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Selbstbestimmungsrecht gleich Recht auf Sezession?
14.12.2014 um 16:54Beide der Frage nach dem Recht auf Abspaltung trennen sich ja die Geister, viel glauben hier, das Recht auf Selbstbestimmung würde "einem" auch das Recht geben einen eigenen Staat zu gründen, auch wenn da schon einer ist.
Diese Meinung liest sich so:
Wikipedia: Selbstbestimmungsrecht der Völker
Wikipedia: Territoriale Integrität
Um diese Gegensätzliche Position näher zu beleuchten und mehr Klarheit zu bringen reichen natürlich die Artikel bei Wikipedia nicht aus, denn hier sind selbst Völkerrechtler nicht einer Meinung. Hier muss also viel mehr betrachtet werden, Hintergründe und entsprechende Resolutionen und Verträge.
Konkret will ich dann ein paar konkrete Beispiel betrachten, da wäre Kosovo und die Ukraine neben anderen meine Wahl.
Erst einmal ganz allgemein dazu, eine Sezession ist immer für den Staat eine Zäsur, ein ganz tiefer Einschnitt in seine territoriale Integrität, wird einem Staat Gebiet genommen, dann verlieren alle anderen Bürger des Staates auch dieses Gebiet. Dort können Rohstoffe und Bodenschätze liegen, wichtige industrielle Produktionsstätten, Ressourcen eines Staates von denen alle Bürger partizipieren, und diese würden nun die Bürger des Ursprungsstaates natürlich verlieren. Ihnen wird also konkret was genommen. Der Staat kann Lieferverträge mit anderen Staaten haben, die er dann nicht mehr erfüllen könnte, die Wirtschaft wäre in Mitleidenschaft gezogen.
Alleine das zeigt schon ganz klar, es ist eine Tatsache das so eine Sezession die Rechte der Bürger im Ursprungsstaates zwangsläufig verletzt. Das steht zweifelsfrei außer Frage.
Dem aber nicht genug, auch gibt es Bürger im Gebiet das abgespalten werden soll, die nicht für diese Abspaltung sind, die würden dann im neuen Staat zu Ausländern, oder müssten die Staatsangehörigkeit ändern, oder umziehen, was auch gegen deren Recht verstoßen würde.
Würde es ein Recht auf Sezession gegeben, dem sich jeder Saat beugen muss, so wie oben zitiert, könnten diese Bürger nun ihrerseits ihr Recht auf Selbstbestimmung wahrnehmen und sich zurück abspalten, also vom neuen Staat wieder abspalten und dem alten anschließen.
Das ehemalige Staatsgebiet würde dadurch dann völlig fragmentiert und dieser handlungsunfähig, es gäbe für die Bürger keine Sicherheit einem Staat anzugehören, der könnte beliebig zerschnitten werden.
Damit steht schon mal fest, eine Sezession verletzt immer zwangsläufig das Recht von Bürgern, sei es derer des Ursprungsstaates oder derer die in dem Gebiet des neuen leben, aber eben nicht für die Sezession sind und Bürger des Ursprungsstaates bleiben wollen.
Wie sieht es dann nun aber vom Recht genauer her aus, was sagt das Völkerrecht wirklich, was der Internationale Gerichtshof (IGH) und welche Weisungsbefugnis hat dieser überhaupt, die konkrete Frage ist also erst einmal:
Gibt das Selbstbestimmungsrecht einem (oder einer Gruppe) auch das Recht einen Staat zu gründen, auch sich dort schon ein anderer Staat, und ist ein UN Mitgliedstaat dazu verpflichtet dem Folge zu leisten?
Ist die Frage so allgemein gehalten, dann ist die Antwort ganz allgemein ganz einfach nein. Denn eine Sezession verletzt wie erklärt immer zwangsläufig auch die Rechte anderer Bürger und die stellen in der Regel die Mehrheit. Ergibt sich auch zwingend daraus, dass das SdV eben für Völker definiert ist, sollte hier jedem einleuchten können, und nicht jeder oder jeder Gruppe auch ein Volk ist, damit ist die Behauptung oben schon klar widerlegt, es muss sich um ein Volk handeln und hier gilt es nun auch den Begriff "Volk" vorab erst einmal klar zu definieren.
Ist damit die Frage schon geklärt und entschieden?
Was die allgemeine Behauptung angeht ja, das SdV gibt natrülich nicht "einem" oder einer Gruppe das Recht auf in einem anderen Staat nun einen eigenen zu gründen. Konkreter gestellt aber, eben wenn ein "Volk" (wird weiter unten näher definiert) gegeben ist, lautet die Antwort nein, natürlich nicht, es kommt auf den Einzelfall an, es gibt natürlich Ausnahmen, es ist also möglich sich auch rechtmäßig aus einem Staat zu lösen und einen eigenen zu gründen.
1. Der Ursprungsstaat erlaubt es einfach, im Gebiet darf ein Referendum abgehalten werden, Beispiel Schottland.
2. Das Gebiet ist eine ehemalige Kolonie und wurde einfach mit Gewalt in Besitz genommen, das Volk und der Staat unterjocht. Solche Kolonien gab es viele, und dort haben sich inzwischen viele neue Staaten gebildet, die Kolonialmächte haben sich zurückgezogen, dem Volk dort die Hoheit über ihr Land zurückgegeben, auch auf Grund des Selbstbestimmungsrecht der Völker (SdV) war das möglich.
