Sperrung der Islamisten?
18.07.2005 um 19:44
Sufis unter uns
Stille Nacht in der Herberge - Bei sufischen Muslimen in der Eifel - aus der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung FAZ (von Michael Hanfeld)
KALL, im Dezember 2004. Von außen wirkt die "Osmanische Herberge" wie ein
Vereinslokal, das seine besten Tage lange hinter sich hat. Erst hinter der Tür
und nur an einem Abend wie diesem offenbart sich, daß der äußere Schein
trügt. Die Herberge ist besetzt bis auf den letzten Platz, Kinder lärmen auf dem
Gang, Händler legen im großen Saal, der zugleich Gebetsraum ist, ihre Waren
aus, Familien suchen sich eine Schlafstatt für die Nacht und richten sich in den
wenigen Zimmern ein.
Die meisten tragen einfache Gewänder aus Wolle, die Männer dazu einen
Kopfschmuck, einen Turban, der um einen kleinen Spitzhut gelegt wird. Einem
Weißbärtigen, der bescheiden auftritt, bezeugen die Besucher Ehrerbietung. Sie
sind von weither angereist, kommen aus ganz Deutschland, aus Holland,
Belgien, Paris, um ihn zu sehen, um seine Hand zu ergreifen und einmal im
Monat mit ihm zu beten und zu meditieren.
Scheich Hassan Peter Dyck nimmt die Bekundungen mit gütiger Miene
entgegen, hört zu und gibt Rat in allen Lebenslagen. Am Ende dieser bis weit in
die Nacht reichenden Versammlung wird seine Stimme beinahe nicht mehr zu
hören sein. Das hat weniger mit den vielen Gesprächen denn mit seinen
angegriffenen Stimmbändern und vielleicht auch damit zu tun, daß die Heizung
nicht wirklich funktioniert.
Scheich Hassan Peter Dyck ist das Oberhaupt des Haqqani Trust, der bis 1992
West-Östlicher Diwan hieß und als Stiftung verschiedene islamische Projekte
unterstützt wie diese Begegnungsstätte in Kall-Sötenich, die leicht nur findet,
wer sich in der Eifel auskennt.
Die äußere Zurückgezogenheit paßt zu dieser Gemeinde, die dem sufischen
Islam folgt, bei dem die innere Beziehung zu Gott im Zentrum des Glaubens
steht. Wer ein guter Muslim sein will, der muß bei sich selbst anfangen, so
lautet hier die Botschaft, oder, wie Scheich Hassan zitiert: "Ein guter Muslim ist
jemand, vor dessen Hand oder Mund sich niemand zu fürchten braucht."
Der Haqqani Trust gehört zum Orden der Nakschbandi, der sich in eine
radikalere und eine gemäßigtere Richtung scheidet, das Oberhaupt des
letzteren ist Scheich Nazim Adl al-Haqqani al-Kubrusi, der von seinen
Anhängern als Heiliger verehrt wird und auf Zypern residiert. Die mystische
Strömung des Islam, die als "Sufismus" bezeichnet wird, soll bereits zu
Lebzeiten Mohammeds entstanden sein. Sie strebt nach einer inneren
Beziehung zu Gott, die bis zur Erfahrung der Einheit des einzelnen mit Gott
reicht.
Also geht es zunächst um Selbsterkenntnis, Askese, Meditation und Hingabe,
wie sie auch aus christlichen Orden bekannt sind. Oder, wie es in einer
Darstellung der Nakschbandi heißt: "Sufismus ist der uralte und zeitlose innere
Weg des Islam, der Weg des Herzens, der Weg der Hingabe und der Liebe zum
Schöpfer und zu all seinen Geschöpfen." Was vielleicht auch schon erklärt,
warum diese Glaubensrichtung vor allem junge Menschen als potentielle
Konvertiten anspricht. Der Begriff Sufi selbst leitet sich her vom arabischen "suf"
(Wolle). Die Sufis sind die "Wollbekleideten".
Innerhalb des Islam sind sie die natürlichen Gegenspieler vor allem der
Wahhabiten, die einen aggressiven Islam predigen und diesen von Saudi-Arabien
aus in alle Welt tragen, was nach dem Mord an dem holländischen Filmemacher
Theo van Gogh auch bei uns zu Bewußtsein gekommen ist. Seit man sich die
Frage stellt, wer was in welcher Sprache in den Moscheen in Deutschland
predigt.
