Der antimodernistische Gegenentwurf
07.04.2019 um 21:32Bezug nehmend auf folgende Beiträge aus dem Rechtsextremismus-Thread und dem dort verlinkten Radiobeitrag
Rechtsextremismus - Ernst der Lage so hoch wie nie (Seite 2122) (Beitrag von paranomal)
Rechtsextremismus - Ernst der Lage so hoch wie nie (Seite 2123) (Beitrag von Fierna)
Rechtsextremismus - Ernst der Lage so hoch wie nie (Seite 2123) (Beitrag von paranomal)
würde ich gerne im Kontext des Topics Parallelen und wechselseitige Beziehungen des politischen Islam und des westlichen Rechtsextremismus aber auch der postmodernen Linken diskutieren.
Ob Historie oder Philosophie dahingehend diskutiert werden oder man sich einer Analyse dieser Denkmodelle, gemeinsamen Ursachen oder eben nicht, widmet, soll an dieser Stelle offen stehen.
Auch Bewegungen, die ich gerade nicht auf dem Schirm habe bzw nicht explizit nenne, aber Parallelen aufweisen bzw vermeintlich Parallelen aufweisen, können hier diskutiert werden.
Ich verlinke noch einmal den Radiobeitrag und möchte noch 2 Artikel zur Diskussion stellen, die ich für überwiegend gelungen halte, auch wenn ich nicht allumfänglich zustimme.
https://www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/dok5/rechtspop-und-dschihad-100.html (Archiv-Version vom 31.03.2019)
Rechtsextremismus - Ernst der Lage so hoch wie nie (Seite 2122) (Beitrag von paranomal)
Rechtsextremismus - Ernst der Lage so hoch wie nie (Seite 2123) (Beitrag von Fierna)
Rechtsextremismus - Ernst der Lage so hoch wie nie (Seite 2123) (Beitrag von paranomal)
würde ich gerne im Kontext des Topics Parallelen und wechselseitige Beziehungen des politischen Islam und des westlichen Rechtsextremismus aber auch der postmodernen Linken diskutieren.
Ob Historie oder Philosophie dahingehend diskutiert werden oder man sich einer Analyse dieser Denkmodelle, gemeinsamen Ursachen oder eben nicht, widmet, soll an dieser Stelle offen stehen.
Auch Bewegungen, die ich gerade nicht auf dem Schirm habe bzw nicht explizit nenne, aber Parallelen aufweisen bzw vermeintlich Parallelen aufweisen, können hier diskutiert werden.
Ich verlinke noch einmal den Radiobeitrag und möchte noch 2 Artikel zur Diskussion stellen, die ich für überwiegend gelungen halte, auch wenn ich nicht allumfänglich zustimme.
https://www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/dok5/rechtspop-und-dschihad-100.html (Archiv-Version vom 31.03.2019)
“Nennen wir’s Faschismus ohne Duce oder Führer”, schlug im März 2004, unmittelbar nach dem Terroranschlag von Madrid, der Herausgeber der ZEIT, Josef Joffe, vor. “Den Europäern fällt es schwer, in den Spiegel des Islamo-Faschismus zu blicken und darin die Fratze der eigenen Geschichte auszumachen.” Im Taumel der Ignoranz, der dem Massaker von Madrid folgte, war diese Kritik am europäischen Appeasement ein Lichtblick. Joffe sprach vom “religiös verbrämte(n) Neofaschismus” und stellte zutreffend fest: “Wer den Tod mehr liebt als das Leben, lässt sich weder abschrecken noch etwas abhandeln. .... Das Ziel ist der apokalyptische Endsieg.”http://www.matthiaskuentzel.de/contents/islamismus-faschismus-und-ns

Mit der Bezeichnung “Islamo-Faschismus” wollte Joffe agitieren, also seiner Warnung vor dem Appeasement Nachdruck verleihen. Inhaltlich blieb bei ihm die Verbindung zwischen Faschismus und Islamismus diffus. Dabei weisen beide Ideologien in der Tat Überschneidungen auf: Beide propagieren eine “organische” Staatsordnung und das Führerprinzip. Beide setzten an die Stelle von Klassenauseinandersetzungen die korporativistische Arbeitsdiktatur. Beide mobilisieren als Sozialbewegung eine gemeinschaftliche Identität, die das Individuum auszumerzen und noch den Zögernden als Deserteur zu verfemen sucht.
