@nocheinPoet Ein guter Thread und ein gutes Thema.
Meine Meinung ist:
Klar prallen immer verschiedene Interessen und Rechte aufeinander, wenn ein neuer Staat entsteht oder entstehen soll.
Heutzutage ist ja wohl der größte Teil der Erdoberfläche zumindest offiziell Teil irgendeines Staates.
Wird irgendwo ein neuer gegründet und ist der alte nicht vergangen, dann geschieht die Neugründung immer auch auf dem Gebiet eines alten Staates.
Dieser möchte das aus verschiedenen Gründen selten.
Es bedeutet mindestens gefühlt Machtverlust, Verlust an Land, an Ressourcen, Arbeitskräften, Steuereinnahmen, strategischen Vorteilen, Verlust von Ansehen, die Gefahr, dass auch andere Völker im großen Staat auf die Idee kommen könnten, sich selbstständig zu machen und damit das ganze Staatsgefüge zerbrechen würde.
Von daher ist es verständlich, wenn der ,,alte Staat" Vorbehalte hat und eine Abspaltung und Neugründung nicht einfach so akzeptieren will.
Ideal ist es natürlich, wenn es ruhig und geordnet so läuft, wie mit Schottland und Großbritannien, die Bürger des abzuspaltenden Gebietes stimmen ab, der große, alte Staat akzeptiert das.
Das ist aber wohl eher selten der Fall und vermutlich hätte auch David Cameron diese Abstimmung nicht erlaubt, wenn er vorher gewusst hätte, wie knapp das wurde.
Normalerweise wird wohl der alte Staat versuchen, eine Abspaltung und Neugründung zu unterbinden.
Ein entscheidender Faktor ist, wie er das tut.
Reagiert er nur mit brutaler Gewalt, um eine ,,abtrünnige Provinz" im Verbund zu halten, dann legitimiert er aus meiner Sicht die Abspaltung eher, als das er ihr berechtigt begegnet.
Denn er zeigt, dass er nur mit Härte und Gewalt herrschen kann.
Für einen demokratischen Rechtsstaat, den wir ja heute jedenfalls in der westlichen Welt als Idealbild eines Staates betrachten, ist das ein No-go.
Grundsätzlich gilt meiner Meinung nach, dass die Einwohner eines Staates, verschiedene Ethnien, verschiedene Völker, das Recht haben, einen eigenen, neuen Staat zu bilden. Gleichzeitig hat der alte Staat auch das Recht, dies zu verhindern mit angemessenen Mitteln.
Nirgendwo steht geschrieben, er müsse den Verlust von Land und Leuten unterstützen.
Das kann geschehen, indem er Zahlungen an das Gebiet einstellt, indem er befreundete Nationen bittet, diese Abspaltung nicht anzuerkennen etc.
Nicht jedoch mit autoritärer Gewalt, finde ich.
Womit wir bei einem entscheidenden Punkt sind, der Anerkennung.
Ein Staat wird eigentlich nicht einfach dadurch ein Staat, dass sich ein paar Leute hinstellen und ihn ausrufen oder eine Gründungsurkunde aufsetzen.
Ein Staat wird realistisch erst durch die Anerkennung und Unterstützung anderer, vor allem bedeutender Länder ein Staat und dadurch, dass er sich fähig zeigt, eine eigene Verwaltung und Wirtschaft aufzubauen und zu betreiben. Dadurch erst zeigt er sich lebensfähig.
Staaten entstanden immer schon auf diese Weise - entweder kam jemand an ein Fleckchen Erde, das noch keinem gehörte und das er einfach in Besitz nahm.
Oder aber dieser Jemand und seine Gruppe waren stark genug, sich gegen den bestehenden Besitzer zu behaupten, woraufhin ihr Staat über kurz oder lang von anderen anerkannt wurde.
Braune VTler regen sich ja, nebenbei bemerkt, gerne darüber auf, dass Deutschland ja gar kein Staat wäre, weil wir keine Verfassung hätten, sondern nur ein Grundgesetz. Und einen PERSONALausweis, obwohl ja nur Firmen PERSONAL haben... (sind eben ganz Schlaue
:D ).
Aber ob nun auf einem das grundsätzliche Zusammenleben regelnden Schriftstück ,,Verfassung" oder ,,Grundgesetz" steht, ist nicht relevant.
Die heutige Bundesrepublik Deutschland ist deshalb Bundesrepublik Deutschland, weil sie von allen maßgeblichen Ländern der Welt anerkannt wurde, weil sie es geschafft hat, ein funktionierendes System mit Gesellschaft, Verwaltung und Wirtschaft aufzubauen, mit allem, was dazu gehört.
In Bezug auf Ukraine und Krim würde ich sagen:
Es ist legitim gewesen, dass die Bewohner der Krim sich vom Staat Ukraine abgespalten haben.
Ebenso legitim ist es gewesen, Teil des russischen Staates zu werden.
Und ebenso legitim ist es, dass der ukrainische Staat das nicht einfach akzeptieren möchte und sich für eine Rückkehr stark macht.
Lösen muss man dieses Problem aber in Verhandlungen, meine ich, nicht durch Gewalt.