Verschwundene Atombomben
01.05.2006 um 17:13Atombombe über Bord!
Wolf-Dieter Roth 10.09.2004
"911 Broken Arrow": 32 malknapp an der Atomkatastrophe vorbei
32 Unfälle mit scharfen Atom- undWasserstoffbomben von 1950 bis 1980, bei denen sechs Bomben sogar spurlos verschwanden,sind die Folgen der amerikanischen Atomwaffenpolitik im kalten Krieg. Von in derÖffentlichkeit kaum wahr genommenen Bomberabstürzen, verschollenen U-Booten undexplodierten Atomraketen-Silos berichtet eine Dokumentation, die eigentlich ein Thrillerist.
"Broken Arrow" kennt man eigentlich nur als Film mit John Travolta(deutscher Filmtitel: Operation Broken Arrow) über eine kriminelle Entführung einesAtombombers. Eigentlich ist "Broken Arrow" beim US-Militär aber ein Codewort für jede Artnuklearer Zwischenfälle mit Atomwaffen – vom versehentlichen Öffnen des Bombenschachtsoder eine im Silo abbrennende Atomrakete bis zu einer versehentlichen Zündung einerAtombombe.
Letzteres ist bislang glücklicherweise nicht passiert.Doch die Amerikaner kamen mitunter sehr nahe dran. Der Atomfilmspezialist Peter Kuran hatsich auch diese – ausnahmsweise einmal nicht beabsichtigten – Auswirkungen der Atombombenvorgeknöpft und darüber den Film "Nuclear 911" gedreht, der auf DVD den Titel NuclearRescue 911 – Broken Arrows & Incidents bekam. 911 ist in den USA ja auch der Notruf;wegen der Verwechslungsmöglichkeit mit dem ebenfalls gerade wieder aktuellen "11.9."läuft der Film in Deutschland nun allerdings auch unter dem Titel "Codename Broken Arrow"– und zwar beginnend ab dem 11.9. (!) bis Ende des Monats an insgesamt 7 wählbarenSendeterminen auf dem Kanal "Planet".
Planet ist im Pay-TVPremiere und diversen Kabelnetzen in Deutschland, Österreich und der Schweiz zuempfangen. Der Vorteil der Fernsehausstrahlung dürfte eine deutsche Untertitelung sein,während die bislang nur englisch erhältliche nur DVD Zusatzinformationen enthält und vomSendetermin unabhängig macht.
Die "Broken Arrows" beziehen sichnur auf die Unfälle mit fertigen Atombomben – die Umweltverseuchung durch diePlutoniumherstellung oder Unfälle in Kernreaktoren sowie die Atombombentests zählen hiernicht dazu, wie sie beispielsweise im Ende der 80er erschienenen knapp 500 Seiten starken"Greenpeace-Handbuch des Atomzeitalters" aufgelistet wurden: vom rätselhaften, wohl durchdirekt am Reaktor per Hand herausgezogene Regelstäbe ausgelösten ersten tödlichenReaktorunfall im Januar 1961 in Idaho bis zum Vorfall in der amerikanischenLuftwaffenbasis Sculthorpe in Großbritannien im Oktober 1958, bei der ein StabsfeldwebelAmok lief, sich im Atomwaffenlager einschloss und sich durch Zünden einer der gelagertenAtombomben umbringen wollte – woraufhin das System eingeführt wurde, dass es mindestenszwei Personen braucht, um den "roten Knopf" zu drücken. Auch der Fehlalarm einesrussischen Atomangriffs, der 1960 beinah den Atomkrieg auslöste, sich dann jedoch als derMond entpuppte, zählt hier nicht dazu und auch nicht Unfälle mit atomgetriebenenU-Booten.
Der rote Knopf
In den Anfangsjahren des kaltenKrieges gab es ja noch keine Atomraketen; vielmehr waren Bomber 24 Stunden einsatzbereitund kreisten sogar voll beladen in der Luft. Dabei entstanden zahlreiche Unfälle durchschlechtes Wetter, Abstürze, Fehlstarts mit Bomben an Bord, durch versehentlichesAbwerfen der Bombenfracht und auch durch eine Fehllandung, die zum Abrutschen vomFlugzeugträger führte, bei dem der Bomber samt Ladung im Meer versank.
