Jesus ist das Gegenteil eines Genies
21.06.2008 um 06:29Ausug aus: "Genie, Irrsinn und Ruhm";
Prof. W. Lange-Eichbaum, 1928,
fortlaufend aktualisiert durch seine Schüler / Nachfolger,
letzte aktualisierte Ausgabe: 2000
Das Gesamtbild, das wir nie aus dem Auge verlieren dürfen, zeigt uns einen einfachen, ungebildeten, aber bibelfesten Handwerker, der noch tiefer als seine Zeitgenossen in ein abergläubisches, archaisch denkendes Milieu eingebettet ist. Dieser Mann erscheint in der Geschichte als Anhänger von Johannes dem Täufer, den viele für dämonbesessen hielten, den er selbst aber für den wiedergekommenen Elias ansah; dieses Wiederkommen sollte das Weltende ankündigen. Alte Prophezeiungen bezieht er auf sich selbst; er fühlt sich berufen zum Menschensohn und kommenden Messias, zum Herrscher und Weltenrichter im Reiche der Herrlichkeit und handelt danach. Einzelne ekstatische Erlebnisse mit Visionen und Stimmen haben ihm die Erleuchtung und Berufung, die Begnadung angekündigt. Wir sehen diesen Mann fast ausschließlich in einem Zustande von hochfahrender Reizbarkeit und starker Egozentrizität.
Seiner Familie, auch der Mutter, steht er fremd, ablehnend, sogar schroff gegenüber. Sein Leben kennt keine Frauenliebe; Geschlechtslosigkeit preist er als Ideal. Die Seinen und seine Genossen halten ihn für verändert gegen früher und nehmen Anstoß an seinen Reden. Man nennt ihn "von Sinnen", dämonbesessen. Aber er bleibt teils eindrucksvoll, zum Staunen, teils undurchsichtig, geheimnisvoll, ein Rätsel für seine Umgebung. Eine Wolke von Heimlichkeit und Unheimlichkeit schwebt um ihn. Er spricht dunkel, er verhüllt absichtlich. Menschen und Welt kommen ihm zeitweise unheildrohend vor; das Weltende naht, Verfolgungen stehen bevor. Die Dämonischen muß man fürchten; sie sollen schweigen.
Unruhiges Umherwandern, unstete, arbeitsfremde Lebensweise. Scheues Entweichen bei Nacht. Unheimliches Leiden wird kommen, muß sein; der eigene Tod muß sein, denn sonst kommt das Reich nicht, das Messiastum nicht. Leidensbereitschaft und doch angstvolles Zittern davor. Traumhaft gleitet das Leben dieses Mannes dem Abgrund zu. Todesbereit, denn der Tod gibt die göttliche Messiaswürde, das Weltrichtertum. In gewaltiger Erregung klingt das Leben aus: Einzug in die Hauptstadt, Drohreden, Tempelaustreibung, alles ohne Ziel und Vernunft für diese irdische Welt. Endlich fällt die Maske. Ich bin der Messias! Ich bin ein Gott. Ans Kreuz mit dem Lästerer! Pilatus zwar: Ecce homo - das da? Doch nur ein Mensch wie wir, ein Armseliger, kein König, kein Gott. Gerade deswegen ans Kreuz mit ihm, heult die Menge. Der rohe, aber gesunde Menschenverstand der römischen Soldaten kostümierte den Armen, der König der Juden und Messias sein wollte, brutal und hart als Narrenkönig im Purpurmantel. Und er stirbt mit einem Wort reizbarer Ungeduld, warum ihn sein Gott verlassen und noch nicht endlich zum Messias gemacht.
Das Rätselvoll-Meteorhafte dieses Lebens erscheint auch schon in der Geographie des Auftretens: im Sommer weg aus der Heimatstadt Nazareth, weil er dort sogleich Anstoß erregte - dann zum See Genezareth und seinen Dörfern - im Herbst Entweichen nach dem Norden, nach Phönizien, bis über den Winter - dann im Frühling Zug nach Jerusalem, auf dem östlichen Jordanufer, unter Umgehung des gefährlichen Samaria - Einzug in Jerusalem und Ende. Im ganzen ein Hin- und Herflackern und Verlöschen. - Vom Einzug in Jerusalem an bis zum Kreuzestod ist fast alles als historisch anzusehen, wie es Markus berichtet.
