Folgt nun ein Verbot von "Killerspielen"?
07.12.2006 um 08:28
ResistantX alias Sebastian B.: Er starb aus Freiheitsliebe!
Wie ein sensiblerund intelligenter Mensch erst um sein Glück und dann um seine Motive gebracht wurde
von André F. Lichtschlag
Es ist ein kleiner deutscher 9/11, dieser 20.November. Das World Trade Center ist hier flach gebaut und heißtGeschwister-Scholl-Realschule. Glücklicherweise kam diesmal auch kein Unschuldiger umsLeben, sondern lediglich der Täter selbst. Die politischen Folgen aber sind dieselben –mehr staatliche Reglementierung und Überwachung, neue Verbote, paketweise weitereVerluste von Freiheitsrechten.
Konkret: Nachdem in den Medien verbreitet wurde,dass der Amokläufer Sebastian B. vor der Tat in seiner ehemaligen Schule auch in einemBaumarkt gearbeitet hatte, wird das Verkaufspersonal von Baufachgeschäften nun einmal inder Woche von staatlich bestellten Zwangspsychologen heimgesucht. Außerdem werden dieVerkäufer von Obi und Hornbach verbeamtet. Elektrische Farbspritzpistolen dürfenzukünftig nur noch ab 21 Jahren erworben werden. Heißschleifgeräte werden staatlichlizensiert. Und die gemeingefährlichen Handakkubohrschrauber werden verboten.
Sowäre es vielleicht gekommen, wenn notorische Baumarktfreunde nicht 70 Prozent der Wählerrepräsentieren würden. Also mussten sich die Politiker nach anderen Betätigungsfeldernumsehen. Wie praktisch, dass sich Sebastian B. hin und wieder auch gerne mit „CounterStrike“, einem Videospiel, beschäftigt haben soll. Und welch glücklicher Zufall, dass ersich Waffen im Internet gekauft hat. Außerdem ging er ja mal auf diese Schule. Was lagalso medial alarmiert politisch näher, als zukünftig regelmäßig Schulpsychologen in dieohnehin staatlichen Schulen zu schicken, bestimmte Videospiele zu verbieten, für andereeine neue staatliche Regulierungsbehörde zu schaffen, das Internet nach chinesischemVorbild stärker zu kontrollieren und das Waffengesetz einmal mehr zu verschärfen? Alldies wurde und wird von Politikern tatsächlich diskutiert und das meiste davon wird – aufSteuerzahlerkosten – auch umgesetzt.
Wie immer, wenn es um voranschreitendenFreiheitsentzug geht, saß Sabine Christiansen am Sonntagabend danach wieder in der erstenReihe und mitten im Gefecht: Politiker und „Experten“ warfen sich in besteröffentlich-rechtlicher Medientradition die nun anzustrebenden Verbote und Regulierungenum die Ohren. Die TV-Moderatorin und Journalistin Susanne Fröhlich etwa redete sich untertosendem Beifall von Publikum und Mitdiskutanten in Rage: Für Polizisten, Jäger und alleanderen müsse, so Fröhlich, ein „totales Waffenverbot“ gelten. Die ein wenig eigenwilliganmutende Begründung: „Ich weiß nicht, warum ein Normalsterblicher eine Waffe braucht!“Zwar wissen auch manche „normalsterblichen“ Zuschauer nicht, warum sie eine Fröhlichbrauchen, doch Frau Fröhlich ist kein Kind von Traurigkeit und schwingt, wo sie geradedabei ist, gleich auch auf anderem Gebiet mit ihrem Verbotshammer. Sowas kommt imDeutschland-TV immer gut an: Des weiteren sei nämlich auch ein „komplettes Verbot“ vonbestimmten Videospielen, den von ihr so bezeichneten „Killerspielen“, umzusetzen.Außerdem, so Fröhlich ganz im vorbeisitzen, säßen normalsterbliche Jugendliche zu langevor dem Fernseher und dem Computer, weshalb dies auch zu unterbinden sei. Beifall. Und umdie neuen Reglementierungen besser umsetzen zu können, sei die – folgerichtig wohlstaatliche und für alle verpflichtende – „Ganztagsschule das richtige Modell“. DassSebastian B. als Ausgangspunkt der Diskussion ausgerechnet auf eine solche Ganztagsschulegehen musste, hatte Frau Fröhlich niemand gesagt. Am Ende weiß sie aber mit Bestimmtheit,dass all diese Ganztagskontrollen den Normalsterblichen teuer zu stehen kommen undweitere Steuererhöhungen nötig machen. Fröhlich: „Es muss einem Staat klar sein, dass dasGeld kostet. Wir müssen Prioritäten setzten!“
Vor einigen Jahrzehnten noch wäreFrau Fröhlich als Neofaschistin aus der Sendung geworfen worden. Inzwischen ist derTotalitarismus in Deutschland scheibchenweise wieder eingekehrt und die Hitlers oderHonneckers, die jetzt Beckstein oder Bosbach heißen, rufen längst wieder fröhlich: „WolltIhr den totalen Staat?“. Na klar wollen die Deutschen.
Dass das Waffengesetzaufgrund ähnlicher Hysterie nach dem Amoklauf von Erfurt im Jahr 2002 bereits bis insGroteske verschäft wurde und damit Sport- und Traditionsschützen täglich mit einem Beinim Gefängnis stehen – was macht das schon? Dass sie wie Kinder um staatsbürokratischeLizenzen betteln müssen – so ist´s richtig. Und besonders praktisch ist, dass beimangelndem Wohlverhalten gegenüber dem Staat die Waffenlizenz umgehend wieder entwogenwerden kann. Dass privater Waffenbesitz – viele Amerikaner verstehen das – einelementares Freiheitsrecht ist, welches Selbstverteidigung der Opfer erst ermöglicht? Weninteressiert das in einem Land ohne Freiheitsverständnis? Verbrecher kommen immer anWaffen. Wie Junkeys an verbotene Drogen. Und die gibt es sogar im Gefängnis. Dass diedeutsche Politik die Opfer entwaffnet und das Land Stück für Stück in ein Gefängnisverwandelt – kein Grund, den Freunden Christiansens die Gefolgschaft aufzukündigen!
