Wolfshaag schrieb:Jede Religion enthält irgendwo das Element "Du sollst nicht töten" und unterliegt wieder einer Vielzahl von Einschränkungen, okay, also wie Deine Familie, Deine Freunde, Dein Volk, Deine religöse Ansicht, denn derer gibt es ja bekanntlich viele. Denk Dir einfach mal den ursprünglich rein religösen Grundsatz "Du sollst nicht töten" weg, dann spielt es keine Rolle, ob und warum ich Dich töte. Egal, ob ich nur schlechte Laune habe, oder Du etwas hast, was ich will, Deine Nase mir nicht passt, was auch immer und das wäre ohne Religion eben seit Anbeginn der Zeit kein Problem. Wie glaubst Du, dass sich dann eine Gesellschaft entwickelt?
Ich finde diese Sichtweise etwas eindimensional.
Du beschreibst den Satz "Du sollst nicht töten" als Essenz für die funktionierende Gesellschaft, wie wir sie heute kennen. Einerseits stimmt das auch, betrachtet man (auch in Bezug auf die Idee eines 'Rechtsstaats') die moralischen Bedenken, die mit dem Töten verknüpft werden, was mit Sicherheit der Religion als vordenkende Instanz zu verdanken ist.
Gleichwohl bleibt aber die Dichotomie der religiösen Institution - der Kirche - hinsichtlich der Tötungsmoral völlig unerwähnt, und das, wobei es enorm wichtig wäre in der Sache der gesellschaftlichen Entwicklung. Während der Zeiten, in denen die Religion das herrschende Regiment war, existierte die gewaltaffinste und sadistischste Gesellschaft überhaupt! Man denke an die Hexenverbrennungen, Kreuzzüge und andere Verbrechen im Namen der Kirche (Zentrum der christlich-katholischen Religion war ja Europa zu dem Zeitpunkt), oder - um das mal auf heute zu übertragen - an Genitalverstümmelungen (bei Todesfolge kann man durchaus von Mord sprechen), Ehrenmorde, Massenvergewaltigungen usw. usf.
Es ist nicht zu verneinen, dass Religionen (insbes. die monotheistischen) eine geschichtliche Abfolge an Leid, Bösartigkeit und kollektiver Manipulation zwecks abartiger Bereicherung gebracht haben und damit ihre eigene bibelpostulierte Mahnung "Du sollst nicht töten" komplett ins Absurde ziehen.
Wer das nicht bedenkt, und die Topic-Fragestellung auf diesen Satz beschränkt, um damit die jetzige Fortschrittlichkeit der Gesellschaft zu begründen, argumentiert
non sequitur.
Wolfshaag schrieb:Ein zweites Beispiel: Heute sind diverse Akademiker hochbezahlt, gesellschaftlich anerkannt, eben Proffessoren für was weiß ich nicht was. Stell Dir mal einen weltweiten EMP vor, also das Versagen jeglicher Technik. Was wäre dann ein Papst, ein US-Präsident, aber eben auch ein Stephen Hawking, ein Albert Einstein wert? Schlicht nichts. Die können nicht kämpfen, nicht jagen, etc.
Kann man so nicht sagen. Wert wird subjektiv empfunden und gerade in einer Situation eines EMP-Schadens kann jemand wie Stephen Hawking mit überdurchschnittlichen physikalischen Kenntnissen durchaus viel wert sein, ebenso wie jeder gelernte Elektriker, wenn er aus irgendeiner Reststromquelle Überlebensvorteile für eine Gruppe ziehen kann (zwar unwahrscheinlich, aber ich wollte nur deutlich machen, dass Physik und Elektrizität nach einem EMP nicht zwangsläufig passé sein müssen). Für das Jagen und Kämpfen hast du aber natürlich Recht.
Ein Papst (stellvertretend 'die Religion') wäre in so einem Fall sicher eine Anlaufstelle für diejenigen, die den Doomsday natürlich 'schon immer kommen sahen' und sich angesichts ihrer biblischen Verheißungsahnungen überbestätigt sähen. Man sieht ja in Ländern, die nicht mal sanitäre Versorgung haben, wie die Bevölkerungen bei einem Besuch auf den Papst reagieren. Kollektive Verzweiflung brächte der Religion hier und da einen enormen Aufschub, weil sie - auch, wenn's paradox klingt - subjektiv Hoffnung brächte.
Wolfshaag schrieb:Die können nicht kämpfen, nicht jagen, etc. In einer anarchistischen Welt, ohne Regeln, ohne jede Kultur, auch ohne jede spirituelle, sind sie bedeutungslos.
Du meinst wohl eine anomische Welt.
;) Wikipedia: AnomieWolfshaag schrieb:Und wie weit haben sie uns in unserer jetzigen Gesellschaft vorangebracht, ob Du die Person nun persönlich schätzt, oder nicht? Und sie alle sind eben auch nur Nachfolger vom ersten Schamanen, Medizinmann, etc.