3. Ein Staat unterdrückt ein anderes Volk das auf seinem Gebiet lebt, es kommt zu willkürlichen Verhaftungen, Bürger haben nicht gleich Rechte, oder noch schlimmer, es kommt zu ethnischen Säuberungen, Genozid, Völkermord. Hier kann eine Sezession auch gegen den Willen des Mutterstaates erzwungen werden.
Wenn der Mutterstaates einer Sezession zustimmt ist das natürlich legitim, die Frage ist, was ist, wenn der das nicht will, dem nicht zustimmt, eine Sezession verweigert, kann eine Sezession unter Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker (SdV) nun gezwungen werden einer Sezession zuzustimmen?
Die Antwort ist hier grundsätzlich erst einmal nein. Wird eine Minderheit in einem Staat nicht benachteiligt, hat gleiche Rechte und kann frei leben und sich entfalten, dann hat diese Minderheit nicht das Recht auf eine Sezession, da hilft auch das SdV nicht weiter.
Warum habe ich weiter oben erklärt, wie sieht es nun aber konkret von der rechtlichen Seite aus, und wie auch schon geschrieben reichen hier um das zu klären natürlich nicht zwei Wikipedia Artikel aus. Das ist eine sehr komplexe Angelegenheit die viel Hintergrund hat und auch dann noch unterschiedliche Positionen mit sich bringt.
Eine eindeutige und klare Definition des Selbstbestimmungsrecht ist schon kaum möglich. Dazu mal ein paar Fragen, die auch von anderer Seite gestellt wird aufgegriffen:
1. Wer ist der Träger des SdV und wem gegenüber ist dieses überhaupt geltend zu machen und dann mit welchen Konsequenzen?
2. Wie verhalten sich die Souveränität der Staaten und SdV zueinander?
3. Ergibt sich aus dem Selbstbestimmungsrecht überhaupt zwingend auch ein Sezessionsrecht?
4. Oder begründet erst seine Verletzung ein Recht auf Sezession mit einer daraus zwingenden Anerkennungspflichten durch die Staatengemeinschaft und der Einbußen staatlicher Souveränität?
5. Stellt das SdV das Konzept der Souveränität überhaupt in Frage gestellt?
6. Ergibt sich aus dem SdV auch ein Anspruch auf innere Selbstbestimmung, sprich demokratische Willensbildung?
Und allem voraus steht noch die Frage ob es sich beim SdV überhaupt um ein Recht in Sinne des Völkerrechts handelt, um einen verbindlichen Rechtssatz, oder nur um eine Zielbestimmung eher politischer Natur. Eng mit dem dem Charakter der Rechtsnorm verbunden ist, wieweit sich das Selbstbestimmungsrecht als Gruppenrecht in die Menschenrechte (der sogenannten 3. Generation) einreiht und ob diese einen selbständigen durchsetzbaren Rechtsanspruch begründen (können).
Die Grundlage der für das SdV findet sich im 14-Punkte-Programm des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson: Wikipedia: 14-Punkte-Programm
Genannt werden hier die Elemente Unabhängigkeit, Autonomie, sowie die Freiheit, die eigene politische Ordnung zu bestimmen. Ins Blickfeld gerät damit wieder der Gedanke der Legitimität von Herrschaft, sprich der inneren Selbstbestimmung, missbilligt werden Annexionen - generell soll der gewaltsame Gebietserwerb nur durch die Interessen der Bevölkerung legitimiert werden können.
Für die Nichtanerkennung ist die Regelung der Südtirolfrage ein gutes Beispiel, welche bereits unter den Alliierten des ersten Weltkriegs in Geheimverträgen rein nach strategischen Gesichtspunkten gelöst worden war. Die Durchsetzung der Minderheitenrechte scheiterte nicht zuletzt am Souveränitätsdenken der Staaten.
In Rang und Ansehen stieg dann nach dem 2. Weltkrieg das Selbstbestimmungsrecht auf. Den vorläufigen Höhepunkt fand die Verwirklichung dieses Rechts durch die Erwähnung in der UN-Charta als Grundsatz der Gleichberechtigung und SdV, wie auch über verschiedene Resolutionen, dann in der Dekolonisation.
Die UN-Menschenrechtspakte von 1966, welche das subjektive Recht aller Völker auf Selbstbestimmung kodifizieren, welches als Voraussetzung der Ausübung von Individualrechten vorangeht war der nächste Schritt auf dem Weg. Als kollektives Menschenrecht in der internationalen Völkerrechtsordnung soll damit das SdV durch Inkrafttreten im Jahr 1976 verankert sein.
Besondere Bedeutung kommt der UN-Charta www.un.org/Depts/german/un_charta/charta.pdf zu, der nahezu alle Staaten der Welt beigetreten sind, und in der das SdV an zwei Stellen genannt wird, dort heißt es in Artikel 1:
Die Vereinten Nationen setzen sich folgende Ziele:
1. den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren und zu diesem Zweck wirksame
Kollektivmaßnahmen zu treffen, um Bedrohungen des Friedens zu verhüten und zu beseitigen, Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu unterdrücken und internationale Streitigkeiten oder Situationen, die zu einem Friedensbruch führen könnten, durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts zu bereinigen oder beizulegen;
2. freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln und andere geeignete Maßnahmen zur Festigung des Weltfriedens zu treffen;
(3) eine internationale Zusammenarbeit herbeizuführen, um internationale Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art zu lösen und die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fördern und zu festigen;
4. ein Mittelpunkt zu sein, in dem die Bemühungen der Nationen zur Verwirklichung dieser gemeinsamen Ziele aufeinander abgestimmt werden.
