MGLimace schrieb:Wie soll es denn einen Freispruch geben?
Grundsätzlich gibt es tatsächlich auch die Möglichkeit eines Freispruchs. Dabei sind derzeit offenbar 2 Varianten – je nach gewählter Verteidigungsstrategie, die ja immer noch nicht ganz klar ist - denkbar:
1. Wenn die Voraussetzungen der Putativnotwehr vorliegen und zudem die Richterin zu der Bewertung kommt, dass es sich aus der Sicht einer vernünftigen Person um eine angemessene Reaktion von OP gehandelt hat (putative self defence).
2. Auch wenn er belegen kann, dass er automatisch (gegen seinen Willen) gehandelt hat, ohne dass er diese Handlung steuern konnte, käme es zu einem Freispruch (defence of involuntary action).
In beiden Fällen tendiert die Wahrscheinlichkeit, dass es passieren wird, mMn gegen Null, aber man hat ja schon die absurdesten Dinge erlebt.
Erst einmal setzen beide Varianten voraus, dass das Gericht OPs Version der Geschehnisse und insbesondere den Umstand, dass er nicht wusste, dass sich Reeva in der Toilette aufhielt, – entgegen der vorliegenden Beweise und Indizien – glaubt. Das ist die erste Hürde, die es zu bewältigen gilt.
Es müssen dann natürlich die jeweiligen Voraussetzungen der beiden Verteidigungsansätze vorliegen.
Zunächst zur Putativnotwehr:
Abgesehen davon, dass OP dieser Verteidigung in seinem Kreuzverhör mMn explizit widersprochen hat (ich ging darauf bereits in früheren Beiträgen ein), wird es bereits nicht so einfach, darzulegen, dass die entsprechenden Voraussetzungen in seinem Fall vorliegen.
Kern der putative self defence ist es, dass man zwar absichtlich handelt (was jedoch von OP bestritten wird), jedoch irrtümlich davon ausgeht, die vorgenommene Handlung sei rechtmäßig – nämlich von den Notwehrvoraussetzungen gedeckt. Wenn man hier aber z.B. von Seiten der Staatsanwaltschaft belegen kann, dass OP vorhersehen konnte, dass eine oder mehrere Notwehrvoraussetzungen tatsächlich nicht vorliegen, scheitert dieser Verteidigungsansatz bereits und es bleibt bei der Bewertung als Mord. Auch hier gilt der weite Begriff der intention; es genügt, dass der Täter die Möglichkeit vorhersehen konnte.
Damit eine Notwehrhandlung als Rechtfertigungsgrund anerkannt wird, müssen verschiedene Voraussetzungen erfüllt sein, die sich zum Teil auf den Angriff und zum Teil auf die Verteidigungshandlung beziehen:
Es muss zunächst eine Notwehrlage bestehen:
1. Dazu muss ein rechtswidriger Angriff vorliegen.
2. Dieser Angriff muss begonnen haben oder unmittelbar bevorstehen (an diesem Punkt kann man schon diskutieren, ob diese Voraussetzung im Fall von OP vorliegt).
3. Der Angriff muss sich gegen ein geschütztes Rechtsgut richten; dazu gehören z.B. das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder Eigentum von einigem Wert.
Für die Verteidigungshandlung gelten ebenfalls Voraussetzungen:
4. Die Abwehr muss sich direkt gegen den Angreifer (und niemanden sonst) richten.
5. Die Abwehr muss notwendig sein.
6. Die Intensität der Abwehr muss notwendig und angemessen sein.
Nur wenn alle 6 Voraussetzungen vorliegen, kommt ein Freispruch aufgrund einer gerechtfertigten Notwehrhandlung in Betracht. Das gilt in gleicher Weise auch für die Putativnotwehr, bei der es in Wirklichkeit keinen Angriff gibt, der Angeklagte sich diesen aber einbildet. Wenn der Staat aufzeigen kann, dass OP zumindest hinsichtlich einer der Voraussetzungen vorhersehen konnte, dass sie nicht vorliegt, scheitert dieser Verteidigungsansatz.
