In der Tat wurde das Grabtuch von Turin ab dem 14.Jh. immer wieder ausgepackt, ausgebreitet, zur Schau gestellt und dafür auch an den Rändern aufgehängt, dann wieder zusammengelet, eingepackt, auch mal transportiert usw. Dabei wurde es angefaßt. Und auch bei den Zurschaustellungen wurde es von zahlreichen Pilgern berührt. Es ist sogar überliefert, daß "Promis" unter den Reliquienpilgern das Grabtuch an sich drückten, vor Ergriffenheit weinten und das Tuch mit ihren Tränen benetzten.
War das Tuch nicht ausgestellt, befand es sich in einem Behältnis und kam mit diesem in Kontakt. Wurde es ausgestellt, kam es mit der Konstruktion in Kontakt, an dem es aufgehängt wurde. Brände hat das Grabtuch m.W. mehrere erlebt, bei einem wurde es schwer in Mitleidenschaft gezogen. Auch die Löschaktion selbst schädigte das Tuch noch und belastete es mit Fremdstoffkontakten. Irgendwann wurden sogar die verblaßten Blutspuren mit Farbe nachgezeichnet.
Die Frage kann also nicht sein, ob es Kontaminationen geben könnte, sondern ob es irgendeinen Bereich des Tuches geben könnte, der nur minimal kontaminiert wurde.
Was das Ausbessern des mürben Randmaterials eines Webstoffes betrifft, so kannte man im Mittelalter bereits die aufwendige und daher teure Kunst dder Verstärkung von Geweben durch Nachnähen der Webstruktur entlang der Fadenführung. Das Grabtuch als Reliquie hatte natürlich eine solch hohe Wertschätzung, daß diese teure Form der Gewebsverstärkung angewendet worden sein kann. Bei hoher Kunstfertigkeit ist dies mit bloßem Auge nicht zu erkennen. Experten (zumal mit modernen Hilfsmitteln) sollten es dennoch erkennen können. Jedenfalls wenn diese Ausbesserungsarbeit nicht allzulange zurückliegt. Sollte jedoch die Zermürbung des Stoffes über Jahrhunderte weiter fortgeschritten sein, werden auch die Unterschiede zwischen altem Stoff und neuer Restauration nivelliert.
Es ist auch nicht richtig, daß die Webart des Grabtuches erst aus dem Mittelalter bekannt sei. Die Webart des Grabtuches ist die des sog. "Fischgrätenmusters", die im 1.Jh. besonders im syrisch-mesopotamischen Raum vorkam. Das einzig Auffällige dabei ist, daß es sich um ein sog. "Drei-zu-Eins"-Fischgrätenmuster handelt (Art der Fadenführung), was erst im Mittelalter weite Verbreitung fand. Doch auch diese Webart existierte bereits zur Zeit Jesu. Nur war das "Eins-zu-Eins"-Fischgrätenmuster weitaus günstiger und daher häufiger. Und man muß sich natürlich die Frage stellen, wie ein einfacher Handwerkerssohn in einem so teuren Leichentuch beigesetzt worden sein soll. Oder konnte.
Andererseits wird das Grab, in das Jesus gelegt wurde, in den Evangelien so beschrieben, daß es einen Raum bildet mit einer Bank für den Leichnahm, mit einer Tür und einem diese verschließenden Stein. Das ist kein Armengrab, sondern ein teures Familiengrab, eine aufwendig gearbeitete Gruft. Die Evangelien teilen mit, daß dies das Grab von Josef von Arimatäa sei, Mitglied des judäischen Sanhedrins (Hoher Rat), ein wohlhabender Judäer. Josef, ein Anhänger Jesu, habe sein Grab zur Verfügung gestellt, da es in der Nähe war und die Zeit drängte, den Leichnahm noch vor dem Sonnenuntergang der Thora entsprechend beizusetzen. Bei einer solchen Grablege würde ein teures Grabtuch nicht wundern.
