Neue Propheten
23.05.2006 um 13:59
Längst war Ludwigs Mätresse klar geworden, dass eigentlich nicht sie, sondernSaint-Germain die Fäden des Gespräches steuerte, was sie zunehmend verärgerte. Wie, umihre Ratlosigkeit noch zu erhöhen, gab ihr der Graf in provokanter Weise zu verstehen:'Bisweilen, Madame, erlaube ich mir durchaus den Spaß, die Leute zwar nicht glauben zumachen, jedoch glauben zu lassen, dass ich bereits in den ältesten Zeiten gelebt habe...''Und doch weigern Sie sich standhaft, mir Ihr wirkliches Alter zu nennen', schmollte dieschöne Frau. 'Andererseits aber geben Sie sich gerne für sehr alt aus. Jedenfallsbehauptet das auch die mir bekannte Gräfin von Gergy. Sie war vor gut fünfzig JahrenBotschafterin in Venedig und will Ihnen dort begegnet sein. Damals, so erzählte sie mirkürzlich, hätten Sie genauso ausgesehen wie heute. Wie erklären Sie sich das?'Saint-Germain zögerte keinen Augenblick mit der Antwort. Scheinbar unbeirrt von diesemoffensichtlichen Widerspruch meinte er zustimmend: 'Sie haben recht, Madame. Ich habe dieGräfin von Gergy tatsächlich vor langer Zeit in Venedig persönlich kennen gelernt.' DiePompadour schüttelt verständnislos ihren Kopf: 'Aber dann müssten Sie ja, nach meinerEinschätzung, weit über hundert Jahre alt sein?!' Saint-Germain blieb ungerührt.Schmunzelnd meinte er nur: 'Das scheint mir nicht unmöglich zu sein aber wie ich gernegestehe, scheint es doch weit wahrscheinlicher, dass die verehrte Dame Unsinnigesvermutet und sich geirrt haben könnte.' Madame de Pompadour ließ nicht mehr locker.
Jetzt war sie bei ihrem eigentlichen Thema. Ungeachtet der ungeklärten Altersfragehob sie neuerlich an: 'Aber die Gräfin Gergy erzählte mir auch etwas von einem Elixier,das Sie besäßen, und das Sie ihr damals verehrt hätten. Dieses Elixier sei, so gestandsie mir ein, von wunderbarer Wirkung gewesen und hätte sie, nachdem sie es konsumierthatte, lange Zeit aussehen lassen, als wäre sie nicht älter als vierundzwanzig Jahre...'Das nunmehrige Schweigen ihres Gastes deutete die Pompadour als Bestätigung des Berichtesder Gräfin. Deshalb setzte sie fort: 'Warum verehren Sie nicht auch dem König eineKostprobe Ihres verjüngenden Elixiers?' Der Graf machte ein bekümmertes Gesicht. 'Ach,Madame', meinte er abwehrend, 'wenn ich mich von Ihnen überreden ließe, dem RegentenFrankreichs eine mir unbekannte Arznei zu überlassen, dann müsste ich ja lebensmüde oderwahnsinnig sein.' Aber Saint-Germains Gastgeberin ließ nun nicht mehr locker, undschließlich gelang es ihr, des Elixiers teilhaftig zu werden.
Der Grafüberreichte ihr ein Kristallfläschchen mit einer köstlich duftenden rosafarbenenFlüssigkeit. 'Zwei Tropfen täglich genügen, teure Marquise', schmeichelte ihrSaint-Germain mit gekonntem Charme. 'So werdet Ihr Eure jugendliche Schönheitbeibehalten.' Gierig nach Schätzen Was für Madame de Pompadour das 'Lebenselixier'Saint-Germains gewesen war, bedeutete für ihren königlichen Liebhaber die unstillbareSehnsucht nach Reichtum und Macht. Ludwig XV. hatte, nachdem der Graf seiner Mätresse dieAufwartung gemacht hatte, auch von dem Gerücht vernommen, der aristokratische Besuchersei als hervorragender Alchimist ebenso imstande, nach Belieben jede Menge vonEdelsteinen herzustellen. Das ermunterte Frankreichs Herrscher, diesen (im Volksmundlängst als 'Wundermann' hoch gelobten) Alleskönner gleichfalls zur Audienz nachVersailles zu bitten, um sich diese Kunstfertigkeit von dem Betreffenden selbstpersönlich bestätigen zu lassen.
Saint-Germain wußte von Ludwigs Gier nachSchätzen und gedachte, diese Chance für sich zu nutzen. Als er vor dem König erschien,und dieser ihm, scheinbar großzügig, auf Anhieb eine pompöse Behausung sowie festen Soldfür dessen Entgegenkommen in Aussicht stellte, ihm bei der Vermehrung seines Vermögensbehilflich zu sein, wies der Graf Ludwigs Ansinnen mit großer Geste zurück: 'Ich braucheweder Schloss noch Sold', beschied er seinem verblüfften Gastgeber 'denn ich bringealles, was ich für meine Tätigkeit zu Gunsten Eurer Majestät benötige, selber mit: eineSchar Dienstboten und genügend Geld, um mir selbst ein Haus zu mieten.' Bei diesengroßsprecherisch klingenden Worten griff Saint-Germain gleichzeitig in seine kunstvollbestickte Tasche, um daraus im nächsten Augenblick eine Handvoll ungefasster Brillantenhervorzuholen und, wie beiläufig, auf das Ziertischchen in dem luxuriös ausgestattetenEmpfangsraum in Versailles zu streuen. 'Hier sind einige Diamanten, die ich mir nunmehrgestatte, Eurer Majestät zum Geschenk zu machen. Ich habe sie eigenhändig hergestellt.'Ludwigs Ehrengast hatte den Charakter seines Audienzgebers richtig eingeschätzt. In denAugen Ludwigs glitzerte die Habgier, und er zögerte keinen Augenblick, Saint-GermainsEinstandsgeschenk 'großzügig' anzunehmen.
