"Bodensee-Mord" von 1969
21.11.2009 um 01:50Liebe Freizeit-Kriminalistinnen und -kriminalisten;
melde mich in Eurer geschätzten Runde "zum Dienst" und lege als Einstand den von mir erstellten Bericht über einen der spektakulärsten und unheimlichsten Fälle aus der ZDF-Fahndungssendung "Aktenzeichen: XY... ungelöst" vor. Dieses so grausame wie mysteriöse Verbrechen hat mich bereits seinerzeit als vierzehnjährigen Jugendlichen sehr berührt und durch die Möglichkeiten des Internet bin ich dann vor einigen Jahren
wieder darauf gestoßen. Bedanke mich bei den Machern von "allmystery.de" dafür, eventuell auf diesem Wege näheres Konkretes in der Sache zu erfahren, weitere Fahndungsansätze zu verfolgen - aber auch gerne Möglichkeiten, Mutmaßungen und Gerüchte zu diskutieren.
Den Namen des Mordopfers habe ich zunächst abgekürzt; laut "XY-Wiki" ist der Fall zwar ungelöst - vielleicht ergibt sich hier aber mittlerweile auch eine gegenteilige
Information. Und da will ich auch mit Rücksichtnahme auf die Nachkommen mich lieber mit einem entsprechenden Kürzel beschränken. Unser aller Bundestrainer würde es wohl genauso handhaben... ;-)
Für diejenigen, welche es interessiert: Meinen "nick" habe ich zum Gedenken an den großen deutschen Schauspieler Günther Neutze gewählt, der in der Krimi-Serie
"Dem Täter auf der Spur" (17 Folgen 1967-73; Regie: Jürgen Roland) die Hauptrolle, den "Commissaire Bernard" unnachahmlich verkörperte. Und ich glaube, das paßt im Zusammenhang mit unseren Aufgaben hier denn auch ganz gut...
Begleitet mich also nun auf eine kriminalistische Zeitreise in das Jahr 1969; Richard M.Nixon wird 37. US-Präsident, Jassir Arafat Vorsitzender der PLO und in Bonn Kai-Uwe von Hassel Bundestagspräsident. Der "Jumbo Jet", die Boeing 474, startet ihren ersten Versuchsflug, in Deutschland wird erstmals ein Herz verpflanzt und die Zuchthausstrafe abgeschafft. Ehebruch und Homosexualität sind von nun an straffrei, in den USA kommt der Kultfilm "Easy Rider" in die Kinos und der Modetrend schwankt zwischen Mini und Maxi...
Der Fall Josef L. - Tödliche Irrfahrt rund um den Bodensee
Der Fall wurde in der 25. Sendung (Schweiz: 13. Sendung) am 17.4.1970 als erster Film-Beitrag behandelt. Er stellt wohl eine der undurchsichtigsten Geschichten dar, die jemals im Rahmen der Fernsehfahndung ausgestrahlt wurden.
Begonnen hat es am Montag, dem 22. September 1969 um 17.20 Uhr, mit dem Auffinden einer männlichen Wasserleiche im Hochrhein bei Dießenhofen im Kanton
Thurgau in der Schweiz, zwischen Konstanz und Schaffhausen. Zunächst wird angenommen, daß es sich um einen über Bord gefallenen Schiffspassagier handelt.
Korrekte Bekleidung, keine Verletzungen und auch das Vorhandensein von 120,- DM Bargeld in der Jackentasche, geben zunächst keinen Anlaß, an ein Verbrechen zu denken. Unfall oder Freitod - so die ersten Mutmaßungen der beiden Kriminalbeamten am Seziertisch der Gerichtsmedizin. Ausweispapiere sind keine vorhanden - nichts Ungewöhnliches bei Selbstmördern. Ein Schließfach-Schlüssel für die DB-Anlage im Bahnhof Konstanz und eine Schiffs-Rückfahrkarte, entwertet am 16. September für die Hinfahrt von Konstanz nach Stein am Rhein auf dem Motorschiff "Thurgau", sind weitere Gegenstände die bei dem Toten gefunden werden.
Und eine Automatik-Uhr, diese ist an besagtem Tage stehengeblieben. Allerdings stolpern die beiden Polizisten über den Umstand, daß eine solche Uhr eine Laufreserve von vierundzwanzig Stunden hat, mithin der Tod also bereits einen Tag früher eingetreten sein muß. Und messerscharfe Schweizer Logik zusammengefaßt in einem Satz, läßt beide Kantons-Kriminalisten nunmehr mißtrauisch werden: "Der kann doch nicht als Leiche vom Schiff gefallen sein!"
Die genauere gerichtsmedizinische Untersuchung ergibt denn auch, daß der Tote erdrosselt worden ist. Mehr noch: Wenige Stunden vor seinem Tod, sind ihm gefährliche und stark blutende Verletzungen am Geschlechtsteil zugefügt worden. Die Blutungen müssen auch noch Stunden nach dem Ableben angehalten haben. Doch Körper und Kleider sind absolut frei von jeglichen Blutspuren, als Erklärung bleibt, wenn auch unglaublich, daß die Leiche gründlich abgewaschen und danach wieder angekleidet worden sein muß.
