Linksextremismus - die vergessene Gefahr
02.06.2016 um 13:52def schrieb:Ihr könntet das ja mal grob umreißen, damit ich mir als Laie ein Bild davon machen kann.Also das Problem mit der Extremismustheorie ist 1. das dieser eine unterkomplexe Beschreibung des politischen Spektrums zugrunde liegt und 2. bestimmte politische Phänomene gar nicht fassbar sind und 3. das ganze durchaus als Ausrede für bestimmte Personen herhalten darf.
Zu 1.:
Der Extremismusbegriff macht im Grunde eine Form der Hufeisentheorie auf, bei der die Mitte (Demokratie) dem Extremismus (alles andere) gegenüber steht und dieses andere sich einander dann ähnlicher sein soll, als der Demokratie. In der ursprünglichen Totalitarismustheorie wurden autoritäre Weltbilder der Demokratie (zurecht) gegenüber gestellt. Allerdings haben wir es (eigentlich immer schon) mit sehr komplexen Sammelbegriffen zu tun, wenn wir von links und rechts reden. Der Hufeisen Unsinn führt nun dazu, das als einziger sinnvoller Parameter der Gewaltgrad übrig bleibt. Das mag ja für ein Verfassungsorgan in der Praxis funktionieren (auch wenn es da zu merkwürdigen Kategorisierungen/Fehlzuschreibungen kommt), aber als sozialwissenschaftliche Theorie ist das ganz großer Käse.
Das führt dann auch zu Punkt 2 und 3. Dazu ein Auszug aus einem Artikel:
Dem von den Verfassungsschutzbehörden verwendeten Extremismusbegriff liegt das Konzept der wehrhaften oder streitbaren Demokratie zugrunde: Den Gegnern der Demokratie von rechts und links soll frühzeitig jede Möglichkeit genommen werden, unter Ausnutzung der demokratischen Rechte und Freiheiten die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik zu beseitigen. Dieses Konzept wurde in der unmittelbaren Nachkriegszeit unter dem Eindruck des Zusammenbruchs der Weimarer Republik, des nationalsozialistischen Terrorregimes und der Expansionsbestrebungen des Sowjetkommunismus entwickelt. Da die demokratische Kultur in der entstehenden Bundesrepublik noch höchst unterentwickelt war, galt damals ein effizientes Überwachungs- und Abwehrsystem gegen die vielfältigen Bedrohungen des demokratischen Rechtsstaates als unabdingbar, selbst um den Preis, dass dadurch Freiheitsrechte eingeschränkt werden.Lohnt sich auch ganz zu lesen:
Dass sich eine Demokratie vor Bestrebungen schützt, die auf ihre Beseitigung abzielen, versteht sich von selbst. Derartige Bestrebungen werden in der Verwaltungspraxis pauschal als extremistisch bezeichnet, weil sie sich – unabhängig davon, welcher Ideologie sie folgen – gegen den Kernbestand unserer Verfassung, konkret gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung des Grundgesetzes, richten. Der amtliche Extremismusbegriff zielt allerdings nicht darauf ab, die Gesellschaft abzubilden oder Rechtsextremismus oder Linksextremismus wissenschaftlich zu interpretieren.
[...]
Das Extremismuskonzept enthält zwei zweifelhafte Annahmen. Erstens: Extremismus und Demokratie bildeten eine dichotome Beziehung; ein Objekt sei entweder der Demokratie oder dem Extremismus zuzuordnen. Zweitens: Zwischen Extremismus und Demokratie bestehe eine antithetische Beziehung, Extremismus sei das inhaltliche Gegenteil von Demokratie, also Antidemokratie.
Die Alternative "Extremismus – Demokratie" ist allerdings unterkomplex und wird der Realität nicht gerecht. Nicht Schwarz-Weiß-Malerei sondern Zwischentöne führen zu soliden Erkenntnissen! Untersuchungsobjekte weisen nämlich zumeist eine vielschichtige Struktur und komplexe Merkmalskombinationen auf. So gibt es nicht nur Befürworter und Gegner der Demokratie, sondern Personen, die mehr oder weniger demokratisch bzw. mehr oder weniger (rechts- bzw. links-) extremistisch orientiert sind. Das Gegenteil von demokratisch ist auch nicht antidemokratisch. Personen, die nicht demokratisch eingestellt sind, sind nicht notwendigerweise Gegner der Demokratie. Für die Realanalyse wird eine abgestufte Begrifflichkeit benötigt, wie etwa wie folgende Skala: stark demokratisch - schwach demokratisch – undemokratisch – schwach antidemokratisch – stark antidemokratisch.
[...]
Im Extremismuskonzept bilden Rechts- und Linksextremismus die entgegengesetzten Endpunkte eines Kontinuums, dessen Zentrum die demokratische Mitte bildet. Damit besteht die Gefahr, dass Links- und Rechtsextremismus trotz der fundamentalen Unterschiede inhaltlich gleichgestellt werden (was oft, aber keineswegs immer geschieht). Insbesondere mit Blick auf den Rechtsextremismus wird bemängelt, dass er damit zu einem Außenseiterphänomen erklärt und mithin bagatellisiert wird. Tatsächlich handele es sich um ein Phänomen, das in der Mitte der Gesellschaft gedeihe. Überhaupt gäbe es in allen politischen Lagern demokratische und antidemokratische Tendenzen. Dies gelte auch für die Mitte. So hat beispielsweise der US-amerikanische Soziologe Seymour Martin Lipset den Faschismus als "Extremismus der Mitte" bezeichnet. Das Rechts-Links-Schema erlaubt also keine Aussagen über die Verteilung von demokratischen bzw. antidemokratischen Potenzialen in einer Gesellschaft.
http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/200099/kritische-anmerkungen-zur-verwendung-des-extremismuskonzepts-in-den-sozialwissenschaften