Moderate Taliban gesucht
28.07.2007 um 19:10
dies ist von dem selben kandidaten,
2005
Im Kopf des Gotteskriegers
Er istBrite, Islamist und predigt den Krieg gegen alle Ungläubigen. Ein offenes Gespräch mitdem Dschihad-Kämpfer Hassan Butt
Die jungen Männer, die den islamischenExtremismus nach Großbritannien gebracht haben, gehören fast alle zur zweiten Generationder britischen Pakistaner. Mehrfach der eigenen Identität beraubt, bot die aufgeladene,übernationale Weltanschauung des radikalen Islam ihnen etwas, mit dem sie sichidentifizieren konnten. Hassan Butt war bis vor kurzem Sprecher der Extremistengruppeal-Muhajiroun und hat junge Leute für den Kampf gegen die Koalitionstruppen inAfghanistan rekrutiert.
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Berliner IllustrirteZeitung: Sind Sie loyal gegenüber Großbritannien?
Hassan Butt: Nein, nicht imgeringsten.
Sie empfinden überhaupt keine Loyalität?
Ich empfinde fürdieses Land überhaupt nichts. Mit den Briten habe ich kein Problem, doch wenn sie jemandangreift, habe ich damit auch kein Problem.
Gegenüber wem oder was empfinden SieLoyalität?
Gegenüber Allah, gegenüber der Scharia, gegenüber Seiner Lebensform.Alles, von dem Er sagt, es sei gut, ist gut; alles, von dem Er sagt, es sei schlecht, istschlecht.
War das in Ihrem ganzen Leben so?
Nein, ich bin in einer sehrfreidenkerischen Familie aufgewachsen. Meine Eltern achteten nie darauf, daß wir beten,sie schickten uns nie in die Moschee, was für eine durchschnittliche pakistanischeFamilie sehr ungewöhnlich ist. Normalerweise wird großer Wert darauf gelegt, daß dieKinder etwas Anständiges lernen.
Wann haben Sie den Islam für sich entdeckt oderwiederentdeckt?
Als Kaschmirer bin ich von Natur aus ein Hitzkopf, und das giltauch für meine Brüder. Diese Hitzköpfigkeit führte uns auf einen zerstörerischen Weg.Viele Leute, mit denen ich aufwuchs, wandten sich Drogen zu, verstrickten sich inKriminalität und Prostitution. Ich erinnere mich noch sehr genau daran, wie ich zumersten Mal einem echten Moslem begegnete. Er erzählte mir in meiner Sprache vom Islam. Erzeigte mir, daß eine Menge Wut und Frustration in mir steckte. Und er sagte mir, ichsolle diese Energie in etwas Produktiveres lenken. Von da an begann ich, den Islam ernstzu nehmen.
Wie alt waren Sie, als Sie Ihr Leben änderten?
Ich war 17. Meinälterer Bruder ging damals aufs College. Ich besuchte das Gymnasium. Wir trafen damalsein paar Mitglieder des Hizb ut-Tahrir in einer Moschee und kamen ins Gespräch. Siezeigten uns, daß der Islam mehr ist als die Rezitation des Korans, das Beten, das Fasten,die Hadsch. Sie zeigten uns, daß der Islam eine allumfassende Lebensformist.
Haben Sie eine Arbeit?
Ich mache mehrere Sachen im kaufmännischenBereich, aber ich habe keine Stelle mit geregelten Arbeitszeiten. Immer wenn ich mich füreinen Job beworben habe, haben sie herausgefunden, welche Ansichten ich vertrete undwollten mich nicht einstellen.
Sie sollen gesagt haben, es wäre für Sie eine Ehre,Terrorist genannt zu werden. Doch ohne Zweifel kann das nicht einmal in einem islamischenKontext eine positive Charakterisierung sein.
Der islamische Ausdruck für Terrorleitet sich aus dem Wort irhab ab, und die Bezeichnung für Terrorist lautet irhabiyun.Allah verwendet dieses Wort viele Male im Koran - derjenige, der Schrecken in ihre Herzenträgt, ist ein irhabiyun. Als Angehöriger des Islam wäre ich mehr als stolz undglücklich, wenn ich diesen Titel tragen dürfte. Leider habe ich diese Stufe bisher nochnicht erreicht.
Warum nicht?
Weil ich in diesem Land festsitze. Es wäreunklug, hier militärische Operationen durchzuführen.
Warum?
