Gnostische Gotteserkenntnis
28.03.2006 um 17:35
Im weiteren geht der Verfasser auf die Psychologie Hitlers ein, der seine Mutter als eineFrau erlebt haben muß, die ihre Liebe im eben beschriebenen Sinn pflichtgemäß erfüllteund, wie Hitler selbst schrieb, uns Kindern in ewig glei-cher liebevoller Sorge zugetanwar. [Hitler, Mein Kampf, S.2] Sie wollte ihre Haßgefühle nicht haben, die sie dennochhatte, zeigte sie jedoch nicht, sondern überdeckte sie mit einer sanft lächeln-den Maskeund bemühte sich um Liebe, so der Autor. Man belügt aber sich selbst und andere, wenn manglaubt, daß solche Mühe je fruchten werde; Liebe ist vielmehr wie ein Geschenk. Werseine negativen Gefühle ablehnt und statt dessen Liebe erzwingen will, wird sich dahernie mehr als eine Liebes-Larve überziehen. Er wird zum Liebes-Heuchler und sitzt damiteiner zweiten großen Lüge auf: nämlich der, daß dies niemand merke. Vordergründig mag einaufgesetztes Gesicht freundlich und liebevoll wirken. Hintergründig, im Unbewußten, spürtein jeder den Unter-schied zwischen einem versteinerten und einem weichen Lächeln,zwischen einem süßen und einem warmen Tonfall. Und genau in diesem Unterschied vonvordergründiger und hintergründiger Sensi-bilität liegt das Fatale. Man spürt dann dieaufgesetzte Liebe als Irreführung oder auch nur als Unbehagen und weiß doch nicht,woher es rührt und was dagegen tun. (S.190) So etwas muß für Kinder zur Katastrophewerden, denn wenn ihnen stets dasselbe süßlächelnde Gesicht entgegen-grinst, werden sienie wissen, ob sie geliebt und angenommen oder gehaßt und abgelehnt werden, denn aufalles erfahren sie die immer gleichen Reaktionen. So werden Kinder unfähig zur Liebe. Wiralle, so S., seien mehr oder weniger im Morast solcher Heuchelliebe groß geworden. Hitlersei in ihm versunken. Doch kann viel Anerkennung und Liebe in ehrlichem Haß stecken, dennein jeder spürt unbewußt, daß man jemandem etwas wert sein muß, um mit erzürnten Augenbeschimpft zu werden. Eine solche Liebe aber hat Hitler nie erfahren. Der Tod seinerMutter war für ihn die Kata-strophe schlechthin, denn seiner erste und letzteLiebesbeziehung war zerstört. Nie mehr würde sich eine solche einstellen, dessen seisich Hitler sicher gewesen, denn Liebe zu geben bzw. ihre Signale zu verstehen, hatte ernie gelernt. Frauen erschienen ihm später wie Wachspuppen, denen man(n) seinen Stempelaufzudrücken hatte, Menschen als Material, das es zu kneten galt. Hart sein, nichts sichselbst überlassen, nie sich gehenlassen war daher seine Haltung. Sein Verhältnis zuFrauen war von Angst und Unfähigkeit zu menschlicher Nähe geprägt. Die bestehende Weltwar ihm tot und vergiftet, er war blind und taub für die Sprache des Emotionalen, allesan ihm war Krampf oder Pose, aber nichts echt. Die Angst, die aus solchem Weltverständnisspricht, ist die Angst Schizoider. Schizoide Menschen fühlen sich aus sozialen Bezügenausgegrenzt, einsam und weltverloren. Hitlers wie Manis Liebe zur Mutter muß eine hilflosausgelieferte, angstvoll klam-mernde gewesen sein. Daraus spricht der manichäischeGeburtsmythos, auf den S. im zweiten Unterkapitel Diagnose zu sprechen kommt. Hier wirdaus dem ursprünglich vorgnostischen Ein-tritt ins morgendliche Gold ein Sturz in dieFinsternis, ein Nicht-Eintreten-Wollen in diese Welt. Das frühere polar-zyklischeWeltbild, aus dem kindliche Geborgenheit und Weltbejahung spricht, wurde ab dem erstenvorchristlichen Jahrtausend vom Osten des indogermanischen Sprachraums ausgehend voneinem dualistisch-linearen Weltbild abgelöst. Doch der neue Mythos widersprach derTagwirklichkeit, dem Erleben der Welt, wie sie war und war somit Ausdruck einerKommuni-kationsstörung zwischen Bewußtem und Unbewußtem. Aufgrund ihrer schizoidenBefindlichkeit waren die Manichäer nicht in der Lage, ihre grausamen Visionen alstraumgrammatisch zu deuten. Ihre Mythen versprachen weltverlorenen Menschen jedoch einentiefen Lebenssinn. Weil ihre Visionen aber sosehr mit der empirischen Realitätkollidierten, mußten sie esoterisch immunisiert werden mit dem Hinweis, daß eben nichtallen Menschen die Gnosis zukam. S. stellt hier die Frage, was es für ein Kind bedeutet,wenn ihm durch Worte, Miene usw. stets vermittelt wird, die gesamte sinnliche Welt seiIllusion? Die gesamte Kindwelt wird so erstickt.
