Osho
21.01.2014 um 14:21
Ein wunderbarer Ausschnitt aus einem Buch von OSHO:
Der Mensch ist eine Maschine.
Er wird geboren, lebt, liebt, stirbt — aber nicht als ein Mensch.
Er wird geboren, lebt, liebt, stirbt gerade so wie eine Maschine.
Er ist nicht bewußt.
Alles geschieht. Der Mensch ist nicht der Tuende. Er hat keinen eigenen Willen.
Aber er glaubt, er sei der Handelnde,
er glaubt, daß er Willenskraft hat,
einen eigenen Willen.
Er glaubt, daß er ist.
Das ist die größtmögliche Dummheit,
der Grund aller Ignoranz.
Wegen dieses Glaubens
wird er sich der wahren Situation nie bewußt.
Für gewöhnlich gibt es den Menschen nur in zwei Verfassungen: schlafend mit geschlossenen Augen, und schlafend mit offenen Aug« Und ununterbrochen geht die Unterströmung des Träumens weiter.
Zu sagen: Ich bin,
ist im gewöhnlichen Zustand der Menschen nicht wahr, denn es gibt viele Ichs in euch.
Du hast kein einzelnes Ich.
Du hast keinen einzelnen Bezugsmittelpunkt.
Die eine Stimmung kommt und geht,
die andre kommt und geht.
Und mit jeder Stimmung beherrscht dich ein andres Ich.
Wenn du böse bist, ist es nicht das gleiche Ich,
wie wenn du in Liebe warst.
Eine ganz andre Persönlichkeit nimmt von dir Besitz.
Und oft hast du das geahnt.
Oft warst du böse und hast gesagt:
Ohne zu wollen, war ich wütend.
Was meinst du, wenn du sagst: Ohne zu wollen?
Wer war dann wütend?
Du hast richtig geargwöhnt, daß das Ich,
mit dem du für gewöhnlich dich identisch hältst,
außerkraft war.
Jemand andrer beherrscht dich:
ein umherstreunendes Ich, ein unstetes Ich, ein ungewohntes Ich.
Gerade vor ein paar Tagen kam eine sannyasin zu mir. Sie war glücklich, daß sie sich verliebt,
und daß sie einen Liebhaber gefunden hatte.
Sie war ganz aus dem Häuschen.
Und sie bat mich um eine Tantra-Technik, so daß sie in tiefere Gefilde
orgasmischer Liebe steigen könne.
Ich schaute sie an und ich sagte:
Warte sieben Tage.
Wenn du das nächstemal kommst, bring deinen Liebhaber mit.
Sie kam nach einer Woche zurück. Aber sie sagte: Wir haben uns gezankt und getrennt.
Also fragte ich: Und was ist mit der Tantra-Technik? Ich bin bereit, sie dir zu geben.
Sie sagte: Aber ich hab ja keinen Liebhaber mehr. Und sie war so traurig und gedrückt.
Und sie argwöhnte nicht einmal, was geschehen war.
Wenn du dich verliebst, glaubst du das —
du denkst, etwas Stetiges hätte sich in deinem Wesen ereignet. Wenn du traurig bist, glaubst du, daß das wahr ist.
Ihr seid so groß im Glauben.
Du argwöhnst nicht einmal für einen winzigen Augenblick, daß dies Stimmungen sind,
und sie wie Wolken am Himmel vorbeiziehn,
und sie vorbeifließen, gerade wie ein Fluß vorbeifließt.
Nichts ist stetig in dir.
Wie kannst du sagen: Ich bin. Das ist ein Irrtum.
Zu behaupten, ich bin, heißt lügen.
Du kannst es nicht sagen. Du bist viele Ichs.
Es gibt tausend und ein Ego in dir:
eine Menge, eine Mehrzahl. Du bist poly-psychisch.
Du bist wie ein Rad.
Stell dir das sich drehende Rad eines Ochsenkarrens vor.
Eine Speiche kommt hoch, dann geht sie nach unten.
Eine andre kommt hoch, auch die ist auf dem Weg nach unten. Und das Rad dreht sich weiter.
Jeden Augenblick kommt eine neue Speiche hoch.
Du bist wie ein Rad, immer in Bewegung.
Und viele Speichen sind es, die du Ich nennst.
Wenn eins der Ichs hochkommt, bist du damit identisch.
Wenn du zornig bist, siehst du nicht,
daß Zorn etwas ist, das dich umgibt wie eine Wolke. Du wirst eins mit ihm.
Diese Stimmung ergreift völlig Besitz von dir,
du bist besetzt von ihr.
Dann ist es nicht gut zu sagen: Ich bin zornig.
Es wäre besser zu sagen: Ich bin Zorn.
Wenn Liebe dich besetzt, wirst du Liebe.
Sag nicht: Ich bin in Liebe. Du bist Liebe.
Du bist so identisch mit der Stimmung,
daß deine eigentliche Identität, dein eigentliches Wesen nicht mehr da ist.
Und dies bleibt so
vom Augenblick deiner Geburt an bis zu deinem Tod.
Du kommst in junge Jahre, und du denkst, du bist jung.
Und du weißt, daß der Körper sich jeden Augenblick verändert. Dann wirst du alt, und du denkst: Ich bin alt.
In der Jugend hast du gejubelt, jung zu sein,
voll von Energie.
Im Alter bist du traurig und bedrückt,
weil nun die Energie fort ist.
Solange du lebst, hältst du dich für den Körper.
Und wenn der Tod kommt, dann sagst du: Ich sterbe.
Was immer geschieht, du identifizierst dich damit.
So stehen die Dinge in
einer Menschheit, die fest schläft.
Deshalb kannst du noch nicht Mensch genannt werden. Du bist ein Mechanismus.
Der Mensch wird in dir geboren werden,
wenn du dir des ganzen Mechanismus bewußt wirst, und doch nicht damit identisch bist.
Du kannst Zorn kommen sehn,
du kannst Zorn überall um dich herum sehn, und doch ein Beobachter auf dem Berg bleiben. Du schaust immer nur zu.
Eine Wolke ist aufgestiegen. Nebel ist rundum. Aber du bleibst für dich.
Du weißt genau: Ich bin der Wissende und nicht das Gewußte. Du weißt genau: Ich bin der Schauende und nicht das Geschaute. Du weißt genau, daß unendliche Distanz besteht
zwischen dir und dem, was dich umgibt.
Es mag dich berühren, aber es gibt eine unendliche Entfernung.
Weil das Gewußte niemals den Wissenden berühren kann. Weil das Gesehene niemals den Sehenden berühren kann. Der Sehende transzendiert. Der Sehende ist Transzendenz.
Neulich hab ich euch erzählt,
daß es drei gewöhnliche Arten von Menschen gibt. Mensch Nummer eins ist identisch mit seinem Körper. Mensch Nummer zwei
ist identisch mit seinen Gefühlen, Emotionen.
Mensch Nummer drei ist identifiziert mit seinem Verstand, Denken. Und alle diese drei schlafen.
Ihr Schlaf mag verschieden sein.
Einer schläft im Körper,
der andre in den Gefühlen,
der dritte schläft in seinen Gedanken. Aber der Schlaf ist der gleiche:
die Qualität ist Unbewußtheit, ist Starre.
Dann gibt es den vierten Menschen, Mensch Nummer vier. Er wird wach.
Er beobachtet seinen Körper, ist aber nicht identisch mit ihm. Er benützt seinen Körper, geht aber nie darin auf.
Er hält Abstand, unberührt.
Er braucht seine Gefühle.
Oft ist er umgeben von seinen Gefühlen,
wird aber nie von ihnen überwältigt.
Er bleibt für sich.
Es gibt Gedanken.
Der Verstand bringt Gedanken hervor,
aber der Mensch Nummer vier bleibt wachsam.
Körper, Verstand, Herz - sie alle sind intakt.
Und das können sie umso besser, als sie es für sich tun, weil es keine Störung vom innersten Sein her gibt.
Das innerste Sein bleibt für sich.
Dies ist der Mensch Nummer vier.
Mensch Nummer vier ist, was ich unter einem sannyasin verstehe. Unnötig, irgendwohin zu gehn,
wo immer du bist, werd wach.
