Steueroasen sind dieser Tage in aller Munde. Reiche horten ihr Geld auf den Kaimaninseln oder auf den britischen Jungferninseln, auf den Bermudas oder, der Klassiker, in der Schweiz. Nur über das größte Steuerparadies der Welt liest man nichts: Pakistan.
Wer hier freiwillig Steuern zahlen will, gilt als geisteskrank. Ich wundere mich, warum Pakistan nicht längst mit seiner laxen Steuerpraxis wirbt, beklagen sich Pakistaner doch regelmäßig über den schlechten Ruf ihres Landes. Einfach das Wort Steuerparadies, dazu ein paar Fotos vom wunderschön bergigen Norden des Landes, fertig ist die Imagekampagne. Weg von Taliban und Terror, hin zu Uli Hoeneß und Gérard Depardieu, sozusagen.
Pakistan hat knapp 190 Millionen Einwohner, aber so gut wie keine Einkommensteuerzahler. Nach Angaben der obersten Finanzbehörde haben im vergangenen Jahr weniger als ein Prozent aller Pakistaner, nämlich 768.000 Menschen, Einkommensteuer abgeführt. Dabei ist laut Gesetz jeder, der mehr als umgerechnet etwa 3000 Euro im Jahr verdient, steuerpflichtig - das sind in einem Land, in dem das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf bei jährlich etwa 1100 Euro liegt, nur etwa zehn Millionen Menschen. Ich lebe nun schon seit ein paar Jahren hier, und ich habe noch nie gehört, dass ein pakistanisches Gericht einen Steuerhinterzieher verurteilt hat.
Ein Land, das von Eliten für Eliten regiert wird
Man wundert sich, denn es ist ja nicht so, dass der Staat das Geld nicht dringend bräuchte: Das Bildungssystem ist eine Katastrophe, das Gesundheitssystem in einem jämmerlichen Zustand, die meisten Straßen bröckeln vor sich hin (wenn sie denn überhaupt asphaltiert sind), ständig fällt der Strom aus und der Staat kann die Sicherheit seiner Einwohner in vielen Teilen des Landes nicht garantieren.
Da müsste man doch Steuern erheben, denkt man sich als Außenstehender, so wie Hillary Clinton und viele andere westliche Politiker, die immer wieder eine Reform des Steuersystems bei ihren pakistanischen Kollegen anmahnen. Aber wer so denkt, versteht nicht (oder will nicht verstehen): Pakistan ist ein Land, das von Eliten für Eliten regiert wird. Im Parlament sitzen reiche Leute, Industrielle und Großgrundbesitzer.
Diesen Eliten ist es völlig egal, wie es den Massen da draußen geht. Man steigt vor seinem klimatisierten Haus ins klimatisierte Auto, um damit in die klimatisierte Shoppingmall chauffiert zu werden. Abends geht es ins klimatisierte Restaurant oder in die klimatisierte Bar, wo es trotz Alkoholverbots natürlich Alkohol für die reichen Leute gibt. Was jenseits der eigenen hoch ummauerten Welt passiert, wird einfach ignoriert. Müll? Kann auf die Straße geworfen werden. Bettler? Denen gibt man ab und zu ein bisschen Geld, das beruhigt das Gewissen und erfüllt religiöse Pflichten.
Wer reich ist, fährt ohnehin einen Geländewagen (Straßenlöcher? Egal!), besitzt Generatoren (Stromausfälle? Auch egal!), leistet sich Behandlungen in privaten Kliniken, am besten im Ausland (Staatliches Gesundheitssystem? Unnötig!), schickt seine Kinder auf teure Privatschulen oder ebenfalls gleich ins Ausland (Wozu in ein staatliches Bildungssystem investieren?). Benzin, Strom und Gas subventioniert der Staat und sagt, dass es doch den armen Menschen helfe - tatsächlich nützt es aber vor allem denen, die Autos und Klimaanlagen und große Häuser besitzen, nämlich den Reichen. Auch das also eine politische Entscheidung der Eliten für die Eliten.
Oberschicht nennt sich nicht gern Oberschicht
Sie nennen sich gerne Mittelklasse, gehören aber mit ihrer Ausbildung, ihren Reisen ins Ausland, ihren iPhones und iPads und ihren Immobilien zu den oberen zehn Prozent der Bevölkerung. Oberschicht nennt sich nicht gern Oberschicht. Aber man weiß um den eigenen Einfluss und die eigene Macht. Fällt zum Beispiel die Stromrechnung sehr hoch aus, bezahlt man sie einfach nicht. Die gesellschaftliche Stellung und die Bekanntschaft mit irgendwelchen Leuten beim Stromversorger schützen davor, dass die Leitung gekappt wird.
Vor ein paar Monaten ergab eine Studie des Center for Investigative Reporting in Pakistan, dass nicht einmal ein Drittel aller Parlamentarier Steuern zahlen. Auch Staatspräsident Asif Ali Zardari, angeblich Milliardär, soll demnach keine Rupie abgeführt haben.
ANZEIGE
Man fragt sich: Wie finanziert Pakistan dann seine Ausgaben? Nun, Steuern nimmt der Staat indirekt ein, vor allem durch die Mehrwertsteuer. Das ist hochgradig unfair gegenüber den Armen, die sich selbst das Lebensnotwendige kaum leisten können. Und es funktioniert nur schlecht, denn welcher Basarhändler berechnet schon Mehrwertsteuer und führt entsprechend ab? Schätzungen des Finanzministeriums gehen davon aus, dass nur etwa 25 Prozent des Handels das tut - das ist die niedrigste Quote weltweit. Und dann gibt es ein bisschen Bakshish hier, ein bisschen Schmiergeld dort, ein informelles Finanzsystem. Und natürlich die milliardenschwere Hilfe aus dem Ausland.
Ein ranghoher Finanzbeamter sagte mir neulich, man könne in Pakistan Steuern "nicht mit Gewalt eintreiben", die Menschen seien "diese Art von direkter Steuererhebung nicht gewöhnt", sie entspreche "nicht der hiesigen Kultur". Tatsächlich hat man sich in dieser Gesellschaft mit diesem Zustand abgefunden: Der Staat bietet seinen Bürgern nichts, und die Bürger erwarten vom Staat nichts. Jeder sorgt für sich selbst, in allen Bereichen, und wer's nicht packt, bleibt halt auf der Strecke.
So gesehen ist es der Extremzustand dessen, was alle Steuersenkungspolitiker im Westen gerne fordern: Runter mit den Steuern, der Staat solle sich aus so vielen Dingen wie möglich raushalten. Alle, die das verlangen, sollten mal Urlaub in Pakistan machen, damit sie spüren, wie das so ist, in einer Steueroase.
http://www.spiegel.de/panorama/hasnain-kazim-ueber-das-steuerparadies-pakistan-a-901200.html