Keysibuna schrieb:Solche Möglichkeiten unterbinden zu versuchen ist nicht besonders sinnvoll. :}
Es geht nicht darum, etwas zu „unterbinden“, sondern darum, logische Grenzen aufzuzeigen. Es geht nicht darum zu sagen: Du darfst keine konventionelle Erklärung anbieten; sondern darum sich immer auch die Frage zu stellen: Macht die angebotene konventionelle Erklärung im konkreten Fall Sinn, bzw. wie weit macht sie Sinn und wo sind ihre Grenzen?
Nehmen wir mal den hypothetischen Fall, Person X behauptet, Besuch von ihrer toten Großmutter bekommen zu haben, die ihr gesagt habe, es gehe ihr gut und sie liebe sie. Dann gibt es drei Möglichkeiten, wie wir als Dritter mit dieser Aussage umgehen können (gut, es gibt natürlich theoretisch noch viel mehr Möglichkeiten, aber der Einfachheit halber beschränken wir uns mal auf die drei):
(1) Wir nehmen an, der Geist von X's Oma hat sie besucht.
(2) Wir nehmen an, X hat gelogen und das von ihr erzählte Erlebnis hat so nie stattgefunden.
(3) Wir nehmen an, X ist subjektiv ehrlich und glaubt wirklich, Besuch von ihrer toten Großmutter bekommen zu haben; jedoch hat sie sich das Erlebnis nur eingebildet, bzw. ihr Gehirn hat ihr einen Streich gespielt, sie hat einen Traum oder eine Erinnerung missdeutet usw.
Drei verschiedene Annahmen, die jede für sich eine rationale Erklärung für X's Behauptung liefern würde.
Wer es etwas merkwürdig findet, auch Annahme (1) für eine „rationale“ Erklärung zu halten: Annahme (1) ist nur dann irrational, wenn wir von vorne herein annehmen, dass es überhaupt keine Geister gibt. Diese Annahme selbst aber – dass es keine Geister gibt – ist selbst nur reine Glaubenssache und unbeweisbar, weil man eben die Nicht-Existenz von etwas nicht empirisch nachweisen kann (es sei denn, man sei ein allwissender Gott, was wir Menschen aber bekanntlich nicht sind.)
Jetzt zu (2) und (3)a-x („a-x“ weil (3) ja wiederum ganz verschiedene konkrete Erklärungsansätze beinhalten kann). Jede Annahme für sich ist per se mal nicht unmöglich: Wir wissen, dass Leute sich immer mal wieder alles mögliche aus den Fingern saugen, um andere zu täuschen, sich einen Spaß zu machen, kommerziellen Gewinn zu erzielen usw. Wir wissen auch, dass es so etwas wie Halluzinationen, Fehlerinnerungen, Fantasien, missdeutete Träume usw. gibt. Aber die bloße Feststellung, dass es so etwas gibt, reicht noch nicht aus, um festzustellen, ob einer dieser vielen, zunächst einmal rein hypothetischen Erklärungsansätze denn auch im konkreten Fall wirklich etwas taugt.
Wir müssen also versuchen, eine oder mehrere dieser vielen theoretisch möglichen Annahmen wenigstens plausibel zu machen. Es ist zum Beispiel moralisch fragwürdig, jemanden einfach so ohne Beweise der Lüge zu bezichtigen. Eine solche „starke“ Behauptung müsste man schon mit Fakten untermauern, zum Beispiel wenn wir zeigen können, dass X schon mal gelogen hat, dass sie gerne erfundene Geschichten zum besten gibt usw. Damit könnten wir – nach dem Grundsatz „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht“ - die Annahme (2) wenigstens plausibel machen.
Plausibel, mehr aber auch nicht. Denn rein logisch gesehen, bleibt ja immer noch die Möglichkeit bestehen, dass X dieses eine Mal doch die Wahrheit gesagt hat, und wirklich dieses subjektive Erlebnis der Oma-Begegnung hatte.
