@AhnungsloseEinen unglaublich groben Fehler hat Nel gemacht im HoA:
Number 2:
The accused realised that he needed to be inside his bedroom to rely on a sound in the bathroom but forgot his version under oath in the bail application.
Bei Nummer 2 ging es nach meinem Verständnis in erster Linie um die falsche Angabe in der bail-Erklärung, nach der OP auf den Balkon gegangen ist, um den Ventilator rein zu holen.
http://www.citypress.co.za/multimedia/full-document-oscar-pistorius-affidavit/“During the early morning hours of 14 February 2013, I woke up, went onto the balcony to bring the fan in and closed the sliding doors, the blinds and the curtains.”
“With the benefit of hindsight I believe that Reeva went to the toilet when I went out on the balcony to bring the fan in.”
Die Überlegung, dass er vom Balkon aus das Geräusch nicht hätte hören können, ist dabei nur eine mögliche Erklärung dafür, warum er die Änderung vorgenommen hat. Allerdings hast du Recht, dass er in seiner bail-Erklärung nicht angibt, dass er am Balkon war, als er das Geräusch hörte. Diese Version der Geschehnisse soll er nach Angabe von Botha aber diesem gegenüber geschildert haben. Das geht aus einer Befragung Bothas durch Nel während der Kautionsverhandlung hervor, auf die Nel auch im Rahmen des Kreuzverhörs von OP noch einmal eingegangen ist. OP und Roux bestreiten allerdings, dass dies jemals die Version von Oscar war. Völlig falsch ist die Aussage in den Heads of Arguments aber nicht. Die Version war Thema während der Kautionsverhandlung. Ich gehe nicht davon aus, dass die Formulierung ein Fehler war. Da beide Seiten (Anklage und Verteidigung) ihre Interessen bestmöglich vertreten wollen, sind solche etwas überspitzten Aussagen nicht ungewöhnlich; man nimmt einzelne Aspekte gerne auch mal aus dem Zusammenhang oder lässt Gesichtspunkte weg, wenn es für die Darstellung der eigenen Sichtweise nützlich ist. Ich denke, es ist ein übliches rhetorisches Mittel.
Für die Änderung der Angabe (onto the balcony) kommen sicher auch noch andere Erklärungen in Betracht. Evtl. wären dann tatsächlich die Kabel zu kurz gewesen, um den Fan vollständig auf den Balkon zu stellen. Es hätte sich zudem noch ein größerer Widerspruch zu OPs Angabe, wonach er so wackelig auf seinen Stümpfen unterwegs ist, ergeben, wenn er mit dem Fan eine noch größere Strecke zurücklegt. Dabei wäre es auch noch unwahrscheinlicher gewesen, dass er die ganze Zeit dem Bett den Rücken zuwendet (was aber nötig ist, damit er Reeva nicht sehen kann). Darauf hat
@Interested ja auch schon hingewiesen. Wenn der Fan vollständig auf dem Balkon steht, hätte OP die Türen auch weiter geöffnet lassen müssen, damit der Ventilator seine Wirkung entfalten kann und nicht die Luft nur vor die Glastür wirbelt. Eine über Nacht weit aufstehende Tür ließe sich noch weniger mit einem von schrecklicher Angst vor Einbrechern Gepeinigten in Übereinstimmung bringen als eine Tür, die nur einen kleinen Spalt geöffnet ist, damit ein Fuß des Fans draußen stehen kann…Irgendwas hat OP und/oder seine Anwälte jedenfalls so beunruhigt, dass man sich genötigt sah, die Version doch besser anzupassen.
Ansonsten kann ich die Einwände/Überlegungen von
@Ahnungslose zumindest ein Stück weit nachvollziehen.
Anderer Auffassung als er bin ich aber z.B. bei dem Thema „Netcare“.
Ich denke nicht, dass dies die Staatsanwaltschaft spürbar vorangebracht hätte. OP behauptet ja, dass er sich nicht mehr erinnern kann, was er den Sanitätern am Telefon gesagt hat. Er weiß nur noch, dass man ihn aufforderte, er solle Reeva selbst ins Krankenhaus bringen. Sehr wahrscheinlich hat er nur wirres Zeug erzählt, sodass für Netcare nicht erkennbar war, um welche Verletzungen es sich handelt. Dass es durchaus möglich gewesen wäre, den Krankenwagen zum Haus zu bestellen, zeigt ja der Umstand, dass genau das später auf Veranlassung von Dr. Stipp geschehen ist. OP gibt damit zumindest zu, dass er keine Hilfe zu seinem Haus bestellt hat. Im Übrigen wird er sich aber immer damit raus reden können, dass er völlig unter Schock stand und nicht wusste, was er tat. Damit hätte er eine Universalentschuldigung für nahezu jedes Verhalten, das er nach dem Auffinden von Reeva zeigte, gegen die man von Seiten der Staatsanwaltschaft (auch nach einer Rücksprache mit Netcare) nur schwer Argumente finden kann. Hier stehen Aufwand und Ertrag daher mMn in keinem rentablen Verhältnis.