Ich würde damitvielen Menschen schaden. Im Vergleich zu Amerika, wo die Moslems nicht viele Rechtehaben, ist Großbritannien ein sehr liberales Land. Wir genießen hier deutlich mehrFreiheiten als in den USA. Jetzt, da Afghanistan nicht mehr in Frage kommt, haben Moslemskaum noch einen anderen Ort, an dem sie sich sammeln können. Hier haben sie dieMöglichkeit, sich neu zu gruppieren, nachzudenken und sich zu erholen, ohne daß ihnen dieBehörden ständig im Nacken sitzen.
Bei früheren Gelegenheiten haben Sie mehrfachbewiesen, daß die britischen Sicherheitsvorkehrungen lückenhaft sind. Hat esVerbesserungen gegeben?
Es ist schon witzig, daß Sie ausgerechnet mich das fragen.Ich habe gerade das Buch "Jihad" von Gilles Kepel gelesen - um herauszufinden, ob dieseMenschen uns verstehen. Vor 100 oder 200 Jahren, konnten die Briten islamische Reiche wiedas osmanische Kalifat deshalb so schnell zerstören, weil sie unter den Moslems lebtenund sich Mühe gaben, das zu verstehen, was sie zerstören wollten. Heute ist denSicherheitskräften die Fähigkeit abhanden gekommen, zu begreifen, wie Moslems ticken.Deshalb werden sie den Krieg gegen den Terror verlieren.
Was ist in der heutigenWelt die Pflicht des Moslems?
Jeder Moslem muß dafür arbeiten, daß die Scharia alspolitische Lebensform umgesetzt wird.
Wo werden Moslems Ihrer Meinung nachangegriffen?
Überall. Wenn nicht körperlich, so doch geistig. Ihnen wird erzählt,daß ihre Lebensweise rückständig ist, ihnen wird erzählt, daß es gegen die Menschenrechteverstößt, wenn sich Frauen bedecken, ihnen wird erzählt, daß es mittelalterlich ist, wenneinem Dieb die Hand abgeschlagen wird, obwohl dies doch Allah im Korangebietet.
Im Koran ist jedes Wort heilig, und es ist ein einzigartiges Buch, weiles keinen Text gibt, der so rein ist, direkt von Gott auf den Menschen gekommen: Kann esda einen moderaten Islam geben?
Nein. Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen.Wenn man glaubt, daß der Koran das unanfechtbare Wort Allahs ist, wie kann es dann einegemäßigte Auslegung geben? Wenn es der Wille Allahs ist, müssen wir kämpfen. Für michgibt es nichts Größeres, als wenn jemand um Allahs willen tötet oder um Allahs willengetötet wird.
Warum Selbstmordattentate?
Es gibt einen wichtigenUnterschied zwischen Selbstmord und Märtyrertum. Der Selbstmord hat mit Unzufriedenheitzu tun, mit Depression. All das sind diese Menschen, auf die Sie anspielen, nicht. Sieverspüren einen Drang, bei Allah zu sein. Sie sind glücklich, wenn sie die Tatbegehen.
Wie sehen Sie Ihre persönliche Zukunft?
Wenn die Zeit kommt, werdeich eine größere Rolle zu spielen haben. Dafür werde ich dann ganz sicher vorbereitetsein.
Sie meinen Märtyrertum?
Genau. Es deprimiert mich, in diesem Landfestzusitzen, das mir innerlich so fremd ist.
Der Feind, gegen den Sie sich amEnde wenden würden, wären die USA, oder?
Ja. Vielleicht wird Amerika noch zumeinen Lebzeiten vernichtet. Aber vielleicht gibt es für mich eine vollkommen andereAufgabe.
Warum sehen Sie Ihr Wirken als etwas, das im Tod mündet?
Weil derTod für uns die nächste Stufe des Lebens bedeutet. Mit ihm beginnt das ewigeLeben.
Sie blicken dem Tod mit Freude entgegen?
Ja, absolut, solange es einanständiger Tod ist. Mich schüttelt es bei dem Gedanken an ein normales Sterben, das Alt-und Grauwerden.
Welche Konstitution braucht man als Märtyrer?
Man muß mitsich selbst im Frieden sein und diese spezielle Einsicht haben. Omar Sheikh (derAbsolvent der London School of Economics, der den Journalisten Daniel Pearl ermordete,Anm. des Verfassers) ist einer der wenigen britischen Moslems, die diese Stufe erreichthaben.
Glauben Sie, daß es in Amerika weitere Anschläge geben wird?