Und dort und dann kommt sannyas ingang.
Es ist nicht die Frage, den Ort zu wechseln.
Die Frage ist, die innere Einstellung zu wechseln. Du bleibst im Körper,
aber du weißt nun, daß du nicht der Körper bist. Und wenn einmal Nummer vier auftaucht,
ist der Mensch geboren.
Du wirst nur mit der Möglichkeit geboren, ein Mensch zu sein. Du wirst nicht als Mensch geboren.
Du wirst nur geboren mit der Fähigkeit, ein Mensch zu werden. Du magst es werden, du magst es nicht werden.
Du kannst am Ganzen vorbeigehn.
Du kannst dich immer im Kreise bewegen
und niemals in die Mitte deines Wesens dringen.
Aber wenn Wachheit aufsteigt und du beobachtend wirst, ist der Mensch geboren.
Hindus haben diesen Zustand dwij genannt, 269
den Zustand des Zweimalgeborenen.
Die erste Geburt geschieht durch die Eltern, Mutter und Vater.
Die zweite Geburt geschieht in Bewußtheit — und das ist die eigentliche Geburt.
Die erste Geburt gipfelt im Tod.
Die zweite Geburt gipfelt niemals im Tod.
Also ist die erste Geburt nur dem Namen nach eine Geburt:
in der Tat, sie ist ein Weg zum Tod.
Der Tag, an dem du geboren wurdest, war der Tag,
an dem du zu sterben begannst.
Eines Tags wird der ganze Prozeß vollendet sein.
Also war deine Geburt nichts andres als der Eintritt in den Tod. Dafür magst du siebzig oder achtzig Jahre brauchen,
aber du bist dem Tod
jeden Augenblick deines Lebens entgegengegangen.
Nur wenn du zweitgeboren wirst, dwij,
nur wenn die zweite Geburt stattfand,
und Mensch Nummer vier in dir geboren ist, weißt du plötzlich, daß es keinen Tod gibt.
Tod gibt es nur in Identifikation.
Wenn du identisch mit dem Körper bist, wirst du sterben.
Du bist nicht der Körper. Eines Tags mußt du ihn verlassen.
Du kannst nicht darin bleiben für immer und ewig.
Er ist eine Ubergangsphase: er ist nur ein Meilenstein, nicht das Ziel. Du kannst dich eine Weile im Schatten eines Baums ausruhn,
doch dann geht es weiter.
Du kannst identifiziert sein mit den Gefühlen, aber dann wird es Tod geben — und du weißt es. Der Körper stirbt einmal in siebzig Jahren,
die Gefühle sterben jeden Tag, jeden Augenblick. Du liebst einen Menschen — und dann ist Tod. Oder du liebst nicht, die Stimmung ist hin —
und du fühlst einen subtilen Tod geschehen.
Du warst mit jemandem befreundet.
Nun ist die Freundschaft dahin — ein Tod.
Jeden Augenblick stirbst du in deinen Gefühlen.
Und die Gedanken sterben noch schneller.
Du kannst keinen einzigen Gedanken
auch nur für Sekunden in deinem Kopf halten, er wird zu entkommen versuchen.
Versuch es — versuch es nur einmal,
einen einzigen Gedanken für einige Minuten festzuhalten. Er wird nicht mehr dort sein. Er ist bereits weg.
Er ist auf der Flucht.
Der Verstand stirbt kontinuierlich jeden Augenblick. Das Herz stirbt kontinuierlich jede Stunde.
Der Körper stirbt gleichfalls kontinuierlich,
wenn auch siebzig, achtzigjahre lang.
Diese drei sind die Identifikationen.
Das Vierte, Bewußtheit, steigt auf, wenn du nicht identifiziert bist.
Noch etwas dazu...
Es gibt vier Wege zu Gott.
Einer ist: die Anstrengung durch den Körper.
So versuchten es die Hatha Yogis.
Es ist kein wahrer Weg.
Einiges kann damit erreicht werden —
denn schließlich gehört der Körper auch zu Gott - aber er ist nicht deine Gesamtheit.
Gurdjieff nannte dies: Den Weg des Fakirs.
In Indien kannst du viele Fakire sehn.
Du magst beeindruckt sein von ihren Fähigkeiten. Sie haben gewisse Kräfte erlangt.
Zum Beispiel kannst du einem Fakir begegnen, der fortwährend gestanden hat,
zehn, zwanzigjahre lang.
Er hat seinem Körper nie erlaubt zu ruhn,
zu sitzen oder zu liegen. Er hat nur gestanden.
Selbst, wenn er schlafen muß, schläft er stehend.
Nun ist sein Körper steif geworden, paralysiert.
Er kann ihn nicht bewegen. Die Beweglichkeit ging verloren. Aber du wirst gewisse Kräfte in ihm entdecken,
denn er hat die niederste Sprosse erreicht, die des Willens. Für zehn Jahre ununterbrochen zu stehn, da braucht es Willen.
Versuch's nur mal für zehn Tage, dann weißt du's. Versuch's für zehn Stunden, dann weißt du's. Versuch's für zehn Minuten,
unbeweglich, nur stehend,
und du wirst es wissen.
Tausend und eine Schwierigkeit tauchen auf. Der Verstand sagt: Was machst du?
Laß diesen ganzen Unsinn.
Alle genießen, und was machst du?
Stehst da wie ein Narr?
Zehn Jahre, unbeweglich, und eine sehr niedere Art
von Willen, der sich auf den Körper beschränkt, setzt sich durch. Es ist sehr materialistisch, aber eine Willenskraft steigt auf.
Der Mann erreicht eine gewisse Kristallisation. Er kann einige Dinge tun: er kann heilen.
Er kann deinen Körper berühren,
und eine heilende Kraft wird
von seinem Körper zu dir hinfließen.
Er kann segnen, er kann verfluchen.
Und was er auch sagt, wird eintreffen.
Denn ein Mann, der zehn Jahre stehend verharrte, hat einen hohen Grad an Intensität.
Wenn er etwas sagt,
werden seine Worte sehr gewichtig und machtvoll. Sie tragen atomische Energie in sich.
Wenn er dich verflucht, trifft es ein.
Wenn er dich segnet, ist Segen da.
Aber dieser Mann selbst
wird auf einer sehr niederen Sprosse des Seins bleiben. Wenn du in seine Augen schaust, wirst du keine Intelligenz Er verkörpert einen dummen Typ von Heiligen.
Nichts von Höherem,
aber eine Kristallisation des Niederen ist da.
Du kannst seine machtvolle Ausstrahlung spüren,
nicht die der Intelligenz, nicht die der Wachheit,
nicht die der Meditation — aber die der Konzentration.
Er kann lange Zeit leben,
hundert oder zweihundert Jahre.
Das ist nicht schwierig für ihn,
denn sein Körper ist ihm Untertan.
Was immer er mit ihm vorhat, kann er tun. Aber das ist nichts Geistiges.
Es ist nichts Religiöses.
Wenn du es durch den Körper versuchst,
versuchst du es mit der niedrigsten Möglichkeit in dir.
Wenn ein Fakir Glück hat,
mag er die Führung eines Meisters finden,
der ihn aus seinem Körper herauszieht.
Sonst wird er tief verstrickt in seinen Körper sterben. Und im nächsten Leben geht alles wieder verloren.
Solange etwas nicht bewußt erlangt wird,
kann es nicht dauerhaft sein, denn der Körper ändert sich. Was du auch erreicht hast mit diesem Körper,
wird im nächsten verloren sein.
Du magst ein Mohammed Ali sein,
aber du kannst deinen Körper nicht
hinüberretten in deine nächste Geburt.
Dieser Körper wird hier zurückgelassen.
Du magst ein schöner Mann sein.
Du magst eine schöne Frau sein, eine Kleopatra — aber dieser Körper muß hier zurückgelassen werden. Alles durch den Körper und mit
dem Körper erlangte wird verlorengehen.
Wenn der Fakir nicht das Glück hat,
unter die Führung eines Meisters zu gelangen,
kann er nicht aus seinem Körper erlöst werden.
In Indien war
dies eine der Liebestaten der Meister...
