@Katori Gerne. Ich glaube, Du hattest schon im ursprünglichen Thread danach gefragt. Ich hätte es gerne beantwortet, wollte Dir eine PN schreiben bin aber gerade in einem ausführlichem Austausch mit einem anderen Mitglied dieses Forums, das hat mich ein wenig gebunden.
Also:
Es gibt da (angeblich - die Quellenlage ist unsicher) einen altchinesischen Fluch, der sagt:
"Mögest Du in interessanten Zeiten leben."
Das mag dem westlichen Verstand kurios vorkommen. Wieso soll das ein Fluch sein? Will irgendwer in uninteressanten Zeiten leben?
Tatsächlich aber sieht es doch so aus: Wenn Du in langweiligen Zeiten lebst - am besten, Dein ganzes Leben lang - so muss dies doch bedeuten, das Du in einer stabilen, vielleicht sogar statischen Umgebung lebst. Nichts ändert sich wirklich, alles ist, wie es ist und bleibt auch - so zumindest der subjektive Eindruck - für immer so. Und das mag, wenn auch bequem, letztlich langweilig sein. Uninteressant.
Wir leben in einer Zeit des Umbruchs. Die sichere Statik, die uns ein Leben in einer langweiligen Umgebung liefert, ist definitiv nicht mehr vorhanden. Schau Dir einfach an, wieviele Dogmen umgeworfen wurden im Verlauf der letzten, sagen wir mal, 100 Jahren. Gleichberechtigung für Frauen. Sexuelle Freiheit. Abkehr vom Prinzip der totalitären Herrschaftssysteme hin zu Demokratischen Prinzipien. Frag einfach mal die Leute, die buchstäblich ihren Kopf für diese Änderungen hingehalten haben. Sie werden Dir sicherlich bestätigen, das es "interessant" ist, wenn man von Leuten niedergeknüppelt wird, die gegen eine Änderung des Status Quo sind.
Die Veränderungen, die wir heute erleben, kann man auf einen einzigen Begriff, einem einzigen Umbruch zurückführen: Die Globalisierung.
Die Globalisierung, wie wir sie heute kennen, konnte nur durch den Zusammenbruch der Ostblock-Staaten stattfinden, oder, vielleicht besser formuliert, durch die Öffnung des ehemals kommunistischen Markts. Heute sind praktisch alle diese Staaten offen und haben eine Marktwirtschaft oder etwas, das dem doch sehr ähnelt. Dies führt aber nun dazu, das der Markt, wie wir ihn kennen, sich rapide ändert. Insbesondere für Leute im Niedriglohnbereich sind die Konsequenzen dramatisch: Wer in Deutschland in einer Fabrik Hosen näht, steht in direkter Konkurrenz zu, sagen wir mal, einem Arbeiter der das gleiche in Bangladesch macht.
Das führt dazu, das die Arbeitsplätze sich häufig dahin bewegen, wo die Arbeit billiger ist. Dies führt wiederum dazu, das die Leute an den neuen Standorten mehr Geld verdienen. Ein Deutscher Hungerlohn ist in bspw. China immer noch ein Vermögen. Durch das mehr verdiente Geld steigt der Lebensstandard. In Folge dessen auch die Bildung und spätestens dann, wenn man sehen kann, wie es auf dem Rest der Welt aussieht (beispielsweise durch das Internet) dann steigen auch die Ansprüche. Damit wiederum wird die Arbeit teurer und der Arbeitsplatz wandert ins nächste Billiglohnland.
