Realo schrieb:Ich weiß nicht, was du beruflich machst, aber wenn ich dich so lese, glaube ich du bist Anwalt.
Nicht ganz.
Realo schrieb:[...]Auch so weit gehe ich noch mit dir.
Na, immerhin. Dann dürfte immerhin das Grundprinzip meiner Argumentation nicht ganz so fremd erscheinen, würde ich meinen. Naja, oder eben doch.
Realo schrieb:In der Frage der Flüchtlingspolitik betreten wir aber (nicht erst seit heute,. sondern eigentlich schon seit Jahrzehnten, aber zunehmend von einem großen Teil der Bevölkerung als kritisch bis nicht hinnehmbar empfunden) einen neuen Bereich, in dem nicht Gesetze, sondern gesellschaftliche und staatliche Grundlagen zur Disposition gestellt werden. Hier geht es nicht um Gesetze, sondern um das Fundament unseres Staatswesens und die Staatsform, die wir Rechtsstaatlichkeit und Demokratie nennen, die auf dem Prüfstand steht.
Das kling etwas dramatisiert. Anders: Manche wollen an Staatswesen und Staatsform rütteln - aber das ist nichts neues. Sehr wohl geht es um Gesetze, denn sie regeln nun mal viele Dinge. Wieso stehen sogleich Rechtsstaatlichkeit oder Demokratie auf dem Prüfstand, weil man beispielsweise argumentiert, man müsse bei großen in der Form nie dagewesenen Flüchtlingsproblematiken wie sie auf uns zukommen könnten,
dann ggf. Asylrecht bzw. Aufnahmekapazitäten überarbeiten und limitieren (wie auch immer man Limitierung denn definieren will)?
Realo schrieb:Einige Jahre nach dem Krieg animierten die Alliierten einige führende und aus ihrer Sicht denazifizierte deutsche Politiker (wie z.B. den Kölner OB Konrad Adenauer), die sie für einflussreich hielten, den Deutschen eine demokratische Verfassung zu geben als ersten wichtigen Schritt, um ihnen die Souveränität zurückzugeben. Diese sollte so formuliert sein, dass so etwas wie die 12 Jahre davor nie wieder passieren kann. Dazu gehörten, als rechtsstaatliche nicht hinterfragbare, nicht hintergehbare Grundwerte die Grundrechte, die jeder Mensch hat und die staatlich geschützt werden müssen, also die Menschenrechte, die mit allen Mitteln des Rechtsstaats für alle hier Lebenden verteidigt werden müssen (worauf auch der viel zitierte Amtseid beruht, gleich ob bei Soldaten oder Beamten). Doiese grundrechte waren in den Artikeln 1 - 20 zum Ausdruck gebracht worden, quasi als "ewige Rechte").
Heißt: Einige dieser Artikel - allerdings nicht Art. 16 - sind unveränderbar und müssen notfalls mit Waffengewalt verteidigen werden. Hier ist auch selbst militärische Gewalt zulässig, um diese Rechte zu schützen, also im schlimmsten Fall, um einen Putsch abzuwenden. Und: Das GG unterscheidet hier nicht zwischen Deutschen und Ausländern. Die Grundrechte von allen, die auf dem Staatsgebiet leben, müssen geschützt werden.
Die Historie ist mir bekannt, aber ich entsinne mich nicht, dass der "nicht-kontroverse Sektor" bzw
Ewigkeitsklausel sich automatisch ohne Kompromiss/Änderungsmöglichkeit auf alle Grundrechte erstreckt. Artikel 1 und 20 ja, andernfalls:
So können zwar die Grundrechte geändert werden, und sie müssen den Anforderungen von Art. 19 Abs. 1 und 2 GG genügen; jedoch ist strittig, ob der Kern eines Grundrechts mit dem ihm ebenfalls innewohnenden Menschenwürdegehalt deckungsgleich ist.
Quelle: Wikiartikel zur Ewigkeitsklausel bzw. diese selbst über Artikel 79 Abs. 3 GG
Steht da was von einer möglichen künftigen Begrenzung von Flüchtlingen bzw. ist diese automatisch aus den Ausschlusskriterien subsumierbar? Ich bin zwar kein Verfassungsrechtler, aber ich sehe dies nicht.
