@zaeld Was hälst Du von Arno Gahrmanns Befunden unserer gegenwärtigen Wirtschaft ?
Wozu Wachstum nötig ist, habe ich fett hervorgehoben !""Lassen Sie doch Ihr Geld für sich arbeiten!" Mit diesem Spruch werben Banken seit jeher um das Ersparte ihrer Kunden. Aber: Was heißt das eigentlich? Wie "arbeitet" Geld? Und welche Folgen hat es für eine Gesellschaft, wenn immer mehr Kapital immer mehr Rendite erwirtschaften soll? Ein neues Buch stellt den starren Gesetzen der Ökonomie die menschliche Perspektive entgegen: "Wir arbeiten - und nicht das Geld" heißt es.
Das Buch "Wir arbeiten und nicht das Geld" von Arno Gahrmann ist im Westend Verlag erschienen. Als Arbeitnehmer spürt man es: Unsere Wirtschaftswelt beschleunigt sich. Die Losung der Unternehmen: Effizienz, Arbeitsverdichtung - und vor allem: Kosten sparen! "Ich selber kam auf das ganze Thema im Grunde, weil ich mich fragte: 'Was sind Kosten?'", erzählt Buchautor Arno Gahrmann.
Der Professor für Finanzierung und Investition an der Hochschule Bremen wurde schnell fündig: Die "Kosten", das sind nicht nur die Aufwendungen für die menschliche Arbeitskraft, wie es die moderne Ökonomie beschwört. Sondern immer stärker die finanziellen Abflüsse an die Kapitalgeber.
"Ein Viertel der von uns allen erbrachten Wirtschaftsleistung geht mittlerweile direkt und indirekt für Zinsen und Gewinne drauf. Darunter leiden die Arbeitnehmer und Konsumenten, die durch erhöhte Leistungsanforderungen, niedrigere Löhne und höhere Preise dieses leistungslose Einkommen schaffen müssen." (Buch-Zitat)
Finanzielle Umverteilung von unten nach oben
Wer etwa heute ein Auto kaufe, rechnet Gahrmann vor, der zahle bis zu 50 Prozent des Nettopreises für die Renditen der Aktionäre. Dadurch aber, so der Bremer Wirtschaftsprofessor, finde eine schleichende finanzielle Umverteilung von unten nach oben statt: Das reichste Fünftel der Gesellschaft erhalte hohe Milliarden-Beträge auf seine Kapitalanlagen, ohne dafür arbeiten zu müssen. Zugleich stagnieren oder sinken die realen Löhne der breiten Masse, nicht zuletzt durch renditeorientierte Stellenstreichungen und Niedriglöhne.
Kapital in Billionenhöhe verlangt nach RenditeWer sein Geld in Aktien investiert, will steigende Kurse sehen.
Eigentlich absurd:
Das Armutsrisiko in den Industriestaaten steige auch dann, wenn die Wirtschaft wächst: "Sie muss nicht deswegen wachsen, weil wir mehr Güter haben wollen - zumindest in den westlichen Ländern - sondern sie muss wachsen, damit das Kapital immer neue Anlagemöglichkeiten findet", sagt Gahrmann.
5,5 Billionen Dollar Finanzkapital werden jedes Jahr über den Globus verschoben. Eine Geldmenge, die sich von der Realwirtschaft längst entkoppelt hat - und nach Rendite verlangt, egal wo und wie.
"Der globale Wettbewerb der Unternehmen setzt sich nicht nur nach unten, zu den Mitarbeitern und Lieferanten durch, er erfasst ebenso seitwärts die Kommune, die Region, ja den ganzen Staat." (Buch-Zitat)
Staat häuft Schulden an und baut Leistungen ab
Krankenhäuser und Kommunikation, Energieversorgung oder die Altersvorsorge: Gahrmann beschreibt in seinem Buch, wie immer mehr öffentliche Leistungen privatisiert und auf Effizienz getrimmt werden. Trotzdem häufe der Staat Schulden an und baue Leistungen ab. Der Autor warnt:
"Was ist ein in Festgeld, Rentenpapieren, Aktien oder Lebensversicherungen angelegtes Vermögen wert, wenn man im Alter hierfür zwar ein Häuschen auf dem Lande erwerben kann, es dort aber keine ärztliche, kulturelle und materielle Versorgung mehr gibt, in der Stadt aber ein betreutes Wohnen unerschwinglich geworden ist?" (Buch-Zitat)
"Wir brauchen eine andere Ökonomie"
Die Langzeit-Folgen der Turbo-Ökonomie beschreibt Gahrmann düster, doch er formuliert in seinem 200 Seiten starken, pointiert geschriebenen und faktenstarken Plädoyer für ein menschlicheres Wirtschaften auch Lösungswege: So wie der Finanzmarkt seit dem Lehman-Crash strengere Regeln erhalten hat, wünscht sich der Autor staatliche Bremsen für die Realwirtschaft - und ein stärkeres Wirtschaften "im Kleinen": "Was wir brauchen und was wir sicher in Ansätzen sehen, das ist eine andere Ökonomie - sagen wir mal ergänzend, nicht alternativ zu der kapitalistischen. In Form zum Beispiel von Genossenschaften gerade, die weniger auf die maximale Rendite aus sind, sondern darauf, dass allen Genossenschaftsmitgliedern eben das Wirtschaften ermöglicht wird."
"Notbremsen" für die moderne Wirtschaft
Regionale Märkte, Währungsinseln und eben keinen ungebremsten Infrastruktur-Ausbau für den globalen Warentransfer: Arno Gahrmann fordert in seinem auch für Wirtschaftslaien verständlich geschriebenen Buch "Notbremsen" für die moderne Wirtschaft. Er liefert eine klare und überzeugende Kritik am überzogenen Rendite-Denken, deren Vehikel - die globalen Kapital-Ströme - offensichtlich immer brutaler gegen den Menschen arbeiten.
http://www.ndr.de/kultur/literatur/buchtipps/geldarbeiten101.htmlhttp://www.dradio.de/dlf/sendungen/zwischentoene/2208005/ (Archiv-Version vom 20.09.2013)