Xuonam schrieb:
Darf eine Partei überhaupt über Gesetze entscheiden und welche Verabschieden wenn sie doch nur eine Minderheit des gesamten Volkes ist?
Dazu verweise ich mal auf den Art. 21 GG "(1) Die Parteien
wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes
mit."
Aber mal zurück zum eigentlichen Thema des Stranges.
Ich persönlich halte das Grundgesetz für keine Verfassung, auch wenn es materiell die selben staatsrechtlichen Aufgabenbereiche regelt wie eine Verfassung. Dennoch ist es das derzeit gültige Rechtsdokument der Bundesrepublik Deutschland.
Von daher bin ich der Meinung, dass eine Umsetzung des Art. 146 schon längst überfällig ist, um dadurch zu einer vom gesamten deutschen Volk als Souverän beschlossenen Verfassung zu kommen.
Das dies per Volksentscheid geschehen sollte, geht doch schon aus dem Wortlaut des Artikel selbst hervor.
Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.
http://www.documentarchiv.de/brd/1949/grundgesetz.htmlDeutschland hatte den 1945 Krieg verloren und wurde besetzt. Es fehlte eine staatliche Struktur um das öffentliche Leben zu regeln. Da die HLKO von den Besatzern in Art. 43 fordert, im besetzten Gebiet eine staatliche Ordnung herzustellen, wurden die Ministerpräsidenten der Länder von den westallierten Besatzungsmächten in den Frankfurter Dokumenten dazu aufgeordert, eine Verfassungsgebende Versammlung einzuberufen, welche eine Verfassung ausarbeiten sollte, die nach erfolgter Genehmigung dem Volk zur Ratifkation per Referendum vorgelegt werden sollte.
Daraufhin wählten die Landesparlamente und nicht das Volk, wie von den 3 Militärgouverneuren gewünscht, den Parlamentarischen Rat.
Damit allerdings fehlte dem Grundgesetz jedoch schon von Anfang an die in einer Demokratie grundlegendste Legitimationsbasis, das Ausüben von verfassungsgebender Gewalt durch den Souverän das Volk gemäß des pourvoir constitutant.
Wikipedia: Pouvoir constituantAufgrund der Teilung Deutschlands lehnte der Parlamentarische Rat es ab eine Verfassung auszuarbeiten, weil es dadurch nicht allen Deutschen möglich war daran mitzuwirken, statt dessen erschuf er eine verfassungsmäßige Rechtsordnung, welche er Grundgesetz nannte.
Da der Parlamenetarische Rat davon ausging, dass die Teilung Deutschlands nur vorübrgehend wäre, und die Möglichkeit zur Wiedervereinigung nicht durch eine westdeutsche Verfassung ausgeschlossen werden sollte, wurde dies in der Präambel mit folgenden Worten festgehalten:
"um dem staatlichen Leben für eine Übergangszeit eine neue Ordnung zu geben" und
"Es hat auch für jene Deutschen gehandelt, denen mitzuwirken versagt war" sowie
"Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden".
Damit sich dieser Auftrag auch erfüllen könne, musste dem Volk die Möglichkeit geschaffen werden, auf friedlichem Weg zu einer Verfassung zu kommen, welche von dem gesamten Deutschen Volke beschlossen worden ist.
Dafür wurde der Art. 146 in das Grundgesetz eingebracht, welcher klarstellt, dass das Grundgesetz nicht mehr gilt, wenn das gesamte Volk eine Verfassung in freier Entscheidung beschlossen hat.
Art.146:
http://www.documentarchiv.de/brd/1949/grundgesetz.htmlAus dem tatsächlichen Fehlen der verfassungsgebenden Gewalt bei der Entstehung des GG durch den Souverän das gesamte Volk, sowie der Klarstellung des provisorischen Charakters in der Präambel
für eine Übergangszeit als auch der expliziten Möglichkeit sich durch Art. 146 trotz einer geltenden fundamentalen Rechtsordnung eine Verfassung geben zu können, geht ganz klar hervor, dass das Grundgesetz nur für einen vorläufigen Zeitraum gelten sollte.
Nämlich nur bis zu dem Zeitpunkt, an dem es dem gesamten Deutschen Volk möglich sein würde, in freier Entscheidung eine Verfassung zu beschliessen.
Für den Parlamentarischen Rat war dieser Zeitpunkt zweifelsfrei der Zusammenschluß der besetzten Deutschen Gebiete oder unmittelbar danach.