Unterseeboote waren auch nicht durch Sicherheitscodes gesichert. Die meisten Bomben –oder zumindest ihre Überreste nach der Explosion des Zünders – konnten dabei geborgenwerden, wozu teils große Flächen dekontaminiert werden mussten. Sechs Atombomben sind beiBroken Arrows allerdings komplett spurlos verschwunden.
Dererste Fall war am 11. April 1950, als eine B 29 in einem Berg bei Courtland abstürzte. Am27. Juli 1956 stürzte dagegen eine B 46 30 Kilometer nördlich von Cambridge in England inein Atomwaffenlager mit drei Mark-6-Atombomben. Zwar bestand keine Gefahr, dass dieAtomladung selbst hochging, doch enthielt jede dieser Bomben 3,6 Tonnen TNT zur Zündung,das im folgenden Brand explodieren und mit dem Bombenplutonium die Umgebung verseuchenkonnte. Nur die Anweisung des Feuerwehrleiters des Stützpunkts, den Bombenhangar mitLöschschaum zu bedecken und das brennende Flugzeug mit den darin eingeschlossenen vierMännern zu ignorieren, verhinderte die Katastrophe. Bis 1979 wurde der Vorfall jedochgeheim gehalten.
Als die UDSSR die Wasserstoffbombe hatte,waren die USA besonders alarmbereit und nervös und produzierten im nächsten Jahr alleine5 Broken Arrows. Am 22. Mai 1957 verliert ein B 36 Peacemaker, der ersteInterkontinental-Bomber, bei einer Übung eine nicht scharfe Mark-17-Wasserstoffbombe mit15 bis 20 Megatonnen Sprengkraft, als zur Landung wie damals üblich der Sicherungsstiftgezogen wird, um bei drohender Bruchlandung die Bombe vor dem Aufprall des Flugzeugsabwerfen zu können. Der Grund: Wegen einer Luftturbulenz verlor der Offizier, der geradeden Sicherungsstift gezogen hatte, das Gleichgewicht und hielt sich ausgerechnet amAuslösemechanismus fest. Die Bombe durchschlägt die geschlossene Bombenklappe, dasFlugzeug schießt 300 Meter in die Höhe wegen des geringeren Gewichts, der Sprengstoffexplodiert am Boden in Albucurque, reißt einen Krater von 3,6 mal 7,6 Metern und töteteine Kuh.
Der B 47 Stratojet war der erste Jetbomber, er warab Juni 1950 im Einsatz und hatte die meisten Atomunfälle. Am 11. März 1958 verlor beieinem Manöver kurz nach dem Start einer der B 47 in 4200 Metern Höhe seine Bombe. Diesesprengt einen 12 Meter tiefen Krater in einen Garten in South Carolina und zertrümmertdas Haus und Auto des Eigentümers. Der Plutoniumkern verdampft in der Hitze.
Eine B 29 Superfortresss hat in Kalifornien am 5. August 1960 auf einerLuftwaffenbasis einen Fehlstart, es gibt ein Feuer und 19 Tote, als 10.000 PfundZündsprengstoff explodieren. Der Knall ist 30 Meilen weit zu hören. Heute ist dieTravis-Airforce-Base nach einem der Toten, einem General benannt.
EineBullmark Abwehrrakete gegen feindliche Bomber, die dreifache Schallgeschwindigkeiterreichen kann und mit einer 10-Kilotonnen-Atombombe bestückt ist, explodiert bei einemTest in New Jersey auf der McGuire Air Force Base am 7. Juni 1960 nur neun Monate nachder In-Dienst-Stellung.
Die B 52-Stratofortress trug die meisten Atom- undWasserstoffbomben. Ab 1961 waren zwöf B 52 auf vier verschiedenen Routen 24 Stunden amTag, 365 Tage im Jahr mit Atombomben Bomben unterwegs – eine Route führte über Grönlandnach Rußland, eine über Spanien, eine über Japan und eine über Alaska. In Goldsboro inNorth Caroline bricht am 24. Januar 1961 eine B 52 auseinander, zwei Wasserstoffbombenvon 24 Megatonnen lösen sich, eine zerschellt am Boden, die andere findet sich perFallschirm gelandet in einem Baum intakt wieder. Es stellt sich dabei heraus, dass indieser fünf der sechs für die Zündung der Atomexplosion erforderlichenSicherheitsschalter beim Aufprall geschaltet hatten. Daraufhin werden mehrSicherheitsschalter eingebaut und ein Appell an die Sowjets ausgesprochen, dasselbe zutun.
