Nur mal eine Zwischenfrage: hat eigentlich irgendwer hier für ein Ohrlochstechen bei Säuglingen oder Kleinkindern plädiert? Nicht, dass ich wüsste. Ebensowenig für Klappse - das wurde in anderen Strängen diskutiert, wo es durchaus unterschiedliche Meinungen gab. Von denen, die gegen Zwangsbeschneidungen bei Säuglingen und Kindern sind, habe ich noch niemanden für die Körperstrafe plädieren sehen ... im Gegenteil wird das Verbot ja als Argument angeführt, auch die Beschneidung zu verbieten (oder zumindest streng zu regeln).
Medizinisch gesehen gibt es schon einige Unterschiede zwischen dem Loch im relativ gefühllosen Ohrläppchen, das sich leicht desinfizieren lässt und nur kurz schmerzt, und der Beschneidung, die Teile der ergogenen Zone des Mannes entfernt und nach allen Statistiken in mindestens 15% aller Fälle zu Komplikationen führt. Wohl gemerkt: mindestens, und zum Teil sehr schweren Komplikationen. Z.B. enstehen dadurch mehr Phimosen, als bei unbeschnittenen Jungs, die dann nachkorrigiert werden müssen ... wiederum schmerzhaft, mit allen Risiken einer OP, die dann unter Vollnarkose stattfindet.
Andere haben später bei jeder Erektion Schmerzen.
Natürlich betteln manche kleinen Jungs und Mädchen, beschnitten zu werden (und mit Geschenken überhäuft) oder lustige bunte Ohrstecker zu bekommen ... sie können ja überhaupt nicht abschätzen, welchen Risiken sie sich aussetzen. Aber Kinder wollen auch andere Dinge, und bekommen sie nicht.
Im Übrigen sprechen sich Erzieher und Ärzte deutlich gegen ein Ohrlochstechen aus, u.a. da an den Steckern Textilien hängenbleiben und das Ohrloch ausreissen können.
Es handelt sich also um ein klassisches Strohmann-Argument.
Die Hygiene gilt als überhaupt kein konsistentes Argument mehr. Selbst in den USA, wo das zeitweise der Hauptgrund war (nachdem die Verhinderung Masturbation nicht mehr als Hauptgrund galt), gehen die Säuglingsbeschneidungen massiv zurück.
Und es möchte doch niemand einen Säugling beschneiden, damit er später mal weniger Probleme hat, eine schnelle Nummer zu schieben? Genauso sind die angeblichen Vorteile beim Sex einzuordnen: das ist wohl in dem Alter, in dem die Beschneidung stattfindet, noch kein Thema. Vernünftigerweise würde man abwarten, ob überhaupt irgendwelche Probleme auftreten, die nicht anders zu lösen sind.
Wir hatten das alles schonmal, und die einzigen Argumente, die für Beschneidungen sprächen, sind ausschliesslich religiöser Natur.
Nur deshalb macht der Staat vom Gesetz (Beschneidung ist Körperverletzung) eine Ausnahme, die unter genau beschriebenen Bedingungen gewährt wird. Leider können diese Bedingungen nicht erfüllt werden, da das einzige Narkosemittel für örtliche Betäubung, das bei Säuglingen angewendet werden kann, nicht so wirksam ist, wie zur Zeit des Gesetzerlasses angenommen.
Die "Regeln der ärztlichen Kunst" verbieten Eingriffe bei Säuglingen und Kleinkindern, die nicht unbedingt medizinisch notwendig sind.
Es ist also gut möglich, dass dieses Gesetz nur eine Übergangslösung darstellt, auch wenn
@Puschelhasi es als unumstösslich betrachtet. Dabei ignoriert er aber, dass sich so allerhand Gesetze schon geändert haben und nicht jedes automatisch vollumfänglich Grundgesetzkonform ist, das erlassen wird. Zum Glück leben wir in einer Gesellschaft, in der eine offene Diskussion möglich ist, sonst hätte es auch nie das Gesetz gegen Körperstrafen gegeben.
Leider erweckt
@Puschelhasi in trauter Eintracht mit dem ZdJ den Eindruck, jeder der gegen Beschneidungen argumentiert, habe etwas gegen Religion ... speziell die Jüdische, obwohl doch auch eine ganze Menge Muslime in Deutschland leben.
Und leider ist das Papier, das
@Puschelhasi vom ZdJ so gerne verlinkt, voller sachlicher Fehler (keine Komplikationen), falscher Darstellungen (Schutz vor Geschlechtskrankheiten) und Argumente, die einer religiösen Gruppe nicht zustehen: seit wann sind die bei Gesundheit zuständig und kompetent? Und wie gesagt: das Gesetz nennt
ausschliesslich religiöse Gründe für die Ausnahme-Genehmigung.
Schade auch, dass der ZdJ (und Puschelhasi) nicht zwischen Tradition und religiösem Gebot unterscheidet, wie es der Gesetzgeber sehr wohl tut: ein kenianischer Junge durfte nicht beschnitten werden, da es sich bloss um einen Brauch handele, der in seinem heutigen Lebensumfeld nicht üblich sei. Eigentlich müsste man also (wie auch vor Taufen, Konfirmation und Kommunion üblich) die Eltern auf ihre religiösen Pflichen hinweisen und darauf, dass "haben wir schon immer gemacht" kein Argument für Beschneidung ist.
Wie ich auch schon öfters anmerkte, wissen die meisten Eltern vermutlich weder ausreichend über die Risken, noch über die stattfindende Kontroverse innerhalb der Religionen bescheid: nicht alle Juden und Muslime sind der Überzeugung, dass die Beschneidung vor der Pubertät stattzufinden habe.
Dieser religiösen Diskussion wird leider regelmässig ausgewichen.
IrreBlütenfee schrieb:Ich denke, Erlauben ist besser, alleine um zu verhindern, dass kleine Kinder von irgendwelchen Scharlatanen in den hinteren Bergen in was weiss ich wo verstümmelt werden.
Die allermeisten Betroffenen sind Deutsche, und ich glaube kaum, dass die Mitglieder der jüdischen oder Muslimischen Gemeinden kollektiv ins Ausland gehen würden, um ein Gesetz zu brechen.
@marxloh Du bist noch jung? Ich habe ältere Männer erlebt, die den anfänglichen Vorteil, länger zu können, als einen späteren Nachteil, länger (und stärkere Reibung) zu brauchen, erlebten. Auch als Frau ist das nicht unbedingt lustig.
Und ich kenne kaum einen Mann, der zugeben würde, z.B. Schmerzen oder andere Probleme zu haben ... selbst Frauen tun sich da schwer. Oder kennst Du ältere Männer, die mit Dir über Erektionsprobleme sprechen?
Bedenke, wie lange es brauchte, bis beschnittenen Frauen das Thema offen diskutierten.
Ich würde mich da lieber an die Statistik halten: mindestens 15% Komplikationsrate.