In KAPITEL IX Internationale Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet steht weiter in Artikel 55:
Um jenen Zustand der Stabilität und Wohlfahrt herbeizuführen, der erforderlich ist, damit zwischen den Nationen friedliche und freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen herrschen, fördern die Vereinten Nationen
a) die Verbesserung des Lebensstandards, die Vollbeschäftigung und die Voraussetzungen für wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt und Aufstieg;
b) die Lösung internationaler Probleme wirtschaftlicher, sozialer, gesundheitlicher und verwandter Art sowie die internationale Zusammenarbeit auf den Gebieten der Kultur und der Erziehung;
c) die allgemeine Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion.
Aus der Einordnung des SdV unter Art. 1 (Ziele) wird öfter der Schluss gezogen, es handele sich hier beim SdV um einen Programmsatz. Begründen lässt sich dieses aber eben nicht schon damit, dass darauf "individual claims" (individuelle Ansprüche) nicht darauf gestützt werden können, den die Qualität der Rechtsnorm setzt notwendiger Weise eben nicht zwingend voraus, dass ein Rechtssatz subjektive Rechte, nämlich die Rechtsmacht, einen Anspruch durchzusetzen, verleiht.
So ist der Schluss von der Nennung des SdV unter den Zielen auf eine bloße unverbindliche Zielbestimmung ist nach dem Wortlaut "purposes" (Zweck) eben keineswegs zwingend. Als Rechtssatz bekommt das SdV erst durch die Notwendigkeit einer objektiven Interpretation der Gründungsverträge einer internationalen Organisation hier die UN seine Konturen als Rechtssatz.
Der UN-Zivilpakt (Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte / International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights kurz ICESCR) Wikipedia: Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR-International Covenant on Civil and Political Rights, kurz IPbpR) erkennen das SdV für Vertragsstaaten bindend an. In beiden Pakten heißt es gleichlautend in Artikel I:
(1) Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung.
(2) Alle Völker können für ihre eigenen Zwecke frei über ihre natürlichen Reichtümer und Mittel verfügen, unbeschadet aller Verpflichtungen, die aus der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit auf der Grundlage des gegenseitigem Wohles sowie aus dem Völkerrecht erwachsen. In keinem Fall darf ein Volk seiner eigenen Existenzmittel beraubt werden.“
(3) Die Vertragsstaaten, einschließlich der Staaten, die für die Verwaltung von Gebieten ohne Selbstregierung und von Treuhandgebieten verantwortlich sind, haben entsprechend der Charta der Vereinten Nationen die Verwirklichung des Rechts auf Selbstbestimmung zu fördern und dieses Recht zu achten.
http://www.un.org/en/decolonization/declaration.shtml
Jedoch ist es eben sehr strittig, ob nun diese Formulierung auch ein subjektives Recht auf Selbstbestimmung verleiht, oder ob das SdV nur als die Voraussetzung für eine Ausübung der Menschenrechte zu verstehen ist. Wenig bekannt ist, das die Judikativ des Internationale Gerichtshof kurz IGH nicht generell bindend sind, ein "Case-Law" Wikipedia: Fallrecht ist nicht gegeben, Urteile binden nur "inter partes" http://www.proverbia-iuris.de/inter-partes/ - was hier bei der grundsätzlichen Frage auch mit entscheidet ist. Darüber hinaus lässt der IGH weiter offen, ob das SdV als Institut des Gewohnheitsrechts anzuerkennen ist.
Die Generalversammlung nimmt in mehreren Resolutionen Stellung zum SdV, deren konkrete Einordnung unter die herkömmlichen Kategorien der Rechtsquellen jedoch Schwierigkeiten bereitet, den generell haben solche Resolutionen (Empfehlungen) keine rechtlich bindende Kraft (Art. 10 UN-Charta), sondern eben nur einen deklaratorischen Charakter.
Hier nun den Begriff "Volk" und dessen Definition auch tiefer und unter rechtlichen Gesichtspunkten zu erörtern spare ich mir vorerst, da der Text schon jetzt sehr viel länger ist als geplant, das Thema ist aber eben nicht wie schon zu Beginn geschrieben mit dem Verweis und zitieren von zwei Artikeln bei Wikipedia vernünftig zu beschreiben.
Nun geht es weiter mit der näheren Betrachtung der Friendly Relations Declaration - A/RES/2625(XXV) der "Erklärung über Grundsätze des Völkerrechts betreffend freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen den Staaten im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen ("Friendly Relations"-Deklaration) vom 24.10.70, nachzulesen unter http://www.un.org/depts/german/gv-early/ar2625.pdf - im 5. Grundsatz der Friendly Relations Declaration wird das SvD zunächst als Abwehrrecht formuliert:
Alle Völker haben das Recht: "frei und ohne Einmischung von außen über ihren politischen Status zu entscheiden und ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung zu gestalten, und jeder Staat ist verpflichtet, dieses Recht zu achten".
