@off-peak Vorweg erstmal zum Thema, dass Wahrnehmungen im Gehirn erzeugt werden.
Wäre dem so, dann müssten diese Wahrnehmungen ja nun wieder irgend einen Raum einnehmen und damit nach außen projiziert werden. Ich spüre den Schmerz nicht tatsächlich im Finger, sondern im Gehirn und das Gehirn projiziert den Schmerz in seinen eigenen erzeugten Raum, der nun wie durch ein Wunder mit dem des physikalisch tatsächlichen Fingers zusammen fällt.
Das Gleiche gilt für den roten Ball, der durch das Licht und die Reizung der Retina nun im Gehirn erzeugt wird und auf wundersame Weise nun nach außen gelangt und genau dort erscheint, wo auch der physikalische Ball ist.
Erwin Strauß hat hierzu eine umfassende Kritik geschrieben.
Es gibt viele Paradoxa, in die der Projektionsbegriff führt. Ich möchte ein Paradoxon aufzeigen:
Wenn ihr behauptet, dass Wahrnehmung im Gehirn entsteht, dann muss man sich fragen, warum ich den Schmerz überhaupt im Finger spüre und nicht im Gehirn. Also muss die Wahrnehmung nun wieder nach außen projiziert werden (wie auch immer das funktionieren soll).
Jedes Gehirn erzeugt also für sich seinen eigenen Raum (wird ja gerne als Phenospace bezeichnet). Das wird allerspätestens dann zum Problem, wenn ich zum Arzt gehe und ihm den Finger zeigen möchte. Wenn jedes Gehirn für sich die Wahrnehmung erzeugt, dann wäre jeder in seinem eigenen Wahrnehmungsraum gefangen und ich könnte dem Arzt meinen Finger gar nicht zeigen. Wir würden gar nicht die gleiche Stelle finden, da ja jedes Gehirn für sich seinen eigenen Raum erzeugt.
Zur Verdeutlichung ein Ausschnitt aus einem Buch. Ich hoffe das klappt mit dem kopieren.
Ich zitiere aus Fuchs, Thomas: Das Gehirn - Ein Beziehungsorgan, 4. Aufl., S.32 f.
" Die Koextension von Subjektleib und organischem Körper kann nicht etwa
durch eine „Projektion‘‘ von Leibempfindungen in den Raum des Körpers erklärt
werden, denn abgesehen von den unlösbaren logischen Widersprüchen,
in die der Projektionsbegriff führt
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, hätte der objektive Raum des Körpers in
einer virtuellen Subjekt-Welt gar keine Existenz. Eine Projektion „nach außen‘‘
kann es nicht geben, wenn diese Außenwelt doch nach der Voraussetzung nur
eine vom Gehirn konstruierte Innenwelt sein soll – es gäbe gar kein „Wohin‘‘
der Projektion. Die früher noch üblichen Projektionskonzepte sind daher in
den kognitiven Neurowissenschaften weitgehend zugunsten eines einheitlichen
virtuell-phänomenalen Raums, eines „Phenospace‘‘
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aufgegeben worden, wie
er auch von Roth im erwähnten Zitat entworfen wird. Konsequenterweise
muss dann allerdings auch die subjektiv erlebte Auseinandersetzung des Körpers
mit der Umwelt, also z. B. der Nadelstich, der den Schmerz erzeugt, zu
einem virtuellen Konstrukt, einer Simulation des Gehirns erklärt werden, was
letztlich in einen Neuro-Solipsismus führen würde: Wir hätten dann überhaupt
keinen Zugang zur eigentlichen Realität.