Kommen wir also zu (3). Auch hier können wir allenfalls mit Plausibilitäten und Hypothesen arbeiten, nicht mit eindeutigen Beweisen. Wenn wir konkret nachweisen können, dass X schon mal Halluzinationen hatte, dass es weitere Symptome für eine Schizophrenie oder andere psychische Erkrankungen gibt; oder wenn X selbst zugibt oder es bekannt ist, dass sie sich gerne mal ihren Träumen und Fantasien hingibt; oder wenn psychologische Tests ergeben, dass X eine sogenannte "fantasy-prone personality" (wörtlich: Person mit einer Neigung zur Fantasie) ist, dann können wir den einen oder anderen Erklärungsansatz wenigstens plausibel machen.
Um das aber zu tun, müssen wir, die Du, Keysibuna, selbst sagst, uns erstmal mit dem konkreten Fall und der konkreten Persönlichkeit „beschäftigen und selbst überprüfen“, und nicht einfach mal so behaupten oder unterstellen, dass das hier schon der Fall sein wird.
Um zum Beispiel festzustellen, ob jemand eine „fantasy-prone personality“ (FPP) ist, müsste man eigentlich erstmal einen psychologischen Test mit dieser Person durchführen. (Ein logisches Problem bei diesem Test ist aber, dass der Glaube an paranormale Phänomene darin selbst schon als ein Hinweis auf eine FPP gewertet wird. Es kann aber natürlich auch sein, dass es gerade umgekehrt war, und dass das eigene paranormale Erlebnis des Probanden überhaupt erst den Glauben an paranormale Phänomene ausgelöst hat. Statt also die FPP das paranormale Erlebnis erklären würde, ist es vielleicht gerade umgekehrt und das paranormale Erlebnis erklärt die FPP.)
Also auch hier höchstens Plausibilitäten, keine Beweise. Noch komplizierter wird es, wenn zusätzliche Umstände eine Erklärung erschweren, wenn zum Beispiel eine dritte Person behauptet, ebenfalls X's Großmutter nach deren Tod gesehen zu haben; oder wenn X glaubt, ihre Oma sei gesund und munter, als sie die Oma im Wohnzimmer stehen sieht, nur um dann später zu erfahren, dass die Oma zum Zeitpunkt der Sichtung bereits tot war oder gerade gestorben ist. Solche Erlebnisse gibt es (so genannte „crisis apparition“), und sie lassen sich nicht immer einfach psychologisch „wegbügeln“.
http://www.cnn.com/2011/09/23/living/crisis-apparitions/Wir können uns jetzt einfach bequem zurücklegen und darauf vertrauen, „dass es schon irgend eine Erklärung geben wird“, und uns dann furchtbar „rational“ vorkommen. In Wirklichkeit sind wir dann aber nur furchtbar faul und auch feige. Intellektuell ehrlicher wäre es zuzugeben, dass der Fall wenigstens „offen“ ist, dass wir uns mit einem eindeutigen Urteil erstmal zurückhalten müssen, dass Menschen außerordentliche Erfahrungen machen, die sich zwar in vielen Fällen mehr oder weniger plausibel konventionell erklären lassen, dass wir aber (noch) nicht alle Erlebnisse eindeutig erklären können oder gar wissen würden, was wirklich dahinter steckt.
Das heißt ja nicht, dass die Physik, die Philosophie oder die Psychologie künftig nicht doch eine Erklärung finden wird, oder dass man jetzt gleich an „Geister“, ein „Leben nach dem Tod“ oder gar den „lieben Gott“ glauben müsste. Das einzige, was wir meiner Meinung nach glauben sollten, ist, dass wir nicht sämtliche Weisheit bereits mit Löffeln gefressen hätten und alles schon wüssten und erklären könnten.
Wir müssen von diesem einfachen „Entweder – Oder“ weggkommen: Entweder lässt sich alles rein konventionell erklären mit den bereits bekannten psychologischen Mechanismen oder es gibt Geister. Warum kann es denn nicht irgend etwas „dazwischen“ oder besser gesagt eine oder mehrere dritte, vierte, fünfte Erklärungsmöglichkeiten geben? Die Wirklichkeit könnte ja doch anders oder komplizierter sein als es die eine oder die andere der beiden naiven Annahmen glaubt.
Sorry, dass ich noch einmal mit dem abgedroschenen Zitat aus Shakespeares „Hamlet“ kommen muss: „Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als eure Schulweisheit [und euer naiver Geisterglaube] sich träumen lässt.“