Ihr müßt davon gehört haben.
Es gibt alte Geschichten, daß in Indien
Meister durchs ganze Land reisten.
Oberflächlich betrachtet
sah es aus, als wären sie große Intellektuelle.
Ein Shankaracharya, ein Ramanuja, ein Vallabha,
ein Nimbark, ein Buddha, ein Mahavir.
Oberflächlich sah es so aus,
als wollten sie Leute bekehren.
Das war ein Nebenbei.
In Wirklichkeit machten sie die verschiedensten Dinge.
Eines der wichtigsten davon war,
von Stadt zu Stadt zu ziehen, um sich um Fakire zu kümmern. Denn diese Fakire konnten nicht zu ihnen kommen.
Sie waren so tief verwurzelt in ihren Körpern, sie hatten alle ihre Intelligenz verloren.
Sie waren keine schlechten Menschen.
Sie waren unwissend, aber machtvoll.
Wenn ihre Macht freigesetzt werden konnte, konnten sie einen plötzlichen Sprung
auf eine höhere Ebene ihres Wesens tun.
Meher Baba hat in unserem Jahrhundert solche Arbeit getan. Er zog für Jahre durchs ganze Land
und kümmerte sich nur um Fakire.
Wo immer er von einem Fakir hörte,
ging er hin, um ihn aus seiner Starre zu bringen.
Ein Fakir ist ein guter Mensch, ein sehr guter - aber unwissend.
Dann gibt es den zweiten.
Gurdjieff hat ihn genannt: Den Weg des Mönchs.
Du kannst ihn den Weg der Anbetung nennen, bhakti marg. Der erste ist der des Hatha Yoga.
Der zweite ist der des bhakti marg, der Weg des Mönchs.
Der Weg des Mönchs nähert sich dem Göttlichen durch Empfindsamkeit, Gebet, Flehen und Weinen,
in tiefer Liebe und Zuneigung,
in tiefem Durst, Gott nahezukommen.
Aber dieser Typus Mensch bleibt in Emotionen stecken. Er erreicht einen höheren Zustand,
einen größeren Status als der erste, der Fakir -
aber er ist dennoch befangen.
Auch er braucht jemanden, ihn da herauszubringen.
Dann gibt es den dritten Weg: den Weg des Yogi. Er arbeitet durch den Intellekt.
Er arbeitet durch das Denken.
Es ist der Weg des Philosophen, des Intellektuellen. Er erreicht eine noch höhere Ebene,
aber dann verfängt er sich auch.
Alle drei verfangen sich.
Nur der vierte geht darüber hinaus und verfängt sich nie. Darum hat Gurdjieff seinen Pfad den Vierten Weg genannt. Und das zu verstehen ist bedeutsam,
weil der chassidische Pfad auch der Vierte Weg ist.
Chassidismus, die chassidische Haltung,
gehört gleichfalls zum Vierten Weg.
Körper, Gefühl, Verstand — alle müssen transzendiert werden. Man muß einfach wach werden,
wach für alles, was innen und außen geschieht.
Der einzige Schlüssel für den Vierten Weg ist, aufmerksam, wach zu sein, in die Dinge hineinzusehen,
und sich nicht mit ihnen zu identifizieren.
Nun hört euch diese Geschichte an. Dies ist eine schöne Geschichte, sie gehört zum Vierten Weg.
Eines Tags
stand der Rabbi von Zans
am Fenster und schaute
hinaus auf die Straße.
Als er einen Vorbeigehenden sah, klopfte er an die Fensterscheibe und bedeutete dem Mann,
ins Haus zu kommen.
Als der Fremde das Zimmer betrat,
fragte ihn Rabbi Hayyim:
Sag mir,
wenn du einen Beutel voller Dukaten fändest, würdest du ihn seinem Besitzer zurückgeben?
Eine sehr einfache Frage, aber nicht so einfach.
Der Mann wurde getäuscht von der Einfachheit.
Sag mir,
wenn du einen Beutel voller Dukaten fändest, würdest du ihn dem Besitzer zurückgeben?
Der Mann muß angenommen haben,
der Rabbi frage eine moralische Frage. So wurde er getäuscht.
Der Rabbi stellte keine moralische Frage.
Ein wirklich religiöser Mensch ist nie besorgt um Moral, denn Moral ist nichts als ein Spiel.
Man muß die Regeln des Spiels beachten,
weil man mit vielen andern zusammenlebt.
Moral existiert, weil du mit so vielen
Menschen in Beziehung stehst.
Sie hat nichts mit deiner Essenz zu tun.
Sie hat etwas mit deinen Beziehungen zu tun.
Zum Beispiel, wenn du allein auf der Erde wärst,
und du fändest einen Beutel voller Dukaten und Gold und Geld, wäre es unmoralisch, ihn zu behalten?
Dann würde die Frage der Moral oder Unmoral gar nicht auftauchen.
Wenn Du allein wärst auf der Erde, könntest du ein Dieb sein? Es ist unmöglich.
Denn um zu stehlen, braucht es noch jemand andern.
Um zu rauben, brauchst du jemand andern.
Wenn du allein auf der Erde bist,
kannst du kein Dieb, kannst du kein Räuber sein.
Wenn du allein auf der Erde bist, kannst du da lügen? Es ist unmöglich. Wen willst du belügen?
Um zu lügen, braucht es jemand andern.
Moral gibt es nur in Beziehung. Und Religion ist etwas,
was du mit deiner Alleinheit tust.
Also stellt der Rabbi keine moralische Frage. Er stellt eine sehr wichtige, bezeichnende Frage nach deinem inneren Wesen.
Er fragt:
Sag mir,
wenn du einen Beutel voller Dukaten fändest, würdest du ihn dem Besitzer zurückgeben? Die Formulierung ist moralisch.
Darum wird der Mann getäuscht.
Er sagte: Rabbi,
wenn ich den Besitzer wüßte, würde ich ohne zu zögern den Beutel zurückgeben.
So ist jeder.
Wenn es eine theoretische Frage ist, gibt es keine Schwierigkeit. Du bist immer moralisch.
In der Theorie ist jeder anständig.
Die Frage stellt sich nur, wenn etwas
hautnahe Wirklichkeit wird.
Manchmal allerdings wirst du selbst
in theoretischen Dingen unmoralisch.
Ich kannte einen Mann in meiner Stadt. Er war Arzt. Aber als Arzt war er ein Versager.
Seine Praxis ging überhaupt nicht.
Er blieb immer arm.
Seine Persönlichkeit war dergestalt,
daß niemand daraufkam, daß er der Arzt war. Ein Arzt muß wie ein Arzt aussehn.
Sein Auftreten ist bezeichnend.
Er war ein kränkliches Männlein.
Manchmal schickte ich jemanden zu ihm.
Aber die Leute konnten nicht glauben, daß er der Arzt war, vielmehr glaubten sie, er sei der Pfleger.
Und sie fragten:
Herr Pfleger, wo ist der Doktor?
Verständlicherweise ärgerte ihn das sehr.
Gewiß war es für ihn schwierig,
ein erfolgreicher Arzt zu sein.
So pflegte er seine Zeit mit Kreuzworträtseln zu füllen. Und er war immer überzeugt diesmal
müsse er hunderttausend Rupies gewinnen, zweihunderttausend, dreihunderttausend.
Das ging alle Monate so.
Und wenn das Preisausschreiben vorüber war,
vergaß er das alles
und begann an einem neuen Kreuzworträtsel zu arbeiten.
Eines Tags zog ich ihn etwas auf.
Ich sagte: Schau. Du hast dich so geschunden. Wenigstens ein Jahr hab ich dich beobachtet, und du hast nicht einen Preis gewonnen.
Es scheint dir nicht bestimmt zu sein.
Tu eins: verbinde mein Schicksal mit deinem.
Er sagte: Wie kann es verbunden werden?
Ich sagte: Tu eins.
Wieviel gibst du mir ab?
Wenn du hunderttausend Rupies gewinnst, wieviel wirst du mir abgeben?
Er begann zu denken. Er war ein armer Mann.
Er schloß seine Augen und er sagte: Fünfzig Prozent. Es war hart zu sagen: Fünfzig Prozent.