Dabei fiel nicht nur ein Prediger in Berlin auf, der die Deutschen als stinkend,
unrasiert und zu nichts nutze bezeichnete, sondern vor allem die mit
saudischem Geld betriebene Fahd-Akademie in Bonn, auf deren Lehrplan nach
Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden ebenjener aggressive Islam steht, den
man als Außenstehender für den vornehmlich oder gar einzig existenten halten
könnte.
Allein ihr Erscheinungsbild macht die Sufis, vielleicht erst recht, wenn sie
geborene Deutsche sind, verdächtig. Am 27. Juni 2003 erschienen sie der
Bundesanwaltschaft so zwielichtig, daß ein Sondereinsatz-kommando die
"Osmanische Herberge" stürmte, alles auf den Kopf stellte und rund ein Dutzend
Personen für einige Stunden in Gewahrsam nahm.
Ein, wie Scheich Hassan erklärt, psychisch gestörtes Mitglied der Gemeinde
hatte schauerliche Dinge erzählt, die sich zwar polizeilich nicht belegen, in der
Boulevardpresse aber schnell zum Verdacht hochschreiben ließen. Doch diese
Episode hat Scheich Hassan inzwischen abgehakt. "Die Muslime sind für den
Ruf des Islam selbst verantwortlich", sagt er, verhehlt aber nicht, daß das neue
Mißtrauen auch ihn und seine Gemeinde belaste. Nach all den Jahren finde er
sich jetzt an dem Punkt, die Gesellschaft zu fragen: "Wollt ihr, daß wir hier
sind, oder nicht?"
In seiner Predigt, die er in Deutsch und Englisch hält, nimmt er sich einen
Meinungsartikel des evangelischen Bischofs Wolfgang Huber vor, in dem dieser
in Zweifel ziehe, daß Muslime und Christen an denselben Gott glaubten. Was
aber, fragt Scheich Hassan die Gläubigen, folge aus einem monotheistischen
Glauben, wie er Christen, Juden und Muslimen gemeinsam sei? Wo solle ein
zweiter, anderer Gott herkommen?
Daß der Islam die Vervollkommnung der anderen Religionen darstelle, ist
wiederum nicht nur die Überzeugung eines jungen Mannes, der mit uns zum
Essen am Tisch sitzt. Bereits das Alte Testament halte fest, daß nach Jesus
Christus ein Prophet komme, und dieser sei niemand anderes als Mohammed
gewesen, dessen Lehre die Sufis nicht nur aus dem Koran beziehen, sondern
auch aus den vielen tausend Sprüchen und Begebenheiten, die von ihm in den
"Hadithen" bezeugt sind. Welche die Wahhabiten wiederum als Glaubensquelle
nicht anerkennen, wohingegen die Sufis die unzähligen Vorschriften, welche die
Wahhabiten aus dem Koran ableiten, für weltliche Gedanken und nicht
gottgegeben halten.
So finden sie sich zwischen den Stühlen, meinen, daß die katholische Kirche
mit ihrem Führungsanspruch nicht von Toleranz sprechen könne, und sehen
sich von den tonangebenden Wahhabiten, wenn es gutgeht, höflich ausgegrenzt
oder regelrecht verfolgt, wenn sie nach Mekka pilgern.
Am späten Abend, nach dem Essen und reichlich Tee, versammeln sich die
Gläubigen im großen Saal. Die Männer sitzen auf einer Empore, die früher, als
dies ein Gasthaus war, vielleicht für die Musikkapelle gedacht war. Auf den
Teppichen sechs Stufen darunter nehmen die Frauen und Kinder Platz, 300
Menschen, Araber, Türken, Afghanen, Afrikaner und Deutsche. "Alhamdulillah"
singen sie - "gepriesen sei Gott".
In der Predigt wird das zur Losung, in die sich die Gläubigen, begleitet von Flöte
und Trommel, hineinsteigern. Laut und leise, hart und weich erklingen die
Stimmen und üben einen Sog aus, der den Gläubigen eine innere Beziehung zu
Allah eröffnet. Das ist der Weg des Islam, den die Sufis meinen, das hat
Scheich Hassan auch einem jungen Afghanen an unserem Tisch erklärt, der
wissen wollte, was denn durch den "Dschihad" an berechtigter Gewalt erlaubt
sei.
