Unruhen in der Ukraine
03.06.2014 um 20:14ps
Moderator
...also sie haben ja eine Forschungsarbeit begleitet, muß man dazu noch sagen, also in denen eben Schaulustige gesprochen haben also über ihre Eindrücke.
Mikus
Ja, also es fährt den Betroffenen richtig in den Körper, das was da passiert. Also, sie sagen z.B. "Es war wie ein Schlag in den Magen" oder "mir stand das Herz still", "alles steht", man fühlt sich starr, apathisch, völlig hilflos. Und die Zeit läuft auch ganz anders ab. Irgendwie ist es so, als wenn die Zeit stillsteht. Zugleich sind aber auch Erwartungen da, als ob eigentlich die Sache jetzt erst richtig losgehen würde, also Stillstand, Ruhe, Leere, aber doch irgendwie mehr - so befürchtet man gerade dann, daß gleich noch etwas Schlimmeres passieren könnte. Alles das hält einen fest.
Moderator
Aber der Vorwurf ist ja vielfach an Schaulustige, daß sie sich an dem Leid der Unfallopfer regelrecht weiden würden. Ist denn da was dran?
Mikus
Also das Thema ist ganz stark moralisch besetzt. Damit sag ich auch, so glaube ich, nichts Neues. Die Betroffenen, die erleben da etwas ganz anderes. Und deshalb möchte ich am liebsten hier schon etwas weiter ausholen. Ich mach vielleicht mal so eine Setzung und dann können wir das an einer anderen Stelle später noch was vertiefen:
Ich glaub´ jeder Mensch kennt zwei Seiten in seinem Handeln: Einmal gibt er seinem Tun immer wieder eine Richtung - irgendwas will er fertigbringen zum Beispiel jetzt, zu Mittag etwas kochen - zum anderen ist er aber auch ständig dabei, das was er gerade tut zu vertiefen und zwar in irgendeine andere Richtung. Vielleicht sind wir also gerade dabei ein Mittagessen vorzubereiten und dann fällt uns etwas ein, was mit dieser Zielsetzung nichts zu tun hat - vielleicht ein Besuch den wir am Nachmittag erhalten werden. Das mischt sich dann vertiefend in das konkrete zielgerichtete Handeln ein. Das Kochen bekommt eine ganz andere Färbung.
Wenn ein Unfall geschieht ist ebenfalls dieses Doppelte da, also das Zielgerichtete und das Vertiefende - aber beides jetzt in einer unheimlich zugespitzten Weise: Auf der einen Seite heißt es jetzt: Nichts ist wichtiger als Helfen! also das ist dieses "zielgerichtete Handeln". Und dann gibt es die Herausforderung: Schau dir an, was in der Wirklichkeit alles drinsteckt, hier ist sie entfesselt vor deinen Augen. Also es zwingt uns zu zweierlei: Einerseits in diese entfesselte Wirklichkeit hineinzuschauen und zu sehen was in ihr alles drinsteckt. Und zum anderen: Zwingt es uns zum Eingreifen nach dem Motto: Nichts ist wichtiger als Helfen. Und genau beides spüren diejenigen, die in so ein Unfallgeschehen hineingeraten - also die Zaungäste wie ich sie lieber nenne. Bei diesem Wort liegt noch nicht die Bewertung mit drin, daß die etwas möglicherweise Verbotenes tun. Der Schaulustige hat, wie wir in den Interviews festgestellt haben immer auch eine Spur von schlechtem Gewissen. Er ist immer auch damit beschäftigt, sich zu fragen, ob er helfen muß oder nicht.
http://mikus.psf.net/das-denken/interviews/schaulust.htm (Archiv-Version vom 04.03.2016)
Moderator
...also sie haben ja eine Forschungsarbeit begleitet, muß man dazu noch sagen, also in denen eben Schaulustige gesprochen haben also über ihre Eindrücke.
Mikus
Ja, also es fährt den Betroffenen richtig in den Körper, das was da passiert. Also, sie sagen z.B. "Es war wie ein Schlag in den Magen" oder "mir stand das Herz still", "alles steht", man fühlt sich starr, apathisch, völlig hilflos. Und die Zeit läuft auch ganz anders ab. Irgendwie ist es so, als wenn die Zeit stillsteht. Zugleich sind aber auch Erwartungen da, als ob eigentlich die Sache jetzt erst richtig losgehen würde, also Stillstand, Ruhe, Leere, aber doch irgendwie mehr - so befürchtet man gerade dann, daß gleich noch etwas Schlimmeres passieren könnte. Alles das hält einen fest.
Moderator
Aber der Vorwurf ist ja vielfach an Schaulustige, daß sie sich an dem Leid der Unfallopfer regelrecht weiden würden. Ist denn da was dran?
Mikus
Also das Thema ist ganz stark moralisch besetzt. Damit sag ich auch, so glaube ich, nichts Neues. Die Betroffenen, die erleben da etwas ganz anderes. Und deshalb möchte ich am liebsten hier schon etwas weiter ausholen. Ich mach vielleicht mal so eine Setzung und dann können wir das an einer anderen Stelle später noch was vertiefen:
Ich glaub´ jeder Mensch kennt zwei Seiten in seinem Handeln: Einmal gibt er seinem Tun immer wieder eine Richtung - irgendwas will er fertigbringen zum Beispiel jetzt, zu Mittag etwas kochen - zum anderen ist er aber auch ständig dabei, das was er gerade tut zu vertiefen und zwar in irgendeine andere Richtung. Vielleicht sind wir also gerade dabei ein Mittagessen vorzubereiten und dann fällt uns etwas ein, was mit dieser Zielsetzung nichts zu tun hat - vielleicht ein Besuch den wir am Nachmittag erhalten werden. Das mischt sich dann vertiefend in das konkrete zielgerichtete Handeln ein. Das Kochen bekommt eine ganz andere Färbung.
Wenn ein Unfall geschieht ist ebenfalls dieses Doppelte da, also das Zielgerichtete und das Vertiefende - aber beides jetzt in einer unheimlich zugespitzten Weise: Auf der einen Seite heißt es jetzt: Nichts ist wichtiger als Helfen! also das ist dieses "zielgerichtete Handeln". Und dann gibt es die Herausforderung: Schau dir an, was in der Wirklichkeit alles drinsteckt, hier ist sie entfesselt vor deinen Augen. Also es zwingt uns zu zweierlei: Einerseits in diese entfesselte Wirklichkeit hineinzuschauen und zu sehen was in ihr alles drinsteckt. Und zum anderen: Zwingt es uns zum Eingreifen nach dem Motto: Nichts ist wichtiger als Helfen. Und genau beides spüren diejenigen, die in so ein Unfallgeschehen hineingeraten - also die Zaungäste wie ich sie lieber nenne. Bei diesem Wort liegt noch nicht die Bewertung mit drin, daß die etwas möglicherweise Verbotenes tun. Der Schaulustige hat, wie wir in den Interviews festgestellt haben immer auch eine Spur von schlechtem Gewissen. Er ist immer auch damit beschäftigt, sich zu fragen, ob er helfen muß oder nicht.
http://mikus.psf.net/das-denken/interviews/schaulust.htm (Archiv-Version vom 04.03.2016)