Es war zuviel — fünfzigtausend Rupies.
Ich sagte: Gut. Einverstanden.
Jetzt ist es abgemacht. Fang an.
Nun ist mein Schicksal mit deinem verbunden. Diesmal wirst du gewinnen.
In der Nacht, etwa um zwölf,
klopfte er an meine Tür, und er sagte: Hör, fünfzigtausend ist zuviel.
Ich kann nicht schlafen.
Es scheint diesmal zu klappen,
und du hast mich reingelegt.
Sicher riechst du 'was,
und diesmal wird es klappen.
Es ist nicht die Frage,
daß dein Schicksal mit meinem verbunden ist. Es scheint, daß du eine Ahnung hast,
daß es diesmal klappen wird.
Und auch ich bin ganz gewiß,
daß es diesmal klappen wird.
Bitte, fünfzigtausend sind zuviel.
Also sagte ich: Gut. Entscheide du, wieviel. Er sagte: Zehntausend tun's auch.
Ich konnte sehen, selbst zehntausend waren zuviel.
Er war ein armer Schlucker,
der niemals zehntausend Rupies besessen hatte. Es war zuviel.
Ich sagte: Gut. Das genügt.
Am nächsten Morgen war er wieder da, sehr bedrückt, auch ein wenig beschämt.
Er sagte: Bitte, verzeih. Entschuldige.
Aber ich habs mir überlegt und überlegt und überlegt. Du weißt, ich bin ein armer Mann.
Zehntausend sind zuviel.
Er hatte noch keinen Pfifferling bekommen. Das alles war nur in seinem Traum.
Ich sagte: Was schlägst du also vor?
Er sagte: Für diesmal laß mir alles.
Das nächstemal, so wie ich wieder gewinne,
werde ich dir geben, soviel du willst.
Diesmal scheint es so gewiß zu sein.
Ich sagte: Gut. Behalt es.
Aber komm mir nicht klagen später,
denn jetzt ist unser Schicksal nicht mehr verbunden.
Da kriegte er Angst.
Am Abend war er zurück.
Er sagte: Du kannst einen Rupie haben, so als Zeichen, daß wir zusammenbleiben.
Sonst bekomme ich Angst,
daß ich möglicherweise nicht gewinne.
Der Verstand ist so geizig. Du hast keine Ahnung wie s< Wenn du so in Gedanken bist, es dir nur vorstellst,
wirst du ganz und gar moralisch.
Jeder ist gut.
Du warst böse, und dann bereust du.
Und in der Reue ist jeder schön.
Und du sagst: Niemals will ich es wiedertun. Aber du weißt nicht, was du sagst.
Du weißt nicht, daß es das ist,
was du dein ganzes Leben lang gesagt hast. Jedesmal, wenn du böse warst,
hast du bereut und gesagt: Nie wieder.
Dann geschah es wieder und wieder und wieder. Und du warst nicht einmal wachsam genug,
die ganze Absurdität zu sehen.
Wenn du wirklich wachsam bist, wirst du die Reue fahren lassen, denn du erkennst ihre Dummheit. Du hast so oft bereut. Nichts geschah.
Ein Mann war hier.
Er steckte voller Wut. Er war ständig wütend. Er sagte: Ich will keinen Gott.
Ich will keine Meditation.
Bring mich bloß von meiner Wut ab.
Ich bereue - aber nichts geschieht.
Und ich hab soviele Gelübde getan.
Aber nichts geschah.
Was soll ich tun?
Ich sagte: Tu eins. Als erstes, laß alle Reue. Von jetzt an bereue niemals wieder.
Sei wütend, aber laß es dich niemals reuen.
Er sagte: Wie kann das helfen?
Wenn schon Reue nicht helfen konnte. Wenn ich nun nicht mehr bereue, wird meine Wut vielleicht noch ärger.
Ich sagte: Uberlaß das mir. Laß erst einmal die Reue.
Nach einer Woche war er zurück, und er sagte:
Es ist unmöglich. Ich kann die Reue nicht lassen. So wie ich wütend werde, folgt sie wie ein Schatten. Ganz von selbst.
Der springende Punkt ist: du hast keinerlei Willenskraft. Der springende Punkt ist:
du hast dich nicht selbst wahrgenommen.
Du weißt nicht, wer du bist.
Und alle deine Versprechungen sind falsch,
denn du weißt nicht, wer der ist, der verspricht.
Wie kannst du versprechen? Wie kannst du das Versprechen erfüllen?
Eine Stimmung verspricht,
und wenn das Versprechen erfüllt werden will, ist die Stimmung fort. Eine andre herrscht vor. Und die hat nicht einmal etwas
von der ersten Stimmung gehört.
Am Abend hast du entschieden:
Morgen früh, um vier Uhr,
werde ich aufstehn.
Und ich werde bestimmt zu dieser Zeit aufstehn. Aber die Stimmung, die um vier Uhr morgens da sein wird, kennst du nicht,
jetzt ist Abend.
Jetzt ist nicht vier Uhr morgens.
Du kannst dir leicht vormachen, daß du die Willenskraft hast. Nächsten Morgen, um vier, sagt jemand in dir:
Was für ein Unsinn. Zu dieser Zeit aufstehn?
Es ist kalt und es regnet.
Und es ist so schön zu schlafen.
Schlaf noch ein bißchen. Du fühlst dich noch nicht ausgeruht.
Du hast völlig dein Versprechen vergessen. Du drehst dich um und hast dein Schläfchen.
Am Morgen, wenn du deinen Tee nimmst,
wirst du reuig.
Nun verurteilst du dich selbst:
Was bin ich für einer?
Ich hatte versprochen, um vier aufzustehn. Warum hab ich meinen Sinn geändert?
Nun bist du in einer dritten Stufe, die dritte Speiche ist oben.
Du magst dir wieder versprechen, um vier aufzustehn. Denn morgens kann man das leicht beschließen.
Aber wieder wird die Sache sich ändern.
Und so hast du es dein
ganzes Leben durch getrieben.
Und hast es bis jetzt noch nicht einmal gemerkt.
Der Rabbi sagt: Sag mir,
wenn du einen Beutel voller Dukaten fändest, würdest du ihn dem Besitzer zurückgeben?
Eine theoretische Frage, nichts steht auf dem Spiel. Du hast den Beutel nicht gefunden,
und du kennst dich selbst überhaupt nicht.
Der Mann sagte: Rabbi,
wenn ich den Besitzer wüßte, würde ich den Beutel zurückgeben, ohne einen Augenblick zu zögern.
Wie wenn es darum ging, den Besitzer zu kennen. Der Mann sagte: Falls ich den Besitzer kenne, würde ich's sofort zurückgeben.
Aber wenn ich den Besitzer nicht kenne,
braucht es ein wenig Zeit, ihn zu finden.
In Mulla Nasrudins Stadt ist es Tradition,
wenn jemand etwas findet,
muß er zum Markt gehn
und dreimal laut rufen: Ich habe dies hier gefunden. Wenn es niemandem gehört,
so kann er es für sich beanspruchen und es ist sein.
Eines Tags fand Mulla einen Diamanten. Er ging zum Marktplatz,
rief dreimal und ging nachhaus.
Seine Frau sagte: Wo warst du?
Er sagte: Ich habe einen Diamanten gefunden. Und die Tradition sagt,
daß man dann zum Marktplatz muß.
Deshalb war ich dort.
Seine Frau sagte: Ist das die rechte Zeit?
Mitten in der Nacht.
Wenn alle fest schlafen.
Hast du wirklich dreimal gerufen?
Nasrudin sagte: Ja, ich hab gerufen. Aber sehr leise. In der Tat, ich konnte es selbst nicht hören.
Ich murmelte. Denn es schlief ein Bettler dort.
Und ich hatte Angst, er möchte aufspringen
und ihn für sich beanspruchen.
Aber ich habe das Gesetz befolgt. Nun ist alles klar. Wir können den Diamanten behalten.
Rabbi, sagte der Mann,
wenn ich den Besitzer wüßte, würde ich den Beutel zurückgeben, ohne einen Augenblick zu zögern.
