Von wegen lascher Staat
Von Till-R. Stoldt 31. Januar 2010, 04:00 Uhr
Die Sicherheitsbehörden sind zu zahm, um Islamisten zu bekämpfen - diese Ansicht ist weit verbreitet. Die jüngsten Aktionen gegen die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs" vermitteln jedoch einen anderen Eindruck
Breitschultrig, grimmig und schwer bewaffnet marschierten die Polizisten des Sondereinsatzkommandos auf, durchsuchten Büroräume, wirbelten Papiere durch, beschlagnahmten Aktenberge und brachen alles auf, was sich nicht sofort öffnen ließ. Draußen vor den Türen bewachten derweil ebenso kräftige Kollegen ihre Mannschaftswagen und ließen sich von den rein zufällig eingetroffenen Kamerateams großer Fernsehsender filmen. Am Bildrand sah man später verschüchterte Moscheebesucher, die sich vorsichtig an den stämmigen Beamten vorbeizuschlängeln versuchten.
Es war eine Demonstration der Stärke, die der Staat vor allem im Dezember 2009 vor und in den Büroräumen der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) in Kerpen und Köln vornahm - bei der vorläufig letzten Aktion gegen die "größte deutsche Islamistenorganisation" (so der Verfassungsschutz).
Trotzdem ist nach wie vor die Einschätzung verbreitet, die Sicherheitsbehörden seien "zu lasch", um den Islamisten das Wasser reichen zu können. Nicht nur in Zeitungskommentaren und Talkshows, auch in Urteilssprüchen deutscher Richter tauchte diese Ansicht schon auf. Tatsächlich dürfte diese These allerdings ergänzungsbedürftig sein. Zu dem Eindruck kommt jedenfalls, wer die jüngsten Aktionen gegen die IGMG, immerhin die einflussreichste Gruppierung der sogenannten "friedlichen Islamistenszene", bilanziert. Denn die Durchsuchung im Dezember 2009 war nur der vorläufige Schlusspunkt einer Serie von Stichen gegen die IGMG. Zwischen August 2008 und Dezember 2009 hatte es bereits drei Razzien gegeben.
Juristisch hat sich seitdem erstaunlicherweise zwar fast nichts mehr getan, folgenreich waren die Anklagen aber doch. Da ist zunächst der Imageschaden: Für die fromme Milli-Görüs-Gefolgschaft klingt erschreckend, wenn ihrer Führung vorgeworfen wird, religiöse Geldspenden veruntreut zu haben. Und die nichtmuslimische Mehrheitsgesellschaft fühlt sich in ihrer ohnehin großen Skepsis durch solche Vorwürfe bestätigt. Die Zahl der Einladungen zu interreligiösen Kirchentreffs, Dialogveranstaltungen und dergleichen können IGMG-Leute seitdem jedenfalls an einer Hand abzählen.
Wohl gemerkt: Ob man dieses Vorgehen gegen die IGMG als Rechtsstaatsdesaster beklagt oder als Beleg wehrhafter Demokratie beklatscht, ist zunächst irrelevant. Bevor man den Kurs der Sicherheitsbehörden bewertet, muss er erst einmal richtig beschrieben werden. Und genau das scheint nicht gewährleistet, solange noch immer über die zahnlosen Sicherheitsbehörden geseufzt wird.
Denn wirksam waren die Razzien auch in anderer Hinsicht: Mit ihnen einher gingen Pfändungen und Kontoblockaden in Höhe von rund 25 Millionen Euro (etwa zehn Prozent des europaweiten Jahresumsatzes). Auch wenn IGMG-Chefjurist Mustafa Yeneroglu beteuert, wie widerstandsfähig seine Organisation sei - die wiederholten Angriffe aufs Portemonnaie hat man bei Milli Görüs gespürt.
Vor allem aber führten die Anklagen schon jetzt zu personellen Konsequenzen: IGMG-Generalsekretär Oguz Ücüncü zog sich von der Deutschen Islamkonferenz zurück. Und der mitangeklagte Multifunktionär Ibrahim El-Zayat (den viele Beobachter als den Strippenzieher des organisierten deutschen Islams bezeichnen) gab seinen Posten als De-facto-Geschäftsführer im Dachverband deutscher Muslimorganisationen auf.
