„Das endet mit dem großen Knall“
Ludwig Poullain war als Chef der West LB einer der letzten echten Bankiers in Deutschland. Was seine Nachfolger in der Finanzindustrie anstellen, schockiert den Pensionär – und er findet klare Worte. DüsseldorfHandelsblatt: Es scheint, als sei die Welt für die Politik und für Vorstände noch nie so komplex gewesen, wie in diesen Tagen. Wir haben eine Bankenkrise, von der wir nicht wissen, ob es in Wirklichkeit nicht eine Staatskrise ist und eine Staatskrise, von der wir nicht wissen, ob es nicht doch eine Bankenkrise ist. Währungen fahren auf und ab, Volkswirtschaften drohen Pleite zu gehen, Sicherheiten werden zu Unsicherheiten. Verstehen Sie das noch?Poullain: Um es einmal in der Sprache der Segler auszudrücken: Es ist schwer, derzeit einen Anker zu finden. Es gibt ja keine Vorgänger für diese Gemengelage, keine Schubladen, aus denen man Lösungen ziehen könnte.
Vieles in der Diskussion um die Rolle der Banken der vergangenen Tage erinnert stark an die Situation rund um den Zusammenbruch von Lehman Brothers 2008. Wenn Sie auf die Situation an den Märkten schauen: Haben uns die Banken an den Rand eines erneuten Desasters getrieben, oder haben die Staaten mit ihrer überbordenden Schuldenpolitik erst die nächste Bankenkrise heraufbeschworen?Sollten wir nicht lieber darüber reden, wofür überhaupt wir Banken brauchen. Das ist doch die entscheidende Frage. Oder noch deutlicher gefragt: Brauchen wir Banken überhaupt noch?
Brauchen wir sie noch?Zunächst mal stellen wir fest, dass sie ihre Aufgabe innerhalb der Wirtschaft völlig verändert haben. Aus Dienstleistern, die produzierende Unternehmen mit Geld versorgen, sind Produzenten geworden.
Wir müssen lernen, dass Geld nicht gleich Geld ist. Man muss zwischen konkretem und abstraktem Geld unterscheiden.
Zum Beispiel?Ich bin mal ganz einfach: Für das Geschäftsjahr 2010 haben die Deutsche Bank und Daimler in etwa einen ähnlichen Bruttogewinn. Sie zahlen beide die gleichen Steuern und Dividenden. Was aber machen Sie mit dem Rest des Gewinns? Daimler investiert in Forschung und Entwicklung und verbessert seine Produktionsabläufe. Die Deutsche Bank legt das Geld zur Seite um damit neues Geld zu produzieren.
Daimler verwendet das Geld im produktiven Sinne für die Volkswirtschaft, das Geld der Deutschen Bank aber wird abstrakt verwenden, es hat keinen produktiven Sinn für die Gesellschaft.
Aber auch das Geld der Deutschen Bank verschwindet nicht.Aber es verselbstständigt sich. Es wabert zwischen irgendwelchen Banken und bankenartigen Gebilde herum, es potenziert sich sogar noch zu weiterem abstraktem Geld. Das Geld der Deutschen Bank wird erst dann wieder konkret, wenn die Bank in Not ist und Hilfe der Gesellschaft braucht. Das abstrakte Geld ist gefährlich, weil es nicht greifbar ist.
Das abstrakte Geld schafft aber auch neues Geld, das dann wieder der Wirtschaft zu gute kommt.Nein, abstraktes Geld bleibt abstraktes Geld. Die Banken weichen auf die Synthetik aus. Das aber ist eine Epidemie, gegen die noch kein Penicillin erfunden wurde.
Das haben wir doch vor drei Jahren schon festgestellt. Synthetische Produkte, Finanzgeschäfte auf Basis von Finanzgeschäften – es scheint, als drehen wir uns im Hamsterrad.Die Kette ging doch so: Die erste Bankenkrise, beziehungsweise richtiger wohl der erste Höhepunkt der Bankenkrise, trat ein, weil die Banken zu viele Schrottkredite gewährt haben. Dann sprangen die Staaten bei, die Banken erholten sich, rissen aber die Staaten in die Krise. Daraufhin investierten die Banken wieder in Schrottpapiere – dieses Mal am Anleihemarkt. Und gerieten wieder in die Krise. Wir haben also dasselbe, ich sage ausdrücklich nicht das gleiche, Problem wieder.