Denk 'mal nach. Das hättest du gesagt haben können. Nichts steht auf dem Spiel. Es gibt keinen Beutel, nichts. Da kannst du leicht moralisch sein.
Und dieser Mann sagt:
Wenn ich den Besitzer wüßte, wär alles klar.
Ich würde sofort hingehen und es ihm geben.
Wenn es ein Zögern gäb,
dann nur, weil der Besitzer unbekannt ist,
nicht meinetwegen.
Denk einmal nach.
Versetz dich in den Mann.
Hättest du nicht geantwortet wie er?
Nichts steht auf dem Spiel.
Und der Rabbi würde sehr zufrieden sein und sich gesegnet fühlen, was für ein moralischer Mensch du bist.
Du bist ein Narr, sagte der Rabbi.
Aber warum einen solch anständigen Menschen einen Narren nennen? Wieso sagt der Rabbi, du bist ein Narr?
Der Rabbi sagt damit:
Du bist dir nicht bewußt, was du sagst.
Du bist dir deiner selbst nicht bewußt.
Du hast dein ganzes Leben vorübergehen lassen, und weißt noch nichts über dein eigenes Wesen: den versteckten Geiz, die Besitzgier,
den Ehrgeiz, das Ego, die Verderbtheit.
Du bist ein Narr.
Wer ist ein Narr?
Der, der sich selbst nicht kennt.
Dann nahm er wieder seinen
Platz am Fenster ein,
rief einen andern Vorbeikommenden und stellte ihm die gleiche Frage.
Ich bin nicht ein solcher Narr,
einen Beutel voll Geld herzugeben, der mir zugefallen ist, sagte der Mann.
Der zweite Mann sagt: Ich bin kein Narr.
Aber seine Definition der Narrheit
ist völlig von der Definition des Rabbis verschieden. Und manchmal täuschen Worte,
weil sie so gleich aussehn.
Der Rabbi sagte zum ersten Mann:
Du bist ein Narr, weil du dich selbst nicht kennst.
Der zweite Mann sagt: Ich bin nicht solch ein Narr, einen Beutel voll Geld herzugeben,
der mir zugefallen ist.
Nun, für diesen zweiten Mann
hat Narrheit eine ganz andre Dimension und andern Sinn. Er sagt: Wenn dir Geld in die Quere kommt,
und du bist schlau, mach dich sofort aus dem Staub,
so daß es niemand erfährt.
Er sagt damit: Ich bin kein Narr. Ich bin kein Einfaltspinsel.
Und ich laß mich nicht täuschen von all dem moralischen Unsinn, daß man es dem Besitzer geben muß,
daß es, wenn es dir nicht gehört, nicht deins ist,
und daß man in der Hölle leiden muß.
Oder, daß es dir, falls du es gibst, im Himmel vergolten wird.
Ich bin doch kein Narr.
Der zweite Mann ist ein gewöhnlicher, weltlicher Mensch, aber in einer Weise besser als der erste,
weil er weiß, wie er ist.
Wenigstens hat er einen Funken von Selbsterkenntnis. Und er weiß: Ich bin kein Narr.
Er ist ein gerissener, geschickter, berechnender Mensch.
Der erste war ein Einfaltspinsel.
Der erste war dem zweiten gleich.
Wenn es die wirkliche Situation gegeben hätte,
hätte der erste genauso gehandelt
wie der zweite gehandelt hätte.
Nur glaubte der erste, daß er ein moralischer Mensch sei.
Das ist der Unterschied
zwischen euren sogenannten Frommen
und den Unfrommen.
Dies ist der einzige Unterschied.
Der Religiöse geht zum Tempel,
zur Kirche, zur Moschee.
Er betet, spricht über Gott,
befaßt sich mit Schriften und Ritualen — und wirkt sehr fromm.
Aber in jeder tatsächlichen Begebenheit
verhält er sich geradeso unfromm wie jeder andere auch, manchmal schlimmer.
Schaut euch um:
Indien ist ein gutes Beispiel dafür.
Das ganze Land hält sich für religiös.
Ja, Indien empfindet sich
als das einzig wahre religiöse Land.
Sie prahlen dauernd damit.
Sie denken, sie seien die religiösen Führer der Welt, und die ganze Welt
sollte kommen und sich vor ihnen verbeugen.
Sie denken, sie sollten die ganze Welt anführen, was Religion, Gott, Geistigkeit angeht.
Aber wenn du ihr Leben betrachtest,
wirst du nirgendwo anders solche Materialisten finden wie hier.
Das ist meine Beobachtung:
Die Menschen, die aus dem Westen kommen, sind weniger materialistisch, als die Menschen, die in Indien leben.
An der Oberfläche mögen sie materialistisch aussehn.
Sie mögen nicht den Anspruch haben,
so religiös zu sein.
Aber sie sind weniger materialistisch. Sie hängen weniger an Dingen.
Inder sind einfach gestört.
Sie hängen am Geld, am Haus, an Dingen.
Und, gleichzeitig,
tun sie sich groß darin,
sie seien religiöse Menschen.
Sie glaubten nicht ans Materielle, sie glaubten an Gott. Sie behaupten, die ganze Welt sei Illusion.
Du kannst keinen roten Heller aus ihnen herausbringen. Es ist unmöglich.
Wie ist es dazu gekommen?
Dies sind die zwei Typen.
Der erste ist das Selbstbild der Inder.
Der zweite ist das Selbstbild der Westler. Der Westler weiß, daß er kein Narr ist. Wenn er das Geld kriegt, nimmt er's — ganz einfach.
Der Inder sagt: Nein, ich berühr's nicht.
Aber innerlich rechnet er bereits,
was er damit macht, falls er das Geld kriegt.
An der Oberfläche: das eine, tief innen: etwas andres.
Das ist der einzige Unterschied
zwischen eueren sogenannten moralischen und unmoralischen Leuten. Die moralischen Leute sind Heuchler.
Ich bin nicht solch ein Narr,
einen Beutel voll Geld herzugeben, der mir in die Quere kommt.
In gewisser Weise ist der zweite Mann ehrlicher,
denn er sagt die Wahrheit. Ich bin nicht solch ein Narr. Ich werde doch diesen Beutel nicht irgendwem geben. Wenn er mir über den Weg läuft, ist er mein.
Und ich werde ihn behalten.
Das erscheint vielleicht unmoralisch, aber es ist ehrlicher. Und schließlich hilft Ehrlichkeit, nicht Moralität. Wenigstens kennt dieser Mann seine Gerissenheit.
Der erste Mann ist sich seiner
Verschlagenheit völlig unbewußt.
Er glaubt an seine Unschuld.
Wenn du an deine Unschuld glaubst und nicht unschuldig bist, bist du in großer Gefahr, bist du ein Narr.
Weil du an etwas glaubst, das es nicht gibt.
Es ist besser, ein platter Durchschnittsmensch zu sein, als ein religiöser Heuchler.
Ehrlich zu sein, ist gut,
selbst wenn deine Ehrlichkeit Dinge zeigt,
die nicht gut sind.
Denn wenn du es weißt, kannst du sie transzendieren. Wenn du es nicht weißt, verstecken sie sich hinter dir. Deine Feinde sind in deinem Unbewußten,
und sie können jeden Augenblick nach dir greifen.
Den Feind zu kennen, ist besser, als ihn nicht zu kennen, weil dann etwas getan werden kann.
Du bist ein Bösewicht, sagte der Rabbi und rief einen dritten Mann zu sich.
Er sagte: Du bist ein Bösewicht.
Er sagte aber nicht: Du bist ein Narr. Du bist nicht gut — das stimmt.
Aber du bist kein Narr.
Der erste Mann ist nicht gut und ein Narr dazu, weil er seine innere Verschlagenheit nicht kennt.
Der Rabbi rief einen dritten Mann herein und stellte die gleiche Frage.
Der dritte Mann erwiderte: Rabbi, weiß ich es denn,
wie ich mich verhalten werde, wenn ich den Beutel finde?
Dieser Mann ist völlig der Situation bewußt.
Er sagt, er kann nichts versprechen.
Er kennt sich selbst, er kennt seinen eigenen Betrüger. Er weiß um seine Verschlagenheit,
er weiß um seine teuflischen Augenblicke,
er weiß um den inneren Zwiespalt, der
beim Finden des Geldbeutels aufkommt.