Das mag in der von Roth oben zugrundegelegten Situation – Arbeitszimmer,
Schreibtisch, Kaffeetasse – unproblematisch bleiben. Sobald wir aber in eine
intersubjektive Situation eintreten wie der erwähnte Patient beim Arztbesuch,
wird sofort deutlich, dass subjektives Erleben und objektive Situation, also
Schmerzempfindung und feststellbare körperliche Ursache, keineswegs zwei
getrennten Welten angehören. Die „Syntopie‘‘ oder das Zusammenfallen des
Ortes von Schmerz und Verletzung betrifft nämlich jetzt den von Arzt und Patient
gemeinsam wahrgenommenen Körper: Dort, wo der Patient den Schmerz mpfindet und wohin er deutet, findet der Arzt auch dessen Ursache. Beide sehen
den gleichen Fuß, der schmerzt und verletzt ist. Der Verweis auf den jeweiligen
„Phenospace‘‘ von Arzt und Patient hilft nun nicht mehr weiter – wenn
die Rede von einer Realität des Körpers überhaupt irgendeinen Sinn haben
soll, dann in der intersubjektiven Situation. Denn hier kommen die subjektiven
Räumlichkeiten beider Personen in einer Weise zur Deckung, die ihre bloße
Subjektivität aufhebt. Der von beiden Personen übereinstimmend gemeinte
Körper kann kein subjektives Scheingebilde mehr sein. Er befindet sich im gemeinsamen,
intersubjektiven und insofern objektiven Raum.
Da jedes Gehirn nach der neurokonstruktivistischen Voraussetzung nur seinen eigenen
virtuellen Raum produziert, kann es keinen „gemeinsamen Phenospace‘‘ von Arzt und
Patient geben. Wenn sich Wahrnehmung also restlos als ein physikalischer Prozess beschreiben
und erklären ließe, der sich jeweils zwischen einem Gegenstand und einem
Gehirn abspielt, dann könnten zwei Menschen nicht gemeinsam ein- und denselben
Gegenstand betrachten. Die zwei Prozesse liefen, vom Objekt ausgehend, in verschiedene
Richtungen und streng getrennt voneinander ab, und die beiden Personen blieben
in ihre jeweilige Welt eingeschlossen. Insofern also der intersubjektiv konstituierte
Raum Objektivität besitzt – besäße er sie nicht, dann wäre keine Verständigung über
gemeinsam wahrgenommene Objekte möglich, ja nicht einmal ein schlichter Warenaustausch
wie beim Einkaufen – erweist er umgekehrt die jeweiligen subjektiv erlebten
Räume, auf deren Basis er sich konstituiert, als nicht nur virtuell. Die subjektive Sicht
ist also zwar eine je individuelle, perspektivische Sicht, jedoch nicht etwa „nur subjektiv‘‘
in dem Sinne, als wäre das Gesehene „im Subjekt‘‘. Sehend befinden wir uns immer
schon in einem gemeinsamen Raum mit Anderen.
Arzt und Patient nehmen also den gleichen, objektiven Körper wahr. Nun
passt aber die subjektive Stelle des Schmerzes zum objektiven Ort des Körperteils.
Der subjektiv-leibliche und der objektive Raum kommen also tatsächlich
zur Deckung, und wir müssen die Frage wiederholen: Wie ist es möglich, dass
der Patient den Schmerz dort empfindet und nicht im Gehirn?
Schon die Richtung der Frage zeigt freilich, dass wir in cartesianischer Tra-
dition noch immer gewohnt sind, Subjektivität vom lebendigen Organismus
kategorial zu trennen (und auch Hirnforscher sind häufig gute Cartesianer,
ohne sich dessen bewusst zu sein). Evolutionär verhält es sich gerade umgekehrt:
Ursprünglich ist der ganze Körper gewissermaßen ein Sinnes- und Fühlorgan.
Gerade an seinen Grenzflächen mit der Umgebung ist der Organismus
reizbar, sensibel und responsiv. Die elementare Sensibilität beginnt an der Peripherie
des Körpers. Die Ausbildung eines nervösen Zentralorgans hebt diese periphere Sensibilität nicht auf, sondern integriert sie. Dass das leibliche Bewusstsein
mit dem Organismus koextensiv bleibt, zeigt, dass es gerade nicht
als eine außerweltliche Entität aus ihm entspringt wie Athene aus dem Haupt
des Zeus, sondern vielmehr von Anfang an ein verkörpertes Bewusstsein ist.
Es stellt das „Integral‘‘ über dem lebendigen Organismus insgesamt dar, nicht
ein im Gehirn produziertes Phantom.