Mal konkret: Es soll die Demokratie, Rechtsstaat und Verfassung gefährden wenn einmal Zustände eintreten, dass man Flüchtlingsaufnahme wegen fehlender Kapazitäten einschränken muss und das dann macht? Interessante Denkweise. Wenn das Fass irgendwann mal voll sein sollte und es die politischen Mehrheiten zur Begrenzung dann geben wird, dann ist das Fass nun mal voll und es gibt die Mehrheiten zur Änderung.
Übrigens: Das GG unterscheidet sehr wohl zwischen Deutschen und nicht-Deutschen. Genauer: entweder haben alle ein Grundrecht ("Jeder", "Alle"...) oder eben nur Deutsche im Sinne des Artikel 116. Das fällt auf, wenn man die ersten Artikel liest.
Realo schrieb:Du sagst jetzt: Wenn wegen einem starken Andrang von Flüchtlingen die innenpolitische Situation so kritisch wird, dass sie nicht mehr länger so zu halten ist, sollten auch Grundrechte notfalls aufgehoben werden können, wenn anders der innere Frieden nicht mehr realisierbar ist. Das willst du mit Gesetzen erreichen. Damit stellst du doch gegen das GG und bist mit dieser Einstellung eigentlich ein Verfassungsfeind.
Verfassungsfeind? Lustig, du interpretierst vielleicht etwas in meine Posts oder meine Persönlichkeit, was ich nicht tatsächlich aussage, meine oder bin. Also subjektives Empfinden halt.
Ich sage im Kern, dass man Gesetze notfalls an die Lage anpassen muss.
Das geht im verfassungsrechtlichen Rahmen (legitime Änderungen der Verfassung mit einbezogen).Wer spricht überhaupt von aufheben? Es reicht, in Grundrechte einzugreifen. Viele Grundrechte haben, nein, brauchen diese Eingriffsmöglichkeit der Schranken(-Schranken) und viele Artikel (auch 1-20) nennen diese explizit sogar in nachfolgenden Absätzen. Wenn ich nüchtern Artikel 16a lese, sehe ich da schon genug Spielraum, im worst-case zu regulieren ohne das Grundrecht abzuschaffen.
Einfacher: Ich bin für Asyl, wenn es eben dem verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Rahmen entspricht. Verfassung regelt Fundament oder das Grobe, Gesetze die Details. Als Laie sehe ich die Möglichkeit einer "Drosselung", wenn Kapazitäten erschöpft sind. Vielleicht kann man auch mit (angepasstem) Europarecht argumentieren.
Realo schrieb:Aber es gibt einen anderen Weg dieses Dilemma zu lösen, und den nannte ich auch: Eine politische Zweidrittelmehrheit zu beschaffen. Dann darfst du Artikel 16 nicht nur umändern, sondern ganz abschaffen. Aber ich sagte eben auch: Diese Zweidrittelmehrheit kriegst du nicht.
Wenn politische Mehrheiten einmal dafür sein sollten, dann werden sie dafür sein. So schlicht und einfach ist das am Ende. Dann ist nur noch die Frage, ob das verfassungsrechtlich Bestand hat oder nicht, wenn Bedenken / Klagen bestehen. Wenn nein, dann plopp, gehts auf einmal doch. Der Rest ist Spekulation, daher einfacher: Wieso schließt du das so vehement aus? Weißt du, was in 15 Jahren ist?
Man darf auch eines am Ende nicht vergessen. Etwas, das alles möglich macht:
Artikel 146. So unwahrscheinlich der Fall sein mag oder mit welchen hohen Hürden er auch verknüpft sein mag, das ist die Exit-Klausel für alles, sogar die Ewigkeitsklausel. Man beachte den ersten Teil:
Bis zu einer Ersetzung des Grundgesetzes durch eine andere Verfassung (Art. 146 GG)[3] kann die Ewigkeitsklausel nach heute herrschender Meinung nicht aufgehoben werden. Mit der Normierung einer Unabänderbarkeitsklausel wird implizit – ungeschrieben – vorausgesetzt, dass diese Klausel selbst ebenfalls unabänderbar ist.[4]
Quelle: Artikel zur Ewigkeitsklausel (Wiki)
Die Klausel ist hier zwar in sich selbst geschützt, aber nur in dieser Verfassung, in diesem Grundgesetz. Nicht in einem neuen verfassungsrechtlichen Werk, wenn man diese denn nicht inkludieren würde.