Als Belege für das Expansive und die Größenvorstellungen kommen bei Markus folgende Stellen in Betracht (Neues Testament, Übersetzung von Weizsäcker, Ausg. A, 10. Aufl., Mohr, Tübingen 1922 - Novum Testamentum graece et germanice. E. Nestle, 11. Aufl., Stuttgart 1921). 1, 10-12 (Berufung). 1, 22 (das Expansiv-Hochfahrende, mit "Vollmacht"). 2, 5-12 (Sündenvergebung - Anmaßung göttlicher Rechte als Sohn des Menschen; ähnlich Matthäus 9, 2, auch Lukas 5, 20-24, 7, 48-49). 2, 28 (Sohn des Menschen, Herr Über Sabbat). 3, 21 (von Sinnen; Beelzebub). 8, 29-38 (Christus, Sohn des Menschen). 9, 12 (Sohn des Menschen). 9, 31 (Sohn des Menschen). 9, 37 (mich gesandt hat). 10, 29 (um meinetwillen). 10, 33 (Sohn des Menschen). 11, 15-18 (Austreibung aus dem Tempel; Erstaunen im Volk 12, 6 ("einzigen geliebten Sohn"). 13, 1-2 (Tempelabbrechen; ist nur Weltuntergang gemeint ? Oder aktive Größenidee ? aus Ressentiment ?). 14, 21 (Menschensohn). 14, 61-65 (bin Messias). 14, 60 und 15, 4 (auch Matthäus 26, 62 und 27, 14): antwortet dem Hohenpriester und Pilatus nicht. Hochmut ? Göttlichkeitsbewußtsein ? 15, 23 (schlug Betäubung aus, wollte Reich Gottes erleben).
Prof. W. Lange-Eichbaum, 1928,
fortlaufend aktualisiert durch seine Schüler / Nachfolger,
letzte aktualisierte Ausgabe: 2000
Das Gesamtbild, das wir nie aus dem Auge verlieren dürfen, zeigt uns einen einfachen, ungebildeten, aber bibelfesten Handwerker, der noch tiefer als seine Zeitgenossen in ein abergläubisches, archaisch denkendes Milieu eingebettet ist. Dieser Mann erscheint in der Geschichte als Anhänger von Johannes dem Täufer, den viele für dämonbesessen hielten, den er selbst aber für den wiedergekommenen Elias ansah; dieses Wiederkommen sollte das Weltende ankündigen. Alte Prophezeiungen bezieht er auf sich selbst; er fühlt sich berufen zum Menschensohn und kommenden Messias, zum Herrscher und Weltenrichter im Reiche der Herrlichkeit und handelt danach. Einzelne ekstatische Erlebnisse mit Visionen und Stimmen haben ihm die Erleuchtung und Berufung, die Begnadung angekündigt. Wir sehen diesen Mann fast ausschließlich in einem Zustande von hochfahrender Reizbarkeit und starker Egozentrizität.
Seiner Familie, auch der Mutter, steht er fremd, ablehnend, sogar schroff gegenüber. Sein Leben kennt keine Frauenliebe; Geschlechtslosigkeit preist er als Ideal. Die Seinen und seine Genossen halten ihn für verändert gegen früher und nehmen Anstoß an seinen Reden. Man nennt ihn "von Sinnen", dämonbesessen. Aber er bleibt teils eindrucksvoll, zum Staunen, teils undurchsichtig, geheimnisvoll, ein Rätsel für seine Umgebung. Eine Wolke von Heimlichkeit und Unheimlichkeit schwebt um ihn. Er spricht dunkel, er verhüllt absichtlich. Menschen und Welt kommen ihm zeitweise unheildrohend vor; das Weltende naht, Verfolgungen stehen bevor. Die Dämonischen muß man fürchten; sie sollen schweigen.
