@interrobang Dass Israel die Vorgängerorganisation der Hamas gezielt als Gegengewicht zur damals treibende Kraft des pal. Terrorismus, der PLO, aufgebaut hat, ist eine Verleumdung, mehr nicht; sinistre Gestalten versteigen sich gar auf den verschwörungstheoretischen Gedanken, Israel habe die Hamas gezüchtet, um den Konflikt am Leben zu erhalten.
Dabei ist die Duldung der palästinensischen Muslimbrüder durch die Israelis untrennbar mit deren passivem Verhalten gegenüber jenem Israel verbunden, an dessen Vernichtung die Hamas seit ihrer Gründung im Zuge der I. Intifada arbeitet. Eine offensive oder gar militante Vorgehensweise gegen die Israelis gab es in den Planspielen der Muslimbrüder lange Zeit nicht, da zunächst die Bevölkerung auf den "religiösen Weg" durch Indoktrinierung (bspw. über verschiedene soziale Angebote vermittelt) zurückgebracht werden sollte. Dieser zurückhaltende Kurs, den die Mehrheit der Muslimbrüder vertrat, ist auch maßgeblich für die Eskalation der Flügelkämpfe Anfang der 1980er Jahre verantwortlich: Als nach der erfolgreichen islamistischen Revolution im Iran innerhalb der palästinensische Muslimbrüder Aktivisten darauf drängten, militärisch gegen Israel loszuschlagen, kam es zu Auseinandersetzungen, an deren Ende sich die Befürworter des Kampfes abspalteten, was die Geburtsstunde des Islamischen Dschihad markiert.
"Zwar hielt die Muslimbruderschaft an der Notwendigkeit eines Djihad zur Wiedergewinnung des Landes fest, vertrat jedoch die Ansicht, die Menschen müssten vorher 'zum Islam zurückkehren, das islamische Gesetz beachten und in Übereinstimmung mit dem Koran handeln'." Denn "zuerst (sollte) eine islamische Gesellschaft geschaffen werden, die, staatlich organisiert, imstande wäre, Palästina zurückzugewinnen." (Gerhard Höpp, 'Islam und Islamismus in der palästinensischen Nationalbewegung', Marxistische Blätter 4/01)
Das Programm schloss Gewalt aus und untersagte sie sogar explizit: Gerhard Höpp schreibt weiter, dass die Beteiligung "an den jetzt von der palästinensischen Nationalbewegung mit wachsender Militanz vorgetragenen Widerstand" quasi verboten war, denn: "Dieser sollte bekanntlich erst dann einsetzen, wenn die Gesellschaft reif für ihn, also islamisch sein würde. In der Praxis bedeutete das ein geradezu loyales Verhältnis zur Besatzungsmacht."
Dass man auf Seiten Israels keine Veranlassung sah, zu intervenieren stimmt durchaus, dass man die Vorläuferorganisationen der Hamas gezielt hochgezüchtet hat, um die PLO zu schwächen, ist ein Märchen. Freilich war es ihnen lieber, man riebe sich untereinander auf bzw. die palästinensische Jugend macht lieber mit den Muslimbrüdern Gymnastik als mit Arafat Wehrsport. Und auch eine gewisse Blauäugigkeit kann man Israel vorwerfen - aber das ist ein himmelweiter Unterschied zu gezielter Aufrüstung.
Dem steht schon entgegen, dass es Personen wie Itzhak Segev gab, der durch seine Zeit als Militärattache in Teheran (von 1977-79) aufgeschreckt, die islamistische Gefahr erkannte und auch reagierte: Nachdem 1980 ein islamistischer Lynchmob das Gazaner Büro des "Roten Halbmond" stürmte, abfackelte, von dort weiter Richtung al-Huwaidi Hotel zog, um seine Zerstörungswut an der hoteleigenen Bar und dem dazugehörigen Restaurant auszulassen um von dort zum Haus des damaligen Gazaner Leiters des "Roten Halbmond" überzugehen (wo ihnen dann die Israelis entgegneten), analysierten Segev und sein Stab das Gewaltpotenzial und die Dynamik der Bewegung als für das Sicherheitsinteresse Israels gefährlich, was ihn veranlasste, ein "Forum zur Überwachung der islamischen Erweckungsbewegung" ins Leben zu rufen.
"Von nun an betrieb Segev eine sogenannte Neutralisierungspolitik, in deren Rahmen er zum ersten Mal die verschiedenen an die Moscheen der Bruderschaft angeschlossenen Clubs durchsuchen, Bau- und Betriebsgenehmigungen der Moscheen überprüfen sowie die Freitagspredigten mithören ließ. Segev, der sich über die Bedeutung Scheich Jassins sehr wohl im klaren war, suchte diesen persönlich in seinem Haus auf und überredete ihn, sich angesichts der ständigen Verschlechterung seines Gesundheitszustands von den Israelis zu einer medizinischen Untersuchung in ein Krankenhaus nach Tel Aviv bringen zu lassen. Der Militärgouverneur spekulierte darauf, das ein solcher Krankenhausbesuch Jassin den Ruf eines Kollaborateurs einbringen könnte – doch er hatte die Rechnung ohne den Scheich gemacht. Der nämlich weigerte sich, in ein israelisches Militärfahrzeug zu steigen und setzte schließlich durch, von einem zivilen israelischen Krankenwagen nach Tel Aviv gefahren zu werden. Und als er am nächsten Tag wieder in Gaza eintraf, wurde Jassin von seinen Anhängern ohne ein einziges Wort der Kritik herzlich empfangen. Segev jedoch gab sich noch nicht geschlagen und versuchte nun durch persönliche Hausbesuche bei Jassin, die er oder seine Besatzungsoffiziere regelmäßig durchführten, den Eindruck zu erwecken, dass der Scheich enge Kontakte zu Israels Besatzungsarmee pflege – doch auch dieser Plan scheiterte. Indes liefen auch die Warnungen des Gouverneurs vor dem wachsenden Einfluss subversiver islamistischer Kräfte im Gazastreifen ins Leere; sie stießen bei der militärischen und politischen Führung Israels wohl auch deshalb auf taube Ohren, weil Segevs Zuständigkeitsgebiet im Großen und Ganzen als unproblematisch galt. Dies umso mehr, als es dort zu der Zeit nur vereinzelt Terroranschläge gab, die von linksnationalistischen Kampforganisationen verübt wurden, was die israelische Regierung seinerzeit veranlasste, im gesamten Gazastreifen lediglich ein paar hundert Soldaten zu stationieren." (Joseph Croitoru, 'Hamas – Der islamische Kampf um Palästina', S. 51-52)
Jassin wurde später von den Israelis inhaftiert, nachdem ein Einbruch seiner Männer auf einem israelischen Militärstützpunkt zur Beschaffung von Waffen die Aufmerksamkeit der zuständigen israelischen Stellen auf sich zog und sie eine Hausdurchsuchung in seinem Anwesen durchführten, worauf die Waffen gefunden wurden. Er hat – neben weiteren Verhafteten – eine mehrjährige Haftstrafe kassiert, ist aber im Zuge eines Häftlingsaustausches bereits nach elf Monaten wieder freigekommen, um die Tugendterrorbande al-Madsch ins Leben zu rufen, welche "unsittliches" Verhalten von Palästinensern bestrafen sollte und Palästinenser, denen man Kollaboration mit Israel vorwarf, ermordete. Im Dezember 1987 gründete sich dann die Hamas.