Kain + Abel - immer noch aktuell?
13.01.2005 um 11:08..und mit einer Brücke zur Religion..
Inspiriert hat mich dieser Gedanke, beim Nachlesen meines vorigen Post’s (im Thread „Türkei in die EU“, der Post war als Antwort und Frage auf vorangegangene Stellungnahmen erfolgt..) an der Stelle in der Auflistung; „..ist mehr als die Hälfte der heutigen Erdbevölkerung!!..“
(Gehöre keiner Kirche oder Religion an..)
Ist ja interessant, bei all diesen Betrachtungen kommt mir doch eine ur- ur alte Geschichte in den Sinn, die einen religiösen Charakter hat. (passt ja zu Politik & Religion..) Diese Geschichte stammt aus dem Stamm, woraus sich später das Christentum, der Islam, Judaismus und viele Splitterreligionen entwickelt haben… ;-)
Die Rede ist vom Urbrudermord, der vielen Religionen gemeinsam zu Grunde liegt. Die Geschichte handelt von Kain (Qajin) und Abel (Hâbäl) (Genesis 4,1 – 4,26).
Ich will aber wiederum dich fragen, dass du mir auslegst in deinem Willen das, was Kain und Abel betrifft: gemäss welcher Art hat Kain den Abel getötet? Aber nicht dieses allein, sondern er wurde von dem gefragt, der mit ihm sprach, indem er sagte: Wo ist Abel, dein Bruder? Aber Kain leugnete, indem er sagte: Bin ich der Hüter…
Kain und Abel – eine Geschichte, die so idyllisch beginnt mit Ackerbau und Viehzucht. Einen Schritt, ein Kapitel direkt neben dem Paradies. Und dann zerstört durch einen Schlag, einen Totschlag, millionenfach wiederholt bis heute, effektiver gemacht, modernisiert. Kain beherrscht das Maschinengewehr, die biochemische Waffe, den Einsatz von Gas und Atombombe, er sitzt am Computer und steuert den Tod aus sicherer Distanz. Das Blut seines Bruders und die schreiende Stimme seiner Schwester sieht und hört er nicht mehr. Viel zu weit weg.
Wer ist Kain und wer ist Abel ? Warum ist es so kompliziert geworden und nicht mehr so eindeutig wie am Anfang ? Kain und Abel – wie eindeutig ist diese Brudergeschichte denn tatsächlich ?
Da ist Kain. Er ist der erste Sohn seiner Eltern. Er ist es, der einmal die Rolle und Stelle seines Vaters übernehmen soll. Auf ihm ruhen und lasten alle Erwartungen seiner Eltern. Schon bei seiner Geburt kommt das zum Ausdruck: "Ich habe einen Mann gewonnen mit der Hilfe Jahwes!" so jubelt Eva. Kain, der sich müht, dieser Rolle gerecht zu werden, die in ihn gesetzten Erwartungen zu erfüllen. Er leistet viel, ringt dem Boden seinen Ertrag ab, bepflanzt und bearbeitet ihn. Er ist erfüllt und angetrieben von der Sehnsucht nach Leben und Anerkennung. Und er macht die Erfahrung: Ich werde nicht angesehen. Ich kann mich anstrengen wie ich will, ich kann leisten, was ich will: Es zählt nicht! Kein: "Das hast du gut gemacht!", kein glückliches Ausruhen Können in der Fülle des Erntesegens. Kain bleibt allein in seiner Anstrengung. Gott blickt ihn nicht an, nicht das, was er ist, nicht das, was er gibt.
Andere freilich, Abel zB, der lebt glücklich und leicht, dem fällt alles in den Schoß, der wird angesehen voll Wohlwollen und Liebe, der kann das Leben genießen, nur ich nicht, nur Kain nicht. Kain in dessen Innern es brennt, dessen Kräfte verzehrt werden von diesem Feuer "Ich nicht!", dessen Gesicht sich senkt, dem die Kinnlade herunterfällt, er kann nicht mehr nach oben blicken, vertrauensvoll dem anderen zugewandt. Er kann nur noch vor sich hinstarren, spürt die finstere Macht, die ihn lähmt und vor seiner Tür lauert. Er hört jene warnende Stimme Gottes, die ihm die Folgen aufzeigt, hört diesen Lebensauftrag: "Werde Herr über diese Macht!"