Ausdrücklich nennt Abs. 4 verschiedene mögliche Verwirklichungsformen, nämlich die Gründung eines unabhängigen Staates, die Vereinigung oder Eingliederung in einen solchen sowie das Entstehen eines durch das Volk frei bestimmten Status, freilich eingeschränkt durch die Souveränität und territoriale Integrität der Staaten siehe Abs. 7.
Hier sind wir nun mit am entscheidenden Punkt der Fragestellung angekommen, die Gründung eines unabhängigen Staates ist natürlich durch Souveränität und territoriale Integrität der Staaten eingeschrängt.
Auch kann in der Friendly Relations Declaration nachlesen warum die Annexion der Krim gegen das Völkerrecht verstößt:
Kein Staat und keine Staatengruppe hat das Recht, unmittelbar oder mittelbar, gleichviel aus welchem Grund, in die inneren oder äußeren Angelegenheiten eines anderen Staates einzugreifen. Folglich sind die bewaffnete Intervention und alle anderen Formen der Einmischung oder Drohversuche gegen die Rechtspersönlichkeit eines Staates oder gegen seine politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Teilelemente völkerrechtswidrig.
Kommen wir nun konkret zu der Frage, ob aus dem Recht zur Staatenbildung ein Recht auf Sezession zwingend folgt, oder ob nicht doch im Gegenteil ein in jedem Fall bestehendes Recht auf Sezession das Selbstbestimmungsrecht überhaupt in Frage stellt. Denn einem Recht auf Sezession stehen der Grundsatz der territorialen Integrität sowie die Staatensouveränität entgegen. Deswegen wird von den Vereinten Nationen ein Recht auf Sezession als Folge auf das SdV generell abgelehnt.
Ein Recht oder Anspruch auf Sezession welches über die Entkolonialisierung hinausgeht wird selbst dann in der Praxis abgelehnt, wenn durch Nichtgewährung Völker in Unruhen oder gar schwere Bürgerkriege verwickelt werden.
So schränkt der Friendly Relations Declaration im 5. Grundsatz das Selbstbestimmungsrechts ausdrücklich zugunsten der territorialen Unversehrtheit sowie der politischen Einheit souveräner Staaten ein, jedoch unter dem Vorbehalt, dass die Völker sich dementsprechend verhalten.
Daraus wurde schon früher geschlussfolgert, es gäbe eine Recht auf Sezession wenn dem betroffenen Volk das Recht auf Selbstbestimmung vorenthalten würde, wenn es zum Beispiel zu schwere Menschenrechtsverletzungen kommt.
In dem Fall wäre eine Sezession als zulässige Form der Selbstverteidigung anzuerkennen.
Auch hier können wir nun die Krim als aktuelles Beispiel aufgreifen, denn wenn Gebiet völkerrechtswidrig annektiert wurde, hat auf Grund des Gewalt- und Interventionsverbots kein rechtmäßiger Gebietserwerb durch den annektierenden Staat stattgefunden mehr dazu in der Stimson-Doktrin. Siehe: Wikipedia: Hoover-Stimson-Doktrin
Ein Beitritt zu einem anderen Staat (hier Russland) kann nicht entgegen dem klaren Willen des Volkes des beitretenden Staates (die Ukraine und eben nicht die Krim) vollzogen werden, darum versuchte Russland den Beitritt auch erst durch eine Abspaltung der Krim zu legitimieren, in dem Sinn, es wäre ja die Krim als eigener Staat, der dann den Betritt und Anschluss an Russland vollzog. Ein anderes Beispiel wäre Kashmir, wo sich der Anschluss an Indien entgegen dem Willen der muslimischen Bevölkerung vollzog, mit der Folge eines bis heute andauernder Bürgerkrieg.
Primär ist für die Frage nach dem Recht auf Sezession auf Grundlage des Recht auf Selbstbestimmung also die Friendly Relations Declaration. Und Grundsätzlich ist bis auf bestimmte Ausnahmen ein solches Recht auf Sezession nicht als Ausfluss des Selbstbestimmungsrechts abzuleiten, hier steht eben weiter das Recht eines Staats auf die Unversehrtheit seiner territorialen Integrität darüber.
So in eigener Sache, dieser Beitrag hat mich ein paar Stunden Zeit gekostet, die ich heute eigentlich nicht dafür gehabt hätte, das Thema und die Fragestellung ist aber nicht nur interessant, sondern auch Kern in anderen Diskussionen zur Krim und Ukraine.
Ich bitte hier also ausdrücklich darum nur sachlich und beim Thema zu bleiben und jedwede persönliche Äußerung anderweitig an den Empfänger zu bringen. Gibt genug Threads die einfach darunter leiden und dadurch zerstört werden, als bitte erst überlegen und dann schreiben.
