Hier der SPoN Artikel zur Sendung:
Der Titel war provokant: "Besser wegschauen und stillhalten - darf uns Syrien egal sein?" Einfache Antworten durfte man da nicht erwarten - umso erstaunlicher waren die Fronten, die sich bei "Hart aber fair" ergaben. Die nüchternste Analyse gab der Israeli Avi Primor: "Das Regime wird nicht kippen."
Das Morden und Foltern in Syrien wirft ähnliche Fragen auf wie seinerzeit der Balkan-Krieg. Und wie andere Konflikte, die an die Essentials unserer Zivilisation rühren. Diese Fragen haben die Eigenart, dass sie wesentlich leichter gestellt als zu beantworten sind. "Besser wegschauen und stillhalten - darf uns Syrien egal sein?", wollte Frank Plasberg provokativ bei "Hart aber fair" wissen.
Natürlich darf es das nicht, niemand würde so etwas sagen, und wegzuschauen wäre in der Tat ja auch kaum möglich. Dazu ist das Thema in Form schlimmer Bilder und Schreckensberichte viel zu präsent. Womit man auch schon bei einer ganz anderen Frage wäre, nämlich der, ob allem Gesagten und Gezeigten auch zu trauen ist - wie es sich mit der Wahrheit verhält, vor allem im Krieg, wo sie bekanntlich zuerst stirbt.
Jürgen Todenhöfer ist seit Jahren in eigener Nahost-Mission unterwegs und nicht eben kleinlich, wenn es um die Proklamation des eigenen Anspruchs bezüglich Kompetenz und Menschlichkeit geht. Nach der Ausstrahlung seines umstrittenen und unter fragwürdigen Bedingungen zustande gekommenen Interviews mit Diktator Baschar al-Assad am Vortag im ARD-"Weltspiegel" hat er nun keinen leichten Stand. Er wähnt sich offenkundig der Wahrheit näher als alle anderen, indem er ein Bild von den syrischen Verhältnissen zeichnet, das von den anderen in der Runde als Zumutung empfunden wird. Vor allem von Ferhad Ahma, einem Exil-Oppositionellen, der seit 15 Jahren in Deutschland lebt und für den es nur eine Lösung gibt: das Regime muss weg, notfalls mit Gewalt.
Auch Grünen-Chefin Claudia Roth vermag aus dem Interview nichts anderes als Zynismus herauszuhören, und ARD-Korrespondent Jörg Armbruster räumt allenfalls ein, dass es unter den Opfern der Kämpfe auch Soldaten gebe. In erster Linie handele es sich bei den Getöteten aber um Aufständische.
Ein belastbarer Faktencheck ist schwierig
Todenhöfer indes beharrt darauf, dass es eine Art Gleichgewicht der Gewalttaten und Grausamkeiten einschließlich Folterungen zwischen den jeweils schwer bewaffneten Militärs des Regimes sowie den Rebellen gebe und dass die Hälfte der Bevölkerung nach wie vor hinter Assad stehe. Er beruft sich auf Freunde aus Kreisen der Opposition, die ihm sogar einige der Fragen an Assad vorformuliert hätten. Für Todenhöfer gibt es keine klare Trennlinie zwischen Guten und Bösen, Tätern und Opfern. Das Fazit aus all dem, was offenbar er und nur er im Unterschied zu allen anderen verlässlich weiß, lautet: "Die Lage ist schlimmer, aber sie ist anders."
Gegen solch eine exklusive Sicht der Dinge ist nicht leicht anzukommen, auch nicht mit einem naturgemäß diesmal nicht hundertprozentig belastbaren Faktencheck auf der Basis des Berichts von Human Rights Watch, demzufolge es Folter an Frauen und Kindern gibt und mittlerweile rund zehntausend Tote, zumeist Zivilisten, zu beklagen sind. Armbruster spricht von einer "Mauer der Angst", die das Regime errichtet habe. Todenhöfer bleibt unbeirrt. Die einen seien nicht besser als die anderen.
Wüsste man nicht, dass dieser Mann, der einmal als karrieresüchtiger CDU-Politiker galt, später ein hochbezahlter Medienmanager war und sich als Menschenrechtler gleichsam neu erfunden hat, in Wirklichkeit ein Idealist und Moralist ist - man könnte manche seiner Äußerungen als Ausdruck eines bestenfalls naiven Relativismus deuten. Dass er sich dessen vermutlich selbst nicht einmal bewusst ist, macht ihn zu einer beinahe tragischen Figur.
Immerhin ist er sich mit Frau Roth einig, als diese eine ganze Reihe von Maßnahmen auflistet - vom Waffenembargo über Uno-Sanktionen bis zu humanitären Hilfen -, mittels derer man von außen Einfluss nehmen könne. Dass etwas getan werden müsse, heiße ja nicht, dass dies auf militärische Weise geschehen müsse.
"Das Regime wird nicht kippen"
Das sieht insbesondere auch Avi Primor so, Israels früherer Deutschland-Botschafter, der angenehm kühl den Part des Realpolitikers verkörpert. Jede militärische Intervention scheide schon deshalb aus, weil Syriens Luftwaffe zu stark sei, niemand bereit sein werde, sich auf einen Bodenkrieg einzulassen und Assad in Gestalt Russlands und Chinas und auch Irans mächtige Verbündete habe. Während die übrigen in der Runde sich zumindest in einem Punkt weitgehend einig sind - dass es nämlich wichtig sei, die friedlichen Kräfte innerhalb der Opposition zu unterstützen -, gibt der Ex-Diplomat aus jenem nahöstlichen Nachbarstaat, dem die Ereignisse in Syrien am allerwenigsten egal sein können, eine sehr ernüchternde Prognose ab: "Das Regime wird nicht kippen."
Für jemanden wie Ferhad Ahma muss es schwer erträglich sein, so etwas zu hören. "Mein Körper ist hier, aber meine Seele ist in Syrien, jede Stunde, jede Minute, jede Sekunde", sagt er. Per Internet hält er ständigen Kontakt zu seinen dortigen Mitstreitern und Freunden. Wie aufwühlend ihn das Schicksal seines Heimatlandes umtreibt, wird deutlich, als die Rede auf das Massaker von Hula im Mai dieses Jahres kommt, dessen Urheberschaft tatsächlich ungeklärt ist. Der Disput, der umgehend zwischen ihm und Todenhöfer entbrennt, wird sofort derart heftig, dass der Moderator eingreifen und schlichten muss.
Und doch gibt es ganz am Schluss so etwas wie versöhnliche Töne. Gefragt, wie es denn dereinst in seinem Land zugehen werde, wenn erst der ersehnte Machtwechsel gelungen sei, wendet sich Ahma, diesmal mit einem Lächeln, an Todenhöfer und versichert ihm, dass er dann jederzeit kommen und den Präsidenten interviewen könne, einfach so, ohne Vorgaben und Aufpasser.
http://m.spiegel.de/kultur/tv/a-843487.html