Nichts von dem, was im Augenblick geschieht, erklärt ihm der Scheich, nach
dessen Worten sich jemand wie Usama Bin Ladin bei seinen Taten auf Religion
nicht berufen kann. Wie soll es mit dem Islam vereinbar sein, Tausende
Menschen zu töten, indem man Flugzeuge in Hochhäuser steuert? Oder, wie in
Beslan, unschuldige Kinder verdursten oder verhungern zu lassen und in die Luft
zu sprengen?
Das sind die Fragen, sagt Scheich Hassan Peter Dyck, die Nicht-Muslime an
seine Religion stellen. Daß sie darauf aber wenige und selten so eindeutige
Antworten wie von ihm zu hören bekommen - das habe mit der Entmachtung
des islamischen Klerus zu Beginn des letzten Jahrhunderts in der Türkei zu tun.
Die Abschaffung des Kalifats habe es nämlich erst ermöglicht, daß heute
radikale Schulen ihre Lehre als die allein seligmachende Botschaft Allahs
ausgeben und in der ganzen Welt Anhänger für eine als Religions- und
Kulturkrieg angelegte Auseinandersetzung anwerben können. Der Islam, den die
Sufis leben, hat damit nichts zu tun: "Frieden finden durch Gottergebenheit", rät
Scheich Hassan den jungen Leuten, die ihn mit Fragen bestürmen. "Wir
begrenzen das Ego, das ist Islam. Ich bin gekommen, den Charakter der
Menschen zu vervollkommnen, das sagt der Prophet. Alhamdulillah."
Seinen persönlichen Lehrer traf Scheich Hassan am 5. Februar 1979 in
Damaskus. Er erinnert sich auf den Tag genau. Im Jahr zuvor war er nach Saudi-
Arabien ausgewandert, hatte Arabisch gelernt und "unangenehme Erfahrungen
mit den Wahhabiten gemacht". Scheich Nazim zu sehen sei eine Offenbarung
gewesen.
Jeden Tag zwei Lektionen habe es gegeben. Und hätte seine Frau nicht
entschieden, eine Verwandte in Deutschland zu pflegen, wäre Scheich Hassan
vielleicht noch heute in Syrien oder auf Zypern. So kehrte er zurück. Eine
Heimat jedoch findet der Sufi hier nicht, sondern nur da, wo er erwünscht ist.
Als es bereits auf zwei Uhr nachts zugeht, sind die Gesänge zu Ende. Nicht nur
die Kinder sind, in Decken gehüllt und Mäntel gebettet, eingeschlafen. Jetzt
macht ein Brief des Haqqani Trust die Runde. Man bittet die "lieben Brüder", "zu
arbeiten und zu spenden, euch zu drehen, auch und gerade für die Familien".
Ein Klingelbeutel geht herum. Auf die Nützlichkeit von Überweisungsformularen
wird hingewiesen. Die Abfolge erinnert an christliche Gottesdienste - so wie
Scheich Hassan als die Verkörperung von "Nathan dem Weisen" erscheinen
mag. Mit Hoffnung erfüllt den Sufi-Lehrer, daß im Kleinen - zwischen den
Gemeinden und an den Schulen - der Dialog funktioniert. Die Bedeutung des
Dialogs sieht er übrigens ähnlich wie der evangelische Bischof Huber. So hat
Scheich Hassan mit protestantischen und katholischen Geistlichen einen
gemeinsamen Gottesdienst gefeiert und Kinder einer Grundschule in der
"Osmanischen Herberge" zu Gast gehabt, die sich über die Weltreligionen
informierten.
Als alle Scheich Hassan noch einmal die Hand gegeben und viele sich
verabschiedet haben, kommt ein junges Paar auf die Bühne, das verheiratet
werden will. Es ist eine kurze und spontane Prozedur, ein Gespräch, ein Gebet,
ein Gesang derer, die noch versammelt sind. "Der Islam bedeutet, von Allah die
Einladung annehmen, Mensch zu sein", sagt Scheich Hassan heiser. Wie diese
Einladung der Sufis gemeint ist, davon kann man sich einmal im Monat in der
Eifel überzeugen.
Quelle: FAZ vom 22.12.2004 S. 9
Gruß
Die Reihenfolge ist:
Regnerisch kühl, Schaufensterbummel, Hundekot....Oo.NWIO-WBIN.oO