neP
Diese Meinung liest sich so:
... ein Staat der sich verfassungsrechtlich dazu verpflichtet die Menschenrechte zur vollen Geltung zu bringen, nun mal sich selbst in die Pflicht genommen hat diese zur vollen Geltung zu bringen. Was da auch kommen wolle, und welche Staatsrechte damit auch kollidieren mögen. Damit ist die Behauptung "territoriale Integrität vor Selbstbestimmung" nun mal nicht richtig, weil man sich als Mitglied der UN beim eintritt selbst in die Pflicht genommen hat, die Selbstbestimmung zur vollen Geltung zu bringen.1. Wird dann daraus geschlussfolgert:
Das bedeutet also, wenn die Selbstbestimmung der Völker hier mit der grundlegenden Struktur des Staates -samt Staatsgrenzen- kollidieren sollte, und sonst keine andere Wahl der Einigung bliebe, als die Grenzen zu ändern. Sind die Grenzen eben ändern, weil die Menschenrechte wichtiger sind, als die Grenzziehung.2. Darauf dann weiter:
Hier würden die Verfassungsrichter einer freiheitlich-demokratischen und auf Humanismus gegründeten Grundordnung gegen die territoriale Integrität stimmen müssen, um das Recht auf Selbstbestimmung zuzulassen, ...3. Um dann das zu erreichen:
Das Selbstbestimmungsrecht gibt einem das Recht sich politisch selbst organisieren zu dürfen und einen Staat zu gründen, und wenn das eine Bevölkerungsgruppe auf einem bestimmten Staatsgebiet tut, ist man als Mitglied der UN dazu verpflichtet dem Folge zu leisten, ...Bei einer Sezession kollidieren also unterschiedliche Rechte, primär ist es das Selbstbestimmungsrecht der Völker und und das Recht eines Staates (der selbe ja auch ein Volk oder mehrere repräsentiert und deren Rechte vertritt und auch waren muss) auf seine territoriale Integrität.
Wikipedia: Selbstbestimmungsrecht der Völker
Wikipedia: Territoriale Integrität
Um diese Gegensätzliche Position näher zu beleuchten und mehr Klarheit zu bringen reichen natürlich die Artikel bei Wikipedia nicht aus, denn hier sind selbst Völkerrechtler nicht einer Meinung. Hier muss also viel mehr betrachtet werden, Hintergründe und entsprechende Resolutionen und Verträge.
Konkret will ich dann ein paar konkrete Beispiel betrachten, da wäre Kosovo und die Ukraine neben anderen meine Wahl.
Erst einmal ganz allgemein dazu, eine Sezession ist immer für den Staat eine Zäsur, ein ganz tiefer Einschnitt in seine territoriale Integrität, wird einem Staat Gebiet genommen, dann verlieren alle anderen Bürger des Staates auch dieses Gebiet. Dort können Rohstoffe und Bodenschätze liegen, wichtige industrielle Produktionsstätten, Ressourcen eines Staates von denen alle Bürger partizipieren, und diese würden nun die Bürger des Ursprungsstaates natürlich verlieren. Ihnen wird also konkret was genommen. Der Staat kann Lieferverträge mit anderen Staaten haben, die er dann nicht mehr erfüllen könnte, die Wirtschaft wäre in Mitleidenschaft gezogen.
Alleine das zeigt schon ganz klar, es ist eine Tatsache das so eine Sezession die Rechte der Bürger im Ursprungsstaates zwangsläufig verletzt. Das steht zweifelsfrei außer Frage.
Dem aber nicht genug, auch gibt es Bürger im Gebiet das abgespalten werden soll, die nicht für diese Abspaltung sind, die würden dann im neuen Staat zu Ausländern, oder müssten die Staatsangehörigkeit ändern, oder umziehen, was auch gegen deren Recht verstoßen würde.
Würde es ein Recht auf Sezession gegeben, dem sich jeder Saat beugen muss, so wie oben zitiert, könnten diese Bürger nun ihrerseits ihr Recht auf Selbstbestimmung wahrnehmen und sich zurück abspalten, also vom neuen Staat wieder abspalten und dem alten anschließen.
Das ehemalige Staatsgebiet würde dadurch dann völlig fragmentiert und dieser handlungsunfähig, es gäbe für die Bürger keine Sicherheit einem Staat anzugehören, der könnte beliebig zerschnitten werden.
Damit steht schon mal fest, eine Sezession verletzt immer zwangsläufig das Recht von Bürgern, sei es derer des Ursprungsstaates oder derer die in dem Gebiet des neuen leben, aber eben nicht für die Sezession sind und Bürger des Ursprungsstaates bleiben wollen.
Wie sieht es dann nun aber vom Recht genauer her aus, was sagt das Völkerrecht wirklich, was der Internationale Gerichtshof (IGH) und welche Weisungsbefugnis hat dieser überhaupt, die konkrete Frage ist also erst einmal:
Gibt das Selbstbestimmungsrecht einem (oder einer Gruppe) auch das Recht einen Staat zu gründen, auch sich dort schon ein anderer Staat, und ist ein UN Mitgliedstaat dazu verpflichtet dem Folge zu leisten?
Ist die Frage so allgemein gehalten, dann ist die Antwort ganz allgemein ganz einfach nein. Denn eine Sezession verletzt wie erklärt immer zwangsläufig auch die Rechte anderer Bürger und die stellen in der Regel die Mehrheit. Ergibt sich auch zwingend daraus, dass das SdV eben für Völker definiert ist, sollte hier jedem einleuchten können, und nicht jeder oder jeder Gruppe auch ein Volk ist, damit ist die Behauptung oben schon klar widerlegt, es muss sich um ein Volk handeln und hier gilt es nun auch den Begriff "Volk" vorab erst einmal klar zu definieren.
Ist damit die Frage schon geklärt und entschieden?
Was die allgemeine Behauptung angeht ja, das SdV gibt natrülich nicht "einem" oder einer Gruppe das Recht auf in einem anderen Staat nun einen eigenen zu gründen. Konkreter gestellt aber, eben wenn ein "Volk" (wird weiter unten näher definiert) gegeben ist, lautet die Antwort nein, natürlich nicht, es kommt auf den Einzelfall an, es gibt natürlich Ausnahmen, es ist also möglich sich auch rechtmäßig aus einem Staat zu lösen und einen eigenen zu gründen.
