Kältezeit schrieb:Und warum unterscheidet sich die Grundeinstellung der Sachsen dermaßen? Na?
Ist ja nicht so, dass irgendwann mal ein Rechter die vielen anderen Rechten da plötzlich hingeschissen hat.
Ein paar Auszüge aus einem Interview mit sehr validen Argumenten und Ansichten, die nicht Pauschalisieren und einen Ausgangspunkt für differenzierte Betrachtung bieten. Ich finde über diese Aussagen sollte und muß man diskutieren.
„Es werden Menschen diskriminiert, die nichts tun, als zu demonstrieren“
WELT: In Chemnitz gab es Menschen, die den Hitlergruß gezeigt haben. Muss man da nicht von Rechtsextremismus sprechen?
Maaz: Ja, das ist natürlich furchtbar. Das kann man nicht dulden. Da gibt es entsprechende Gesetze und derjenige muss bestraft werden – das ist gar keine Frage. Aber am Sonntag sollen 800 Demonstranten in Chemnitz gewesen sein, die Polizei hat gesagt, dass 50 davon gewaltbereit waren. Daraus aber zu machen, da würden die Rechten aufmarschieren – das halte ich für einen großen Fehler. Meine Meinung ist, dass man das als Protest begreifen sollte, der natürlich auch politische Orientierung hat oder der für eine politische Orientierung instrumentalisiert wird.
WELT: Welche Fehler haben Sie denn im Zusammenhang mit Chemnitz in den vergangenen Tagen beobachtet?
Maaz: Ich würde die Reaktion der Chemnitzer Oberbürgermeisterin und vor allen Dingen unserer Regierung beanstanden. Wenn Herr Seibert als Sprecher der Kanzlerin davon spricht, dass es „Zusammenrottungen“ und „Hetzjagden“ gab und „Hass auf die Straße“ getragen wurde. Wenn er das in den Mittelpunkt stellt – dann schürt er das Problem.
WELT: Warum sehen wir Protest, Unzufriedenheit und politische Gewalt eigentlich immer besonders in Sachsen?
Maaz: Meine Sicht auf Sachsen ist sehr positiv, ich bin dort ja auch aufgewachsen. Der Sachse ist für mich ein Offener, Unverstellter, ein helles Köpfchen. Und der Sachse ist mutig, wenn es um offene Kritik geht. Wenn ich es verallgemeinere, sind die Menschen im Osten, besonders in Sachsen, kritisch dem Westen gegenüber. Kritischer gegenüber Kapitalismus, gegenüber Machtpolitik und Obrigkeit. Das ist eine Folge der DDR-Verhältnisse. Dieses Misstrauen und diese Vorsicht gegenüber dem, was Obrigkeit verbreitet, hat sich gehalten und ist verstärkt worden.
WELT: Das heißt aus Ihrer Sicht sind die Sachsen einfach nur mutiger und machen deswegen den Mund auf?
Maaz: Hinzu kommt die Unzufriedenheit: mit der Vereinigungspolitik, mit der Vorherrschaft des Westens, mit den Enttäuschungen nach der Wende. Und Fragen wie die Euro- oder Migrationspolitik. Zusammen mit dieser misstrauischen, vorsichtigen, kritischen und letztlich auch mutigen Haltung, kommen viele Ostdeutsche zur Erkenntnis: Da läuft eine Menge schief in Deutschland. Dann wird aber über Proteste wie Pegida sofort die Nase gerümpft und gesagt „das sind die Doofen, die Dummen, die Zurückgebliebenen“. Die sind auch dabei, aber die Mehrheit ist anders. Es gibt einen Protest und dieser Protest wird nicht gehört. Und was ist die Folge? Man ärgert sich, man wird trotzig und man wählt die AfD. Weil der berechtigte Protest, die Nachdenklichkeit, nicht ernst genommen wird.
