Einfach mal von SPON ausgeborgt, weil lesenswert:
Debattenkultur: Weniger Demokratie wagen!
Eine Kolumne von Jan Fleischhauer
Alle klagen über sinkende Wahlbeteiligung. Wenn man sieht, was Leute im Netz hinterlassen, kann man nur dankbar sein, dass viele Krakeeler am Wahltag zu desinteressiert oder zu betrunken sind, um aus dem Bett zu finden.
Demokratie hat auch ihre Schattenseiten. Es reden zu viele Leute mit, die unqualifziertes Zeug von sich geben. Es gilt heute als reaktionär, so etwas zu sagen. Aber es ist die Wahrheit, wie jeder weiß, der sich ein paar Stunden auf Twitter und Facebook umgesehen hat.
Die grüne Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt hat vor knapp zwei Wochen ein Video ins Netz gestellt, in dem sie aus Einträgen vorliest, die sie auf ihrer Facebookseite gefunden hat. Es sind durchweg unerfreuliche Beiträge, in denen Leute schlimme Dinge sagen. Die Politikerin wirkt bei ihrem Auftritt sehr betroffen.
Für Menschen, die ihr Leben auf der Annahme aufgebaut haben, dass man mit der entsprechenden Zahl von Sozialarbeitern nahezu jedes Problem in den Griff bekommt, ist es bitter, wenn sie erkennen müssen, dass es einen Teil der Gesellschaft gibt, bei dem Hopfen und Malz verloren ist. In dem Video appelliert Göring-Eckardt an die Leitung von Facebook, "solchen Dreck" in die Mülltonne zu befördern und zu löschen.
Der Dreck mag mit Facebook in die Welt kommen, aber die Urheber waren schon vorher da. Ich bezweifele, dass sich der Bodensatz an Verbohrten und Gestörten vergrößert hat, weil sie jetzt das Internet als Klowand haben. Idioten hat es immer gegeben, früher hat man sie nur nicht so oft gesehen. Neu ist bei den Abgehängten das Gefühl, nicht Außenseiter, sondern Meinungsführer zu sein. Wer bislang allein vor seinem Bier hockte, weil jeder in der Kneipe wusste, dass bei ihm eine Schraube locker ist, findet nun Gleichgesinnte, die ihn im Wahn bestätigen.
Man mag darüber streiten, ob man als Vizekanzler Menschen, die am liebsten Zweiwortsätze brüllen, als "Pack" bezeichnen darf: Soziologisch ist es eine zutreffende Bezeichnung. Der typische Internetkrakeeler verfügt über eine eher gebrochene Erwerbsbiografie und eine noch gebrochenere Schulkarriere. Es gibt auch Nazis, die den Gebrauch des Semikolons beherrschen, anstatt es für ein Ausrufezeichen von Lesben zu halten, aber das ist eher die Ausnahme. Wer in der Freizeit Stefan George liest, neigt eher nicht dazu, andere morgens mit "Hey, Arschloch" zu begrüßen.
Man sollte die Bildungsbarrieren erhöhen
Wenn Facebook eines schonungslos offen legt, dann den Bildungsnotstand in Deutschland. 40 Jahre Gesamtschule, und die Leute wissen nicht mal, wie man "Fuck" schreibt. Die Grammatik ist den meisten ein Buch mit sieben Siegeln. Kann sein, dass sie so wütend sind, dass sie keine Zeit haben, Kommata zu setzen. Aber ich fürchte, sie würden die Zeichensetzung auch nicht beherrschen, wenn sie Tage damit zubrächten. Das bevorzugte Schimpfwort ist "Schlampe", wahlweise auch "Ami-Schlampe" oder "Muslim-Schlampe". Zu den häufigsten Gegenargumenten gehört die Empfehlung, Leute an dem nächsten Baum aufzuknüpfen.
Es heißt immer, man solle die Bildungsbarrieren senken. Das ist der falsche Ansatz. Man sollte sie im Gegenteil erhöhen. Nur wer einen geraden Satz schreiben kann, hat Anspruch darauf, dass man sich mit ihm auseinandersetzt. Man muss ja nicht gleich zur Gelehrtenrepublik übergehen. Das wäre ohnehin eine ziemlich öde Veranstaltung. Aber ein wenig mehr Bildungsdünkel würde uns mitunter ganz gut tun.
Dass jeder Pöbler vom Pegidisten abwärts Beachtung statt Achselzucken findet, ist Spätfolge einer Entwicklung, die in den Siebzigerjahren ihren Anfang nahm, als man das Subproletariat als revolutionäres Subjekt entdeckte und mit einer historischen Mission ausstattete. Gerade das Unbeholfene und Rohe galt als authentisch. Wer wie Andreas Baader Frauen durchweg als "Fotzen" respektive "Knallfotzen" bezeichnete, dem flogen die Herzen zu. Leider ist das Subproletariat in seinen politischen Vorlieben eher ungefestigt, wie man auf der Linken zwischenzeitlich erkennen musste. Von ganz links nach ganz rechts verteilt es seine Sympathie nach Stimmungslage.
Auch die Demokratie braucht Diskriminierung. Wo der Tatbestand der Volksverhetzung oder der Aufstachelung zum Rassenhass erfüllt ist, tritt die Staatsanwaltschaft auf den Plan. Wer sich persönlich beleidigt oder in seiner Ehre herabgesetzt fühlt, kann einen Anwalt einschalten. Wenn diese juristischen Wege versagen, weil der Unrat zu groß oder die Urheber nur schwer auszumachen sind, bleibt immer noch die Möglichkeit, nicht alles zur Kenntnis zu nehmen, was Leute so von sich geben. Niemand zwingt einen, zu lesen, was an Irrsinn auf den Netzwerken veröffentlicht wird, die man sozial nennt.
Die SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi hat vor ein paar Monaten den Vorschlag gemacht, die Bundestagswahl über mehrere Wochen auszudehnen, damit die Wahlbeteiligung wieder steigt. Das ist gut gemeint, aber, wie so oft bei ihr, undurchdacht. Dass unser System relativ stabil ist, verdanken wir nicht zuletzt der Tatsache, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil der Wählerschaft zu desinteressiert oder zu betrunken ist, um am Wahltag aus dem Bett zu finden.
Wir sollten über sinkende Wahlbeteiligung nicht klagen, sondern dafür dankbar sein. Wenn alle Leute ihre Stimmen abgeben würden, die dazu berechtigt sind, wären in Deutschland nicht nur gemäßigte Kräfte im Bundestag vertreten.
Quelle:
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/zu-dumm-fuer-die-demokratie-kolumne-von-jan-fleischhauer-a-1054099.html#ref=meinunghp