Neue Propheten
06.06.2006 um 21:10
RELIGIÖSE LINKE IN DEN USA (Jafrael, etwas neues ?:-)
Die Rückeroberungvon Jesus Christus
Von Sebastian Heinzel, New York
In den USA formiertsich die christliche Linke. Ihre Anführer predigen gegen Armut, Irak-Krieg undUmweltverschmutzung. Hillary Clinton und die Demokraten setzen auf die wachsendeBewegung. Endet mit Bushs Präsidentschaft auch die Ära der religiösen Rechten?
New York - "Impeach President Bush!" rief Jim Winkler vor wenigen Wochen in einenSaal voller Zuhörer in Washington, D.C. Ein Amtsenthebungsverfahren gegen George W. Bushsei die einzige richtige Reaktion auf einen "illegalen Aggressionskrieg, der mit Lügenverkauft wurde". Die Forderung ist nicht neu, interessant ist vielmehr der Fordernde: JimWinkler ist der Chef einer christlichen Lobbying-Gruppe, seine Rede, die er auf einerKonferenz des nationalen Kirchenrats hielt, war religiös motiviert: "Wenn ich spreche,ist es mein Wunsch, einen Wandel der Menschen und des Systems herbeizuführen, damit dasReich Gottes kommen kann."
Wettkampf um die religiöse Deutungshoheit
AP
Hillary Rodham Clinton: Entdeckung neuer Wähler im republikanischenTerrain.
In ganz Amerika formiert sich derzeit die "Religious Left", die religiöseLinke. Immerhin 27 Prozent der US-Bevölkerung lassen sich laut einer Studie derUniversity of Akron dieser Gruppe zuordnen. Damit ist sie zwar kleiner als die religiöseRechte (38 Prozent), aber größer als das Lager der überzeugten Säkularen (21 Prozent).Kein Monat vergeht derzeit, in dem linke Christen nicht eine große Konferenz abhieltenoder ein Buch darüber erschiene, wie man der Rechten die religiöse Deutungshoheitentreißen könnte: "Sie haben uns Jesus gestohlen", lautet der Tenor der linken Gläubigen.Viel zu lange schon dominieren ihrer Meinung nach christliche Fundamentalisten, die beiPräsident George W. Bush meist ein offenes Ohr fanden, die gesellschaftspolitischenDebatten. Statt gegen Abtreibung, Schwulenehe und Evolutionslehre zu Felde zu ziehen,trommelt die religiöse Linke lieber gegen die Armut im Land, den Krieg im Irak und dieUmweltverschmutzung. Und die Demokratische Partei, die zur Religion bisher reservierteDistanz hielt, entdeckt religiöse Wähler als Verbündete.
An der Spitze derbunten Bewegung, in der sich schwarze Kirchen, moderate Protestanten, liberale Katholikenund religiöse Friedensaktivisten tummeln, stehen Reverend Jim Wallis und Rabbi MichaelLerner. Wallis, ein prominenter linker Evangelikaler, berät PräsidentschaftskandidatinHillary Clinton in spirituellen Angelegenheiten. Sein Buch "Gottes Politik: Warum dieRechte sie falsch versteht und die Linke sie nicht versteht" wurde zum Bestseller. Lernerschmiedet schon seit 2004 Allianzen zwischen progressiven Geistlichen allerGlaubensrichtungen, auch sein Buch "Die linke Hand Gottes" findet derzeit reißendenAbsatz. "Die Rechte ist nicht mehr die einzige Stimme", sagt Jim Wallis. "Diese Ära istvorbei." Das Erscheinen der religiösen Linken auf der politischen Bildfläche ist inWirklichkeit eine Wiederauferstehung. Der Glaube spielte in der amerikanischen Geschichtebei progressiven Anliegen oft eine entscheidende Rolle, etwa bei der Abschaffung derSklaverei oder in der Bürgerrechtsbewegung mit dem betont religiösen Martin Luther Kingan der Spitze.
