So, und jetzt mache ich etwas, was ich bisher nicht machte und auch nur deshalb, weil es wenig Sinn macht Fragen aufzuwerfen und per link zu unterstützen. Denn ich stelle fest das außer
@yo sonst niemand auf del links eingeht. Es gibt jede Menge Wissenschaftler, die das Konzept eines freien Willens auch wissenschaftlich fundiert verteidigen. Es sollte hier im Forum damit aufgehört werden, so zu tun, als wäre das festhalten an dieser Konzeption unwissenschaftlich, oder "von Gestern". Des weiteren sind meine Hinweis auf die "Hitlerei" nicht so geringschätzig einzuschätzen, wie das in einigen Beiträgen der Fall war. Auch dafür gab der link, wenn man ihn denn zur Kenntnis genommen hätte, deutliche Hinweise. Deshalb dieser Text nochmal und diesmal in voller Länge:
Der Mensch als Sklave seiner Gene?
eine Buch-Besprechung von Claudia Wach
Um den Menschen geht es. Um die Frage, welche Rolle Vererbung und Umwelt bei der Entstehung von Begabungen und sozialem Verhalten spielen. Eine viel umstrittene Frage, die nicht nur in der Wissenschaft auf großes Interesse stieß. Zudem wurde dieses Thema auch immer wieder von der Boulevardpresse mit Wohlwollen aufgegriffen. Gesellschaftliche Probleme, wie Massenarbeitslosigkeit, Kriminalität oder sexuelle Gewalt an Frauen oder Kindern, wurden hier mit Hilfe reduktionistischer Formeln auf die genetische Ausstattung des einzelnen Menschen zurückgeführt. Plötzlich war das Faulenzer-Gen für die hohe Massenarbeitslosigkeit verantwortlich, das Kriminalitäts-Gen für Verbrechen und Gewalt usw. usf.
Stellt man sich in diesem Zusammenhang die Frage, woher all dieser geistige Irrsinn stammt, so findet man in der Wissenschaft des biologischen Determinismus - auch Biologismus genannt - seine Antworten.
Das Buch von Lewontin, Steven Rose und Leon Kamin stellt sich die Frage, was man eigentlich unter biologischem Determinismus versteht und wie sich der Mensch definiert.
»Menschliches Leben und Verhalten ist eine unausweichliche Folge der Biochemie jener Zellen, aus denen das Individuum besteht, und diese Merkmale wiederum werden in spezifischer Weise von den Genen eines Individuums bestimmt. Letztlich ist das gesamte menschliche Verhalten - und damit jegliche menschliche Gesellschaft - über eine Determinationskette gesteuert, die vom Gen über das einzelne Individuum bis zur Summe des Verhaltens aller Individuen reicht.« (S. 3)
Dies hieße im Klartext: Die gesamte menschliche Natur werde durch die Gene bestimmt. Entsprechend betrachtet der biologische Determinismus Organismen aufgrund evolutionärer Prozesse als umweltangepaßt. Entsprechend wird die Entwicklung der Anpassungsfähigkeit als eine Abfolge von Modifikationen, die einem im wesentlichen passiven Objekt aufgeprägt werden, verstanden. Die Umwelt wirkt auf den Menschen ein und er ist der Anpassung auf Gedeih und Verderb ausgesetzt. Daraus wird abgeleitet, daß die menschliche Natur sich nicht ändern läßt.
