Köhler schlägt Grundeinkommen vor
26.11.2007 um 14:25
Prof. Götz W. Werner Karlsruhe/Nürnberg, 23. November 2007
unternimm-die-zukunft.de
bedingungsloses Grundeinkommen und Konsumsteuer
Offener Brief
Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Parteitags von Bündnis 90/Die Grünen, Reinhard Bütikofer hat in seinem gerade erschienenen Interview in der Frankfurter Rundschau das Konzept des „bedingungslosen Grundeinkommens“ als „offen unsozial“ bezeichnet. Ich möchte Sie bitten, gegen die polemischen und letztendlich undurchdachten Äußerungen Ihres Bundesvorsitzenden, den Sie auf Ihrer Website als „Grünenchef“ bezeichnen, zu intervenieren, und sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen auszusprechen, obwohl Bütikofer diese Forderung als unsachlich diffamiert.
Ich habe in den vergangenen Monaten Hunderte von Menschen kennengelernt, die sich als Grüne definieren oder mit Ihrer Partei sympathisieren. Menschen, die sich zur Parteibasis zählen und die ihre Parteispitze nicht mehr verstehen. Diesen Mitgliedern geht es dabei ähnlich wie den Mitgliedern von CDU, SPD und FDP, weil auch in diesen Parteien die Meinung der Basis von der der „Spitze“ abweicht. Die politischen Eliten sperren sich mit aller Macht gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen, selbst wenn sie einen „sozialen Aufbruch“ fordern wie Bütikofer. Warum? Weil mit einem bedingungslosen Grundeinkommen für die Topentscheider in allen Parteien ein schwerwiegender Machtverlust einhergeht. Noch konkreter: Der Verlust an Deutungs- und Entscheidungsmacht zur Frage, wer Zuwendungen vom Staat erhalten darf und wer nicht.
Wenn Bütikofer unterstellt, dass das Grundeinkommen eine Teilhabe ausschließt, dann irrt er sich gewaltig. Das Grundeinkommen, dass stets substitutiv zum Einkommen und anderen Zuwendungen des Staates ist, ermöglicht erst die Teilhabe aller. Ein Grundeinkommen ist ebenso mit dem Ausbau des Bildungssystems, der Betreuungsplätze und der Pflegeeinrichtungen verbunden wie Bütikofers Vorschlag einer Grundsicherung. Seine „Bedarfsorientierung“ erfordert aber eine Bedarfsprüfung wie bei Hartz IV – und diese bremst und behindert Eigeninitiative, anstatt diese durch eine Teilhabe am Volksvermögen zu ermöglichen, die Voraussetzung für eine aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ist.
Äußerungen wie die Bütikofers sind ein Diffamierungsversuch gegenüber Millionen von Mitbürgern.
Denn wie die Haltung von Spitzenpolitikern anderer Parteien offenbart seine Haltung zwei Menschenbilder: Das Bild der Anderen, die nicht aus eigenem Antrieb ihren Beitrag zum Wohlstand der Gemeinschaft leisten wollen, und ein Selbstbild (und Elitenbild), das Eigeninitiative, Selbst- und Fremdverantwortung als Charaktereigenschaft für sich beansprucht.
Letztendlich offenbart sich diese Gesinnung erkennbar, wenn auch nicht so deutlich wie bei Oswald Metzger, der „Sozialhilfeempfängern“ unterstellt, ihren Lebenssinn darin zu sehen, „Kohlenhydrate oder Alkohol in sich hineinzustopfen“. Das ist menschenverachtend und zutiefst verletzend.
Ähnlich wie Metzger „Sozialhilfeempfänger“ sieht, sehen die Parteieliten ganz offenbar viele Bürger, insbesondere die Menschen, die auf staatliche Zuwendungen (Hartz IV) angewiesen sind. Diese erhalten allerdings gar keine Zuwendungen von der Politik. Sie erhalten die über Steuern gesteuerten Zuwendungen der anderen Bürger, die einen Teil ihrer Einnahmen nicht für die eigene Haushaltskasse, sondern für die öffentlichen, gemeinschaftlichen Haushalte bereitstellen (müssen bzw. wollen).
Die Politik gibt nichts, sie verteilt lediglich. Die Politiker, auch die Parteispitzen geben nichts, sondern sie haben eine Ermächtigung seitens der Bürger zur Verwaltung der öffentlichen Haushalte.
Sie sind stets Beauftragte der Bürger (und oft indirekt gewählt durch ihre Parteibasis)
und keinesfalls Herrscher von Gottes Gnaden. Auch Bütikofer nicht; er und Metzger sind keine besseren Menschen als Hartz-IV-Empfänger.
An der Unfehlbarkeit der politischen Führung bestehen zu Recht mehr und mehr Zweifel. Dies zeigt eindringlich und überzeugend der gerade veröffentlichte Kinderreport 2007 des Kinderhilfswerkes, wonach mittlerweile 2,5 Millionen Kinder in Deutschland unterhalb der Armutsgrenze leben. Fast sechs Millionen Kinder, also ein Drittel, leben in Haushalten, die über ein
Jahreseinkommen von 15.300 Euro oder weniger verfügen.
Angesichts solcher Zahlen erscheint die Sorge des Parteichefs Bütikofer, ein Grundeinkommen auch an einige Bürger auszuzahlen, die das nach seiner Ansicht nicht nötig haben, kleinkariert.
Und er vergisst dabei, dass wir als Bürger (oder – nach seiner Denkart – die Politik) bereits heute jedem Bürger einen Steuerfreibetrag gewähren, der in seiner Höhe dem von mir geforderten Kulturminimum von rund 850 Euro entspricht.
Bütikofer ignoriert auch, dass er, wie zahlreiche Mitglieder der neuerdings so genannten „Oberschicht“, durch den Besuch kultureller Einrichtungen wie Opern- und Konzerthäuser, Museen, Sportarenen, bei denen jeder Besuch mit zumeist weit mehr als 100 Euro pro Veranstaltung subventioniert wird, das Kulturminimum für sich wie für den Rest der „Oberschicht“ sehr wohl beansprucht.
Rechnerisch erhält jedes Mitglied der „Oberschicht“ eine größere Alimentation durch die öffentlichen Haushalte als ein Hartz-IV-Empfänger. Das ist der eigentliche Skandal; das ist „offen unsozial“ und das wäre es wert, beim Parteitag der Grünen in Nürnberg thematisiert zu werden.
In der Hoffnung, dass die Parteielite aus den Fehlern der Vergangenheit lernt und die Basis ihre Kraft zur Vorausschau entfalten kann, grüßt Sie
Götz W. Werner
Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens
Inhaber des Lehrstuhls für Entrepreneurship in Karlsruhe
Geschäftsführender Gesellschafter dm-drogerie markt
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