Auf diesem Wege erhöhen wir den Lebensstandard in Drittwelt- und Schwellenländern. Gleichzeitig aber senken wir damit auch unseren eigenen Standard. Eben ein globalisierter Lebensstandard. Nicht umsonst stagniert der Durchschnittslohn schon seit Jahren (oder sinkt gar, abhängig davon, wie man ihn berechnet). Diese Entwicklung wird nicht stoppen und sie ist nicht umkehrbar (nun, man könnte hypothetisch eine Mauer um Deutschland bauen und nichts und niemanden mehr rein oder rauslassen - nur wäre es, um das wenigste zu sagen, wirklich naiv zu glauben, es würde uns dadurch besser gehen). Projiziert man die uns zur Verfügung stehenden Daten nun für ein paar Jahrzehnte in die Zukunft, sehen wir vor allem eins: Rapide steigenden Lebensstandard in den Entwicklungsländern bei gleichzeitig sinkenden Lebensstandards in den Ländern der ersten Welt. Global ansteigender Rohstoffbedarf bei gleichzeitig stagnierender oder wenigstens gleichbleibender Ressourcenausbeutung. Es wird also viel mehr Nachfrage geben bei gleichzeitig stabilen Angebot. Das führt dazu, das nur noch die stärksten ein Stück vom Kuchen ergattern können. Dazu dürfen wir uns im Augenblick auch noch zählen.
Wenn aber Schwellenländer wie China, Indien, Brasilien und evtl. Russland (man kann sich darüber streiten, ob Russland ein Schwellenland ist) weiter auf dem aktuellen Niveau florieren, kann man sich leicht ausrechnen, das sich das globale Gleichgewicht in den nächsten Jahrzehnten verschieben wird. Mir fallen nur drei Möglichkeiten ein, das zu verhindern:
- Irgend ein ganz toller Wirtschaftstrick, der die Wirtschaften der Länder der ersten Welt so richtig auf Touren bringt. Was das sein soll, kann ich nicht sagen, Realistische Vorschläge gibt es keine. Und unrealistische? Na, vielleicht klappt es ja mit dem Asteroidenmining. Wenn wir es irgendwie schaffen, wirtschaftlich vertretbar Metalle aus dem Weltraum im Wert von zig Billionen auf die Erde zu verfrachten, dann würde dass das wirtschaftliche Gleichgewicht wieder in unsere Richtung verschieben (und hätte den netten Nebeneffekt, das wir die anderen Volkswirtschaften mit pushen würden). Der Haken: Wie gesagt unrealistisch. Vielleicht kann jphys Dir mal anreißen, welche gewaltigen und schier unüberwindbaren Probleme das mit sich bringt. Wäre mein Favorit, ist aber leider die unrealistischste Variante.
- Ein Krieg, und zwar ein großer. Ich glaube, wo da der Haken liegt, muß ich gar nicht erst erklären. Leider wesentlich realistischer als Asteroidenmining.
- Ein völlig neues Wirtschaftssystem. Der Haken: Niemand kann Dir eine realistische Auskunft geben, was ein gutes Weltwirtschaftssystem ist, da wir damit noch keine allzu großen Erfahrungen sammeln konnten. Die Weltwirtschaft in ihrer heutigen Ausprägung ist ein ziemlich junges Produkt. Und eines ist sicher: Radikale Umbrüche haben radikale Nebenwirkungen. Das so etwas ohne größere Ausreisser erfolgt, dürfte nicht zu erwarten sein.
All das von mir aufgeführte sind aber gerade mal die Rahmenbedingungen, die zu den eigentlichen Veränderungen führen werden. Ich weiß nicht, inwieweit Du Dich mit Geschichte befasst, aber Du kannst ja mal nachschlagen, was mit Ländern passiert ist, der durchschnittlicher Lebensstandard kontinuierlich gesunken ist.
Eine präzise Prophezeiung, was passieren wird, kann ich schwerlich machen, obwohl es nicht völlig unmöglich erscheint. Ich habe in der Mitte der 90`er ein Buch gelesen (von einem bekannten und renommierten VWL-Prof, weiß leider nicht mehr, wie der heißt), das ziemlich präzise die Entwicklung bis in die heutige Zeit hinein beschrieben hat, inklusive Finanzkrisen durch Immobilienblasen und unkontrollierten Finanzmärkten und eben dem großen Aufhänger, der Globalisierung.
Ich will mich gar nicht länger mit Details des Buchs aufhalten, kann aber zusammenfassend sagen: Der Autor stellte fest, das wir bereits heute in interessanten Zeiten leben werden. Und das die kommenden Zeiten noch sehr viel interessanter werden.
... aber mal ehrlich, hättest Du dir das bei meinem Einzeiler nicht gleich denken können? ;-)
ciao
JM