1. Der Ursprungsstaat erlaubt es einfach, im Gebiet darf ein Referendum abgehalten werden, Beispiel Schottland.
2. Das Gebiet ist eine ehemalige Kolonie und wurde einfach mit Gewalt in Besitz genommen, das Volk und der Staat unterjocht. Solche Kolonien gab es viele, und dort haben sich inzwischen viele neue Staaten gebildet, die Kolonialmächte haben sich zurückgezogen, dem Volk dort die Hoheit über ihr Land zurückgegeben, auch auf Grund des Selbstbestimmungsrecht der Völker (SdV) war das möglich.
3. Ein Staat unterdrückt ein anderes Volk das auf seinem Gebiet lebt, es kommt zu willkürlichen Verhaftungen, Bürger haben nicht gleich Rechte, oder noch schlimmer, es kommt zu ethnischen Säuberungen, Genozid, Völkermord. Hier kann eine Sezession auch gegen den Willen des Mutterstaates erzwungen werden.
Wenn der Mutterstaates einer Sezession zustimmt ist das natürlich legitim, die Frage ist, was ist, wenn der das nicht will, dem nicht zustimmt, eine Sezession verweigert, kann eine Sezession unter Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker (SdV) nun gezwungen werden einer Sezession zuzustimmen?
Die Antwort ist hier grundsätzlich erst einmal nein. Wird eine Minderheit in einem Staat nicht benachteiligt, hat gleiche Rechte und kann frei leben und sich entfalten, dann hat diese Minderheit nicht das Recht auf eine Sezession, da hilft auch das SdV nicht weiter.
Warum habe ich weiter oben erklärt, wie sieht es nun aber konkret von der rechtlichen Seite aus, und wie auch schon geschrieben reichen hier um das zu klären natürlich nicht zwei Wikipedia Artikel aus. Das ist eine sehr komplexe Angelegenheit die viel Hintergrund hat und auch dann noch unterschiedliche Positionen mit sich bringt.
Eine eindeutige und klare Definition des Selbstbestimmungsrecht ist schon kaum möglich. Dazu mal ein paar Fragen, die auch von anderer Seite gestellt wird aufgegriffen:
1. Wer ist der Träger des SdV und wem gegenüber ist dieses überhaupt geltend zu machen und dann mit welchen Konsequenzen?
2. Wie verhalten sich die Souveränität der Staaten und SdV zueinander?
3. Ergibt sich aus dem Selbstbestimmungsrecht überhaupt zwingend auch ein Sezessionsrecht?
4. Oder begründet erst seine Verletzung ein Recht auf Sezession mit einer daraus zwingenden Anerkennungspflichten durch die Staatengemeinschaft und der Einbußen staatlicher Souveränität?
5. Stellt das SdV das Konzept der Souveränität überhaupt in Frage gestellt?
6. Ergibt sich aus dem SdV auch ein Anspruch auf innere Selbstbestimmung, sprich demokratische Willensbildung?
Und allem voraus steht noch die Frage ob es sich beim SdV überhaupt um ein Recht in Sinne des Völkerrechts handelt, um einen verbindlichen Rechtssatz, oder nur um eine Zielbestimmung eher politischer Natur. Eng mit dem dem Charakter der Rechtsnorm verbunden ist, wieweit sich das Selbstbestimmungsrecht als Gruppenrecht in die Menschenrechte (der sogenannten 3. Generation) einreiht und ob diese einen selbständigen durchsetzbaren Rechtsanspruch begründen (können).
Die Grundlage der für das SdV findet sich im 14-Punkte-Programm des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson: Wikipedia: 14-Punkte-Programm
Genannt werden hier die Elemente Unabhängigkeit, Autonomie, sowie die Freiheit, die eigene politische Ordnung zu bestimmen. Ins Blickfeld gerät damit wieder der Gedanke der Legitimität von Herrschaft, sprich der inneren Selbstbestimmung, missbilligt werden Annexionen - generell soll der gewaltsame Gebietserwerb nur durch die Interessen der Bevölkerung legitimiert werden können.
Für die Nichtanerkennung ist die Regelung der Südtirolfrage ein gutes Beispiel, welche bereits unter den Alliierten des ersten Weltkriegs in Geheimverträgen rein nach strategischen Gesichtspunkten gelöst worden war. Die Durchsetzung der Minderheitenrechte scheiterte nicht zuletzt am Souveränitätsdenken der Staaten.
In Rang und Ansehen stieg dann nach dem 2. Weltkrieg das Selbstbestimmungsrecht auf. Den vorläufigen Höhepunkt fand die Verwirklichung dieses Rechts durch die Erwähnung in der UN-Charta als Grundsatz der Gleichberechtigung und SdV, wie auch über verschiedene Resolutionen, dann in der Dekolonisation.
Die UN-Menschenrechtspakte von 1966, welche das subjektive Recht aller Völker auf Selbstbestimmung kodifizieren, welches als Voraussetzung der Ausübung von Individualrechten vorangeht war der nächste Schritt auf dem Weg. Als kollektives Menschenrecht in der internationalen Völkerrechtsordnung soll damit das SdV durch Inkrafttreten im Jahr 1976 verankert sein.