Ich sehe nur nicht, wie die Banker sich in den vergangenen Jahren hätten anders verhalten sollen, als sie das taten: Es wurde ihnen von der Politik nahezu aufgedrängt, genau in jene Staatsanleihen zu investieren, die nun zur nächsten Gefahr zu werden drohen. Gleichzeitig wurde ihnen von den Notenbanken das Geld so billig gemacht, dass es schon fast fahrlässig gewesen wäre, dieses Geld nicht zu nehmen, um damit Geschäfte zu machen. Hätte es der eine Banker nicht genommen, hätte sich jemand anders gefunden.Wir sehen eine unheilvolle Verquickung zwischen Banken und Staaten. Die ungeheuren Geldmengen, die durch die Notenbanken im Umlauf sind, schreien natürlich nach Verwendung. Deswegen schaffen die Banken ja synthetische Produkte. Um das, was die Notenbanken da machen, Geldpolitik nennen zu können, müsste man Satiriker sein.
Welchem Banker kann man zum Vorwurf machen, dass er alle Mittel nützt, das Vermögen seiner Anteilseigner zu mehren, indem er an dem Spiel teilnimmt?Die Banken hätten in dieser Phase die Politik leiten müssen. Stattdessen aber sind wir Zeugen eines faszinierenden Schauspiels: Alle Beteiligten sehen die Aussichtslosigkeit. Aber weil nicht sein kann, was nicht sein darf, spricht es keiner aus.
Die Politik hat versucht, die Probleme auszusprechen. Es gab Reformen der Bankenaufsicht, Eigenkapitalregeln wurden verschärft, der Eigenhandel der Banken stark eingeschränkt, zuletzt haben Deutschland und einige andere Länder die so genannten Leerverkäufe verboten.Aber dabei wiederholt die Politik, den Fehler, den auch Merkel und Steinbrück ganz am Anfang der Finanzkrise mit ihrem Einlageversprechen übersehen haben: Die Politiker plustern sich auf, als ob sie etwas regulieren könnten. Je mehr Politik reguliert, desto mehr schaffen sich die Märkte ihre Nischen, in denen sie ungestört arbeiten können. Nationale Schritte reichen nicht aus. Der Nationalstaat allein ist zu klein, um diesen Finanzsektor zu kontrollieren.
Mir kommt dieses Argument immer wie ein Feigenblatt vor. Jeder Politiker sagt, er könne leider nichts machen, weil der Politiker im Nachbarland nicht mitziehe. Das klingt wie eine sehr bequeme Entschuldigung, nichts machen zu müssen.Schauen Sie auf die Deutsche Bank, die ist so international aufgestellt. Wenn die deutsche Regierung etwas verbietet, gehen die halt dorthin, wo es erlaubt ist. Das geht aber nur, weil das Geld abstrakt ist. Es ist verhängnisvoll, dass die Politik glaubhaft macht, sie könnte die Märkte regulieren. Und es wäre noch verhängnisvoller, wenn die Politiker das wirklich glauben.
Ich mache aus meinem Herzen keine Mördergrube mehr. Wenn ich Merkel und Schäuble sehe, diese für Deutschland zwei zentralen Figuren in dieser Frage, wird mir bange. Frau Merkel ist ein Verhängnis für unser Land in dieser Zeit.
Was macht sie falsch?Diese Frau hat in der DDR gelernt zu lavieren. Sie beruft sich zwar auf Ludwig Erhard und die Marktwirtschaft. Das geht aber so einfach nicht. Mit sozialer Marktwirtschaft muss man aufwachsen, das kann man sich nicht so einfach erlesen. Woher aber soll sie das wissen? Denen in Berlin sind die Maßstäbe verloren gegangen. Gerhard Schröder hat es wenigstens noch gewagt, seiner eigenen Klientel etwas zuzumuten. Aber die jetzigen Regierenden? Vielleicht zeigen sie uns aber gerade auch das praktische Beispiel für Schumpeters Unterschied zwischen gut gemeinter und guter Politik.