Dessen ungeachtet ist das Schlagwort vom Islamo-Faschismus nicht nur ungenau: Indem man die islamistische Rebellion unter eine Chiffre subsumiert, die am vertrauten Europa klebt, wird die Spezifik islamistischer Ideologie und Praxis geradezu verharmlost und das schier Unbegreifliche dieser Bewegung – die Absolutheit des religiösen Wahns oder die Archaik der weiblichen Unterjochung – semantisch zum Verschwinden gebracht.
[...]
Dessen ungeachtet wäre es verkehrt, den Islamismus dichotomisch als das “ganz andere” von der “westlichen Zivilisation” abzutrennen: Er stellt ebenso wie der Faschismus eine Bewegung der Moderne dar. Allerdings entwickelte sich die Krise der 20er Jahre in einem Land wie Ägypten, dessen Gesellschaft lediglich von einer Firnis der Modernität überzogen war, vor einem anderen kulturellen und intellektuellen Hintergrund als zum Beispiel in Italien und brachte deshalb mit al-Bannas Islamismus und den Fasci di Combattimento, der Kampfbündler-Bewegung Mussolinis, zwei durchaus unterschiedliche Bewegungen hervor.
Islamismus und Faschismus
Der europäische Faschismus entsprang der Krise der bürgerlichen Gesellschaft und setzte diese voraus. Infolgedessen präsentierte sich der Faschismus als “neuer Sozialismus” und als “totale Revolution”.”Wir stehen für ein neues Prinzip in der Welt”, rief Mussolini 1926 aus. “Wir stehen für die reine, kategorische und definitive Antithese … zu der Welt, die sich immer noch mit den 1789 niedergelegten Grundprinzipien begnügt. ... Mich prägt der Vorwärtsdrang. Ich bin jemand, der weitermarschiert.”[3]
Die islamistische Reaktion ist demgegenüber von der Unterwerfung unter Gott gekennzeichnet und von der Ideologie des Salafismus geprägt (as-salaf as-salih = die frommen Ältesten). Nach dieser Lehre befinden sich alle gegenwärtigen Gesellschaften, mit Ausnahme der islamistisch regierten, im Zustand jener Barbarei und Ignoranz (jahiliyya), die vor Ankunft des Propheten auf Erden geherrscht haben soll. Nur wenn sich der Islam erneut in die Fußstapfen der Altvordern um Mohammed aus dem 7. Jahrhundert begäbe, werde sich dieser gottverlassene Zustand der Welt als die letzte Stufe in der Vorgeschichte des kommenden und des einzig gerechten Gottesreichs erweisen.
Die auch vom Faschismus verwendeten Topoi wie “Sozialismus” und “Revolution” – von arabischen Nationalisten wie den Gründern der Baath-Partei begeistert übernommen – gelten Islamisten als typische jahiliyya-Werte. Für sie beinhaltet schon das Konzept des charismatischen Führers als vorwärtsstürmende Kraft eine Abkehr vom allmächtigen Gott, der alle menschlichen Geschicke nach seinem Gusto lenkt. Diese Differenz wirkt sich auf den jeweiligen Charakter der Produktivkraftentwicklung aus: Mussolini ließ nicht nur Antifaschisten massakrieren, sondern auch die Sümpfe der Po-Ebene urbar machen und die Automobilindustrie entwickeln. Der Islamismus ist demgegenüber an Wissenschaft und Technik in erster Linie unter dem Aspekt ihrer Nutzbarmachung für den Djihad interessiert. Während es dem Duce gar nicht schnell genug gehen konnte (“Der Faschismus ist ein Dynamo”), vertrauen sich Islamisten der göttlichen Fügung an. Ihr Zeitverständnis ist epochal orientiert: Hamas-Gründer Achmed Yassin setzte den Zeitpunkt der Auslöschung Israels auf das Jahr 2027 an – 40 Jahre nach Beginn der I. Intifada und der Gründung der Hamas.
Während also der Faschismus den längst bekannten Nationalismus aufgriff, um ihn von den Ideen von 1789 zu befreien und als imperialistischen Nationalismus zu neuen Höhepunkten zu führen, kontert der Islamismus die Erfahrung westlicher Dominanz mit einem Konzept, das Mohammeds Eroberungserfolge insbesondere durch Anknüpfung an dessen Gesellschaftsmodell wiederholen will.