Wäre das Grabtuch von Turin mittelalterlich, so wäre es auf jeden Fall ein von Menschen bewußt angefertigtes Werk. In dem Falle wären manche Aspekte des Tuches zumindest schwer verständlich. Wieso erscheinen die Augen auf dem Tuch als geöffnet? Dem Abbild eines Leichnahms wären doch wohl eher geschlossene Augen beigegeben worden. Hier mag immerhin eine Rolle spielen, daß die bereits aus der Spätantike bezeugten bildlichen Darstellungen des Mandylions, des "Schweißtuches", das Antlitz Jesu mit offenen Augen zeigen. Doch verschiebt das die Frage nur: wieso zeichneten die Leute damals das Abbild des Antlitzes Jesu auf einem Tuch mit offenen Augen? Ebenso erklärungsbedürftig ist der Effekt, daß die geöffneten Augen auf dem Fotonegativ aussehen wie geschlossene Augen. Dies kann von Zeichnern eines Antlitz-Abbildes schwerlich als zu erzeugender Effekt berücksichtigt worden sein. Geöffnete Augen erscheinen auf einem Fotonegativ gemeinhin nicht geschlossen. AUch die unterschiedlichen Unterarmlängen wären bei einem aufgezeichneten Abbild nicht zu erwarten gewesen; das Bild zeigt ansonsten anatomisch sehr korrekte Maße, sodaß solch ein Fehler nicht zu erwarten wäre. Andererseits wäre diese unterschiedliche Länge erklärlich, wenn das Abbild in irgendeiner Weise künstlich gebildet wurde, indem man ein Tuch auf eine Skulptur aufgelegt hätte.
Vor allem aber unerklärlich wäre in diesem Falle, daß die Nägelmale an der Hand sich nicht auf dem Handteller befinden, sondern an der Handwurzel bzw. im Gelenk zwischen Hand und Unterarm. Ikonographisch werden die Nägelmale im Mittelalter im Handteller dargestellt. Mit der Abschaffung der Kreuzigungsstrafe im 4.Jh. ging im Römischen Reich und den Nachfolgegesellschaften das Wissen verloren, daß und warum bei einer genagelten Kreuzigung die Nägel durch die Handwurzelknochen getrieben wurden. Wer immer einen mit Nägeln Gekreuzigten darstellte, setzte die Nägelmle in die Handteller. Die Malsetzungen auf dem Grabtuch sind überhaupt nicht erklärbar ohne die Annahme, daß das Bild in einer Zeit entstand, in der man Fälle von Nagelkreuzigung noch kannte.
Insofern
@Libertin kann ich Deinem Resümée
Libertin schrieb:tatsächlich aber deuten die bisherigen Untersuchungsergebnisse nicht darauf hin
nicht zustimmen. Tatsächlich deuten die bisherigen Untersuchungsergebnisse (i.S.v. modernen Laboranalysen) auf
überhaupt keinen Zeitraum hin. Und sehr bedenklich finde ich es, wenn aus der Erkenntnis, daß das Fischgrätenmuster "Drei-zu-eins" in der Antike selten und teuer war und erst ab dem Mittelalter verbreitet gebräuchlich wurde, eine "Tatsache" kreiert wird, wonach diese Webart des Tuches erst im Mittelalter
aufgekommen wäre. Wie man es auf Psiram z.B. lesen kann, aber auch auf diversen anderen Seiten, deren Duktus keinen Zweifel darüber aufkommen läßt, daß die Verfasser das TurinerGrabtuch jung sein lassen
wollen. Diese Auffassung sei ihnen unbenommen. Dafür aber Tatsachen umbiegen, das ist schon "pia fraus", "frommer Betrug". Auch wenn es ein frommer (ideologischer)
Selbstbetrug ist, ich den Leuten also nicht unterstelle, in vollem Bewußtsein des tatsächlichen Befundes die Leser betrügen zu wollen. Dennoch: hier wird ein Schaden angerichtet, von dem ich die Verursacher nicht freispreche.
Faßt man hingegen "Untersuchungsergebnisse" weiter, so weist mindestens das der Handnägelmale eindeutig in die Zeit vor dem Ende der Spätantike. Die älteste erhaltene Darstellung des Gekreuzigten (abgesehen vom Spottkreuz des Alexamenos, wo diese Details fehlen) aus dem Jahr 432 n.Chr. zeigt die Nägel im Handeller. Und das ist knapp 100 Jahre nach Abschaffung der Kreuzigungsstrafe.
Original anzeigen (0,4 MB)Wikipedia: Santa Sabina#Holztür des Hauptportals