Sarrazin: Hart aber fair?
30.08.2010 um 12:43Falls welche zu faul waren auf den Link von @Waldfreund zu klicken hier noch mal der Inhalt.
Quelle: http://www.tagesschau.de/inland/sarrazin154.html
Quelle: http://www.tagesschau.de/inland/sarrazin154.html
Wie viele Migranten haben einen Job?
Obwohl es bei den Schul- und Universitätsabschlüssen keine großen Unterschiede gibt, haben Menschen mit Migrationshintergrund einen deutlich schlechteren Zugang zum Arbeitsmarkt. 12,4 Prozent sind arbeitslos, bei den Zuwanderern aus der Türkei sind es 16,8 Prozent und bei den Zuwanderern aus dem Iran, dem Irak und Afghanistan ist jeder vierte arbeitslos - trotz hoher Bildung. Woran liegt das? Migrationsforscher Stefan Luft von der Universität Bremen sieht gegenüber tagesschau.de zwei Gründe: Zum einen werden im Ausland erzielte Schul- und Berufsabschlüsse in Deutschland nur begrenzt anerkannt, zum anderen haben bei gleicher Qualifikation Zuwanderer mit arabisch oder türkisch klingenden Namen oft schlechtere Chancen.
Wer lebt von Hartz IV?
Agentur für Arbeit (Foto: picture alliance / dpa) Großansicht des Bildes [Bildunterschrift: Türkische Frauen haben einen deutliche schlechteren Zugang zum Arbeitsmarkt. ]
4,3 Prozent der Bevölkerung leben überwiegend von Hartz IV. Bei Menschen mit Migrationshintergrund ist der Anteil etwa doppelt so hoch. Die These, dass besonders viele Zuwanderer aus der Türkei von Sozialleistungen leben, ist falsch. 8,3 Prozent beziehen Hartz IV - das sind in etwa so viele wie bei anderen Zuwanderern. Überdurchschnittlich hoch ist in dieser Bevölkerungsgruppe dagegen die Bereitschaft zum Unternehmertum.
Was leisten die Zuwanderer für die deutsche Wirtschaft?
Nach Angaben des Industrie und Handelskammertags (IHK) werden rund zehn Prozent aller Unternehmen und Betriebe in Deutschland von Ausländern geführt. In Berlin beispielsweise gibt es rund 30.000 ausländische Unternehmen, die größte Gruppe kommt aus der Türkei, gefolgt von Polen, Vietnam und Bulgarien. Jeder vierte Existenzgründer hat einen Migrationshintergrund - die meisten von ihnen stammen aus Polen oder der Türkei.
Über die Zahl der Unternehmer mit Migrationshintergrund gibt es keine Statistik. Die türkisch-deutsche Unternehmervereinigung (TDU) schätzt, dass in Deutschland etwa 100.000 türkisch-stämmige Unternehmer leben. Sie schaffen ca. 300.000 Arbeitsplätze, so der Vorsitzende der TDU, Hüsnü Özkanli gegenüber tagesschau.de. Die Branchen, in denen türkisch-stämmige Unternehmer arbeiten, sind entgegen der landläufigen Meinung stark gestreut. Neben der Gastronomie sind laut TDU viele Zuwanderer aus der Türkei als Rechtsanwälte, Ärzte oder Steuerberater tätig. Sehr stark vertreten sind türkisch-stämmige Unternehmer im Dienstleistungssektor. Von der Wirtschaftskrise waren sie weniger stark betroffen, die Zahl ihrer Insolvenzen liegt unter dem Durchschnitt.
Brauchen wir die Zuwanderer?
Ja, sagen die Arbeitgeberverbände. Sie befürchten einen steigenden Arbeits- und Fachkräftemangel und fordern deshalb einfachere Regelungen für die Zuwanderung. Ausserdem müssten die Einkommensgrenzen abgesenkt werden. Derzeit muss ein Zuwanderer aus einem Nicht-EU-Staat einen Arbeitsplatz und ein Mindestjahresgehalt von 64.000 Euro vorweisen. Und eine Arbeitserlaubnis gibt es nur, wenn der Arbeitgeber nachweisen kann, dass sich kein EU-Bürger für die Stelle finden lässt.
Schon jetzt haben gut zwei Drittel der Unternehmen in Deutschland Probleme, offene Stellen zu besetzen. Auch der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Kannegiesser, fordert die Bundesregierung deshalb zum Handeln auf. Die bürokratischen Hürden müssten gesenkt werden, und Fachkräfte aus dem Ausland bräuchten ein attraktives Arbeitsumfeld. "Da haben wir in den vergangenen Jahren viel versäumt", so Kannegiesser.
Wie steht es mit Bildungschancen für Migranten?
Schule (Foto: picture-alliance/ ZB) Großansicht des Bildes [Bildunterschrift: Die 16. Mittelschule in Leipzig fördert Kinder mit Migrationshintergrund mit zusätzlichem Unterricht "Deutsch als Fremdsprache" - noch ist das eine Ausnahme. ]
Bildung ist die Voraussetzung für die Teilhabe am Erwerbsleben. Die Bildungsabschlüsse von Zuwanderern sind in Deutschland niedriger als die der deutsch-stämmigen Bevölkerung. So verlassen 10,4 Prozent der Zuwandererkinder die Schule ohne einen Abschluss, bei den türkisch-stämmigen Schülern ist es sogar jeder Fünfte. Migrationsforscher Luft macht die zunehmende Zahl von Schulen mit extrem hohem Ausländeranteil dafür verantwortlich. "Dort fehlt es an der Motivation und Möglichkeit, die deutsche Sprache zu erlernen", so Luft. Und Sprache sei die Voraussetzung für schulische Bildung.
Bei Abitur und Fachhochschulreife sieht das Bild anders aus. 21,2 Prozent der Gesamtbevölkerung hat Abitur, bei den Menschen mit Migrationshintergrund sind es 20 Prozent. Ähnlich ist es mit den Universitätsabschlüssen: Auch hier ist der Unterschied zwischen deutsch-stämmiger Bevölkerung und Zuwanderern gering.
Sind muslimische Zuwanderer besonders bildungsfern?
Nein, im Gegenteil: Schaut man auf Länder mit hohem Anteil muslimischer Bevölkerung, so ergibt sich ein sehr differenziertes Bild. Bei der türkisch-stämmigen Bevölkerung ist der Bildungsgrad niedrig. Nur 7,8 Prozent haben Abitur. Zuwanderer aus dem Irak, Iran und Afghanistan haben eine überdurchschnittlich hohe Bildung. Jeder dritte hat Abitur. 15,2 Prozent haben einen Universitäts- oder Fachhochschulabschluss. Zum Vergleich: bei der Gesamtbevölkerung sind es nur 11,3 Prozent. Die These, muslimische Zuwanderer seien bildungsfern ist also falsch.
Migrationsforscher Luft sieht nicht den Islam, sondern die Zuwanderungsgeschichte als Ursache für die Bildungsprobleme türkisch-stämmiger Zuwanderer. "Aus der Türkei wurden gezielt ungelernte Arbeiter angeworben", so Luft. In Deutschland entscheide die soziale Herkunft über die Bildungschancen. "Und das gilt eben besonders für sozial schwache Zuwanderer".