Er ist wirklich bewußt.
Rabbi, weiß ich es denn,
wie ich mich verhalten werde,
wenn ich den Geldbeutel finde?
Ich mag in einer gottesfürchtigen Stimmung sein oder auch nicht. Stimmungen kommen und gehen. Und ich bin nicht Herr im Haus. Ich habe keinen eigenen Willen.
Irgendeine Stimmung befällt mich,
und dann handle ich entsprechend.
Ich bin eine Maschine.
Was kann ich versprechen? Wie könnte ich versprechen?
Du stellst mir eine kitzelige Frage.
Wie kann ich wissen,
auf welcher Sprosse ich sein werde,
wenn ich den Geldbeutel finde,
oder ob ich den teuflischen Trieb erfolgreich abwehren kann.
Ich kenn auch meinen teuflischen Trieb.
Und ich weiß nicht,
vielleicht ist die Versuchung zu stark,
und ich kann sie nicht abwehren.
Vielleicht ist die Versuchung nicht so groß, aber ich kann nicht sagen, was geschehen wird. Es ist nicht vorhersagbar.
Ich kenn meine Vergangenheit.
Manchmal geschah etwas ähnliches,
und die Versuchung war sehr stark,
und ich konnte nicht standhalten. Ich mußte aufgeben.
Vielleicht überkommt es mich, und ich möchte mir das aneignen, was einem andern gehört.
Die Frage ist nicht die des Jetzt.
Es ist eine theoretische Frage.
Aber dieser Mann macht sie wirklich.
Die Frage zielt nicht auf den Geldbeutel. Die Frage zielt auf deine Bewußtheit.
Bist du wachsam? Was wirst du tun? Einer, der wachsam ist, wird genau wissen, daß nichts vorhersagbar ist.
Der Erste war ganz unbewußt.
Der Zweite war sich seiner Arglist
bewußt, aber mit ihr identifiziert.
Der Dritte war sich seiner
bösen Triebe bewußt, aber nicht identifiziert mit ihnen. Das will verstanden sein.
Der Erste ist in völliger Unbewußtheit.
Der Zweite ist ein wenig wach,
aber hat seine Wachheit nicht dazu benützt, darüber hinauszugehen.
Vielmehr benützt er sie, um schlau zu werden.
Er hat sich mit seinen bösen Trieben identifiziert. Er sagt: Ich bin kein Narr.
Was sagt er damit?
Er sagt: Ich bin verschlagen und gerissen, kein Narr.
Er ist identifiziert mit dieser Verschlagenheit.
Der dritte Mann ist nicht identifiziert.
Er sagt: Ich weiß nicht. Nichts Gewisses läßt sich sagen.
Vielleicht überkommt es mich,
und ich möchte mir das aneignen,
was einem andern gehört.
Aber vielleicht wird Gott...
- und dies ist der springende Punkt,
das Herz dieser Geschichte —
aber vielleicht wird Gott, gesegnet sei Er, mir beim Kampf beistehn.
Ich kenne mich.
Allein kann ich nicht kämpfen. Allein werd ich überwunden. Es ist nur möglich durch Seine Gnade.
Wenn ich allein bleibe, gibt es jede Möglichkeit,
daß mich die Versuchung überwindet.
Ich kenne mich. Ich kenne meine Stärke. Sie ist nichts.
Es ist gut, wenn die Frage theoretisch ist.
Aber wenn das hautnahe Problem auftaucht, weiß er von sich: Ich wurde sooft besiegt, wenn ich allein war.
Aber vielleicht wird Gott, gesegnet sei Er, mir beim Kampf beistehn,
und wenn es so ist,
würde ich, was ich gefunden habe,
dem rechtmäßigen Besitzer zurückgeben.
Was sagt er damit?
Er sagt: Nur wenn Gott hilft,
dann werd ich's zurückgeben, sonst nicht.
Was er damit sagt, ist dies:
Wenn ich es zurückgebe, habe nicht ich es zurückgegeben. Gott hat es zurückgegeben.
Wenn es je geschieht, wird es durch Ihn geschehn, nicht durch mich.
Dies ist die Qualität eines religiösen Menschen. Selbst seine Tugend ist nicht seine.
Selbst mit seiner Tugend ist er nicht identifiziert. Selbst seine Unschuld liegt in Ihm:
Seine Gnade, Sein Geschenk.
Ansonsten wird deine Tugend zu deinem Ego. Und so wie Unschuld zum Ego wird,
hast du eine Sünde begangen.
Dann ist es keine Tugend mehr.
Sie ist bereits verdorben und vergiftet.
Aber vielleicht wird Gott, gesegnet sei Er, mir beim Kampf beistehn,
und wenn es so ist,
werde ich, was ich gefunden habe,
dem rechtmäßigen Besitzer zurückgeben.
Das sind rechte Worte, rief der Zaddik. Du bist ein wahrer Weiser.
Die vierte Stufe des Bewußtseins: er ist nirgendwo identifiziert, selbst nicht mit der Tugend.
Bodhidharma reiste von Indien nach China. Der Kaiser kam, ihn zu sehn.
Er berührte Bodhidharmas Füße und sagte: Ich habe soviele Tempel gebaut,
soviele buddhistische Klöster,
und millionen buddhistischer Mönche
werden von mir unterstützt.
Ich habe das ganze Land in
eine buddhistische Welt verwandelt.
Alle diese guten Taten, was meint Ihr,
Herr, werd ich etwas dafür bekommen?
Was ist die Entschädigung? Was ist der Gewinnst?
Bodhidharma schaute diesen Kaiser Wu an und sagte: Du wirst in die siebte Hölle fahren.
Der Kaiser konnte es nicht glauben, denn alle andern Mönche,
diese sogenannten Heiligen, sagten: Du erntest soviel Tugend, punya, daß du in die Ewigkeit,
ins nirvana, eingehen wirst.
Und dieser Mann sagt, in die siebte Hölle.
Kaiser Wu sagte: Bist du verrückt geworden? Was sagst du da? Bist du dir bewußt?
Bodhidharma sagte: Ich weiß, was ich sage. Du kannst dich auf mich verlassen.
Du wirst zur siebten Hölle fahren.
Aber warum? schrie der Kaiser. Ich habe nichts Falsches getan.
Bodhidharma sagte: Es ist nicht die Frage
von falsch oder richtig.
Es ist eine Frage des Egos: daß du etwas getan hast. Dank Gott, dank Buddha, gesegnet sei Sein Name, durch Seine Gnade geschah etwas.
Sei nicht der Handelnde. Laß ihn draußen.
Denn das Ego wird in die Hölle gehn,
und wenn du egoistisch bist, mußt du ihm folgen.
Du gehst nicht zur Hölle,
aber dein Ego muß zur Hölle gehen.
Und wenn du mit ihm identifiziert bist,
mußt du mitgehen.
Da ist nichts zu machen. Keine Tugend kann es retten.
Das sind rechte Worte, rief der Zaddik. Du bist der wahre Weise.
Und wer ist der unwahre Weise?
Der, welcher denkt, daß er so viel Tugendhaftes getan hat: So viele Kasteiungen, so vieles Fasten und Beten.
Der denkt, daß er ein religiöses Leben gelebt hat, und sich selbst dankt: Mein Verdienst.
Er ist der unwahre Weise.
Der wahre Weise fühlt, daß alles, was geschieht, durch Seine Gnade geschieht.
Er steckt in keiner Weise drin.
Der wahre Weise ist in Bewußtheit gegründet, in Bewußtheit verwurzelt.
Und das ist's, was Bewußtheit dir geben sollte: daß du nichts versprichst.
Wer kann versprechen?
Du wirst nicht mit Gewißheit sagen:
Ich mache dies oder das.
Du wirst sagen: Es läßt sich nichts sagen.
Ich kenne mich, wie schwach meine Willenskraft ist,
wie schwach mein Innerstes ist.
Ich bin eine Masse: ich habe viele Ichs.
Ein Ich mag versprechen, aber wenn die Zeit kommt, es einzulösen, beherrscht mich ein andres Ich.