Und siehe da: Genau diese Rückzüge hatten zahlreiche Politiker und vom Bundesinnenministerium geförderte Islamkritiker zuvor verlangt. Anfangs vergeblich - bis die Durchsuchungen begannen. Handelten die Kölner und Münchener Staatsanwaltschaften also auf politische Ermunterung hin? IGMG-Jurist Yeneroglu sagt ja. Und kann dabei auf einen Mitarbeiter des NRW-Verfassungsschutzes verweisen. Der bekannte kürzlich offen, man müsse gegen den Einfluss von Milli Görüs auch mit dem Steuerrecht kämpfen. Und wie es der Zufall so wollte: Fast zeitgleich fanden die vorerst letzten Durchsuchungen bei der IGMG statt - begründet auch mit dem Verdacht steuerrechtlicher Vergehen und unterschlagener Versicherungszahlungen.
Ob tatsächlich die Politik anstelle des Finanzamts die Staatsanwälte zum Schlag gegen Milli Görüs ermuntert hat (und damit gar personelle Konsequenzen bei den Durchsuchten erzwingen wollte), lässt sich nicht beantworten. Fest steht aber: Der NRW-Verfassungsschutz selbst als Abteilung des Innenministeriums hat diesem Verdacht nun Nahrung gegeben.
Formalrechtlich wäre solch ein Wink der Politik vermutlich sogar korrekt, weil Staatsanwälte weisungsgebunden sind. Aber dem Rechtsstaatsideal unterschiedlicher Zuständigkeiten und dem Selbstverständnis der Staatsanwälte widerspräche es massiv, wenn Ministerien Weisungen zur Bekämpfung unliebsamer Gegner gäben. Doch ob es zu so einem Wink kam oder nicht - schon das offene Bekenntnis des Verfassungsschützers zu solch einer Zusammenarbeit wirkt alles andere als zahm.
Gleiches gilt für die Art, in der sich Verfassungsschützer in ihren Berichten der Milli Görüs annehmen. Dort, so kritisiert nicht nur der IGMG-Experte Werner Schiffauer von der Viadrina-Uni in Frankfurt an der Oder, würden reihenweise unbedenkliche islamische Praktiken in islamistische umgetauft. Mal wird der "Bau innerstädtischer Moscheen" oder der Wunsch nach "islamischem Religionsunterricht" als islamistisch bezeichnet (so in Schleswig-Holstein), mal wird das Kopftuchtragen und Missionsarbeit als Merkmal islamistischer Gesinnung charakterisiert (so in Baden-Württemberg), mal wird der Kampf gegen die Schwimmunterrichtsbefreiung als antiislamistisches Engagement benannt (in NRW).
All das wird anhand des Beispiels Milli Görüs dem Islamismus zugeordnet, den der Verfassungsschutz als "extremistische politische Ideologie" definiert. Ein Hinweis, dass Moscheebau in der Stadt, Islamunterricht, Kopftuch und Schwimmbefreiung auch von nichtextremistischen Muslimen bejaht werden, fehlt dort jedoch.
Das ist beeindruckend. Schließlich hat das Bundesverwaltungsgericht 1993 die Befreiung vom Schwimmunterricht für rechtmäßig erklärt. Und neben dem Vatikan und US-Präsident Barack Obama lehnt auch die übergroße Mehrheit der hiesigen Islamwissenschaftler ab, das Kopftuch, innerstädtischen Moscheebau oder Mission als Beleg extremistischer Gesinnung zu bezeichnen. Hier scheinen die Verfassungsschützer die Religionsfreiheit für Muslime stark einschränken zu wollen, mahnt Experte Schiffauer, der den deutschen Islam seit 30 Jahren erforscht. Solch ein Vorgehen könne man vielleicht unterschiedlich bewerten, sagt er - eines aber sei absurd: noch länger über lasche Sicherheitsbehörden zu klagen.
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