Nachfolger?^^ Ein Schamane ist etwas völlig anderes als ein Mediziner und gibt es auch noch heute überall auf der Welt. Die Medizin ist keine Nachfolge von Schamanismus, sondern beruht auf Entdeckungen erster wissenschaftlicher Herantastungen, die die Religionsherrscher natürlich mit allen Mitteln unterdrückten oder lächerlich zu machen versuchten.
Wirklich erfolgreich entwickeln konnten sich Medizin, Physik u. sonstige Wissenschaften erst, als die Kirche an Macht verlor und dank des Freigeists einiger Weniger, die sich trauten, ihre Erkenntnisse öffentlich zu machen (um mal auf Galileo anzuspielen).
;)Wolfshaag schrieb:Ich sage, es gäbe keine "Welt" im heutigen Sinne. Ich könnte auch das jetzt noch langatmig wissenschaftlich belegen, wenn ich zeige, dass es zwar Primaten, wie Affen gibt, die regelrechte Kriege untereinander führen (um Reviere), aber eben keine wirkliche Sprache (Kultur) haben, um etwas friedlich beizulegen, sie besitzen eben keine Kultur.
Bullshit.
Erstens machen die ach so entwickelten kulturgesättigten Menschen genau den gleichen Scheiß - sie führen Kriege um Territorien, seien es Gangs auf den Straßen von South Central oder Söldner im Auftrag von Staaten. Das ist einfach in uns drin und inwieweit der schlaue Mensch dazugelernt hat, braucht man sich nicht mehr zu fragen, wenn man die BILD aufblättert.
:DZweitens können Affen aus anatomischen Gründen nicht sprechen, mit Kultur hat das weniger zu tun. Delfine bspw. sind hochentwickelte Tiere und kommunizieren (übrigens wie Affen) auf eine eigene Weise und einer eigenen Lautsprache, die aber sehr komplex ist und nicht auf bloßes Gröhlen mit Brustschlägen reduzierbar ist. Man kann höchstens sagen, dass die Menschheit evolutionär gesehen besser bedient ist, was sie aber aber v.a. durch anatomische Entwicklungsvorteile genießen darf.
Wolfshaag schrieb:Oder auch Wölfe und Ameisen besitzen ein soziales Gefüge, das ihr Zusammenleben regelt, aber eben keine Kultur. Kein Wolf, kein Affe, keine Ameise denkt über das jetzt hinaus und wäre in der Lage eine Religion zu erschaffen, bzw darüber nachzudenken, ob es einen Schöpfer gibt oder nicht, oder einen Urknall, oder was auch immer. Deswegen sind sie auch nicht die Herrscher unseres Planeten. ;)
Und hier zeigt sich die übliche Arroganz von Homo sapiens. Herrscher unseres Planeten sind immer noch die Mikroorganismen, die trotz dass sie so simpel aufgebaut sind, absolut über Leben und Tod von allen höher geordneten Lebewesen entscheiden, auch den Menschen!
;) Btw ist diese Ansicht ebenfalls ein Relikt der Religion, genauer gesagt von
Dominium terrae, denn im Alten Testament (Genesis) heißt es:
"Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie.
Gott segnete sie und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen."Oder auch
"Macht Euch die Erde untertan."Die Frage nach dem Sinn des Lebens und nach einem Schöpfer, ja, die kann sich der Mensch stellen. Aber letztendlich reicht sein Verstand immer noch nicht aus, um zu begreifen, dass sich seine Lebensweise destruktiv auf ihn selbst auswirkt bzw. diese dahingehend anzupassen, dass sie es eben nicht tut.
;)Wolfshaag schrieb:Nebenbei glaube ich, dass es auch keine wirklichen Atheisten gibt. Denn zum einen befolgen sie auch unbewusst ursprünglich religöse Grundsätze (Du sollst nicht töten)...
Weil's mir gerad einfällt: bei diesem Satz müsste man eigtl. differenzieren, denn er bezieht sich praktisch nur auf Angehörige der eigenen Spezies und sonst vllt. noch auf Haustiere. Der Rest wird da gepflegt ausgeklammert und besonders Nutztiere haben von diesem Bibel-Passus gar nix.
Wolfshaag schrieb:...und zum anderen "glauben" sie eben an Wissenschaft, sie nehmen eben die fatalistische Haltung ein "Nach mir die Sinnflut", das hat mit Sozialisation, Coolness und schlicht Dummheit zu tun, da sie eben auch nicht alles wissen, dies aber für sich gern requirieren, da das der Zeitgeist und somit der einfachste Weg ist.^^
Auf der einen Seite kann man das so übernehmen, auf der anderen erscheint diese Aussage leider verkürzt, weil sie etwaige Zusatzfaktoren wie das kapitalistische System und naturgegebene Eigenschaften außer Acht lässt.
Ohne die Diskussion zu zerschießen oder OT zu gehen, aber ich fand, das musste mal angefügt werden.
Edit: Have fun beim Betrinken.
:D