Dankbarkeit für die cccp
12.09.2006 um 14:16
1921 Kronstadt verstehen
Vor 80 Jahren im März 1921, vier Jahre nach dererfolgreichen Machtübernahme durch die Arbeiterklasse in der russischen Oktoberrevolution1917, unterdrückte die bolschewistische Partei gewaltsam eine Erhebung in der Garnisonder baltischen Flotte in Kronstadt auf der kleinen Insel Kotlin im finnischen Meerbusen,30 Kilometer von Petrograd entfernt.
Die bolschewistische Partei hatte im Kampfgegen die konterrevolutionären Armeen der russischen und ausländischen Bourgeoisien einemehrjährige Erfahrung im Führen eines blutigen Bürgerkrieges gesammelt. Doch der Aufstandder Kronstädter Garnison war neu und anders: Es war ein Aufstand von Innen, von derArbeiterklasse, die das Sowjetregime unterstützt hatte, die die Avantgarde derOktoberrevolution gewesen war und nun Klassenforderungen aufstellte, um etlicheinakzeptable Deformationen und Verirrungen der neuen Machthaber zu korrigieren.
Die gewaltsame Niederschlagung dieses Kampfes bildete seitdem einen Bezugspunkt fürdas Verständnis der Bedeutung des revolutionären Projektes. Und heute, wo die Bourgeoisiealles daran setzt, der Arbeiterklasse zu beweisen, dass es einen unerschütterlichenZusammenhang zwischen Marx und Lenin sowie Stalin und dem Gulag gibt, um so mehr.
Wir haben nicht die Absicht, in alle historischen Details zu gehen. Frühere Artikelin der Internationalen Revue haben sich mit dem Ereignis bereits detailliert befasst.(Internationale Revue, engl./franz./span. Ausgabe, Nr. 3: „Die Lehren von Kronstadt“, undNr. 100: „Das Proletariat und der Staat in der Übergangsperiode“)
Im Gegenteil,wir wollen die Gelegenheit dieses Jubiläums wahrnehmen, um uns polemisch mit zwei Artenvon Argumenten über den Aufstand von Kronstadt auseinanderzusetzen: erstens dieanarchistische Verwendung der Ereignisse, um die autoritäre, konterrevolutionäre Naturdes Marxismus und der Parteien, die in seinem Namen agieren, zu beweisen; zweitens derGedanke, der noch immer im proletarischen Lager heute existiert, wonach dieNiederschlagung der Rebellion eine „tragische Notwendigkeit“ gewesen sei, um dieErrungenschaften des Oktobers zu verteidigen.
Die anarchistische Sichtweise
Der anarchistischen Historiker Voline schreibt: „Lenin hat von der KronstädterBewegung nichts begriffen – oder wollte vielmehr nichts begreifen. Für ihn und seinePartei ging es einzig und allein darum, die Macht zu behaupten, koste es was es wolle.(...) Als autoritäre und staatsgläubige Marxisten konnten die Bolschewiki keine Freiheitder Massen zulassen, keine Unabhängigkeit ihrer Aktion. Sie hatten überhaupt keinVertrauen in die freien Massen. Sie waren überzeugt, dass der Sturz ihrer Diktatur dasEnde des ganzen begonnenen Werkes, die Gefährdung der Revolution überhaupt bedeutenwürde, der Revolution, mit der sie ihre Diktatur verwechselten. (...) Kronstadt war dererste vollkommen unabhängige Versuch des Volkes, sich von jedem Joch zu befreien und dieSoziale Revolution zu verwirklichen: Es war ein direkter, entschlossener und kühndurchgeführter Versuch der werktätigen Massen selbst, ohne „politische Hüter“, ohne„Führer“ oder Vormund. Kronstadt war der erste Schritt zur Dritten, zur SozialenRevolution. Kronstadt fiel. Aber es tat, was es tun musste, und das ist dasEntscheidende. In dem verwirrenden und finsteren Labyrinth der Wege, die sich denrevolutionären Massen anbieten, ist Kronstadt ein strahlender Leuchtturm, der denrichtigen Weg erhellt. Dabei ist es unwichtig, dass die Aufständischen – unter denspezifischen Bedingungen – noch von einer Macht (der Sowjets) sprachen, anstatt denBegriff und die Vorstellung einer Macht für immer zu verbannen, anstatt von Koordination,Organisation und Administration zu sprechen. Dies war der letzte Tribut an dieVergangenheit. Wenn die uneingeschränkte Diskussions-, Organisations- undHandlungsfreiheit von den werktätigen Massen selbst endgültig errungen sein wird, wennder wahre Weg der unabhängigen Aktivität des Volkes beschritten sein wird, dann folgtalles übrige zwangsläufig, automatisch.“ (Voline, Der Aufstand von Kronstadt,Unrast-Verlag, Seiten 128 und 133. Originaltitel: Die unbekannte Revolution)
Fürdie Anarchisten, deren Sichtweisen Voline prägnant ausdrückt, war die Unterdrückung desKronstädter Aufstandes also die natürliche, logische Konsequenz aus den marxistischenAuffassungen der Bolschewiki. Der Substitutionismus der Partei, die Identität zwischender Diktatur des Proletariats und der Parteidiktatur und die Schaffung einesÜbergangsstaates seien Ausdruck ihrer überbordenden Gier nach Macht, Autorität über dieMassen gewesen, in die sie kein Vertrauen besessen hätten. Bolschewismus bedeutete Volinezufolge die Ersetzung der einen Form der Unterdrückung durch eine andere.