@RabenfederRabenfeder schrieb:es ist albern, aber vielleicht kommt sie damit durch?
Nach dem bisher Erlebten werde ich mich hüten, irgendetwas auszuschließen… Es käme ja ohnehin erst zur Überprüfung, wenn seitens der Anklage Rechtsmittel eingelegt werden.
Grant macht in seinen Artikeln ebenfalls deutlich, dass sich Masipa mit der Putativnotwehr nicht sorgfältig auseinander gesetzt hat. Sie hat an keiner Stelle die notwendigen Voraussetzungen vollständig benannt, definiert und deren Vorliegen dementsprechend auch nirgendwo überprüft und positiv festgestellt. Wenn es annähernd mit rechten Dingen zuginge, dürfte die Putativnotwehr bei der Bewertung der Frage, ob ein Rechtsfehler vorliegt, daher keine Rolle spielen.
Zudem lassen Ausführungen von Masipa eigentlich nur den Schluss zu, dass sie den Anwendungsbereich der Defence „Putativnotwehr“ nicht für eröffnet ansieht.
Sie hat sich ja zu beiden Entschuldigungsgründen (Defences) geäußert:
Zunächst stellt sie fest, dass die erste Wahl der Verteidigung (die zeitweise Schuldunfähigkeit in Folge eines gesteigerten Fight-Reflexes, der zu einer unfreiwilligen Handlung führte), nicht den rechtlichen Anforderungen genügt, um als Entschuldigungsgrund akzeptiert zu werden. Der Umstand, dass er bewusst und überlegt handelte, widerspricht dieser defence. Es gab auch keine Erinnerungslücken, die für eine unfreiwillige Handlung typisch wären. Damit stimmt sie mit der Argumentation der Anklage überein, wonach es einen großen Unterschied zwischen einer reflexartigen und einer unfreiwilligen Handlung gibt. OP hätte dann überhaupt keine willentliche Kontrolle über seine Handlungen haben dürfen – soweit ging nicht mal Dermans Aussage, auf die sich diese Defence im Wesentlichen stützte. Damit bleibt es dabei, dass er auch aus nicht pathologischen Gründen zum Tatzeitpunkt voll schuldfähig war.
Bei der Bewertung der zweiten Defence (Putativnotwehr) stimmt sie dann erneut mit der Staatsanwaltschaft überein, dass es nicht möglich ist, sich auf Putativnotwehr zu berufen, wenn man angibt, nicht die Absicht gehabt zu haben, auf jemanden zu schießen.
“Counsel for the state, correctly in my view, submitted that if the accused never intended to shoot anyone, he cannot rely on a defence of putative self defence.”
Sie macht auf die Angaben OPs aufmerksam, die dieser Defence ausdrücklich widersprechen (er bestritt explizit, dass er mit der Absicht schoss, den Angriff abzuwehren). Zum Beleg der Widersprüche zitiert sie einige der Aussagen OPs, die dieser während des Kreuzverhörs tätigte.
Die Herangehensweise, mit der sich Masipa der Putativnotwehr widmet, empfinde ich insgesamt als sehr unstrukturiert. Es fehlt insbesondere ein klares Zwischenergebnis (zur ersten Defence hatte es ein solches noch gegeben, dort heißt es: „It is also clear that the defence of non-pathological insanity has no foundation). Nach den getätigten Äußerungen drängt sich zwar der Schluss auf, dass OP sich nicht auf die Putativnotwehr berufen kann, dies wird jedoch so nicht ausdrücklich festgehalten. Es geht stattdessen nahtlos über in die Bewertung seiner Performance als Zeuge.
Nachdem Masipa die erste Defence ausführlich untersucht hat, kann es eigentlich nicht sein, dass sie dann zusätzlich auch noch en détail auf die zweite Defence eingeht.
Anderenfalls wäre die Möglichkeit gegeben, dass der Angeklagte ein buntes Potpourri an Defences, die sich hinsichtlich ihrer Voraussetzungen widersprechen und daher gegenseitig ausschließen, präsentiert und sich das Gericht dann die passende Verteidigung heraussucht. Es muss hier vielmehr entscheidend sein, welche Verteidigung des Angeklagten mit seinen eigenen Angaben die größte Übereinstimmung hat – nur diese kann dann zu seinen Gunsten Berücksichtigung finden.
Auf Defences, denen der Beschuldigte ausdrücklich widersprochen hat, darf er sich nicht hilfsweise berufen können, weil seine erste Wahl an Entschuldigung für die Tat nicht vom Gericht akzeptiert wurde. Es dürfte demnach durch das Gericht nur eine nähere Auseinandersetzung mit der Defence erfolgen, die am ehesten zu den Angaben des Angeklagten passt.