Was aber z.B. Vermeulen anbelangt, hat es mich allerdings auch schon während des Prozesses gestört, welche weitgehenden Schlussfolgerungen er aus seinen Feststellungen gezogen hat. Definitiv feststeht nach seinen Untersuchungen ja nur, dass durch Einschussloch D ein Riss geht, der somit nach dem dazugehörigen Schuss entstand. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass es schon vor den Schüssen Schläge gegen die Tür gab. Auch sagt dies nichts darüber aus, ob nicht auch noch irgendwo anders gegengeschlagen oder getreten wurde. Es spricht nur dafür, dass die Tür endgültig nach den Schüssen aufgebrochen wurden. Insoweit gibt es zwischen OPs Version und der Version der Anklage ohnehin keinen Unterschied. Beide gehen davon aus, dass die Tür endgültig nach den Schüssen aufgebrochen wurde. Dies allein kann also weder für die eine noch für die andere Version sprechen.
Auch wenn das Gericht die Schlussfolgerung von Vermeulen nicht teilen muss, sondern sich anhand der konkreten Fakten ein eigenes Bild machen kann, hätte ich es hier günstig gefunden, wenn man dem Gericht eine Hilfestellung gibt und insbesondere bei Nennung der Fakten nochmal auf die oben genannten Aspekte eingeht. Zumindest hat Nel noch einmal darauf hingewiesen, dass es nie einen Beleg dafür gab, dass sich die Schläge gegen die Tür wie Schüsse anhören. Ich persönlich hätte es gut gefunden, wenn man darüber hinaus noch einmal deutlich gemacht hätte, dass es zudem keinen Beleg dafür gibt, dass sämtliche Schläge nach den Schüssen erfolgten und dass verschiedene Beschädigungen im Bereich des Schlaf- und Badezimmers existieren, bei deren Verursachung u.U. auch schussähnliche Geräusche erzeugt worden sind. Letztlich sind das zwar alles Fakten, die ohnehin in die Beweisaufnahme eingegangen sind. Ich denke, es wäre aber als Serviceleistung für das Gericht und zur weiteren Untermauerung der eigenen Version evtl. nützlich gewesen, dieses in der Form auch noch einmal zusammenzustellen und zu betonen. Es war klar, dass Nel sich nicht festlegen wird, wodurch die ersten Geräusche verursacht wurden, evtl. hätte er aber kurz auf ein paar Möglichkeiten eingehen können.
Dieser Punkt und meine Überlegung, wonach es zudem zur Absicherung der eigenen Position hilfreich gewesen wäre, nach Dermans Aussage noch einen weiteren Experten aufzurufen, der sich dessen pseudowissenschaftlichen Behauptungen annimmt, sind meine beiden Kritikpunkte.
Es ist aber unbestritten, dass Nel über große Erfahrung verfügt und sicher selber am besten einschätzen kann, was zur Unterstützung der eigenen Version notwendig ist. Insoweit hat
@KlaraFall wahrscheinlich Recht, wenn sie sagt, dass dies eine doppelte und dreifache Absicherung wäre, die eigentlich unnötig ist.
Viele Experten (so zum Beispiel Ulrich Roux, auf den
@scorpius ja auch gestern noch einmal verwies, Judge Chris Greenland oder Prof. James Grant) betrachten z.B. die timeline von Roux mit großer Gelassenheit und für die rechtliche Bewertung des Falles als nicht besonders bedeutsam.
Daher ist Nels Vorgehen und Argumentation durchaus nachvollziehen. Für ihn ist die Schussabgabe entscheidend und daher reicht es aus, wenn er begründet, welche Geräuschserie die Schüsse darstellte. Es ist für die Bewertung einer Handlung als Mord nicht relevant, ob vorher oder nachher weitere schussähnliche Geräusche erzeugt wurden.
Auch für das Gericht ist letztlich nur bedeutsam, ob alle Voraussetzungen eines Mordes vorliegen.
Roux versucht durch das Aufblasen von Nebensächlichkeiten von den OP stark belastenden, größtenteils unbestrittenen Fakten abzulenken. Wie
@Mauberzaus bereits angemerkt hat, spricht Judge Chris Greenland in dem Zusammenhang von „red herring“. Das kann das Gericht nicht entscheidend beeinflussen. Es wird auch immer gerne vergessen, dass der Staat nur das Vorliegen der Mordvoraussetzungen beweisen muss: also die unrechtmäßige, absichtliche Tötung eines anderen Menschen. Dass der Staat hier sogar eine grobe Timeline anbieten, ein mögliches Motiv benennen und Eckpunkte zu dem Hergang vor den Schüssen angeben kann, geht über das hinaus, was der Staat beweisen muss – es ist eine freiwillige Zugabe. Zudem wird gerne verdrängt, dass selbst dann, wenn das Gericht OPs Version akzeptiert, sich an den wesentlichen den Mordvorwurf begründen Fakten nichts ändert – er ist damit nicht automatisch unschuldig.