In Yuba City, Kalifornien verliert am 14. März 1961 eineB 52 den Kabinenüberdruck und geht deshalb auf 3000 Meter herunter. Dabei entsteht einhöherer Spritverbrauch als in der regulären Flughöhe. Bevor ein Tankflugzeug helfen kann,ist der Sprit alle! Zwei Bomben samt Bomber werden beim Aufprall zertrümmert.
Bei schlechtem Wetter und daraus resultierenden Turbulenzen konnte das Heckteil derBomber zerfallen, so geschah es am 13. Januar 1964 in Cumberland, Maryland – die Bombenund die Piloten landeten im Schneesturm mit dem Fallschirm in einem Baum im Wald.
Einer der bekanntesten Fälle passierte in Palomares an der Küste vorSpanien am 17. Januar 1966. Das Auftanken im Flug geschah in dieser Zeit stets irgendwoin der Welt alle sechs Minuten und galt als Routine, war aber dennoch hochgefährlich:Eine von 700 KC-135 Tankmaschinen trifft die B 52 hierzu, die vier Wasserstoffbombenenthält. Sie stoßen zusammen, die Folge ist die atomare Verseuchung des Landes um dasDorf mit dem Plutonium aus zwei Bomben. 14.000 Tonnen Erde wurden in die USA gebracht,eine dritte Bombe wurde in einem trockenen Flussbett doch die vierte Bombe istverschwunden. Nach drei Monaten wird sie schließlich über eine halbe Meile unter Wasserentdeckt.
Am 21. Januar 1968 fällt bei der Landung einer B 52sieben Meilen südwestlich von Thule in Grönland die Elektronik aus und die Maschinestürzt ab. Vier Bomben an Bord explodieren, das Flugzeug durchbricht die Eisdecke, großeradioaktive Verseuchung ist die Folge. Acht Monate Aufräumarbeiten folgen, 237000Kubikfuß Schnee, Trümmer und Erde werden abgetragen. Danach wurde angeordnet, dieAtombomben von Strategic Alert Missions – den im Rahmen der ständigen Alarmbereitschaftimmer in der Luft kreisenden Maschinen – zu entfernen.
Im Frühjahr 1968 wurdedas Unterseeboot USS Scorpion mit zwei Mark 45 Atomtorpedos an Bord am 17. Mai zuletztgesehen, fünf Tage später sank es. Erst fünf Monate später wurde es zwei Meilen tiefgefunden, alle 99 Besatzungsmitglieder an Bord sind tot. Die Bomben sind verschwunden.
Die Titan II ist die größte amerikanischeInterkontinentalrakete. In Damascus, Arkansas verliert ein Monteur im Silo bei derWartung am 19. September 1980 eine Schraubennuss, die die Tankhülle durchschlägt. Nachacht Stunden vergeblichen Versuchen, die Lage unter Kontrolle zu bekommen, explodiert dieRakete. Die Folge: Ein Toter, 21 Verletzte. Der Silodeckel wird gesprengt und derAtom-Sprengkopf fliegt 200 Meter heraus.
Im Juni 1970 wirdschließlich die ARG – die Accident Response Group – gegründet und der Atomwaffenunfallgehört nun als NUWAX – NUclear Weapon Accident Excercise – mit zum Übungsprogramm desMilitärpersonals.
Auch bei den Atomtests gab es – neben der meist wesentlichweiter als erwartet reichenden Fallout-Wolke – Unfälle. So musste im Sommer 1962 imPazifik eine Thor-Rakete Minuten nach dem Start gesprengt werden, die Bombe fällt in denPazifik. Eine andere Rakete explodiert auf der Startrampe. Ohne Folgen blieb lediglicheine Atombomben-Fehlzündung im Testgelände in Nevada bei der Operation Plumbbob-Diablo am28. Juni 1957: 17 Tage später wurde der atomare Blindgänger erfolgreich gezündet.
Bild 1 Atombombe die verloren ging
Schon interessant wie man mit demschicksal der welt umgeht oder.