So wirst du zum Lügner.
Ich habe Liebende gesehn, die sich gegenseitig versprachen, sich für immer und immer zu lieben. Und sie wußten nichts vom nächsten Augenblick. Über alles unwissend —
was meinten sie mit: für immer und immer?
Wären sie ein bißchen wachsam, würden sie sagen: Für diesen Augenblick fühle ich so.
Es ist wahr in diesem Augenblick, in dieser Stimmung, daß ich dich für immer und ewig lieben werde.
Aber niemand kennt den nächsten Augenblick. Deshalb scheinen Liebende sich
gegenseitig immer zu betrügen.
Am Ende glauben sie, sie wurden betrogen.
Beide haben sie Dinge versprochen,
die sie nicht halten können.
Ein Mann fragte Buddha: Herr, gib mir eine Anleitung. Ich möchte der Menschheit dienen.
Buddha schaute tief in ihn hinein.
Der Mann muß sich sehr unwohl gefühlt haben,
denn Buddha schaute und schaute.
Der Mann fing zu schwitzen an, und er sagte: Herr, was machst du?
Wenn du mir einen Wink geben kannst, so gib ihn. Ansonsten, was starrst du so in meine Augen?
Buddha sagte: Ich schaute nach, ob du bist oder nicht.
Und du bist nicht. Wer will der Menschheit dienen? Du bist überhaupt nicht da. Du bist eine Seifenblase. Du bist der Seifenblasenkönig
auf einem Seifenblasen thron.
Im nächsten Augenblick wird sie zerplatzen, und jemand andrer wird König sein.
Wer will der Menschheit dienen?
Es wäre gut, wenn du erst herausfändest,
wo du bist, wer du bist.
Sei erst, und dann brauchst du mich nicht mehr fragen. Denn sowie einer ist, fließt das Mitgefühl.
Wenn du bist, folgt das Mitgefühl von selbst.
Zu sein ist das einzige, was es zu tun gilt.
Wie kannst du sein, wenn du dich ständig täuschen läßt
von deinen eignen Egos, Wünschen, Stimmungen, Gedanken, Gefühlen?
Der Zaddik hat recht.
Er sagt: Du bist der wahre Weise,
denn du hast einfach die Wahrheit gesagt.
In keiner Weise hast du versucht,
mich oder dich zu täuschen.
Du hast einfach festgestellt: Ich kann mir selbst nicht trauen.
Ich habe mir früher getraut,
und das hat sich als falsch herausgestellt.
Ich kenn meine Begierden. Die Versuchung kann sehr stark sein,
und ich bin vielleicht nicht fähig, für mich geradezustehen.
Die einzige Hoffnung ist, daß Gott, gesegnet sei Sein Name, mir hilft. Ich bin bestechlich.
Nur wenn die Quelle, die unbestechlich ist, mir hilft...
Ich bin verschlagen.
Nur wenn die Quelle, die unschuldige, jungfräuliche,
mir hilft, über mich kommt — nur dann ist Hoffnung.
Es geschah:
Eine der größten Frauen, die je lebten,
die heilige Theresa,
war dabei, eine Kirche zu bauen.
Und sie war eine arme Frau.
Die ganze Stadt strömte zusammen, und sie sprach verzückt: Auf diesem Flecken wird eine große Kirche entstehn.
Die Leute sagten: Gut. Deine Träume sind gut,
aber woher wird das Geld kommen?
Die heilige Theresa zog
zwei kleine Münzen aus ihrer Tasche und sagte: Habt keine Angst. Ich habe Geld.
Es waren nur zwei kleine Münzen da.
So lachten die Leute und sagten:
Wir wußten schon immer, daß du ein wenig zu unschuldig bist. Diese zwei kleinen Münzen —
dafür kriegst du nicht einmal einen Ziegelstein.
Und da glaubst du, eine große Kirche zu bauen?
Theresa lachte und sagte:
Ja, meine Hände sind klein, meine Münzen sind klein. Aber was ihr nicht seht: Gott ist mit mir.
Zwei kleine Münzen plus Gott — alles ist möglich.
Und auf diesem Flecken steht eine große Kirche — eine der schönsten.
Zwei kleine Münzen plus Gott.
Gott bedeutet Unendlichkeit. Gott bedeutet alles.
Gesegnet sei Sein Name, sagte der Mann. Ich kann nichts von mir aus versprechen. Aber wenn Er will, dann ist alles möglich.
Ich mag sehr klein sein
und die Versuchung sehr groß,
aber wenn Er hilft, gibt es keine Schwierigkeit. Meine geringe Kraft ist nichts.
Und doch — plus allem — wird's gehn.
So sagte der Zaddik: Du bist der wahre Weise.
Also, der wahre Weise
beginnt auf der vierten Stufe:
die ist Bewußtheit.
Dann öffnet sich die Tür.
Bei der vierten Stufe angelangt,
ist Gott für dich erreichbar,
und du bist erreichbar für Gott.
Dann öffnet sich die Tür.
Bis zur dritten bleibt die Tür verschlossen.
Um das zu merken, gibt's nur eins:
Bis zur dritten kannst du nichts tun,
und ab der vierten brauchst du nichts zu tun. Beherzige das.
Bis zur dritten bist du unbewußt
und kannst nichts ausrichten:
dein Leben ist mechanisch.
Ab der vierten brauchst du nichts mehr zu tun.
Gott ist verfügbar, er übernimmt das Tun.
Danach reitest du auf seiner Welle. Er nimmt dich mit.
Also ist das einzige, was getan werden kann, und was es zu tun gilt,
mehr und mehr wach und
beweglich und bewußt zu werden.
Geh, aber mach das Gehen zur Meditation. Geh bewußt. Atme, aber laß dein Atmen
zur fortwährenden Meditation werden. Atme bewußt. Den einströmenden Atem: beobachte ihn.
Den ausströmenden Atem: beobachte ihn.
Iß, aber iß mit voller Bewußtheit.
Nimm einen Bissen, kau ihn, aber bleib aufmerksam. Laß den Beobachter jeden Augenblick dasein,
ganz gleich, was du tust.
Du gehst schlafen? Leg dich aufs Bett und beobachte.
Wenn du in den Schlaf gleitest - beobachte weiter, beobachte weiter Anfangs wirst du dich oft verlieren,
und das Beobachten wird nachlassen,
und der Schlaf wird über dich kommen.
Nach und nach aber wirst du den Schlaf dich überkommen sehn, derweil deine Wachheit bleibt.
Und wenn du deinen Schlaf sehen kannst,
hast du die ganze Situation der Menschheit gesehn.
Dann kommt der Schlaf über dich,
aber du bist dennoch wach.
Irgendwo tief innen brennt eine Flamme weiter.
Die Nacht mag dich dunkel umfangen,
aber die Flamme brennt weiter.
Du schläfst die ganze Nacht,
und doch schläfst du nicht.
Das ist der Sinn,
wenn Krishna in der Gita zu Arjuna sagt:
Ya nisha sarvabbutayam tasyam jagriti samyami -
das, was allen wie Nacht erscheint, —
selbst darin bleibt deryogi, der samyami,
der, der sein eigener Meister geworden ist,
bewußt, aufmerksam.
Der Körper schläft, das Herz schläft, der Geist schläft, du aber bleibst wach,
denn du bist nichts als Wachsamkeit.
Alles andre ist eine falsche Identifikation.
Wachheit ist deine Natur.
Der Körper ist deine Behausung. Der Geist ist dein Computer. Wachheit bist du, ist dein eigentliches Sein.
Satchitanand ist unsere Definition
der Wahrheit schlechthin.
Wir benutzen dafür drei Wörter: sat, chit, anand.
Sat heißt wahr, Wahrheit, Sein.
Chit heißt Bewußtheit, wach, hellwach. Anand heißt Seligkeit.
Sei — und der einzige Weg zu sein, ist, wach zu sein. Und wenn du einmal wach bist, folgt Seligkeit.
Satchitanand ist das innerste Herz deines Wesen. Und es ist nichts, was sich erreichen läßt,
es ist bereits da.
Es braucht nur entdeckt, aufgedeckt werden.
Es ist dein verborgener Schatz.