Kain angeredet, aber nicht angeblickt - er meint nicht mehr anders zu können: Er muss Abel, den LeichtLebenden, Gesegneten wegschaffen. Auf seinem Boden, da wo er arbeitet und sich müht und seine Niederlagen erleidet, da erschlägt er ihn. Seine Ruhelosigkeit ist damit nicht beendet, sie beginnt erst richtig. "Wo ist dein Bruder Abel?" diese Frage Gottes treibt ihn weiter. Er muß fliehen, hetzt von Anstrengung zu Anstrengung, kann nie einen Erfolg genießen, nie sich ausruhen. Abels Lebensfreude ist ihm versagt. So irrt er umher im Lande Nod, im Lande "Rastlos", fern vom Angesicht Gottes und doch diesem Gott zeitlebens ausgeliefert: "Was hast du getan?"
Wer ist Kain heute ?
Dieser von Anfang an ruhelose Mensch. Keine Gelassenheit. Etwas leisten und nicht angesehen werden. Noch mehr leisten und immer noch nicht angesehen werden. Spüren, dass in allem, was man tut, produziert, wirtschaftet, die eigene Person mit ihren elementaren Bedürfnissen und Sehnsüchten nicht vorkommt. Dass da zutiefst etwas fehlt, das Gegenüber von Gottes Angesicht. Dass sich da in den Erwartungen an mich und in der Ausrichtung und den Maßstäben meines Lebens ein Druck und eine Dynamik verselbständigt haben, in denen ich nicht mehr vorkomme. Die Nervosität und die Aggressivität wachsen, Gewaltbereitschaft kommt an die Oberfläche. Die Sehnsucht anerkannt zu werden und die Mittel, das zu erreichen, klaffen immer weiter auseinander. Die Opfer, die ich bringe, finden keine Bestätigung. Warum tue ich eigentlich, was ich tue, wenn es meinem Leben nicht Kraft und Sinn und Tiefe verleiht? Und wenn es mir schon nicht gelingt, warum soll der andere das genießen können ?
Wo lebt Kain unter uns und in uns, rastlos, unausgeglichen und gehetzt und am Ende zum Zuschlagen bereit bis hin zum atomaren Schlag ?
Und Abel ?
Abel, der Hauch, wie der Name übersetzt heißt. Abel lebt leicht und rasch vergänglich. Er macht keine Geschichte. Seine Geburt wird nur beiläufig erwähnt, wörtlich übersetzt: "..und danach machte Eva weiter mit Gebären und sie gebar Abel, seinen Bruder!" So fast nebenbei noch ein Kind, unbelastet von allen elterlichen Erwartungen, unbefangen kann er leben. Abel, der Hirte, ist nicht allein, er ist umgeben von seinen Tieren, nimmt teil am Werden des Lebens. Er spürt Segen und Glück: "Das Leben ist schön, voller Gelingen immer wieder, und ich bin Teil dieses Lebens. Gott blickt mich an!" Auf Kains Feld hat Abel keine Chance, wird er zum Opfer, sein Name wird zum bösen Omen: Der Hauch verschwindet. So beiläufig, wie er gekommen ist.
Kain, der Mann Abel, der Hauch.
Die Situation zur Zeit der Entstehung der Erzählung vor etwa 4000 Jahren war etwa die: Die sesshaften Völker vor allem im Zweistromland (“Mesopotamien”) mit ihrem systematischen Ackerbau mit künstlicher Bewässerung konnten leicht grössere Bevölkerungen ernähren und waren dabei auch weniger auf “natürlichen” menschlichen Umgang miteinander angewiesen. In solchen anonymen Gesellschaften wird dieser eher unbefangene “normale” Umgang miteinander ja eher durch Gesetze ersetzt, die natürlich gerade die persönlichsten menschlichen Beziehungen nie vollständig abdecken können.