Desweiteren konnte ich hier im Strang lesen, dass mit der Wahl nach der Wiedervereinigung das Grundgesetz zu einerr Verfassung geworden sein soll. Das halte ich schlichtweg für Unfug, denn
eine Wahl im Sinne der Politikwissenschaft ist ein Verfahren in Staaten, Gebietskörperschaften und Organisationen zur Bestellung einer repräsentativen Person oder mehrerer Personen als entscheidungs- oder herrschaftsausübendes Organ
und kann demgemäß gar nicht im Besitzt der verfassungsgebenden Gewalt im Sinne des pourvoir constitutant sein.
Wikipedia: WahlWikipedia: Pouvoir constituant Der territoriale Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes, machte aber die provisorische Übergangsordnung das Grundgesetz nicht schon allein deshalb zu einer Verfassung, weil sich der Geltungsbereich mit dem Beitritt auf die neuen Gebiete ausgedehnt hat. Auch hier ist zu bemängeln, dass ein Ausüben von verfassungsgebender Gewalt durch den Souverän das gesamte Volk eben
nicht vorliegt.
bpb:
Das zentrale Argument von Befürwortern der Ablösungsvariante nach Art. 146 GG war ihr Bedenken, dass nur dieser Weg die Möglichkeit einer Mitwirkung des gesamten deutschen Volkes mittels Volksentscheid öffnete. Die verfassunggebende Gewalt des Volkes werde nur dann realisiert, wenn das Volk nach vorangegangener intensiver öffentlicher Aussprache auch tatsächlich in einem Referendum "Ja" zur Verfassung gesagt habe.
Auch die Militärgouverneure forderten schon das Ausüben von verfassungsgebender Gewalt durch das Volk in den Frankfurter Dokumenten:
bpb:
Diese Verfassung war von den Militärgouverneuren zu genehmigen und "zur Ratifizierung durch ein Referendum in den beteiligten Ländern" in Kraft zu setzen.
bpb:
Das Grundgesetz war keine Verfassung
Dennoch fehlten ihm entscheidende Attribute: Das Grundgesetz war eben keine Verfassung. Und es wurde auch nicht vom Volk in einem Referendum ratifiziert.
Hier mal die Erklärungversuche der Bundeszentrale für politische Bildung wie denn das Grundgesetz doch noch zur gesamtdeutschen Verfassung geworden sein sollte:
bpb:
Wir haben uns längst daran gewöhnt, dass das Grundgesetz die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland ist.
Dass das Grundgesetz 1949 nicht vom Volk verabschiedet worden war, ist hingegen nahezu in Vergessenheit geraten.
Das Grundgesetz hat sich bereits im Laufe der Geschichte der Bundesrepublik als Verfassung gefestigt.
Durch den Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland wurde das Grundgesetz zur gesamtdeutschen Verfassung.
Das klingt für mich eher nach marginalen Floskeln zur Heranziehung einer Legitimation als nach demokratischen Grundlagen einer selbstbestimmten und in Rechtsform gebrachten Willensbekundung eines Volkes.
bpb:
Das Grundgesetz, nur für eine Übergangszeit gedacht, nämlich bis zu dem Zeitpunkt, wo, wie der ursprüngliche Artikel 146 vorschrieb, sich das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung eine neue Verfassung gibt, blieb bestehen ...
bpb:
oder aber, dem Sinn des Artikels 146 entsprechend, eine neue Verfassung
Also definitiv steht im Artikel 146 weder das Wort "
neue", "
andere",
nächste oder ein sonstiges Attribut, aus welchem hervorgehen könnte, dass das GG schon eine Verfassung sei.
Der Sinn des Art. 146 ist schlicht und ergreifend, dass das Volk auf nichtrevolutionärem Wege
"eine Verfassung" beschliessen kann mir welcher die Geltung des Grundgesetzes endet.
Durch das wiederholte Einfügen solcher Attribute und die ständige Bezeichnung als Verfassung, soll jedoch impliziert werden, dass das Grundgesetz trotz des Fehlens der entscheidenden legitimatorischen Vorrausetzung von Anfang an, schon eine Verfassung sei.
Die sich aus all dem ergebende Frage aber ist, wem nützt es, dass dem deutschen Volk immer wieder die Möglichkeit verfassungsgebende Gewalt auszuüben bei der Entscheidung über seine Verfassung verwehrt wird?