Der Zaddik hat recht, denn der Mann ist wach.
Der erste Strahl der Bewußtheit hat sein Wesen durchdrungen. Er wurde zum wahren Weisen.
Ich wünsche, daß ihr Weise werdet.
Ich wünsche nicht, daß ihr Heilige werdet. Heilige sind tugendhafte, gute Leute.
Sie gehören zur ersten Kategorie,
jene, die gut zu sein versuchen,
moralisch, tugendhaft, aufrecht, fromm. Ich möchte nicht, daß ihr Heilige werdet. Ich möchte, daß ihr Weise werdet.
Ein Weiser zu sein, hat nichts zu tun mit Moral, Tugend. Ich sage damit nicht, daß ein Weiser nicht tugendhaft ist. Ich sage damit: Es kümmert ihn gar nicht.
Das ergibt sich von selbst.
Er hat es nicht darauf angelegt.
Eine vorsätzliche Tugend ist überhaupt keine Tugend. Eine vorsätzliche Tugend ist äußerlich, aufgemalt.
Du magst es so hart üben,
daß es wie eine Kruste um dich liegt,
aber tief innerlich bleibst du der gleiche.
Der Heilige ist gegen den Sünder.
Der Sünder ist gegen den Heiligen.
Der erste Mann kann ein Heiliger werden, der zweite Mann kann ein Sünder werden, der dritte Mann kann ein Weiser werden.
Ein Sünder ist jemand, der mit seinen schlechten Eigenschaften, mit seiner Bosheit identifiziert ist.
Ein Heiliger ist jemand, der mit seinem
guten Trieb identifiziert ist.
Er ist tugendsam, fromm.
Und ein Weiser ist jemand, der nicht identifiziert ist.
Der Sünder empfindet sich als die Inkarnation des Bösen.
Er ist mit der Sünde auf du und du.
Er denkt, das sei seine Schlauheit.
Der Heilige glaubt, daß seine Schlauheit darin besteht, Tugend zu praktizieren, unschuldig zu werden:
nichts zu tun, was böse ist.
So wird er mehr und mehr identifiziert mit dem Guten.
Ein Weiser ist mit nichts identifiziert.
Ein Weiser ist im Zustand der Nicht-Identifikation. Weder dies noch das, neti neti.
Er sagt: Ich bin weder dieses Ufer noch jenes,
ich bin vielmehr der Fluß.
Ich bin weder der Heilige noch der Sünder,
weder gut noch böse.
Sünder leben in einer Art Hölle,
und Heilige wähnen sich in einer Art Himmel.
Und der Weise? Für ihn ist es moksha,
für ihn ist es die vollkommene Freiheit.
Er ist befreit von jeglicher Dualität.
Der geheime Schlüssel, und der einzige Schlüssel, ist Bewußtheit.
Um bewußt zu werden, mußt du nicht in den Himalaja gehn. Du mußt nirgendwohin gehn.
Dein Leben gibt dir genug Möglichkeiten, bewußt zu sein. Jemand beleidigt dich - nimm es in voller Bewußtheit auf. Und du wirst überrascht sein:
die Beleidigung ist keine Beleidigung mehr.
Du magst sogar lächeln.
Es verletzt nicht.
Es verletzt nur, wenn du es unbewußt aufnimmst. Jemand lobt dich, zollt dir Anerkennung —
hör es mit Wachheit.
Und dann kann niemand dich dazu bringen, Unsinniges zu tun. Niemand kann dich bestechen. Schmeichelei wird unmöglich. Du wirst lächeln über den ganzen Unsinn.
Hör hin. Beobachte. Sei wachsam.
Und nach und nach
steigt eine andre Qualität deines Wesens in dir auf.
Sie gehört weder zum Körper,
noch zu den Gefühlen,
noch zu den Gedanken.
Eine neue Säule des Lichts beginnt sich in dir zu sammeln und kristallisiert sich mehr und mehr.
In dem Maße, wie sich diese Bewußtheit kristallisiert,
fühlst du zum erstenmal
mehr und mehr, daß du bist — das Gefühl des Seins.
Und dann werden Stimmungen mehr und mehr unbedeutsam. Sie werden kommen und gehn,
aber du wirst gelassen bleiben.
Das Klima um dich herum wird sich ändern, aber du wirst unverändert bleiben.
Was auch außen geschieht,
wird dich keineswegs innen ändern.
Das Innere bleibt völlig rein und unberührt.
Ich möchte euch eine Geschichte erzählen. Herrigel, ein deutscher Denker, war in Japan.
Er saß mit seinen Freunden beisammen,
und er hatte seinen Meister zum Essen eingeladen. Plötzlich geschah ein Erdbeben.
Sie saßen im siebten Stock des Hauses. Das ganze Haus fing zu zittern an,
und alle liefen die Treppe hinunter.
Es war ein Durcheinander.
Herrigel selbst rannte zur Tür, ganz automatisch. Niemand denkt erst nach in solchen Situationen. Jeder verhält sich wie ein Roboter.
Das ist gemeint mit »der Mensch ist eine Maschine«.
Aber plötzlich erinnerte er sich an der Tür —
denn es war solch ein Gedränge,
er konnte den Weg nicht finden.
Für einen winzigen Augenblick fiel ihm ein:
Was ist mit dem Meister, den ich eingeladen hatte? Er schaute zurück.
Der Meister saß auf seinem Stuhl, wie vorhin,
nur hatte er jetzt seine Augen geschlossen.
Keine Welle von Angst in seinem Gesicht, keine Welle der Verstörung. Als wenn nichts geschehen wäre.
Die Gegenwart des Meisters war so anziehend,
diese klare Gegenwärtigkeit,
der Duft, der ihn umgab,
das Aroma, das er ausströmte,
der Raum, in dem er in jenem Augenblick weilte.
Daß Herrigel sagte: Ich war magnetisiert.
Ich weiß nicht, was geschah.
Ich kam einfach zurück und setzte mich an die Seite des Meisters.
An seiner Seite fühlte ich mich vollkommen sicher,
wie wenn nichts geschehen könne.
Das Erdbeben kam und ging.
Der Meister öffnete seine Augen
und nahm das Gespräch wieder dort auf,
wo er es wegen des Erdbebens unterbrochen hatte.
Herrigel sagte: Ich habe ganz vergessen,
was du vorher sagtest.
Es scheint Jahrhunderte her zu sein.
Und ich bin ganz durcheinander.
Bitte, ich bin nicht in der Lage zu verstehn, was du sagst.
Laß uns später fortfahren.
Laß mich erst zur Ruhe kommen.
Aber eins würd ich gern fragen.
Als alle wegrannten,
warum bliebst du unbeweglich?
Der Meister sagte: Ich bewegte mich auch, aber in eine andre Richtung: nach innen. Du ranntest nach außen.
Ich rannte auch, aber nach innen.
Denn ich weiß, außen gibt es keine Zuflucht. Das Erdbeben war überall.
Wohin wolltest du laufen?
Bloß loszurennen, kann nicht helfen.
Ich ging in mein innerstes Wesen. Und dorthin reicht kein Erdbeben. Ich ging in einen Raum in mir selbst, wo keine Störung hinreicht,
wo die Stille absolut ist - absolute Stille. Ich rannte auch. Auch ich suchte Zuflucht. Aber in der rechten Richtung.
Wenn du versuchst, wach zu sein,
bewegst du dich in die rechte Richtung.
Früher oder später wirst du zum wahren Weisen.
Versuch nicht, tugendhaft zu handeln.
Übe allein das: Bewußtheit.
Tugendhaftigkeit folgt, wie dir ein Schatten folgt. Tugendhaftigkeit ist eine Konsequenz.
Sobald du dein eigenes Wesen betrittst, und du bekommst dort Wurzeln,
wird alles möglich.
Weil alle Tore offen sind.
Gott ist dir offen, und du bist Gott offen. Laß es mich wiederholen:
Bis zur dritten Stufe kannst du nichts tun, weil du nicht bist.
Ab der vierten brauchst du nichts zu tun, denn Gottes Gnade ist verfügbar. Bemüh dich allein um die vierte Stufe.
Sei bewußt —
und du wirst den Tempel betreten.