Dabei sehe ich insbesondere den 6. Punkt für OP problematisch. Wenn also z.B. gezeigt werden kann, dass er vorhersehen konnte, dass die konkrete Notwehrhandlung der Situation nicht angemessen war, sind die Voraussetzungen der Putativnotwehr nicht gegeben.
Dabei erinnere ich mich an die Aussage des Waffenverkäufers und die Vorlage der entsprechenden Tests, die verdeutlichten, dass OP über das angemessene Verhalten in solchen Situationen belehrt worden und darauf trainiert war und daher zumindest wissen musste, dass er nicht verhältnismäßig reagiert. Es gab für ihn nach seiner Version verschiedene andere weniger gravierende Abwehrmaßnahmen – beispielsweise die Flucht aus dem Schlafzimmer, mit der zugleich der Alarm ausgelöst worden wäre, die Flucht auf den Balkon, Abwarten im Schlafzimmer geschützt hinter dem Bett, das Abfeuern eines Warnschusses usw. Dies hat er letztlich auch selbst eingeräumt.
Wenn das Gericht aber dennoch annimmt, dass die Voraussetzungen der Putativnotwehr vorliegen, ist zu prüfen, ob sich eine vernünftige Person in OPs Situation in gleicher Weise geirrt hätte. Hier wird nun ein objektiver Maßstab angelegt – es ist also ein hypothetischer Vergleich mit einem vernünftigen Menschen anzustellen, der der Frage nachgeht, was dieser Mensch in OPs Situation getan hätte. Wenn man hier Abweichungen feststellt, läge Fahrlässigkeit vor. Es käme zur Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung. Dabei wird im Rahmen dieses Tests üblicher Weise nur auf die unmittelbaren äußeren Umstände des Angeklagten abgestellt. Subjektive Faktoren, wozu wohl auch die Behinderung gehört, werden offenbar nicht berücksichtigt. Jedenfalls nach Aussage dieses Strafrechtsexperten:
http://criminallawza.net/2014/03/03/the-pistorius-defence/ (Archiv-Version vom 08.07.2014)Hierzu gibt es allerdings etwas unterschiedliche Angaben. Einige gehen wohl davon aus, dass auch solche subjektiven Kriterien miteinfließen. Wenn seine Behinderung berücksichtigt würde, müsste dann andererseits auch berücksichtigt werden, dass er waffenkundig ist, für solche Situationen trainiert war, austrainierter Leistungssportler etc.
Kommt man zu dem Ergebnis, dass sich eine vernünftige Person in der Situation genau wie OP verhalten hat (also auch irrtümlich von einem Angriff ausgegangen wäre und dann ebenfalls viermal mit Dum-dum-Munition durch die Tür geschossen hätte), dann käme es tatsächlich zum Freispruch.
Wenn sich die Verteidigung nicht auf dieses Variante der Putativnotwehr beruft, sondern auf eine unfreiwillige Handlung, also einen Automatismus, den man selbst nicht steuern kann, so ist diese in der Praxis offenbar sehr schwer für den Angeklagten nachzuweisen. Hier muss grundsätzlich nicht der Staat beweisen, dass die Handlung freiwillig geschah – dies wird vielmehr zunächst (widerlegbar) vermutet. Es muss also umgekehrt der Angeklagte darlegen, dass er –entgegen der üblichen Annahme- nicht freiwillig gehandelt hat.