Aufjeden Fall. Wie es so schön heißt: Man muß dem Teufel den Kopf abschlagen. Amerika istder Kopf, Großbritannien einer seiner Arme.
Gibt es eine besonders hohe Zahl vonPakistani, die sich an dem Kampf beteiligen wollen?
In Großbritannien sind diemeisten der Leute, die ich kenne, pakistanischer Abstammung. Und sie haben wirklich dieNase voll vom britischen Lebensstil und von den britischen Normen. Sie haben aber auchdie Nase voll von der unislamischen pakistanischen Kultur und Tradition.
IhrReisepaß ist Ihnen entzogen worden, nicht war?
Die offizielle Begründung ist, daßgegen mich ermittelt wird wegen der Beteiligung an terroristischen Aktivitäten. Also kannich das Land nicht verlassen. Meinem Anwalt haben sie gesagt, sobald ich ins Auslandginge, würde ich zu einer Bedrohung für die nationale Sicherheit. Also verbieten sie mir,zu reisen, was eine Verletzung der Menschenrechte darstellt.
Haben Sie keinschlechtes Gewissen, daß Sie die Freiheiten, die Ihnen ihr Land gewährt, mißbrauchen, umihm Schaden zuzufügen?
Das muß wohl das britische Blut in mir sein. Die Britenwissen seit Jahrhunderten, wie sie die Ressourcen anderer ausnutzen. Als sie denSubkontinent besetzten, beuteten sie seine Bodenschätze aus und raubten sein Land. Sogardie Kronjuwelen der Queen bestehen aus Edelsteinen, die nicht dem Vereinigten Königreichgehören.
Eine große Frage: Wie sieht Ihre Vision einer globalen Ordnung aus? Wiewürden Sie die Welt neu gestalten?
Die großen Umbrüche werde ich wohl nicht mehrerleben. Vor 1400 Jahren gab es einen kleinen Stadtstaat namens Medina, und innerhalb vonzehn Jahren hatte der Islam sich unter dem Propheten nach Ägypten und bis nach Persienverbreitet. Ich kann keinen Grund sehen, warum das Banner des Islam nicht eines Tagesüber dem Rest der Welt, sogar über dem Weißen Haus und Downing Street Nummer 10 wehensollte.
Müssen viele Menschen dafür sterben?
Das läßt sich nichtvermeiden.
Würden Sie das Schicksal eines Märtyrers Ihren Kindernzumuten?
Meine Mutter arrangiert derzeit eine Hochzeit für mich. Die pakistanischeTradition schreibt vor, daß der Bräutigam vorher mit der Braut kein Wort wechseln darf.In meinem Fall habe ich aber Wert darauf gelegt, daß ich mit der Schwester sprechenkonnte, und ich habe Wert darauf gelegt, daß meine künftige Frau zu mir paßt. Aberselbstverständlich habe ich mich vorher nie mit ihr verabredet, bin ich mit ihr nieausgegangen.
Sind Sie überhaupt jemals mit einem Mädchen ausgegangen?
Nein,kein einziges Mal in meinem ganzen Leben. Das ist etwas, an dem ich aber auch niebesonderes Interesse hatte. Ich begann in dem Alter meine Religion zu praktizieren, indem andere Jugendliche anfangen, sich für Mädchen zu interessieren. Damals schon habe ichzu meiner Mutter gesagt: Ich brauche jemand Gleichgesinnten, eine Frau, die mindestensgenauso extrem oder extremer eingestellt ist. Erinnern Sie sich an die Geiselnahme in demMoskauer Musical-Theater? Da waren damals all diese Schwestern... als ich das imFernsehen sah, sagte ich zu meiner Mutter: Du mußt für mich eine Braut finden, die so istwie diese Frauen.
Sagen Sie mir noch eins: Warum haben Sie in dieses Intervieweingewilligt?
Anders als andere Moslems weiß ich um die Macht der Medien. Je mehrwir uns hier darstellen können, desto besser. Das gilt selbst für den Fall, daß unsereAussagen aus dem Zusammenhang gerissen, abgeändert und verzerrt dargestellt werden: Ichdenke, ein verzerrter Islam ist immer noch besser als gar kein Islam. Selbst wenn michzehn Leute kritisieren - sobald ich nur einen anspreche, der mit mir übereinstimmt, habeich mein Ziel erreicht.
Das Interview führte Aatish Taseer für das englischeMagazin "Prospect". Er lebt als freier Autor in England. Seine Vorfahren stammen ausIndien und Pakistan.
Aus der Berliner Morgenpost vom 14. August 2005