellen) in der Regel leichter, die Lage vernünftig einzuschätzen/zu beurteilen.
Nun, die Frage ob man Recht hat oder Unrecht bzw. um etwas als "vernünftig" einzuschätzen, bedarf einer gesellschaftlichen Vereinbarung, die man als Bezugssystem benutzt.
Eine Gesellschaft mag beispielsweise vereinbaren, dass die Suizid-Methode "Sprengstoffgürtel" als Unrecht und als verabscheuungswürdig angesehen wird, doch dabei gleichzeitig die Suizid-Methode "Rauchen" erlauben. Denn nur weil es beim Rauchen etwas länger dauert, bedeutet nicht, dass es kein Selbstmord ist. Das heißt, es hängt von den jeweils vereinbarten moralischen Ansichten ab, ob etwas ein Unrecht ist, oder nicht. Das Akzeptieren von Suizid hängt von den Mitteln ab, mit denen er vollzogen wird: Sprengstoffgürtel sind verboten, Zigaretten dagegen erlaubt.
Oder nimm das Beispiel Kannibalismus. Was uns als verwerflich und abscheulich vorkommt, ist/war für andere Menschengruppen ganz legal.
Unrecht und Recht sind immer Vereinbarungssache.
Um auf die Threadfrage zurückzukommen, ob es möglich ist, dass das "ich" erleuchtet werden könnte, ist die Antwort "nein", wenn mit Erleuchtung gemeint ist, sich durch Erfahrungen ein Wissen anzueignen, das einem sagt, wer man ist. Einfach gesagt: Es ist deswegen nicht möglich "sich zu finden", weil es den Suchenden bereits gibt.