Die übliche Polit-Tragödie mit komödiantischen Elementen hat im Falle des Amoklaufsvon Sebastian B. nun aber auch eine tragische Seite. Denn ausgerechnet der 18-jährige ausdem Münsterland hatte all den weiteren Faschismus höchstselbst vorhergesagt, der aufseine Tat folgen musste. Mehr noch: Seine Tat Verstand er als Warnung, um genau aufdiesen sich ausbreitenden Totalitarismus aufmerksam zu machen.
Einen Tag nachseinem Amoklauf mit am Ende 27 Verletzten sollte sich Sebastian B. vor Gericht wegen„unerlaubten Waffenbesitzes“ verantworten. Die Wut vor dem Entzug seines Rechts aufWaffenbesitz motivierte ihn zur Tat. Mit einem Funken Aufrichtigkeit müssten Politiker imAnschluss an den „Fall von Emsdetten“ also eigentlich nicht die Verschärfung, sondern dieLockerung oder besser Abschaffung der Waffengesetze beschließen. Schon allein, um ähnlichmotivierte Taten in Zukunft zu verhindern. Aber geht es Politikern um die Sache? Oder umihre Allmacht?
Sebastian B. hatte in monatelanger Arbeit unzählige Erklärungenim Internet hinterlassen. Vor allem sein Abschiedsbrief legt den Finger in die von ihmgeschossene Wunde, in der sich nun Politiker und Medien im bekannt-gekonntengegenseitigen Zuspiel weiden. Der junge Amokläufer sagt im Abschiedbrief nämlich voraus:„Nach meiner Tat werden wieder irgendwelche fetten Politiker dumme Sprüche klopfen.“ Undwas die Medien betrifft: „Ich erkannte, dass die Welt wie sie mir erschien, nichtexistiert, dass sie eine Illusion war, die hauptsächlich von den Medien erzeugt wurde.“
Sebastian B. litt stark unter den zunehmenden Reglementierungen und ausuferndenVerboten. So schreibt er: „Ich habe in den 18 Jahren meines Lebens erfahren müssen, dassman nur glücklich werden kann, wenn man sich der Masse fügt, der Gesellschaft anpasst.Aber das konnte und wollte ich nicht. Ich bin frei! Niemand darf in mein Lebeneingreifen. Und tut er es doch, hat er die Konsequenzen zu tragen. Kein Politiker hat dasRecht, Gesetze zu erlassen, die mir Dinge verbieten. Kein Bulle hat das Recht, mir meineWaffe wegzunehmen, schon gar nicht während er seine am Gürtel trägt.“
SebastianB. war auf Sinnsuche: „Man muss seinem Leben einen Sinn geben, und das mache ich nicht,indem ich mich von Faschisten verarschen lasse, die mir erzählen wollen, wir leben ineiner Volksherrschaft. Nein, es gibt für mich jetzt noch eine Möglichkeit, meinem Lebeneinen Sinn zu geben. Und die werde ich nicht wie alle anderen zuvor verschwenden!Vielleicht hätte mein Leben komplett anders verlaufen können. Aber die Gesellschaft hatnunmal keinen Platz für Individualisten. Ich meine richtige Individualisten, Leute dieselbst denken. Und nicht solche ‚Ich trage ein Nietenarmband und binalternativ’-Idioten!“ Und dann: „Ich will, dass ihr erkennt, dass niemand das Recht hat,unter einem faschistischen Deckmantel aus Gesetz und Religion in fremdes Lebeneinzugreifen!“
Es scheint fast ein wenig, als habe Sebastian B. den radikalenantiphilosophischen Individualismus Max Stirners und vor allem dessen sehr speziellenHumor studiert, wenn er weiter schreibt: „Ihr habt diese Schlacht begonnen, nicht ich.Meine Handlungen sind ein Resultat eurer Welt, eine Welt, die mich nicht sein lassen willwie ich bin. Ihr habt euch über mich lustig gemacht. Dasselbe habe ich nun mit euchgetan, ich hatte nur einen ganz anderen Humor!“
Sebastian B. verstand sich nichtnur als ausgesprochener Individualist und explizit als Anarchist, er war auch ein Gegnerdes Schulzwangs, unter dem er offenbar besonders litt. Konkret schreibt er: „Ein Großteilmeiner Rache wird sich auf das Lehrpersonal richten, denn das sind Menschen, die gegenmeinen Willen in mein Leben eingegriffen haben und geholfen haben, mich dahin zu stellen,wo ich jetzt stehe: Auf dem Schlachtfeld! Diese Lehrer befinden sich so gut wie alle nochauf dieser verdammten Schule!“ Und fast wissenschaftlich fügt er über Kinder nach derZwangseinschulung hinzu: „Das Kind begibt sich auf seine perönliche Sozialisationsstreckeund wird in den darauffolgenden Jahren gezwungen, sich der Allgemeinheit, der Mehrheitanzupassen. Lehnt es dies ab, schalten sich Lehrer, Eltern und nicht zuletzt die Polizeiein. Schulpflicht ist die Schönrede von Schulzwang, denn man wird ja gezwungen, zurSchule zu gehen. Wer gezwungen wird, verliert ein Stück seiner Freiheit.“