Bei der Beantwortung der Frage, ob OPs Version zu akzeptieren ist, stützt sich das Gericht in erster Linie auf die Aussage von OP - als einzigem überlebenden Zeugen. Vor allem sein Auftritt und der Eindruck, den er hinterlassen hat, sind entscheidend – bevor dann nur ergänzend auch timeline und andere Indizien eine Rolle spielen. Darüber, dass OP selbst ein ganz schwacher Zeuge war, gibt es unter Experten wohl keine zwei Meinungen.
http://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/oscar-pistorius/11018205/Legal-View-Why-I-would-find-Oscar-Pistorius-guilty-of-murdering-Reeva-Steenkamp.html “In my view, Oscar Pistorius could be found guilty of murdering his girlfriend Reeva Steenkamp on February 14 last year primarily because of his own poor testimony but ultimately because any doubts that his defence may have raised might well be dismissed as unreasonable.”
Abgesehen von Widersprüchen, nachträglichen Anpassungen und Erinnerungslücken war er streitsüchtig und auffallend verlogen. Er war nicht bereit für irgendetwas selbst die Verantwortung zu übernehmen, aber immer vorne mit dabei, wenn es darum ging, anderen Fehler vorzuwerfen. Judge Greenland spricht z.B. davon dass er “argumentative” war “and guilty of striking mendacity.”
Zudem kann ja auch die Timeline von Roux einer auch nur etwas näheren Überprüfung nicht standhalten: Wenn sich das Gericht etwas intensiver damit befasst, wird es feststellen, dass es im Grunde keine Aussage eines Zeugen gibt, die die Version von OP, so wie er sie vorgetragen hat, tatsächlich unterstützt. Damit die Aussagen zu seiner Version passen, mussten entweder Modifikationen oder Kürzungen vorgenommen werden oder man muss feststellen, dass die Zeugen offenbar elementare Geschehnisse versäumt haben.
OP gibt selbst an, dass er vor, während und nach den Schüssen laut wie eine Frau geschrien hat. Die Schreie verstummten erst mit seinem dritten und letzten Schlag mit dem Cricketschläger gegen die Tür. Was die wahrzunehmenden Geräusche anbelangt, gibt es zwischen der Version OPs und der Version des Staatsanwaltes keine Unterschiede. Es waren Frauenschreie zu hören, die erst mit dem letzten Bang der zweiten Geräuschserie verstummten. Nach OPs Version schrie er selbst. Die ersten Bangs sollen die Schüsse gewesen sein; die zweite Geräuschserie seien die Schläge gegen die Tür gewesen. Nach der Version des Staates schrie Reeva, erst die zweite Geräuschserie waren die tödlichen Schüsse.
Da Mrs. Nhlengethwa nach dem einen Bang, den sie vernahm, zunächst Stille und erst später das Weinen eines Mannes hörte, passen diese Beobachtungen nicht zu den Geräuschen der ersten Serie (also nach OPs Version zu den Schüssen). Da die Nhlengethwas keine weiteren Bangs hörten und auch keine Schreie einer Frau haben sie entweder sehr viel verpasst und sind als Zeugen daher nicht wirklich hilfreich oder sie wurden erst mit dem Ende der zweiten Geräuschserie wach.
Auch die Beobachtungen von Mrs. van der Merwe passen nicht zu der ersten Geräuschserie. Sie hörte 4 Bangs, dann zunächst Stille, dann Lärm und erst danach einen Mann weinen. Auch diese Wahrnehmungen stimmen eher mit dem 2. Set an Geräuschen überein. Beides wird von Roux in seiner Timeline anders bewertet, ohne die Diskrepanzen der Beobachtungen zu OPs Version zu erklären. Stattdessen versucht man Unterschiede durch unpräzise Formulierungen zu überspielen (Crying und screaming wird gleichgesetzt, dass zunächst Stille herrschte, wird nicht erwähnt).
Aus den Aussagen der Stipps sucht man sich nur das heraus, was sich in OPs Version verwenden lässt. Die Stipps nimmt man zwar als Referenz dafür, dass es überhaupt zwei Geräuschserien gab (schließlich waren sie die einzigen, die beide gehört haben). Man ignoriert jedoch ihre Zeitangaben für die erste Serie an Geräuschen und legte diese nach Gutdünken auf 3.12/13 Uhr fest. Insgesamt gibt sich Roux große Mühe, die Stipps unglaubwürdig erscheinen zu lassen; an den für die eigene Version verwertbaren Aussagen möchte er aber dennoch gerne festhalten. In gleicher Weise geht er bzgl. der Aussagen von Burger und Johnson vor. Ob diese zurechtgebogene Timeline in Kombination mit OPs unglaubwürdigem Auftritt im Zeugenstand das Gericht von OPs Version überzeugen können, wird sich zeigen. Aber selbst in diesem Fall ändert sich an den tatsächlich für einen Mord relevanten Fakten nichts. Allein mit der Akzeptanz der Timeline ist also für OP noch nichts gewonnen.