Demgegenüber herrschen in der Wüste, dem traditionellen Gebiet der Viehzüchter, andere Gesetze: Dort ist man wirklich auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen und dabei gelten also noch die ursprünglichen “moralischen” Umgangsregeln. Und das gilt besonders für die typische Überlebenskleinstgruppe, die Familie.
Mann und Frau mussten hier wirklich Partner sein, das Überleben des einen hing vom anderen ab. Wenn etwa der Mann in die Stadt ging, um Vieh zu verkaufen und “Stadterzeugnisse” einzukaufen, dann war die Frau allein und musste notfalls ihren Mann stehen, sie musste die Kinder und das Vieh vor wilden Tieren schützen und vielleicht auch bisweilen vor menschlichen Räubern... Hier war gegenseitiger Verlass einfach notwendig und damit auch wirkliche Moral. Und davor konnte der Wüsten- Mann eben nicht eine von den Frauen aus der Stadt brauchen, die vielleicht schön und “locker” waren (im Zweistromland war ja auch kultische Prostitution üblich), aber sonst nicht viel taugten, er brauchte eine wirkliche Gefährtin. …
In den Augen der Verfasser der Bibel war nun das Verhalten der Wüstenbewohner natürlich und gottgefällig, das der “Zivilisationsmenschen” dagegen dekadent und eben nicht-gottgefällig.
Und was kann uns dies jetzt alles sagen? Eigentlich ist der Titel hier „Türkei in die EU?“, bin ich jetzt vollends neben den Schuhen? Auf was will ich hinaus?
Kann es sein, dass wenn Geschwister nebeneinander leben, dann kommt es vor, dass Ungleichheit da ist." Der eine wird angesehen, der andere nicht. Das Miteinanderleben ist nie deckungsgleich, es führt zu Fragen und Konflikten. Es ist eine klärende Wahrheit. Konflikte gehören zum Menschsein dazu, man kann ihnen nicht ausweichen. Ungleichheit gehört dazu, auch ihr kann man nicht ausweichen.
Nur: Müssen Ungleichheit und Konflikte so enden ? Und wie eindeutig sind denn solche Konflikte? Bin ich Abel, wenn ich nicht Kain bin? Bin ich nur Opfer, wenn ich nicht der Täter bin? Wo bin ich Kain und wo bin ich Abel?
Es muss ein anderes Ende dieser Begegnung möglich sein. Was mit Kain passiert, ist ja auch keine Lösung. Sein Leben bleibt zwar erhalten, bloß wie! Er bleibt der Ruhelosigkeit ausgeliefert bis zu seinem Tod. Es ist ein Ende ohne Veränderung. (..Ich bin fest der Überzeugung, dass der Mensch die Dinge ändern kann, wenn er es nur will! Wenn sich etwas nicht ändert, so will er es auch nicht...) Kain lebt zwar, aber er ist nicht versöhnt.
Zwischen den Zeilen wird hier die Entstehung und die Notwendigkeit von Recht und Gesetz, von Gericht, Urteil und Strafe beschrieben. Und zugleich wird gesagt: Das alles wäre nicht nötig, wenn...ja, wenn die beiden miteinander und nicht nebeneinander gelebt hätten, miteinander ins Gespräch gekommen wären. Wenn sie gemerkt hätten , wir sind doch Geschwister, leben doch unser Leben gemeinsam, sind doch beide Beschenkte. Warum können wir einander nicht so anerkennen und aushalten, unterschiedlich wie wir sind, miteinander teilen, was wir haben ?
Könnten wir die beiden, Kain und Abel, Amerikaner und Afghanen, Israelis und Palästinenser, Katholiken und Protestanten in Nordirland, mich und dich,... heute nicht an einen gemeinsamen Tisch des Lebens bekommen? Und dann im Blick auf Kain die Geschichte vom barmherzigen Samariter bedenken. Jesus erzählt, dass man sich seinem Bruder und seiner Schwester gegenüber auch anders verhalten kann als Kain das tat.