Der Graf hatte sich damit am Hofe desKönigs sowohl bei diesem als auch bei dessen bevorzugter 'Nebenfrau', Madame dePompadour, mit den richtigen Gaben eingestellt. In der Folge avancierte er zum Ärger dorttätiger anderer hochgestellter Persönlichkeiten, etwa des Außenministers Herzog vonChoiseul, der später auch gegen ihn integrierte zum unentbehrlichen Günstling bzw.Geheimkurier der französischen Krone. Saint-Germain war danach fast ständig kreuz undquer in Europa unterwegs und leistete als befähigter Diplomat Ludwig XV. und derPompadour gute Dienste. Ein ungewöhnlicher Briefwechsel Einer, der im Frankreich des 18.Jahrhunderts ebenfalls hohes Ansehen in den adeligen Kreisen genoss, war der Dichter undPhilosoph Frantois Marie Arouet besser bekannt unter seinem Künstlernamen Voltaire.
Auch dieser kluge Mann machte bald die persönliche Bekanntschaft des Grafen vonSaint-Germain und stand mit diesem in späterer Folge in intensivem Briefwechsel. Leiderist uns aus dieser Korrespondenz nur ein einziges Schreiben nämlich das vermutlichletzte, das Voltaire an seinen gräflichen Freund adressiert hatte erhalten geblieben.Doch dieses allein ist schon wert, näher in Augenschein genommen zu werden. VoltairesBrief stammt vom 6. Juni 1761 und stellt unzweideutig die Reaktion des Dichters auf einvorausgegangenes Schreiben Saint-Germains dar. Was die Zeilen so brisant macht, diedamals an den Grafen gerichtet worden waren, ist der Umstand, dass jener dem mit ihmbefreundeten Philosophen gewisse Prophezeiungen offen legte, die eine noch weit in derZukunft liegende Zeit betrafen, von der der Graf von Saint-Germain eigentlich noch nichtswissen konnte. Es sei denn, er hätte auf irgendeine Weise die Möglichkeit wahrzunehmengewusst, kommende Ereignisse vorauszusehen. Oder vielleicht sogar aus eigener Ansichtpersönlich mitzuerleben! 'Ich beantworte Ihren Brief, Monsieur, den Sie mir im Aprilgeschrieben haben, worin Sie schreckliche Geheimnisse offenbaren, einschließlich desschlimmsten aller Geheimnisse, das es für einen alten Mann wie mich geben kann: dieStunde des Todes. Danke, Germain, Ihre lange Reise durch die Zeit wird von meinerFreundschaft für Sie erhellt werden, bis zum Moment, wenn sich Ihre Offenbarungen um dieMitte des 20. Jahrhunderts erfüllen werden.'
Drei Hinweise lassen uns nunhierbei aufhorchen: Jener auf die offensichtlich prognostizierte Todesstunde Voltaires,von der Saint-Germain anscheinend wusste und sie dem Dichterfreund mitgeteilt hatte. DieAndeutung Voltaires, wonach Saint-Germain eine 'lange Reise durch die Zeit' getätigt zuhaben schien, und schließlich des Philosophen Bestätigung gewisser 'Offenbarungen' seinesadeligen Briefpartners, die sich angeblich um 'die Mitte des 20. Jahrhunderts' (also etwain den fünfziger Jahren) erfüllen würden. Worum es sich dabei konkret gehandelt habendürfte, geht aus den Andeutungen Voltaires leider nicht hervor, doch erwähnt er zum Endeseines Schreibens zwei Errungenschaften, an welche zu seiner Zeit, Mitte des 18.Jahrhunderts, nicht einmal im Traum zu denken war. Heißt es doch in dem bewussten Briefganz eindeutig: 'Die sprechenden Bilder sind ein Geschenk für die mir noch verbleibendeZeit, darüber hinaus könnte doch Euer wunderbares mechanisches Fluggerät Euch zu mirzurückführen...' Mit 'Adieu, mein Freund' und der Unterschrift des Schreibers: 'Voltaire,Edelmann des Königs', schließt jener sonderbare Brief des französischen Dichterfürsten anden Grafen von Saint-Germain.
Welche Möglichkeiten standen Letzterem zurVerfügung, um derartige, inzwischen tatsächlich eingetretene Entwicklungen im technischenFortschritt der Menschheit vorhersehen zu können? Besaß der Graf mediale Einblicke in diegeheimnisvolle 'Akasha-Chronik'? Jenes rätselhafte Gebilde, das in legendärerÜberlieferung aus dem indischen Raum angeblich unseren Planeten unsichtbar umgeben sollund, gleich einem Videoband oder hochentwickelten Computer, in der Lage ist, alle Energie(somit sämtliche Geschehnisse, die es auf dieser Welt jemals gegeben hat und noch gebenwird) aufzufangen und bis auf Abruf in sich zu 'speichern' bzw. aufzuzeichnen?