Besondere Bedeutung kommt der UN-Charta www.un.org/Depts/german/un_charta/charta.pdf zu, der nahezu alle Staaten der Welt beigetreten sind, und in der das SdV an zwei Stellen genannt wird, dort heißt es in Artikel 1:
Die Vereinten Nationen setzen sich folgende Ziele:
1. den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren und zu diesem Zweck wirksame
Kollektivmaßnahmen zu treffen, um Bedrohungen des Friedens zu verhüten und zu beseitigen, Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu unterdrücken und internationale Streitigkeiten oder Situationen, die zu einem Friedensbruch führen könnten, durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts zu bereinigen oder beizulegen;
2. freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln und andere geeignete Maßnahmen zur Festigung des Weltfriedens zu treffen;
(3) eine internationale Zusammenarbeit herbeizuführen, um internationale Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art zu lösen und die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fördern und zu festigen;
4. ein Mittelpunkt zu sein, in dem die Bemühungen der Nationen zur Verwirklichung dieser gemeinsamen Ziele aufeinander abgestimmt werden.
In KAPITEL IX Internationale Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet steht weiter in Artikel 55:
Um jenen Zustand der Stabilität und Wohlfahrt herbeizuführen, der erforderlich ist, damit zwischen den Nationen friedliche und freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen herrschen, fördern die Vereinten Nationen
a) die Verbesserung des Lebensstandards, die Vollbeschäftigung und die Voraussetzungen für wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt und Aufstieg;
b) die Lösung internationaler Probleme wirtschaftlicher, sozialer, gesundheitlicher und verwandter Art sowie die internationale Zusammenarbeit auf den Gebieten der Kultur und der Erziehung;
c) die allgemeine Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion.
Aus der Einordnung des SdV unter Art. 1 (Ziele) wird öfter der Schluss gezogen, es handele sich hier beim SdV um einen Programmsatz. Begründen lässt sich dieses aber eben nicht schon damit, dass darauf "individual claims" (individuelle Ansprüche) nicht darauf gestützt werden können, den die Qualität der Rechtsnorm setzt notwendiger Weise eben nicht zwingend voraus, dass ein Rechtssatz subjektive Rechte, nämlich die Rechtsmacht, einen Anspruch durchzusetzen, verleiht.
So ist der Schluss von der Nennung des SdV unter den Zielen auf eine bloße unverbindliche Zielbestimmung ist nach dem Wortlaut "purposes" (Zweck) eben keineswegs zwingend. Als Rechtssatz bekommt das SdV erst durch die Notwendigkeit einer objektiven Interpretation der Gründungsverträge einer internationalen Organisation hier die UN seine Konturen als Rechtssatz.
Der UN-Zivilpakt (Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte / International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights kurz ICESCR) Wikipedia: Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR-International Covenant on Civil and Political Rights, kurz IPbpR) erkennen das SdV für Vertragsstaaten bindend an. In beiden Pakten heißt es gleichlautend in Artikel I:
(1) Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung.
(2) Alle Völker können für ihre eigenen Zwecke frei über ihre natürlichen Reichtümer und Mittel verfügen, unbeschadet aller Verpflichtungen, die aus der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit auf der Grundlage des gegenseitigem Wohles sowie aus dem Völkerrecht erwachsen. In keinem Fall darf ein Volk seiner eigenen Existenzmittel beraubt werden.“
(3) Die Vertragsstaaten, einschließlich der Staaten, die für die Verwaltung von Gebieten ohne Selbstregierung und von Treuhandgebieten verantwortlich sind, haben entsprechend der Charta der Vereinten Nationen die Verwirklichung des Rechts auf Selbstbestimmung zu fördern und dieses Recht zu achten.
Jedoch ist es eben sehr strittig, ob nun diese Formulierung auch ein subjektives Recht auf Selbstbestimmung verleiht, oder ob das SdV nur als die Voraussetzung für eine Ausübung der Menschenrechte zu verstehen ist. Wenig bekannt ist, das die Judikativ des Internationale Gerichtshof kurz IGH nicht generell bindend sind, ein "Case-Law" Wikipedia: Fallrecht ist nicht gegeben, Urteile binden nur "inter partes" http://www.proverbia-iuris.de/inter-partes/ - was hier bei der grundsätzlichen Frage auch mit entscheidet ist. Darüber hinaus lässt der IGH weiter offen, ob das SdV als Institut des Gewohnheitsrechts anzuerkennen ist.
Die Generalversammlung nimmt in mehreren Resolutionen Stellung zum SdV, deren konkrete Einordnung unter die herkömmlichen Kategorien der Rechtsquellen jedoch Schwierigkeiten bereitet, den generell haben solche Resolutionen (Empfehlungen) keine rechtlich bindende Kraft (Art. 10 UN-Charta), sondern eben nur einen deklaratorischen Charakter.
Hier nun den Begriff "Volk" und dessen Definition auch tiefer und unter rechtlichen Gesichtspunkten zu erörtern spare ich mir vorerst, da der Text schon jetzt sehr viel länger ist als geplant, das Thema ist aber eben nicht wie schon zu Beginn geschrieben mit dem Verweis und zitieren von zwei Artikeln bei Wikipedia vernünftig zu beschreiben.