Eine unfreiwillige Handlung liegt dann vor, wenn der Angeklagte nicht in der Lage ist, sein Verhalten willentlich zu steuern. Typische Fälle sind Handlungen während eines epileptischen Anfalls oder beim Schlafwandeln.
http://criminallawza.net/2014/04/13/pistoriuss-new-defence/ (Archiv-Version vom 06.07.2014)Eine pathologische Ursache in Form einer mental illness oder eines mental defects wurde ja bereits ausgeschlossen. Jetzt versucht man es mit dem fight- und flight-Reflex in Kombination mit chronischem Stress und der Behinderung. Nach dem heutigen Auftritt des „Experten“ sehe ich da aber auch wenig Aussicht auf Erfolg. Während des Kreuzverhörs konnte er ja keine auch nur annähernd wissenschaftlich anmutende Aussage mehr von sich geben. Er wollte die Fragen nicht verstehen, wusste keine Antwort und hat im Übrigen nur noch einmal das erzählt, was OPs Version entspricht.
Ich denke nicht, dass man damit die nötigen begründeten Zweifel an der Unfreiwilligkeit begründen kann. Eine bloße Behauptung kann hier natürlich nicht ausreichen, da dies ein Freibrief für alle Gewaltverbrecher wäre.
Für die Bewertung der Freiwilligkeit werden zudem auch die äußeren Umstände der Tat betrachtet. Wenn es während des Tatgeschehens zielgerichtetes, überlegtes Handeln gibt (was bei OP ja der Fall ist), spricht dies ebenfalls gegen einen Automatismus, der nicht zu steuern war. Insofern kann man vergleichbare Überlegungen anstellen wie bei der eingeschränkten Steuerungsfähigkeit. Auch heute wurde ja nochmal deutlich, wie überlegt sich OP während des gesamten Tathergangs verhalten hat – nahezu jede Handlungsweise war überdacht. Auch der Umstand, dass er sich zumeist sehr detailreich an vieles erinnern kann - vor allem auch an die Schussabgabe, wie er den in schneller Abfolge den Abzug betätigte, wie die Kugeln durch die Tür gingen etc.-, lässt sich nur schwerlich mit einem Automatismus in Einklang bringen
Wenn es daher -wie hier- keine klaren medizinischen Befunde in Bezug auf eine unfreiwillige Handlung des Angeklagten gibt, wird es schwierig mit dieser Verteidigung erfolgreich einen Freispruch zu erreichen. Zu diesem Verteidigungsansatz z.B. auch
http://www.dailymaverick.co.za/article/2014-04-15-oscars-involuntary-action-thin-ice-mr-pistorius/#.U7V6WZCKDDcWas mich heute zudem beschäftigt hat, ist, dass OP auch gegenüber dem Experten angegeben hat, dass er wohl das magazin rack gehört hat. Er musste ja eine andere Ursache für das von ihm gehörte Geräusch, welches dann den ultimativen Fight-Impuls, auf den er als Sprinter ja konditioniert ist, gleich viermal ausgelöst hat, benennen – die Tür ist es ja nachweislich nicht gewesen. Blieb nur der hölzerne Zeitungsständer als Ursache.
Daher hatte er ja auch angegeben, dass dieser an unüblicher Stelle –nicht wie auf den Polizeifotos neben dem Klo – sondern ganz in der Ecke gestanden hätte, als er die Tür aufgebrochen hat. Dieser Umstand wurde ja sogar von seinen eigenen Experten als Lüge enttarnt (Dixon und Wolli). Ganz deutlich sieht man anhand der Abdrücke im Blut, dass der Zeitungsständer so gestanden haben muss wie auf den Polizeifotos festgehalten.
Es ist ja zudem bekannt, in welcher Position sich Reeva befand, als sie der erste Schuss in die Hüfte traf. Sie stand mit Blickrichtung zur Tür (damit abgewandt vom Zeitungsständer) und hatte somit eigentlich keine Gelegenheit, durch eine Bewegung des magazin racks das Geräusch z.B. durch ein Verschieben zu verursachen – zumal OP ja sofort das Feuer eröffnete. Erst nach dem ersten Schuss stürzte sie dann auf den Zeitungsständer, der hinter ihr stand. Dieses Geräusch kann es daher vor den Schüssen eigentlich nicht gegeben haben.