S. versucht im dritten undletz-ten Unterkapitel einen therapeutischen Ansatz mit dem Ziel einer Versöhnung vonLicht und Fin-sternis. Eine solche Versöhnung sei bereits im Gange, Pulsschläge derwieder auferstehenden Gro-ßen Mutter spürbar. Dies macht der Autor an den Projekten einerPluralisierung von Gesellschaft, Staat und Wirtschaft (18. Jh.), an der mythischenRücktransformation (19. Jh.) und der konkreten Autismus-Therapie (20. Jh.) fest.Pluralisierung verhindere die Einseitigkeit politischer Entschei-dungen und seitMontesquieu ist diese auch langsam in Gesellschaft und Staat (Gewaltenteilung)eingezogen. S. ist aufgefallen, daß Staaten, in denen einseitig das Licht geheiligtwerde, zum Tota-litarismus tendieren (z.B. der Staat Echnatons, das Römische Reich,Sonnenkönigreich Ludwig XIV., der NS-Staat, marxistische Staaten). Lediglich imWirtschaftsleben sei das Prinzip der Gewaltenteilung noch nicht eingezogen, Unternehmenwerden noch immer wie Diktaturen geführt, und in der Reklame werde der Krieg gegen dieFinsternis weitergeführt. In der Werbung wird gelächelt, musiziert und gereimt.Kuschelige Küken, Kinderpopos, straffe Mädchenbrüste und geil-rote Lippen strahlen da ausdem Bildschirm; desgleichen Margarine-Inseln, schöner noch als Atlan-tis selbst. Kinderspielen da auf Grünen Wiesen... Hier wird die Welt der Finsternis gereizt, gelockt,gekitzelt und verwirrt. Denn alle diese Träume enden mit Zahnpasta, Gummibären,Wegwerfwin-deln... Es ist, wie wenn eine Mutter Mal für Mal lächelnd und Wärmeversprechend auf ihr Kind zugehen, sich aber, sobald es reagiert, in eine Münzeverwandeln würde. Nimmt es wunder, daß, wo solche Kriege geführt werden, auch diekosmische Finsternis, die Erde, mißhandelt wird ? (S.239) Mit mythischerRücktransformation meint der Verfasser die Wiederkehr der verdrängten Welt desUnbewußten, Triebhaften, Emotionalen und Erotischen, die ansatzweise David Hume und nachihm vor allem Arthur Schopenhauer leistete. Er attackierte die damals gängigen linearenGeschichtsmodelle und Lichtstaat-Utopien, insbesondere die Weltgeistidee Hegels. ZurAutismus-Therapie benennt S. Ludwig Wittgenstein. Dessen Frühwerk, der Tractatus, lesesich als eine quasi-autistische Logiksprache, von der er sich aber in seinenPhilosophischen Untersuchungen löse. Hierin begibt er, Wittgenstein, sich mit Hilfe vonAphorismen und Mantras in die Welt der Kinder, um von dort aus gleichsam wie mitAtemtechniken und Wehen einleitend dem Sinnlichen zu einer Neugeburt zu verhelfen. DerAutor bezeichnet die Möglichkeiten des Sinnlichen, Mimi-schen und Emotionalen alsgedemütigte und verwirrte Kinder, denen ans Licht des Lebens zu ver-helfen sei. Hierinkönne man von den Techniken der Hebammen viel lernen.
Insgesamt besticht das Werkdurch seine zahlreichen Ausflüge, Exkurse sowie Querverweise in verschiedeneNachbarwissenschaften (auf die nicht alle eingegangen werden konnte), um so dieNebenstränge gnostischen Denkens und Fühlens aufzuspüren. Insbesondere dietherapeutischen Ansätze, die der Verfasser vorlegt, verdienen es, beachtet zu werden,weshalb das Buch nicht nur von Religionswissenschaftlern und Philosophen, sondern auchvon Pädogegen gelesen sein sollte.
H. NIELEN