Ich habe keine Ahnung, wie so eine Verfassungsneugebung, die ja vermutlich Grundrechte neu definieren oder abschaffen würde (wieso sonst neue Verfassung anpeilen wenn man bestehende ändern kann?) aussehen würde, aber es zeigt halt, dass einfach nichts in Stein gemeißelt ist und auch eine Ewigkeitsklausel nicht ewig halten muss. Das sage ich wertfrei und feststellend und es soll aufzeigen, dass man über diesen Weg eben auch jetzige verfassungsrechtliche Hürden umgehen kann, wenn man das zustande bringen kann und mehrheitlich will. Ob das gut oder schlecht ist, keine Ahnung. Alles Theorie. Es würde zumindest markante Änderungen beinhalten, wenn man sich ein neues verfassungsrechtliches Werk gibt und die Mühen und Hürden durchläuft und übersteht.
Aber ich sehe nicht zwingend Verfassungsfeindlichkeit, wenn man sich um mögliche worst-case Szenarios der Zukunft sorgt und eine Aufnahmebegrenzung auch zur fiktiven oder ggf. mal realen Debatte stellt.
Realo schrieb:frage mich, woran es liegt, dass das gros der Bevölkerung immer noch nicht bereit ist sich zivilisatorisch zu benehmen und Flüchtlinge wir Invasoren ansieht. Da muss auch in der Erziehung und im Schulunterricht grundsätzlich was falsch gelaufen sein, denn niemand ist von Geburt an rassistisch und xenophob.
Es gibt immer die pauschalisierenden Hetzer, du scheinst aber selbst zu pauschalisieren, indem du auch nachvollziehbare Bedenken, wo die Leute nicht alles in einen Topf werfen, unter den Teppich kehrst oder gleich etikettierst wie Rechtsextreme. Dass Migration nun mal auch Probleme mit sich bringen kann, dürfte ersichtlich sein.
Realo schrieb:Wir sollten uns aber einig sein, dass hier Rechtsextremismus gemeint ist,
Jaein. Alle Extremismen. Es ist ineffizient oder unnötig, das bei der Fragestellung auf einen beschränken zu wollen weil man seit 2015 gesehen hat, wie verschärfte Migration oder verschärft wahrgenommene Migration alle Phänomenbereiche betrifft. Alles andere ist aus meiner Sicht, sorry, einseitiges Geschwurbel bzw. Tunnelblick. Durch empfundene oder reale Probleme seit erhöhter Migration bekamen rechte Parteien und/wie die AfD Zuwachs, was diesen Rand befeuerte aber auch im Umkehrschluss z.B. den linken Rand der darauf reagierte. Da hat man schon Wechselwirkungen. Organisierte Kriminalität sowie religiöse Extremisten schlagen auch Kapital aus perspektivlosen Flüchtlingen, die sie ausnutzen, was wiederum der rechte Rand aufgreift, und der linke reagiert. Die Stories hörte man sowohl aus dem Bereich OK sowie Islamismus. Zu guter Letzt bekriegen sich die Ränder und faulen Äpfel ja auch untereinander.
Auch wenn nun eher Rechts in aller Munde ist: Wieso blendet man das aus?
Realo schrieb:Man könnte überspitzt und im politisch inkorrekten Straßenjargon sagen: Wenn das Volk keine Flüchtlinge will, dürfen auch keine mehr kommen. das wäre dann allerdings der Sieg der Antidemokraten und der Anfang vom Ende der Rechtsstaatlichkeit.
Man kann auch viel nüchterner - ohne rechten Mistgabel-Mob - darüber reden, bei krassem Andrang durch z.B. schwere Klimafolgen die Aufnahme zu begrenzen, wenn Kapazitäten erreicht werden sollten, falls das Szenario mal eintreten sollte. Wieso sollte ich auch weiter Leute aufnehmen, wenn ich diese nicht mehr adäquat versorgen und betreuen kann? Dann muss man woanders hin bzw. europäisch oder vielmehr global schauen, wie man damit umgeht. Mal ganz plakativ: Kann Europa halb Afrika aufnehmen, wenn Klimafolgen markante Teile davon unbewohnbar machen bzw. kann man sich dann einzelne Länder aussuchen während andere kaum angesteuert werden oder teilnehmen?