[...]
Vordergründig sind somit in diesem Punkt und in dieser Logik – Vernichtung des Bösen oder eigener Untergang – die islamistische und die nationalsozialistische Ideologie identisch. Und doch besteht in der Bestimmung jenes “Bösen” zwischen beiden Ideologien ein Unterschied, der erneut auf die differenten historischen Voraussetzungen beider Bewegungen verweist: Während die Islamisten Charles Darwins Evolutionstheorie als einen jüdisch inspirierten Angriff auf den Koran interpretieren, da die wahre Schöpfungsgeschichte nur im Koran nachzulesen sei, baut der biologistische Determinismus der Nazis auf dem rassistischen Muster des Sozialdarwinismus gerade auf: Der Nationalsozialismus hat das Phantasma von der Weltverschwörung mit der Utopie der Rassenhierarchie verknüpft. Der biologistische Rassismus trieb die Deutschen dazu an, auch noch das letzte jüdische Baby aus Norwegen und den letzten jüdischen Greis von Rhodos deportieren und in Polen vergasen zu lassen. Diese Praxis und ihr ideologischer Kontext bleiben singulär.
Der Kern der Aufklärung ist der Universalismus, der sowohl von links wie auch von rechts unter Verdacht geraten ist. Carl Schmitts Behauptung "Wer Menschheit sagt, will betrügen" wird von beiden Seiten akzeptiert. Während nur einige wenige Rechte Propaganda machen für Heideggers völkische Seinsgeschichte, so sind doch viele linke Stimmen davon überzeugt, dass der Universalismus nur das Alibi für den Eurozentrismus liefert. Tatsächlich aber kommt der Universalismus nicht aus dem Wunsch, alle Unterschiede zwischen Menschen oder Völkern zu beseitigen, sondern er entstammt der Forderung, dass jeder das gleiche Recht und die gleiche Pflicht zum Selbstdenken haben soll.https://www.zeit.de/2016/45/antimodernismus-martin-heidegger-nationalsozialismus/seite-2
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Statt Toleranz sollte der Universalismus vielmehr die Möglichkeiten betonen, die sich uns eröffnen, wenn wir bereit sind, von jedem Menschen jeglicher Herkunft zu lernen. Genau das taten die besten Denker der Aufklärung. Sie waren nicht nur die Ersten, die Eurozentrismus und Rassismus verurteilten; sie legten auch das theoretische Fundament für den Universalismus, auf den sich jeder Kampf gegen den Rassismus stützen muss.
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Wenn die Angriffe auf die Aufklärung meist auf Strohmänner zielen – warum sind sie so zäh und kehren immer wieder? Die Ähnlichkeiten zwischen Heideggers Kritik am leeren und lebensfremden Rationalismus und den antiaufklärerischen Stimmen, welche die Aufklärung von Anfang an, seit dem 18. Jahrhundert, begleitet haben, fallen jedenfalls ins Auge. Heideggers Verachtung der Öffentlichkeit ist nur ein Beispiel dafür, wie sich elitäres Denken bedroht fühlt.
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Es wird Zeit, zu entscheiden, ob wir doch zur Moderne stehen können – samt ihren Möglichkeiten zu Selbstkritik und Veränderung. Das bedeutet weder einen Rückfall in die vormoderne Nostalgie ("Früher war alles besser, heute sind wir dekadent") noch das Achselzucken der Postmoderne ("Auch Dekadenz ist eine Kategorie wie jede andere, die wir schon dekonstruiert haben"). Es gibt nur drei Möglichkeiten: der Vormoderne nachtrauern, die Postmoderne gähnend begrüßen, die Moderne kritisch fortführen. Letzteres ist der einzige Weg, der Hoffnung auf irgendeine Form von Fortschritt zulässt. Heidegger war nicht der Einzige, der behauptete, etwas ganz Neues zu denken, doch die alte antimoderne Nostalgie schimmert durch jede seiner Zeilen hindurch. Wetten, dass Nietzsche ihn zu denjenigen gezählt hätte, die "ihr Gewässer trüben, dass es tief scheine"?