Nun geht es weiter mit der näheren Betrachtung der Friendly Relations Declaration - A/RES/2625(XXV) der "Erklärung über Grundsätze des Völkerrechts betreffend freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen den Staaten im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen ("Friendly Relations"-Deklaration) vom 24.10.70, nachzulesen unter http://www.un.org/depts/german/gv-early/ar2625.pdf - im 5. Grundsatz der Friendly Relations Declaration wird das SvD zunächst als Abwehrrecht formuliert:
Alle Völker haben das Recht: "frei und ohne Einmischung von außen über ihren politischen Status zu entscheiden und ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung zu gestalten, und jeder Staat ist verpflichtet, dieses Recht zu achten".
Ausdrücklich nennt Abs. 4 verschiedene mögliche Verwirklichungsformen, nämlich die Gründung eines unabhängigen Staates, die Vereinigung oder Eingliederung in einen solchen sowie das Entstehen eines durch das Volk frei bestimmten Status, freilich eingeschränkt durch die Souveränität und territoriale Integrität der Staaten siehe Abs. 7.
Hier sind wir nun mit am entscheidenden Punkt der Fragestellung angekommen, die Gründung eines unabhängigen Staates ist natürlich durch Souveränität und territoriale Integrität der Staaten eingeschrängt.
Auch kann in der Friendly Relations Declaration nachlesen warum die Annexion der Krim gegen das Völkerrecht verstößt:
Kein Staat und keine Staatengruppe hat das Recht, unmittelbar oder mittelbar, gleichviel aus welchem Grund, in die inneren oder äußeren Angelegenheiten eines anderen Staates einzugreifen. Folglich sind die bewaffnete Intervention und alle anderen Formen der Einmischung oder Drohversuche gegen die Rechtspersönlichkeit eines Staates oder gegen seine politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Teilelemente völkerrechtswidrig.
Kommen wir nun konkret zu der Frage, ob aus dem Recht zur Staatenbildung ein Recht auf Sezession zwingend folgt, oder ob nicht doch im Gegenteil ein in jedem Fall bestehendes Recht auf Sezession das Selbstbestimmungsrecht überhaupt in Frage stellt. Denn einem Recht auf Sezession stehen der Grundsatz der territorialen Integrität sowie die Staatensouveränität entgegen. Deswegen wird von den Vereinten Nationen ein Recht auf Sezession als Folge auf das SdV generell abgelehnt.
Ein Recht oder Anspruch auf Sezession welches über die Entkolonialisierung hinausgeht wird selbst dann in der Praxis abgelehnt, wenn durch Nichtgewährung Völker in Unruhen oder gar schwere Bürgerkriege verwickelt werden.
So schränkt der Friendly Relations Declaration im 5. Grundsatz das Selbstbestimmungsrechts ausdrücklich zugunsten der territorialen Unversehrtheit sowie der politischen Einheit souveräner Staaten ein, jedoch unter dem Vorbehalt, dass die Völker sich dementsprechend verhalten.
Daraus wurde schon früher geschlussfolgert, es gäbe eine Recht auf Sezession wenn dem betroffenen Volk das Recht auf Selbstbestimmung vorenthalten würde, wenn es zum Beispiel zu schwere Menschenrechtsverletzungen kommt.
In dem Fall wäre eine Sezession als zulässige Form der Selbstverteidigung anzuerkennen.
Auch hier können wir nun die Krim als aktuelles Beispiel aufgreifen, denn wenn Gebiet völkerrechtswidrig annektiert wurde, hat auf Grund des Gewalt- und Interventionsverbots kein rechtmäßiger Gebietserwerb durch den annektierenden Staat stattgefunden mehr dazu in der Stimson-Doktrin. Siehe: Wikipedia: Hoover-Stimson-Doktrin
Ein Beitritt zu einem anderen Staat (hier Russland) kann nicht entgegen dem klaren Willen des Volkes des beitretenden Staates (die Ukraine und eben nicht die Krim) vollzogen werden, darum versuchte Russland den Beitritt auch erst durch eine Abspaltung der Krim zu legitimieren, in dem Sinn, es wäre ja die Krim als eigener Staat, der dann den Betritt und Anschluss an Russland vollzog. Ein anderes Beispiel wäre Kashmir, wo sich der Anschluss an Indien entgegen dem Willen der muslimischen Bevölkerung vollzog, mit der Folge eines bis heute andauernder Bürgerkrieg.
Primär ist für die Frage nach dem Recht auf Sezession auf Grundlage des Recht auf Selbstbestimmung also die Friendly Relations Declaration. Und Grundsätzlich ist bis auf bestimmte Ausnahmen ein solches Recht auf Sezession nicht als Ausfluss des Selbstbestimmungsrechts abzuleiten, hier steht eben weiter das Recht eines Staats auf die Unversehrtheit seiner territorialen Integrität darüber.
So in eigener Sache, dieser Beitrag hat mich ein paar Stunden Zeit gekostet, die ich heute eigentlich nicht dafür gehabt hätte, das Thema und die Fragestellung ist aber nicht nur interessant, sondern auch Kern in anderen Diskussionen zur Krim und Ukraine.
Ich bitte hier also ausdrücklich darum nur sachlich und beim Thema zu bleiben und jedwede persönliche Äußerung anderweitig an den Empfänger zu bringen. Gibt genug Threads die einfach darunter leiden und dadurch zerstört werden, als bitte erst überlegen und dann schreiben.
neP