Den Blick senken, wegsehen wie Priester und Levit, oder zuschlagen, wie die Räuber - das ist nicht der einzige Weg. Stattdessen: Lass dich zum Nächsten machen. Könnte nicht die Liebe Christi leitend sein, ein klärendes Gespräch sehr viel weiter führen, das Austragen und dann auch das Aushalten der Unterschiede viel fruchtbarer sein? Wäre nicht die geöffnete Hand und das offene Ohr für den anderen der bessere Weg ?
Kain und Abel mit ihren so unterschiedlichen Namen heute an einem Tisch des Lebens und Überlebens, von Angesicht zu Angesicht und ohne eine Waffe unter dem Tisch miteinander im Gespräch. Dieser undurchsichtige, heillos vermischte Teufelskreis von Täter und Opfer wäre durchbrochen. Ein neuer Anfang wäre möglich, eine Begegnung könnte noch einmal von vorne beginnen und müsste nicht in Gewalt enden. Versöhnung wäre in Sicht und endlich auch Ruhe für Kain. Eine verwegene biblische Hoffnung, ich weiß, aber sie ist ohne Alternative. Es braucht einen anderen Anfang unter dem Vorzeichen Christi. Die Dichterin Hilde Domin hat das einmal so formuliert:
Abel steh auf / es muss neu gespielt werden / täglich muss es neu gespielt werden / täglich muss die Antwort noch vor uns sein / die Antwort muss JA sein können / steh auf / damit Kain es sagt / damit er es sagen kann / "Ich bin dein Hüter, Bruder. Wie sollte ich nicht dein Hüter sein" / Täglich steh auf / damit wir es vor uns haben / dies "Ja ich bin hier, ich dein Bruder!" / Abel steh auf / damit es anders anfängt zwischen uns allen.
Amen
(Auszüge aus Predigt und Analysen..)
So, das war das Wort zum Donnerstag…
nein, Ernst bei Seite, wie steht ihr zu diesem Kern dieser Geschichte. Bitte nicht fanatische religiöse Äusserungen, es geht ja eigentlich um den Sinn und die Betrachtung unserer heutigen Zeit.
Was ist mit den modernen Kain’s und Abel’s, wo sind sie, was machen sie, können wir was lernen, können wir was tun ? …
Ich weiss, dass ich nichts weiss (sokrates)
Inspiriert hat mich dieser Gedanke, beim Nachlesen meines vorigen Post’s (im Thread „Türkei in die EU“, der Post war als Antwort und Frage auf vorangegangene Stellungnahmen erfolgt..) an der Stelle in der Auflistung; „..ist mehr als die Hälfte der heutigen Erdbevölkerung!!..“
(Gehöre keiner Kirche oder Religion an..)
Ist ja interessant, bei all diesen Betrachtungen kommt mir doch eine ur- ur alte Geschichte in den Sinn, die einen religiösen Charakter hat. (passt ja zu Politik & Religion..) Diese Geschichte stammt aus dem Stamm, woraus sich später das Christentum, der Islam, Judaismus und viele Splitterreligionen entwickelt haben… ;-)
Die Rede ist vom Urbrudermord, der vielen Religionen gemeinsam zu Grunde liegt. Die Geschichte handelt von Kain (Qajin) und Abel (Hâbäl) (Genesis 4,1 – 4,26).
Ich will aber wiederum dich fragen, dass du mir auslegst in deinem Willen das, was Kain und Abel betrifft: gemäss welcher Art hat Kain den Abel getötet? Aber nicht dieses allein, sondern er wurde von dem gefragt, der mit ihm sprach, indem er sagte: Wo ist Abel, dein Bruder? Aber Kain leugnete, indem er sagte: Bin ich der Hüter…
Kain und Abel – eine Geschichte, die so idyllisch beginnt mit Ackerbau und Viehzucht. Einen Schritt, ein Kapitel direkt neben dem Paradies. Und dann zerstört durch einen Schlag, einen Totschlag, millionenfach wiederholt bis heute, effektiver gemacht, modernisiert. Kain beherrscht das Maschinengewehr, die biochemische Waffe, den Einsatz von Gas und Atombombe, er sitzt am Computer und steuert den Tod aus sicherer Distanz. Das Blut seines Bruders und die schreiende Stimme seiner Schwester sieht und hört er nicht mehr. Viel zu weit weg.