Wenn ich Ihnen so zuhöre, gerate ich in Untergangsstimmung? Die Banker skrupellos, die Politiker überfordert.Wir müssen die Ursache-Wirkungsfolge einhalten. Es liegt nicht an der Regierung, dass die Banken das Spiel so treiben, wie vor dem ersten Höhepunkt der Finanzkrise. Guido Westerwelle hat ja mal dieses Zitat der Dekadenz der deutschen Unterschicht geliefert. Das Zitat passte im Grundsatz, es unterstreicht nur sein fehlendes Geschichtsbewusstsein, dass er das mit dem Plebs in Verbindung brachte, und nicht mit der Elite. In Rom waren es schon die Eliten, die dekadent wurden – und heute sind es die Bankenvorstände. Und deswegen ist Besserung erstmal nicht in Sicht.
Die Analyse würde weniger apokalyptisch wirken, wenn Sie einen Ausweg wüssten…Damals bei der Sparkasse Recklinghausen, wo ich anfing, durften wir Geld der Kunden annehmen und damit Hypotheken oder Kredite gewähren. Mehr nicht. Heute schau ich auf einen Marktführer in Deutschland, der mit einem Slogan wirbt: „Leistung aus Leidenschaft“. Der funktioniert doch allenfalls noch als Satire. Welche Leistung? Und welchem Banker trauen Sie Leidenschaft zu? 80 Prozent des Geschäfts besorgt dieser Herr aus Indien mit Geschäften, die für die Volkswirtschaft überflüssig sind. Die anderen 20 Prozent sind Feigenblatt.
Damit wären wir wieder am Ausgangspunkt. Brauchen wir überhaupt Banken?Unsere Volkswirtschaft braucht die Banken mit dem Geschäft, das Sparkassen, Genossenschaftsbanken und die 20 Prozent der Geschäftsbanken ausüben, die sich mit echten Kunden befassen. Es würde reichen, die Banken auf ihre Ursprungsaufgabe zurückzuführen: Sie sollten Mediatoren sein.
Es gibt auch Geschäftsbanken, die in der Krise gute Geschäfte gemacht haben.Dann gehen wir doch mal durch, wer die großen Geschäftsbanken braucht. Wir haben vier Kundengruppen: Großkonzerne, Mittelständler, Vermögende und Privatkunden.
Die Dax-Konzerne brauchen keine Geschäftsbanken mehr, die versorgen sich ja mittlerweile selbst am Kapitalmarkt. Bleibt das Geschäft mit den Mittelständlern. Die Geschäftsbanken aber haben das abgeschafft, zentralisiert, zu weit vom Kunden weg organisiert. Hier in Münster bestimmt die Sparkasse dieses Geschäft. Das sehe ich bei jeder Kontonummer auf Rechnungen von Unternehmen. Und der wohlhabenste Teil der Gesellschaft hat sich ja von den Geschäftsbanken ohnehin verabschiedet und geht zu den Privatbankiers. Die normale Kundschaft, die hat längst gelernt, dass sie bei den Geschäftsbanken nicht willkommen ist und ist an Sparkassen und Genossen verloren.
Da bleibt nicht viel für die Geschäftsbanken. Von alleine werden sie das aber nicht einsehen. Und um sie einfach abseitig weiterarbeiten zu lassen, sind sie zu groß. Der Ausweg aus der Lage ist mit nicht klar.Ich glaube mittlerweile an den Knall. Meine Lebenserfahrung spricht dagegen, dass sich vorher etwas ändert.
Quelle:
http://www.handelsblatt.com/unternehmen/banken/das-endet-mit-dem-grossen-knall/4590890.html (Archiv-Version vom 05.10.2011)