WELT: Oft wird ja auch das Argument angeführt, dass der Osten wirtschaftlich schwächer ist. In Sachsen ist die Arbeitslosigkeit aber geringer als in Nordrhein-Westfalen.
Maaz: Es ist schwierig, eine Analyse zu erstellen, die auf alle zutrifft. Es ist immer ein Bündel von sehr persönlichen Motiven. Von sozialen Motiven, von Kränkungen und natürlich die Angst vor der Veränderung. Das trifft jetzt auch für Ostdeutsche allgemein zu. Man hat sich ja mit der Wende grundsätzlich neu aufstellen und orientieren müssen – im westlichen Leben. Das ist erst ein paar Jahre her. Jetzt steht schon wieder eine grundlegende Veränderung an. Die Kritik an der Gesellschaftsveränderung ist im Osten heftiger und tiefgehender, weil viele Menschen erst so eine Veränderung durchmachen mussten. Deswegen ist der Osten empfindlicher, kritischer und protestiert mehr.
WELT: Wie könnte man die Spaltung der Gesellschaft und die Konflikte, die wir erleben, beheben?
Maaz: Von den Medien würde ich erwarten, dass sie nicht den Fehler machen und ein rechtsextremes Problem in den Fokus stellen. Genau das passiert aber. Im Moment verstärken die meisten Medien das Problem in unserer Gesellschaft. Ich würde wagen zu behaupten, dass der bisherige Stand der medialen Berichterstattung über Chemnitz der AfD in Sachsen ein bis zwei Prozentpunkte bringt. Wir müssen die Proteste der Bevölkerung endlich ernst nehmen. Wir müssen mit denen reden, aber das heißt nicht so lange mit ihnen reden, bis sie der eigenen Meinung sind. Der Protest muss inhaltlich analysiert werden. Und – darf man das sagen, ohne diskriminiert zu werden? – man muss natürlich auch mit der AfD reden.
WELT: Sie haben schon einmal davon gesprochen, dass es eine öffentliche Zensur in Deutschland gibt. Was meinen Sie damit?
Maaz: Ich hätte es mir nicht mehr vorstellen können, dass unter demokratischen Verhältnissen bestimmte Gruppen, die politisch nicht korrekt sind, ausgegrenzt werden. Aber in den letzten Jahren gab es diese gesellschaftliche Atmosphäre. Diese Diktatur von Political Correctness macht mir Angst, weil ich das aus DDR-Zeiten kenne. Ich habe mich damals gesehnt nach Demokratie. Dass man zuhört, wenn jemand eine andere Meinung hat. Die kann man ja auch blöd finden, aber wenn man zuhört, ist man daran zu verstehen, warum dieser Mensch so denkt. Das habe ich mir unter demokratischen Verhältnissen vorgestellt und das hat es auch gegeben. Aber das wurde in den letzten Jahren immer schlechter, DDR Nummer zwei kann man fast sagen.
WELT: Was machen wir mit denjenigen, die dem Rest der Gesellschaft nicht mehr trauen? Kann man die zurückgewinnen?
Maaz: Ja natürlich. Muss man sogar. Das ist vordergründigste politische Aufgabe. Nicht bei Demonstrationen, sondern man kann das erst mal vorbereiten, medial oder in politischen Verlautbarungen. Meine Forderung an die Politik ist: Hört auf zu diffamieren, hört auf mit Etiketten und mit diesem „mit denen reden wir nicht“. Sie sollten sich besser fragen, warum verhalten sich die Menschen so, und es versuchen zu verstehen. Die Medien könnten Menschen, die konservativ denken, die Möglichkeit geben, ihre Position zu erklären und zu begründen. Dann hätten wir eine neue Kultur des Diskurses.
https://www.welt.de/politik/deutschland/plus181357196/Hans-Joachim-Maaz-In-Chemnitz-hat-sich-ein-Gefuehlsstau-gesellschaftlicher-Probleme-entladen.html