Die Koextension von subjektivem Leib und organischem Körper ist so gesehen
nicht mehr verwunderlich. Sie ist aber auch funktionell sinnvoll: Das bewusste
Erleben ist dort, wo die Interaktionen mit der Umwelt stattfinden – in
der Peripherie, nicht im Gehirn. Schließlich ist der Körper der „Spieler im
Feld‘‘. Daher ist es sinnvoll, dass seine Grenzen, Stellungen und Bewegungen
in der Umwelt „analog‘‘, d. h. leibräumlich erlebt und nicht nur kognitiv registriert
werden.
Theoretisch wäre es auch denkbar, dass Schmerzen uns ortlos zu Bewusstsein
kämen wie Gedanken oder Erinnerungen. Doch ohne die Koinzidenz der
beiden Räume hätten wir unseren Körper nur als ein äußerlich zu hantierendes
Werkzeug und wären nicht in ihm „inkarniert‘‘. Nur weil das Bewusstsein in
der schmerzenden Hand ist, zieht man sie unwillkürlich vor der Nadel zurück.
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Nur weil die Empfindung des Töpfers in seiner tastenden Hand ist, und er dort die
Struktur des Tones spürt, kann er ihn auch geschickt formen. Eine bloße „zentrale Verrechnung‘‘
im Gehirn könnte niemals leisten, was die unmittelbare Präsenz des Subjekts
in seiner Hand ermöglicht, nämlich die Verknüpfung von Wahrnehmung, Bewegung
und Objekten in einem gemeinsamen Raum: „Mein Leib ist da, wo er etwas zu
tun hat‘‘ (Merleau-Ponty 1966, 291). Wir können insofern von einer nicht nur verkör-
kein Berühren, Sehen, Hören oder Bewegen an sich, sondern nur eine Empfin-
dung des Körpers, wie er berührte, sah, hörte oder sich bewegte‘‘ (Damasio
1996, 306, 309; Hvhbg. im Orig.). Der Körper ist also das Vermittlungsorgan,
durch dessen periphere Empfindungen hindurch die Umwelt wahrgenommen
wird. Problematisch bleibt allerdings Damasios Begriff der „Repräsentation‘‘ (siehe
dazu 2.1.2) – Vgl. zur Bedeutung der Leibperipherie aus psychoanalytischer
Sicht die Studie von Anzieu (1991) zum „Haut-Ich‘‘.
28 Dies hat selbst Descartes klar gesehen: Die Reizung der Schmerzfasern im Fuß
lasse den Schmerz zwar nur so empfinden, „als ob‘‘ er im Fuße wäre, was aber
doch sinnvoll sei. „Zwar hätte Gott die Natur des Menschen auch so einrichten
können, dass dieselbe Bewegung im Gehirn dem Denken irgend etwas anderes
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darstellte, etwa sich selbst, sofern sie sich im Gehirn oder im Fuß oder an einer
der dazwischenliegenden Stellen befindet (...); aber nichts anderes hätte zur Erhaltung
des Körpers gleich gut beigetragen‘‘ (Meditationen VI, 23; Descartes
1959, 157 ff.; Hvhbg. v. Vf.). Nur zieht Descartes daraus nicht den notwendigen
Schluss, das Subjekt der Schmerzen als leibräumlich zu denken.
perten, sondern auch „ökologischen Subjektivität‘‘ sprechen (Bateson 1981, Neisser
1988).
Wenn ich also nach etwas taste, so bewege und spüre ich keine virtuelle, sondern
meine wirkliche Hand, die ihrerseits einen wirklichen Gegenstand berührt.
Das wird dadurch möglich, dass der subjektive Raum in den objektiven
Raum des Organismus in seiner Umwelt eingebettet ist. Das heißt: Wir sind
leibhaftig in der Welt – und nicht Wesen, die nur „das Gefühl haben, in ihrem
Körper zu stecken‘‘, wie Roth meint.
Freilich ist die Ausdehnung des subjektiven Leibs flexibel – nämlich entsprechend
den jeweiligen funktionellen Erfordernissen. Sie stimmt nicht immer mit
den Grenzen des Körpers exakt überein. So können auch Instrumente in das
subjektive Körperschema integriert werden: Beim Tasten mit einem Stock
empfindet man die Härte der betasteten Oberfläche nicht in der Hand, sondern
an dessen Spitze.