Wer ist Kain und wer ist Abel ? Warum ist es so kompliziert geworden und nicht mehr so eindeutig wie am Anfang ? Kain und Abel – wie eindeutig ist diese Brudergeschichte denn tatsächlich ?
Da ist Kain. Er ist der erste Sohn seiner Eltern. Er ist es, der einmal die Rolle und Stelle seines Vaters übernehmen soll. Auf ihm ruhen und lasten alle Erwartungen seiner Eltern. Schon bei seiner Geburt kommt das zum Ausdruck: "Ich habe einen Mann gewonnen mit der Hilfe Jahwes!" so jubelt Eva. Kain, der sich müht, dieser Rolle gerecht zu werden, die in ihn gesetzten Erwartungen zu erfüllen. Er leistet viel, ringt dem Boden seinen Ertrag ab, bepflanzt und bearbeitet ihn. Er ist erfüllt und angetrieben von der Sehnsucht nach Leben und Anerkennung. Und er macht die Erfahrung: Ich werde nicht angesehen. Ich kann mich anstrengen wie ich will, ich kann leisten, was ich will: Es zählt nicht! Kein: "Das hast du gut gemacht!", kein glückliches Ausruhen Können in der Fülle des Erntesegens. Kain bleibt allein in seiner Anstrengung. Gott blickt ihn nicht an, nicht das, was er ist, nicht das, was er gibt.
Andere freilich, Abel zB, der lebt glücklich und leicht, dem fällt alles in den Schoß, der wird angesehen voll Wohlwollen und Liebe, der kann das Leben genießen, nur ich nicht, nur Kain nicht. Kain in dessen Innern es brennt, dessen Kräfte verzehrt werden von diesem Feuer "Ich nicht!", dessen Gesicht sich senkt, dem die Kinnlade herunterfällt, er kann nicht mehr nach oben blicken, vertrauensvoll dem anderen zugewandt. Er kann nur noch vor sich hinstarren, spürt die finstere Macht, die ihn lähmt und vor seiner Tür lauert. Er hört jene warnende Stimme Gottes, die ihm die Folgen aufzeigt, hört diesen Lebensauftrag: "Werde Herr über diese Macht!"
Kain angeredet, aber nicht angeblickt - er meint nicht mehr anders zu können: Er muss Abel, den LeichtLebenden, Gesegneten wegschaffen. Auf seinem Boden, da wo er arbeitet und sich müht und seine Niederlagen erleidet, da erschlägt er ihn. Seine Ruhelosigkeit ist damit nicht beendet, sie beginnt erst richtig. "Wo ist dein Bruder Abel?" diese Frage Gottes treibt ihn weiter. Er muß fliehen, hetzt von Anstrengung zu Anstrengung, kann nie einen Erfolg genießen, nie sich ausruhen. Abels Lebensfreude ist ihm versagt. So irrt er umher im Lande Nod, im Lande "Rastlos", fern vom Angesicht Gottes und doch diesem Gott zeitlebens ausgeliefert: "Was hast du getan?"
Wer ist Kain heute ?
Dieser von Anfang an ruhelose Mensch. Keine Gelassenheit. Etwas leisten und nicht angesehen werden. Noch mehr leisten und immer noch nicht angesehen werden. Spüren, dass in allem, was man tut, produziert, wirtschaftet, die eigene Person mit ihren elementaren Bedürfnissen und Sehnsüchten nicht vorkommt. Dass da zutiefst etwas fehlt, das Gegenüber von Gottes Angesicht. Dass sich da in den Erwartungen an mich und in der Ausrichtung und den Maßstäben meines Lebens ein Druck und eine Dynamik verselbständigt haben, in denen ich nicht mehr vorkomme. Die Nervosität und die Aggressivität wachsen, Gewaltbereitschaft kommt an die Oberfläche. Die Sehnsucht anerkannt zu werden und die Mittel, das zu erreichen, klaffen immer weiter auseinander. Die Opfer, die ich bringe, finden keine Bestätigung. Warum tue ich eigentlich, was ich tue, wenn es meinem Leben nicht Kraft und Sinn und Tiefe verleiht? Und wenn es mir schon nicht gelingt, warum soll der andere das genießen können ?
