DonFungi schrieb:wird es der Zeitgeist der nachkommenden Generationen richten.
Und der Zeitgeist der 3. oder 4. Generation nach Franco will nach 80 Jahren Unterdrückung nicht mehr, dass Katalonien weiter bei Spanien bleibt und es "neu" richten, und die Verfassung Spaniens ist, wie weiter oben erläutert, nach 41 Jahren Demokratie auch nicht mehr ganz up to date.
Es gibt also nur 2 Möglichkeiten: Entweder legales Referendum in absehbarer Zeit, oder der zivile Widerstand wird sich verschärfen bis hin zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen mit Toten. Spätestens dann wird die EU anfangen die Sache anders einzuschätzen. Man kann in unserer Zeit ein Volk nicht mehr ohne Gewalt gegen seinen Willen "einsperren", das hat die DDR beispielhaft gezeigt, und in anderen Regionen, beonders in der Osttürkei (Kurden) und in den chinesischen Provinzen Xinjiang, Tibet und Innerer Mongolei geht es ohne Sezession nur mit militärischer Dauergewalt. Wollen wir China und Türkei nun auch noch in innenpolitischen Verhältnissen als Vorbild?
Argus7 schrieb:Kannst du darin diskriminierende Passagen erkennen, die z.B. die Katalanen in irgendeiner Form benachteiligen?
Ja. Artikel 2, der eben auch eine Zwangsgemeinschaft rechtfertigt. Und ich glaube nicht, dass die katalanische Bevölkerung bei der Verfassungsgebung mit entschieden hat, sondern wohl eher - maximal - geschmierte katalanische Politiker. Denn auch vor 40 Jahren wollte die Bevölkerung nicht länger zu Spanien gehören, das weiß ich aus diversen persönlichen Quellen von Katalanen und schrieb auch, dass ich vor 42 Jahren selbst an so einem "Geheimtreffen" einer Untergrundorganisation als außenstehender Beobachter teilgenommen hatte. Die Demokratisierung Spanuiens erfolgte weniger als Folge des Drucks aus der Bevölkerung - die politisch klein gehalten wurde -, sondern als Folge außenpolitischen Drucks (Spanien wollte in die EWG) und des Todes Francos. Artikel 2 der Verfassung muss also novelliert und reformiert werden; er ist längst nicht mehr zeitgemäß im Zeitalter des Selbstbestimmungsrechts der Völker. Streng genommen müsste man das auch auf die Türkei anwenden bezogen auf die Kurden und ihren Rezessionswunsch, aber die Türkei ist ja nicht in der EU. Auch Schottland kann jederzeit ein Sezessions-Referendum über die Trennung aus dem UK abhalten und bei positivem Ausgang einen Antrag auf Aufnahme in die EU stellen; hier ist es leichter, weil Schottland ja nicht zum Staat England gehört; bei Wales wäre es schon etwas schwieriger.
Argus7 schrieb:Du konstruierst dir da eine EU zusammen, die es schlichtweg nicht gibt und auch nicht geben kann.
Wieso nicht geben kann? Wenn die EU zu einem Staatenbund (nicht Bundesstaat) zusammenwächst, bekommt sie natürlich auch eine eigenständige, für das gesamte Gebiet geltende Verfassung, in der das verankert ist. Aber ich sagte ja auch, dass das mindestens noch 10 Jahre dauert. Die Unfähigkeit die EU zu einem Staatenbund zusammenzufügen, wäre aber gleichzeitig auch das Ende der EU, was die politischen und innenpolitischen Angelegenheiten angeht und sie würde zurückfallen zu einer reinen EWG. Niemand will aber ein halbes Jahrhundert zurück in der Geschichte.
Argus7 schrieb:Wenn einer der Mitgliedstaaten den rechtsstaatlichen Ansprüchen nicht genügt hätte, wäre der betreffende Staat gar nicht erst in die EU aufgenommen worden.
Wie gesagt, wir sind 40 jahre weiter. heute käme ein Staat mit einem Artikel 2 der span. Verfassung, der das Selbstbestimmungsrecht der Völker ausschließt, wohl nicht mehr als aufzunehmendes Mitglied in Frage. Daran wäre möglicherweis auch letzten Endes der Beitritt der Türkei zur EU gescheitert, wenn die Verhandlungen weiter gegangen wären, spätestens in der "heißen Phase".
Argus7 schrieb:Das "politische Kriterium" ist: Institutionelle Stabilität, demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, Wahrung der Menschenrechte sowie Achtung und Schutz von Minderheiten. Dies alles garantiert auch die Spanische Verfassung.
Bei den Katalanen - ebenso wie bei der Kurden in der Türkei - handelt es sich - anders als etwa bei den Sorben in Ostbrandenburg oder wo die leben - nicht um Minderheiten, sondern um eine Mehrheit eines anderen Volks. Ebenso wie Katalonien wurde das westliche "Kurdistan" bzw. die Osttürkei militärisch erobert und dem Staatsgebiet der militärisch siegreichen Volks eingegliedert (annektiert). Das erscheint vielen nur heute unwichtig, weil diese Ereignisse schon Jahrhunderte zurückliegen. Es hat nur nichts mit Völkerrecht zu tun, sondern wenn überhaupt eher mit Staatsrecht. Im Fall des Saarlands überließ man es wenigstens noch der Bevölkerung zu entscheiden, ob es zu Frankreich oder zu Deutschland gehören wollte.