Die Politik des biologischen Determinismus
Die Theorie des biologischen Determinismus stellt den Versuch dar, ein Gesamtsystem zur Erklärung der sozialen Existenz des Menschen zu bilden, auf der Grundlage zweier Prinzipien, nämlich, daß soziale Vorgänge direkte Folgen des Verhaltens von Individuen sind und individuelle Verhaltensweisen wiederum direkte Folgen angeborener physischer Merkmale. Hier wird aus der Biologie reaktionäre Politik:
»Denn wenn die Organisation der menschlichen Gesellschaft - einschließlich aller Ungleichheiten - eine direkte Folge unserer Biologie ist, dann kann keine Maßnahme - mit Ausnahme eines eugenischen Programms gigantischen Ausmaßes - eine Änderung der Gesellschaftsstruktur bewirken. Wir können kämpfen, Gesetze verabschieden, sogar Revolutionen machen - es ist alles vergeblich. Die natürlichen Unterschiede zwischen Individuen und Gruppen werden, vor dem Hintergrund biologischer Universalien menschlichen Verhaltens, am Ende all unsere Anstrengungen, die Gesellschaft neu zu gestalten, zum Scheitern verurteilen.« (S 13)
Allerdings nehmen solche Argumente nicht nur Einfluß auf die Wissenschaft, sondern auch auf soziale und politische Auseinandersetzungen. In den 70er Jahren kam es während politischer Auseinandersetzungen zum Aufschwung dieser Vorstellungen. Natürlich waren sie exakt eine Antwort auf die militanten Forderungen dieser Zeit. Das Verlangen der Schwarzen nach Gleichheit in wirtschaftlichem und sozialem Status konnte mit dieser Theorie abgewehrt werden, weil nach ihr Schwarze als biologisch minderwertig gelten. Das damalige Aufbegehren der Schwarzen war demnach nicht das Ergebnis der Ohnmacht der Besitzlosen, sondern die Folge genetischer Minderwertigkeit. Hier wird deutlich, daß jeder militanten Gruppe die Legitimation mit Hilfe des biologischen Determinismus abgesprochen werden kann:
»Der biologische Determinismus ist ein wirksames und flexibles Mittel das Opfer anzuklagen. Je mehr das Bewußtsein von Benachteiligungen zunimmt und gleichzeitig die Möglichkeit schwindet, Forderungen zu befriedigen, desto häufiger und vielgestaltiger dürfte dieses Mittel eingesetzt werden.« (S. 17)
Die drei Thesen des biologischen Determinismus:
Mit der Einführung der bürgerlichen Gesellschaft wurde die Ursache für die Ungleichheit aus der Struktur der Gesellschaft in die Natur von Individuen verlegt. Es wird behauptet, daß Ungleichheiten eine direkte und unausweichliche Konsequenz der individuellen Unterschiede eigener Verdienste und Fähigkeiten sind.
So wird erstens behauptet, daß jeder Erfolg haben und an die Spitze gelangen kann. Erfolg hängt demnach von der der Stärke bzw. Schwäche des Charakters ab. Zweitens werde Erfolg und Versagen des Charakters in den persönlichen Genen kodiert. Wobei drittens unterstellt wird, daß die Existenz biologischer Unterschiede zwischen Individuen notwendiger- und richtigerweise zur Schaffung hierarchischer Gesellschaften führen muß.
Gleichheit ist danach Gleichheit der Chancen, nicht Gleichheit der Fähigkeiten oder Gleichheit im Ergebnis. Das Leben als Wettlauf. Heutzutage starten alle zugleich, so daß die Besten gewinnen - die Besten aus biologischer Bestimmung. Indem der biologische Determinismus sich diesen Anstrich gibt, wandelt er sich zu einem legitimierten Ideal und zu einem Instrument der sozialen Kontrolle. Die gesellschaftlichen Unterschiede sind so fair wie unvermeidlich, weil sie natürlich sind.
Die Theorie, daß wir in einer Gesellschaft leben, die persönliche Leistung honoriert, stimmt jedoch in keinster Weise mit unseren alltäglichen Beobachtungen überein. Es ist offensichtlich, daß beispielsweise Eltern auf irgendeine Weise ihre soziale Macht ihren Kindern übermitteln:
»Die Söhne von Ölmagnaten haben eine Tendenz, Bankiers zu werden, während die Kinder von Ölarbeitern dazu neigen, Schulden bei Banken zu haben. Die Wahrscheinlichkeit, daß irgendeiner der Gebrüder Rockefeller sein Leben als Angestellter in einer Tankstelle von Standard Oil verbringen könnte, ist ziemlich gering.« (S. 56)
Studien über die Beschäftigungsstruktur hierzu beweisen, daß beispielsweise in den USA 71% der Söhne von Angestellten selbst wieder Angestellte sind und 62% der Söhne von Arbeitern wieder Arbeiter werden.
Die Wurzeln der Intelligenzmessung
Das Schulversagen bei Kindern aus der Arbeiterschicht ist extrem viel höher als bei Kindern von Eltern mit freien Berufen. Würde nun offenkundig zugegeben, daß dies ein Produkt der hiesigen Gesellschaft ist und diese nicht darauf angelegt ist, für wirkliche Gleichheit empfänglich zu sein, könnte dies zu Unzufriedenheit und Unruhen führen. Die Alternative ist, zu unterstellen, daß erfolgreiche Menschen endogene Verdienste aufweisen. Somit wird das erbliche Privileg einfach zur unvermeidlichen Konsequenz der ererbten Begabung erhoben. Vor allem die Intelligenz wird hierbei als endogener Verdienst verstanden.
So schrieb Cyril Burt als bekannter Zwillingsforscher 1947, daß Intelligenz in alles eingeht, was ein Kind sagt, denkt, tut und versucht, in der Schule und im späteren Leben. Demnach sei ein Kind durch den Grad seiner Intelligenz dauerhaft begrenzt.