Wo lebt Kain unter uns und in uns, rastlos, unausgeglichen und gehetzt und am Ende zum Zuschlagen bereit bis hin zum atomaren Schlag ?
Und Abel ?
Abel, der Hauch, wie der Name übersetzt heißt. Abel lebt leicht und rasch vergänglich. Er macht keine Geschichte. Seine Geburt wird nur beiläufig erwähnt, wörtlich übersetzt: "..und danach machte Eva weiter mit Gebären und sie gebar Abel, seinen Bruder!" So fast nebenbei noch ein Kind, unbelastet von allen elterlichen Erwartungen, unbefangen kann er leben. Abel, der Hirte, ist nicht allein, er ist umgeben von seinen Tieren, nimmt teil am Werden des Lebens. Er spürt Segen und Glück: "Das Leben ist schön, voller Gelingen immer wieder, und ich bin Teil dieses Lebens. Gott blickt mich an!" Auf Kains Feld hat Abel keine Chance, wird er zum Opfer, sein Name wird zum bösen Omen: Der Hauch verschwindet. So beiläufig, wie er gekommen ist.
Kain, der Mann Abel, der Hauch.
Die Situation zur Zeit der Entstehung der Erzählung vor etwa 4000 Jahren war etwa die: Die sesshaften Völker vor allem im Zweistromland (“Mesopotamien”) mit ihrem systematischen Ackerbau mit künstlicher Bewässerung konnten leicht grössere Bevölkerungen ernähren und waren dabei auch weniger auf “natürlichen” menschlichen Umgang miteinander angewiesen. In solchen anonymen Gesellschaften wird dieser eher unbefangene “normale” Umgang miteinander ja eher durch Gesetze ersetzt, die natürlich gerade die persönlichsten menschlichen Beziehungen nie vollständig abdecken können.
Demgegenüber herrschen in der Wüste, dem traditionellen Gebiet der Viehzüchter, andere Gesetze: Dort ist man wirklich auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen und dabei gelten also noch die ursprünglichen “moralischen” Umgangsregeln. Und das gilt besonders für die typische Überlebenskleinstgruppe, die Familie.
Mann und Frau mussten hier wirklich Partner sein, das Überleben des einen hing vom anderen ab. Wenn etwa der Mann in die Stadt ging, um Vieh zu verkaufen und “Stadterzeugnisse” einzukaufen, dann war die Frau allein und musste notfalls ihren Mann stehen, sie musste die Kinder und das Vieh vor wilden Tieren schützen und vielleicht auch bisweilen vor menschlichen Räubern... Hier war gegenseitiger Verlass einfach notwendig und damit auch wirkliche Moral. Und davor konnte der Wüsten- Mann eben nicht eine von den Frauen aus der Stadt brauchen, die vielleicht schön und “locker” waren (im Zweistromland war ja auch kultische Prostitution üblich), aber sonst nicht viel taugten, er brauchte eine wirkliche Gefährtin. …
In den Augen der Verfasser der Bibel war nun das Verhalten der Wüstenbewohner natürlich und gottgefällig, das der “Zivilisationsmenschen” dagegen dekadent und eben nicht-gottgefällig.
Und was kann uns dies jetzt alles sagen? Eigentlich ist der Titel hier „Türkei in die EU?“, bin ich jetzt vollends neben den Schuhen? Auf was will ich hinaus?
Kann es sein, dass wenn Geschwister nebeneinander leben, dann kommt es vor, dass Ungleichheit da ist." Der eine wird angesehen, der andere nicht. Das Miteinanderleben ist nie deckungsgleich, es führt zu Fragen und Konflikten. Es ist eine klärende Wahrheit. Konflikte gehören zum Menschsein dazu, man kann ihnen nicht ausweichen. Ungleichheit gehört dazu, auch ihr kann man nicht ausweichen.
Nur: Müssen Ungleichheit und Konflikte so enden ? Und wie eindeutig sind denn solche Konflikte? Bin ich Abel, wenn ich nicht Kain bin? Bin ich nur Opfer, wenn ich nicht der Täter bin? Wo bin ich Kain und wo bin ich Abel?
