Negev schrieb:Ich stelle mir die Frage: wie soll diese gemeinnützige Arbeit aussehen? Muss diese gemeinnützige Arbeit erledigt werden? Wenn ja, warum kann es dafür keine Entlohnung geben? Ist es ein weiterer Versuch, billige Arbeitskräfte - dieses mal für den Staat - heranzuziehen?
Nebenbei bemerkt demonstriert der Herr vom ''Wirtschaftsrat'' hier eine erstaunliche Unkenntnis sowohl der geltenden Rechtslage als auch der übergeordneten Rechtsprinzipien rund um das Thema Arbeitslosigkeit:
Außerdem sollten Hartz-IV-Bezieher gemeinnützige Arbeit leisten. Der Regelsatz sollte demnach die Gegenleistung für die Verpflichtung zu kostenloser gemeinnütziger Tätigkeit sein. Wer sich weigert, dem müssten die Hartz-IV-Leistungen konsequent gekürzt werden. Dies sei auch ein wirksames Instrument, um zu verhindern, dass der Sozialstaat „entscheidender Magnet für Immigration nach Deutschland“ werde.
Quelle:
https://www.fnp.de/wirtschaft/gemeinnuetzig-kostenlos-regelsatz-hartz-iv-4-empfaenger-arbeit-cdu-wirtschaftsrat-pflicht-zr-91740166.htmlEine
Verpflichtung zu
kostenloser gemeinnütziger Arbeit kann es für Arbeitslose nach deutscher Auffassung schon deshalb nicht geben weil diese sich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung halten müssen und sich aktiv um Arbeit bemühen sollen. Ein de-facto-Arbeitsverhältnis dass signifikante Teile des Arbeitstages in Anspruch nimmt steht dem natürlich eklatant entgegen. Insbesondere, wenn die Verpflichtung über längere Zeiträume geht und nicht sofort beendet werden kann sondern z.B. Kündigungsfristen erfordert stellt sie ein erhebliches Hemmnis zur Arbeitssuche und -aufnahme dar. So wird z.B. auch aktuell von Arbeitsagenturen und Jobcentern moniert dass eine ''übermäßige'' ehrenamtliche Tätigkeit, z.B. als Vereinsvorstand oder dergleichen, ein selbstverschuldetes Hemmnis sei und ggf. auch zu Kürzungen und Sanktionen führen kann.
Dann kommt hinzu dass ein solches Modell praktisch Arbeitsverträge, nur eben mit 0€ Stundenlohn, erfordern würden: Versicherungsschutz, Unfallschutz etc. müssen geregelt sein, Wegekosten, Kosten für Arbeitskleidung usw. müssen abgewickelt werden, Krankschreibung und sonstige Sonderfälle brauche Bewirtschaftung. Es erzeugt also erheblichen Verwaltungsaufwand auf der operativen Ebene und ist alleine deshalb schon nicht ''kostenlos''.
Drittens ist natürlich auch noch die Frage nach den
Empfängern der
kostenlosen gemeinnützigen Arbeit zu stellen - wer ist berechtigt, solche Arbeitsverpflichtungen anzunehmen, und wie verhindern wir allfälligen Missbrauch? Ist es Sinn der Sache dass der fiktive Arbeitslose Andi A. sich zur Arbeit bei seinem heimatlichen Sportverein verpflichtet, dort den Rasen mäht und ansonsten eine ruhige Kugel schiebt weil ihm der Vorstand die Zettel schon unterschreibt, Andi ist ja ein cooler Typ? Während Bülent B. über ein solches Netzwerk nicht verfügt und tatsächlich sein 38.5 Wochenstunden in der Wäscherei der Caritas abreißen muss? Soll es da regelmäßige Zollkontrollen, Überprüfungen und unangekündigte Betriebsbesuche geben? Wer macht das, was kostet das? Soll jede gemeinnützige Orga solche Verpflichtungen annehmen dürfen, oder gibt es Mindeststandards? Soll die Orga selbst die Tätigkeiten vergeben wie sie es für richtig hält oder wird das vorher festgelegt? Wird das ausgeschrieben, darf sich jeder Arbeitslose seine Orga selbst aussuchen oder wird zugeteilt? Gibt es da Zumutbarkeitsgrenzen, oder Ausgleich dafür dass man z.B. in Berlin viel mehr Möglichkeiten hat als in Posemuckel? Was passiert wenn mich keine Orga will? Wenn es Mindestsstandards gibt, wer kontrolliert die? Und wie geht der Rest der Gesellschaft damit um dass es jetzt Gemeinnützige erster und zweiter Klasse gibt? Bei mehreren Millionen Arbeitsloser die in ein solches System fallen - wie sieht es da mit der Verdrängungswirkung im Bereich der angelernten und einfachen Tätigkeiten aus? Ist das am Ende gar negativ für die Gesellschaft?
Wir stellen fest: ein dummer, simplifizierter Vorschlag zu einem hochkomplexen Themenfeld.