Davis möchte versuchen, die EU aus der Reserve zu locken. Er geht davon aus, dass die Austrittsverhandlungen auch auf die zukünftigen Handelsbeziehungen Bezug nehmen müssen:
In the light of the guidelines provided by the European Council, the Union shall negotiate and conclude an agreement with that State, setting out the arrangements for its withdrawal, taking account of the framework for its future relationship with the Union.
Wikipedia: Article 50 of the Treaty on European UnionAbgesehen davon, dass Barnier kein solches Mandat hat, muss die EU unbedingt verhindern, dass Handelsfragen mit den übrigen verknüpft werden. Denn Art. 50 sieht auch vor:
The Treaties shall cease to apply to the State in question from the date of entry into force of the withdrawal agreement or, failing that, two years after the notification referred to in paragraph 2
Kommt es also zu keiner Vereinbarung ("failing that"), wird die EU das UK vor dem internationalen Gerichtshof in Den Hague wegen der Austrittssumme verklagen. Dazu ist es eben notwendig, dass es zu keiner Vereinbarung kommt, denn sonst könnte die EU Art. 70 Wien nicht geltend machen (Zahlungsverpflichtungen nur, falls der Vertrag keine andere Einigung beinhaltet). Das UK möchte dagegen argumentieren, dass es zumindest in Teilen zu einer Einigung gekommen ist, um somit den Zahlungspflichten aus dem Weg zu gehen.
Die Priorisierung der Nordirland-Frage seitens der EU dient vermutlich dazu, frühe Zugeständnisse zur Personenfreizügigkeit vom UK zu erhalten. Die Zollfragen können natürlich erst im Zusammenhang mit den Handelsvereinbarungen geklärt werden, bei der PFZ sieht es wegen der Common Travel Area aber anders aus. Hier hat das UK bereits eingestanden, dass Visa-Pflichten für EU-Bürger aufgrund der Grenzfragen nicht möglich sind, damit fallen diese auch für die Insel Großbritannien weg. Auf der anderen Seite kann die EU für die Schengen-Zone später Visa-Pflichten (etwa wie beim amerikanischen Visa-Waiver) einführen, da Irland mit Rücksicht auf das UK nicht Teil von Schengen ist. Diese könnten dazu dienen, etwaige Terroristen vom Festland fernzuhalten.
Das UK möchte dagegen mit der Irland-Grenze eine "divide et impera"-Strategie betreiben und konzentriert sich deshalb auf die Zollfragen. Es wird argumentiert, dass alles andere als eine auch für Waren offene Grenze zu einem Wiederaufleben des Terrorismus in Irland führen wird. Damit soll versucht werden, dass EU-Mitglied Irland in die britische Position zu zwingen. Wenn Irland eine für Waren offene Grenze hat, so möchte das UK im Weiteren argumentieren, dann müsse dies auch für die Insel Großbritannien gelten, damit würde man eine EU-Außengrenze verhindern und weiterhin die Vorteile von Zollunion und Gemeinsamen Markt genießen. Die EU muss daher auf Grenzkontrollen für Waren an der irischen Grenze bestehen.