Die These, daß Intelligenz von den Genen determiniert wird, versuchte Burt durch Studien an Zwillingspaaren oder Verwandten zu untermauern. Burt gab vor, in den 60er Jahren, 53 Zwillingspaare, die anscheinend getrennt aufwuchsen, untersucht zu haben. Seine Ergebnisse sollten beweisen, daß diese Zwillinge trotz unterschiedlicher Umwelt, sich in ihrem Lebensgang mehr als ähnelten und zwar nicht nur äußerlich. Für ihn und alle Wissenschaftler des biologischen Determinismus ein Beweis, daß nur die Gene den Menschen bestimmen. Allerdings wurde einige Jahre später bekannt, daß Burt niemals irgendwelche Zwillingspaare beobachtet oder studiert hatte, sondern alle Daten schlichtweg gefälscht waren. Trotz des offenkundigen Betrugs hatte Burt, und hat es heute noch, einen großen Einfluß auf die Wissenschaft.
Der Mensch als Sklave der Klassengesellschaft:
Aber wie gestaltet sich in Wirklichkeit die menschliche Natur. Sie zeichnet sich dadurch aus, daß es in ihr liegt, ihre eigene Geschichte zu gestalten. Dies bedeutet, daß die innerhalb einer Generation erfahrenen Grenzen der menschlichen Natur für die nächsten Generationen irrelevant sind. Zum Beispiel »die Intelligenz eines Schulkindes von heute unterscheidet sich erheblich von der eines Kindes, das vor hundert Jahren gelebt hat oder von der eines Feudalherren oder eines griechischen Sklavenhalters - sie ist auf vielerlei Weise höher. Das Maß der Intelligenz selbst ist historisch kontingent.« (S. 11)
Es ist kein menschliches Verhalten vorstellbar, das unseren Genen in einer Art und Weise eingeprägt ist, daß es nicht durch soziale Einflüsse modifiziert und geformt werden könnte. Es ist aber auch abzulehnen, den Einzelnen lediglich als passives Produkt seiner Umwelt zu betrachten. Wäre das so, gäbe es keine soziale Evolution. In jedem Augenblick ist der sich entwickelnde Geist, der ein Ergebnis der Abfolge von Erfahrungen und inneren biologischen Bedingungen ist, mit der Umgestaltung der Welt beschäftigt. Es besteht somit kein eindimensionaler Kausalzusammenhang zwischen Genen und Umwelt, sondern ein dialektisches Verhältnis: Organismus und Umwelt durchdringen einander. Alle Organismen, aber insbesondere Menschen, sind nicht einfach Ergebnisse der Umwelt, sondern auch die Ursachen ihrer Umwelt. Es sind nicht die Gene oder unsere Intelligenz, die uns eingrenzen, sondern die Klassenzugehörigkeit - und die ist nicht biologisch, sondern historisch bedingt. Wir leben hier nach den Gesetzen des Kapitalismus. Es ist der genetische Code des Kapitalismus, der uns eingrenzt. Er lautet: Es lebe die Ausbeutung auf Kosten der Lohnabhängigen, der Schwarzen, der Frauen, der Dritten Welt, der Behinderten, der Homosexuellen... usw. usf.
Die in dieser Buchbesprechung (und in diesem Buch) aufgegriffenen Fragen sind es auch, die mir die so absolut erscheinende Verneinung des "freien Willens" schon vor vielen Jahren verdächtig machte. Als ich dann im Bereich der Biologie und Erkenntnistheorie auf Maturana und Varela stieß - sie stießen natürlich auf mich - empfand ich direkt Erleichterung. Ich ahnte das moderne Wissenschaft in absehbarer Zeit Konzepte und Theorien entwerfen würde, die den Determinismus nicht verwerfen - er hat ja seine Berechtigung, aber doch in einen größeren Zusammenhang einbinden könnten.
Das auch im Bereich der neueren Pysik die Konzeption eines freien Willen noch, oder besser gesagt wieder eine Rolle spielt und keinesfalls ad acta gelegt zu werden braucht steht folgender link (Das Ding ist nun wirklich zu lang, aber gut und verständlich zu lesen)
Quantenphysik und Freier Wille
Was hat das eine mit dem anderen zu tun?
G. Heim, Aachen
28. Juni 2002
http://www-users.rwth-aachen.de/gunter.heim/HTMLarchiv/03freier_wille/freier_wille_quantenphysik.htm (Archiv-Version vom 16.06.2004)