Es muss ein anderes Ende dieser Begegnung möglich sein. Was mit Kain passiert, ist ja auch keine Lösung. Sein Leben bleibt zwar erhalten, bloß wie! Er bleibt der Ruhelosigkeit ausgeliefert bis zu seinem Tod. Es ist ein Ende ohne Veränderung. (..Ich bin fest der Überzeugung, dass der Mensch die Dinge ändern kann, wenn er es nur will! Wenn sich etwas nicht ändert, so will er es auch nicht...) Kain lebt zwar, aber er ist nicht versöhnt.
Zwischen den Zeilen wird hier die Entstehung und die Notwendigkeit von Recht und Gesetz, von Gericht, Urteil und Strafe beschrieben. Und zugleich wird gesagt: Das alles wäre nicht nötig, wenn...ja, wenn die beiden miteinander und nicht nebeneinander gelebt hätten, miteinander ins Gespräch gekommen wären. Wenn sie gemerkt hätten , wir sind doch Geschwister, leben doch unser Leben gemeinsam, sind doch beide Beschenkte. Warum können wir einander nicht so anerkennen und aushalten, unterschiedlich wie wir sind, miteinander teilen, was wir haben ?
Könnten wir die beiden, Kain und Abel, Amerikaner und Afghanen, Israelis und Palästinenser, Katholiken und Protestanten in Nordirland, mich und dich,... heute nicht an einen gemeinsamen Tisch des Lebens bekommen? Und dann im Blick auf Kain die Geschichte vom barmherzigen Samariter bedenken. Jesus erzählt, dass man sich seinem Bruder und seiner Schwester gegenüber auch anders verhalten kann als Kain das tat.
Den Blick senken, wegsehen wie Priester und Levit, oder zuschlagen, wie die Räuber - das ist nicht der einzige Weg. Stattdessen: Lass dich zum Nächsten machen. Könnte nicht die Liebe Christi leitend sein, ein klärendes Gespräch sehr viel weiter führen, das Austragen und dann auch das Aushalten der Unterschiede viel fruchtbarer sein? Wäre nicht die geöffnete Hand und das offene Ohr für den anderen der bessere Weg ?
Kain und Abel mit ihren so unterschiedlichen Namen heute an einem Tisch des Lebens und Überlebens, von Angesicht zu Angesicht und ohne eine Waffe unter dem Tisch miteinander im Gespräch. Dieser undurchsichtige, heillos vermischte Teufelskreis von Täter und Opfer wäre durchbrochen. Ein neuer Anfang wäre möglich, eine Begegnung könnte noch einmal von vorne beginnen und müsste nicht in Gewalt enden. Versöhnung wäre in Sicht und endlich auch Ruhe für Kain. Eine verwegene biblische Hoffnung, ich weiß, aber sie ist ohne Alternative. Es braucht einen anderen Anfang unter dem Vorzeichen Christi. Die Dichterin Hilde Domin hat das einmal so formuliert:
Abel steh auf / es muss neu gespielt werden / täglich muss es neu gespielt werden / täglich muss die Antwort noch vor uns sein / die Antwort muss JA sein können / steh auf / damit Kain es sagt / damit er es sagen kann / "Ich bin dein Hüter, Bruder. Wie sollte ich nicht dein Hüter sein" / Täglich steh auf / damit wir es vor uns haben / dies "Ja ich bin hier, ich dein Bruder!" / Abel steh auf / damit es anders anfängt zwischen uns allen.
Amen
(Auszüge aus Predigt und Analysen..)
So, das war das Wort zum Donnerstag…
nein, Ernst bei Seite, wie steht ihr zu diesem Kern dieser Geschichte. Bitte nicht fanatische religiöse Äusserungen, es geht ja eigentlich um den Sinn und die Betrachtung unserer heutigen Zeit.
Was ist mit den modernen Kain’s und Abel’s, wo sind sie, was machen sie, können wir was lernen, können wir was tun ? …
Ich weiss, dass ich nichts weiss (sokrates)