Im Vorfeld hatte sich Prof. James Grant zu den beiden sich widersprechenden Defences von Pistorius geäußert – ab der Minute 5
https://soundcloud.com/giles-9/james-grant/s-cDpRfAuch er nimmt an, dass das Gericht nur eine der Defences näher untersucht – nämlich die der unfreiwilligen Handlung, da diese am ehesten mit OP Angaben kompatibel ist und als erste Defence von der Verteidigung genannt wird. Die Äußerungen Masipas legen den Schluss nahe, dass dies auch ihrem Vorgehen entspricht.
Die Putativnotwehr taucht bei Masipa dann jedoch später bei der Bewertung des Vorsatzes nochmal in ein paar Halbsätzen auf – allerdings ist deren Behandlung dort mehr als unpräzise.
Es heißt z.B.: “The accused had intention to shoot at the person in the toilet but states that he never intended to kill that person. In other words he raised the defence of putative private defence.”
Das ist unzutreffend. Der Inhalt der Putativnotwehr ist nicht, dass man zwar schießen, aber niemanden töten wollte – ehrlich gesagt wäre so eine Defence auch ziemlich absurd (nicht zuletzt weil ja bereits der Vorsatzbegriff schon weiter gefasst ist. Eine Tötungsabsicht liegt im Falle von dolus eventualis auch dann vor, wenn man nicht töten wollte, aber vorhersah, dass möglicher Weise ein Mensch getötet wird).
Bei der Putativnotwehr geht es darum, dass man zwar töten wollte, aber irrtümlich davon ausging, dass dieses Verhalten rechtmäßig – nämlich durch eine Notwehrsituation gerechtfertigt - ist. Auch hier zeigt sich eine merkwürdig ungenaue Auseinandersetzung Masipas mit der Putativnotwehr.
Später heißt es dann noch:
“It follows that the accused’s erroneous belief that his life was in danger excludes dolus.”
Das ist in der verkürzten Form ebenfalls unzutreffend. Die irrtümliche Annahme, dass das eigene Leben bedroht ist, ist nur eine von mehreren Voraussetzungen der Putativnotwehr. Letztere werden weder genannt noch überprüft. U.a. muss ein gegenwärtiger Angriff (zumindest nach der Wahrnehmung des Angeklagten) vorliegen, der unmittelbar sein Leben bedroht. Sie geht mit keiner Silbe darauf ein, warum ein Geräusch, von dem nicht mal geklärt wurde, wie es überhaupt entstehen konnte, einen gegenwärtigen Angriff darstellt. Auch wenn z.B. gezeigt werden kann, dass OP vorhersehen konnte, dass die konkrete Notwehrhandlung der Situation nicht angemessen war, sind die Voraussetzungen der Putativnotwehr nicht gegeben. Dabei kann auf die Aussage des Waffenverkäufers und die Vorlage der entsprechenden Tests abgestellt werden, die verdeutlichten, dass OP über das angemessene Verhalten in solchen Situationen belehrt worden war und daher zumindest wissen musste, dass er nicht verhältnismäßig reagiert.
Das Vorliegen dieser und der weiteren Voraussetzungen wurde nirgendwo positiv festgestellt, sodass kein Fall einer Putativnotwehr vorliegen kann. Im Gegenteil lassen Masipas Formulierungen und Feststellungen den Schluss zu, dass sich OP auf dieses Defence nicht berufen konnte, da seine eigenen Angaben dieser Defence widersprachen.
Meiner Auffassung nach kann die fehlerhafte Bewertung Masipas daher nicht durch eine Berufung auf die Putativnotwehr korrigiert werden. Wie Grant deutlich macht, kann nur die konkrete Begründung entscheidend sein, auf die Masipa sich bezieht: Ihre Begründung besagt, dass OP nicht vorsätzlich handelte, da er nicht vorhersah, dass er auf Reeva schießt, da er diese im Schlafzimmer vermutete.
Das Fazit von Grant:
http://criminallawza.net/2014/09/18/unsuccessful-attempts-to-justify-masipas-errors/It does not make Masipa’s judgment right to pretend that her reasons were reasons that would make her judgement right: that she decided that the accused had not accepted the risk of killing the deceased, that she recognised putative private defence, or that she found that the accused only intended to injure the intended target. These were not her reasons and, however valid they may be, it doesn’t help to pretend that they were her reasons.