Doch in den vergangenen drei Jahrzehnten überließen die Politikerder säkular dominierten demokratischen Partei das Feld der Religion bereitwillig denRepublikanern - und mussten ungläubig mitansehen, wie Bush das Volk erfolgreich mitsakraler Rhetorik becircte. Die Republikaner würden die spirituellen Bedürfnisse derAmerikaner besser befriedigen, argumentiert Rabbi Michael Lerner: "DieReligionsfeindlichkeit der Linken ist einer der Hauptgründe dafür, warum sich an sichprogressive Gläubige von der Politik abwenden."
Übungen auf der religiösenKlaviatur
Nach sechs Jahren Bush haben die Demokraten langsam eingesehen, dassdie Religion nicht einfach aus der Politik verschwinden wird. Ihre größtenHoffnungsträger, allen voran die Senatoren Hillary Clinton und Barack Obama, der bereitsals erster schwarzer Präsident der USA gehandelt wird, üben bereits seit einiger Zeit aufder religiösen Klaviatur. In der jüngsten Debatte um 12 Millionen illegale Einwanderer imLand sagte Clinton zum restriktiven Gesetzesvorschlag des Repräsentantenhauses: "DieseVorlage würde buchstäblich den guten Samariter kriminalisieren, und wahrscheinlich sogarJesus selbst." Einige Kirchen hatten sich zuvor auf die Seite der Illegalen - großteilskatholische Latinos - geschlagen. Schon 2005 überraschte Hillary Clinton ihre Anhänger,als sie Abtreibung eine "traurige, ja sogar tragische Entscheidung für viele, vieleFrauen" nannte und bekannte, immer schon gebetet zu haben.
Auch in der Debatteum die Klimaerwärmung, die seit einigen Wochen in den US-Medien brodelt, wildert Clintonim Terrain der Republikaner. Vor allem evangelikale Christen sorgen sich um GottesSchöpfung: Laut einer Umfrage halten 63 Prozent von ihnen den Klimawandel für eindringendes Problem. Die Republikaner, welche die konservativen Protestanten für ihretreue Basis hielten, wurden dadurch am falschen Fuß erwischt. Schließlich hatte dieBush-Administration jahrelang Zweifel am Klimawandel geschürt. Hillary Clinton reagierteschnell und legte umgehend ein deutliches Bekenntnis zu grünen und energiesparendenTechnologien ab.
Für Aufsehen sorgt zudem die Allianz zwischen den Demokratenund einigen Kirchen im Bundesstaat Wisconsin an der kanadischen Grenze. Am 7. November,dem Tag der Kongresswahlen, stimmen die Einwohner Wisconsins über einen Verfassungszusatzgegen homosexuelle Ehen ab. Die von den Republikanern propagierte Regelung verböte aucheingetragene Lebenspartnerschaften - und das geht selbst vielen Christen zu weit. Für ein"Nein" zur Verfassungsänderung wirbt auch eine lange Reihe kirchlicher Organisationen,darunter die moderateren protestantischen Kirchen. Schon 1982 war Wisconsin der ersteamerikanische Bundesstaat, der Homosexuelle gesetzlich vor Diskriminierung schützte -nicht zuletzt, weil die Kirchen Wisconsins überwiegend auf der Seite der Schwulenstanden.
Reibungslos läuft die neue Zusammenarbeit zwischen den Demokraten undden Kirchen natürlich noch nicht. Howard Dean, der Vorsitzende der Demokratischen Partei,wagte sich zwar jüngst in die Fernsehshow des Predigers Pat Robertson. Doch eine seinerAussagen stieß viele Zuseher vor den Kopf: Demokraten hätten "mit der christlichenGemeinschaft sehr viel gemeinsam", sagte Dean - und zog damit ungewollt eine Trennliniezwischen Christen und Demokraten.
Doch weitere Annäherungsversuchedemokratischer Politiker sind vorprogrammiert: "Ich garantiere, dass jeder Demokrat, derzu den Wahlen 2006 oder 2008 antritt, die Bibel zitieren und über sein jüngstesKirchenerlebnis reden wird", sagt Rabbi Michael Lerner.
Gruss ...