Der geübte Autofahrer spürt die Qualität des Straßenbelags
buchstäblich unter den Reifen seines Wagens. Ein Amputierter vermag
durch allmähliche Gewöhnung seine Prothese zu „inkorporieren‘‘, so dass sie
für ihn zu einem neuen Leibglied wird. Und selbst eine Gummihand kann sich
vorübergehend dem gespürten Leib anschließen, wenn sie in dessen Empfindungen
und Bewegungen in koordinierter Weise einbezogen ist.
Statt nur zentrales Konstrukt zu sein, modifiziert sich also der subjektive
Leibraum in Abhängigkeit von der jeweiligen Grenze, an der die tatsächliche
Auseinandersetzung mit der Umwelt stattfindet. Dies ist wiederum funktionell
sinnvoll: Der physische Kontakt mit dem eigentlichen Widerstand der Umgebung
muss in das subjektive Erleben eingehen, damit ein adäquater Umgang
mit Objekten und Werkzeugen möglich wird. Die angeblichen „Illusionen‘‘,
die dabei entstehen, sind in Wahrheit höchst sinnvolle Ausdehnungen unseres
Leibbewusstseins im Kontakt mit der Umwelt. Wiederum folgt: Der objektive
Raum des physischen Organismus und der subjektive Raum des leiblichen Erlebens
sind ineinander verschränkt und modifizieren sich ständig wechselseitig.
Um diesen für die weitere Untersuchung zentralen Punkt ganz deutlich zu
machen, fragen wir noch einmal: Wo ist nun der Schmerz, wenn mir der Fuß
wehtut? – Nach gängiger neurowissenschaftlicher Überzeugung dort, wo er erzeugt
wird, also im Gehirn. Selbst John Searle, einer der prominentesten Kritiker
des neurobiologischen Reduktionismus, ist dieser Auffassung: „Der gesunde
Menschenverstand sagt uns, dass unsere Schmerzen sich im physikalischen Raum innerhalb unseres Körpers befinden (...) Doch wissen wir nun, dass dies
falsch ist. Das Hirn bildet ein Körperbild, und Schmerzen – wie alle körperlichen
Empfindungen – gehören zum Körperbild. Der Schmerz-im-Fuß ist buchstäblich
im physikalischen Raum des Hirns‘‘ (Searle 1993, 81). – Doch das Gehirn
empfindet weder Schmerzen noch enthält es sie. Es produziert auch kein
„Körperbild‘‘, denn der erlebte Leib ist kein „Bild‘‘ von einem Körper (ein Bild
würde auch kaum wehtun), sondern es ist der Körper selbst als empfundener.
Alles was sich im Gehirn findet, wenn jemand Schmerz empfindet, sind neuronale
Aktivierungen im somatosensorischen Kortex und im Gyrus cinguli, und
wie viel diese auch immer mit den Schmerzen zu tun haben mögen – sie sind
sie nicht.
Der Schmerz-im-Fuß ist somit weder im physikalischen Raum des Fußes
noch im physikalischen Raum des Gehirns, denn Schmerzen sind nun einmal
weder anatomische Dinge wie Sehnen, Knochen oder Neuronen, noch physiologische
Prozesse wie Ladungsverschiebungen an neuronalen Zellmembranen.
Wo ist der Schmerz dann? Er ist im „Fuß-als-Teil-des-lebendigen-Körpers‘‘,
denn dieser einheitliche lebendige Körper bringt – wesentlich vermittels des
Gehirns – auch eine leibliche, räumlich ausgedehnte Subjektivität hervor. Dass
ich sinnvoll aussagen kann: „Ich habe Schmerzen im Fuß‘‘, und denselben Fuß
auch meinem Arzt zeigen kann, setzt voraus, dass der subjektive Raum meines
Schmerzes und der objektive Raum meines Fußes nicht zwei getrennten Welten
angehören, die nur in einer indirekt-kausalen Weise (nämlich über physiologische
Prozesse im Gehirn) miteinander verknüpft sind. Es setzt voraus, dass der
subjektive und der objektive Raum meines Körpers syntopisch zur Deckung
kommen können. "