Unruhiges Umherwandern, unstete, arbeitsfremde Lebensweise. Scheues Entweichen bei Nacht. Unheimliches Leiden wird kommen, muß sein; der eigene Tod muß sein, denn sonst kommt das Reich nicht, das Messiastum nicht. Leidensbereitschaft und doch angstvolles Zittern davor. Traumhaft gleitet das Leben dieses Mannes dem Abgrund zu. Todesbereit, denn der Tod gibt die göttliche Messiaswürde, das Weltrichtertum. In gewaltiger Erregung klingt das Leben aus: Einzug in die Hauptstadt, Drohreden, Tempelaustreibung, alles ohne Ziel und Vernunft für diese irdische Welt. Endlich fällt die Maske. Ich bin der Messias! Ich bin ein Gott. Ans Kreuz mit dem Lästerer! Pilatus zwar: Ecce homo - das da? Doch nur ein Mensch wie wir, ein Armseliger, kein König, kein Gott. Gerade deswegen ans Kreuz mit ihm, heult die Menge. Der rohe, aber gesunde Menschenverstand der römischen Soldaten kostümierte den Armen, der König der Juden und Messias sein wollte, brutal und hart als Narrenkönig im Purpurmantel. Und er stirbt mit einem Wort reizbarer Ungeduld, warum ihn sein Gott verlassen und noch nicht endlich zum Messias gemacht.
Das Rätselvoll-Meteorhafte dieses Lebens erscheint auch schon in der Geographie des Auftretens: im Sommer weg aus der Heimatstadt Nazareth, weil er dort sogleich Anstoß erregte - dann zum See Genezareth und seinen Dörfern - im Herbst Entweichen nach dem Norden, nach Phönizien, bis über den Winter - dann im Frühling Zug nach Jerusalem, auf dem östlichen Jordanufer, unter Umgehung des gefährlichen Samaria - Einzug in Jerusalem und Ende. Im ganzen ein Hin- und Herflackern und Verlöschen. - Vom Einzug in Jerusalem an bis zum Kreuzestod ist fast alles als historisch anzusehen, wie es Markus berichtet.
Als Belege für das Expansive und die Größenvorstellungen kommen bei Markus folgende Stellen in Betracht (Neues Testament, Übersetzung von Weizsäcker, Ausg. A, 10. Aufl., Mohr, Tübingen 1922 - Novum Testamentum graece et germanice. E. Nestle, 11. Aufl., Stuttgart 1921). 1, 10-12 (Berufung). 1, 22 (das Expansiv-Hochfahrende, mit "Vollmacht"). 2, 5-12 (Sündenvergebung - Anmaßung göttlicher Rechte als Sohn des Menschen; ähnlich Matthäus 9, 2, auch Lukas 5, 20-24, 7, 48-49). 2, 28 (Sohn des Menschen, Herr Über Sabbat). 3, 21 (von Sinnen; Beelzebub). 8, 29-38 (Christus, Sohn des Menschen). 9, 12 (Sohn des Menschen). 9, 31 (Sohn des Menschen). 9, 37 (mich gesandt hat). 10, 29 (um meinetwillen). 10, 33 (Sohn des Menschen). 11, 15-18 (Austreibung aus dem Tempel; Erstaunen im Volk 12, 6 ("einzigen geliebten Sohn"). 13, 1-2 (Tempelabbrechen; ist nur Weltuntergang gemeint ? Oder aktive Größenidee ? aus Ressentiment ?). 14, 21 (Menschensohn). 14, 61-65 (bin Messias). 14, 60 und 15, 4 (auch Matthäus 26, 62 und 27, 14): antwortet dem Hohenpriester und Pilatus nicht. Hochmut ? Göttlichkeitsbewußtsein ? 15, 23 (schlug Betäubung aus, wollte Reich Gottes erleben).