Auch die Identität kann relativ schnell geklärt werden: Der 56-jährige Friseurmeister Josef L. aus Selbitz bei Hof (Saale), unweit der Zonengrenze. Und von nun an werden die Ermittlungsergebnisse äußerst undurchsichtig: Der Friseur hatte urplötzlich am 3. August 1969 spätabends beim Fernsehen seine Frau damit überrascht, daß er aufstand, seinen Koffer packte und ohne weitere Erläuterung erklärte: "Ich fahr´ jetzt in die Schweiz!" Zu Pfingsten war er schon einmal für drei Tage nach Zürich gereist, auch hier ohne Begründung seiner Frau gegenüber. Nachfragen beim Fahrkartenschalter in Hof ergaben, daß an diesem Tag die einzige Auslandsfahrkarte als einfache Fahrt nach Innsbruck gelöst worden war. Dort ist Josef L. aber nicht eingetroffen; zumindest ist er in keinem Hotel der Stadt unter seinem Namen abgestiegen. Dafür mietet er sich drei Tage nach seiner Abreise von daheim im Hotel "Stoller" in Zürich ein Einzelzimmer. Unter Vorlage seines deutschen Passes hält er sich drei Tage in diesem Hause auf, dem Personal ist späterhin seine ständige Bekleidung gut erinnerlich: Plissierte Smokinghemden mit einer Fliege zu einem hellgrauen Anzug. Und das ungewöhnliche Schuhwerk: Schwarze Halbschuhe mit weißem Absatz auf dem Oberleder. Was er tagsüber in Zürich unternommen hat, ist unbekannt geblieben. Er wird als ruhiger und zurückhaltender Gast empfunden.
Nach drei Tagen kehrt er nach Deutschland zurück, Lindau am Bodensee ist nun sein Ziel. Er wohnt im Hotel "Seegarten", einem der besten Häuser am Platz. Nach vier Tagen wechselt er in die kleine und einfache Pension "Ruf" in derselben Stadt über, hier ist er plötzlich darauf bedacht, ein besonders billiges Zimmer zu bekommen. Auch hier verläßt L. morgens sehr früh das Haus und kehrt erst spätabends zurück. Und auch seine täglichen Unternehmungen in Lindau bleiben für die Ermittler ein Rätsel. Ebenso unerklärlich ein Vorkommnis in dieser Zeit: Auf der Uferpromenade begegnet er einer Familie aus seinem Heimatort, die dort Urlaub macht. Josef L. geht an den Leuten, die er gut kennt vorbei, ohne sie zu grüßen. Auch dafür gibt es keine plausible Erklärung...
Von Lindau aus begibt sich das spätere Mordopfer am 19. August 1969 an das andere Ende des Bodensees, nach Konstanz. Hier bezieht er wieder in einem Hotel der gehobenen Preisklasse Quartier, im "Deutschen Haus". Zehn Tage hält er sich hier auf. Und wieder fällt dem Personal auf, daß er morgens das Hotel sehr zeitig und ohne Frühstück verläßt. Die späteren Ermittlungen der Polizei ergeben, daß er fast täglich auf die nahegelegene Insel Reichenau fährt und sich dort häufig im Hotel "Schloß Königsegg" aufhält. Und wieder Unerklärliches, wenige Wochen vor seinem gewaltsamen Ende: Obwohl er zweifellos bis zu seiner Ermordung über
genügend Bargeld verfügt hat, versucht er in zwei Frisörgeschäften auf der Insel, zwei Haarscheren aus seinem Besitz für 18,- DM zu verkaufen. Ohne Erfolg.
Nach zehn Tagen fährt er von Konstanz wieder zurück nach Lindau, diesmal mietet er sich im Gasthof "Zum Stift" ein, ebenfalls für zehn Tage. Und schließlich zieht es ihn wieder zurück nach Konstanz, etwa eine Woche vor seinem Tode bezieht er ein Zimmer im Hotel "Krone". Wieder verläßt er jeden Morgen das Haus und begibt sich für gewöhnlich auf die Insel Reichenau, wo er meistens im Hotel "Schloß Königsegg" frühstückt. An einem dieser Tage erhält er abends bei seiner Rückkehr in das Hotel "Krone" vom Nachtportier einen Brief ausgehändigt. Die Herkunft des Briefes war seinerzeit eine der wichtigsten ungeklärten Fragen im Mordfall L. Niemand von seinen Verwandten oder Freunden wußte zu dieser Zeit, daß sich Josef L. in Konstanz aufhielt. Möglicherweise stammte der Brief vom späteren Mörder...
Am 13. September 1969, einem Sonnabend, verabschiedet sich Josef L. beim Ober im "Schloß Königsegg" auf der Insel Reichenau, wo er mittlerweile gut bekannt ist. Die Polizei vermutet im Nachhinein, daß es sich eventuell um eine bewußte Ablenkung gehandelt haben könnte. Auf jeden Fall kauft er wenige Minuten später an der Dampfer-Anlegestelle eine Rückfahrkarte und kehrt trotz seines Abschieds am folgenden Tag noch einmal auf die Insel zurück.
Am nächsten Morgen, dem 15. September, verläßt L. gegen 9.30 Uhr mit seinem Gepäck das Hotel "Krone" in Konstanz. Zum erstenmal trägt er, unter einem braunen
Mantel, einen dunkelblauen Anzug und eine Krawatte. Auch die auffälligen schwarz-weißen Schuhe sind im Koffer verpackt. Ob Josef L. dann sein Gepäck selbst im Schließfach am Bahnhof eingestellt hat, kann später nicht mehr einwandfrei ermittelt werden. Auch der mysteriöse Brief wird später weder in seiner Kleidung noch in seinem Gepäck gefunden. Stattdessen findet die Polizei aber in seinem Koffer einen feuchten Waschlappen, der weder ihm gehört noch aus einem der Hotels stammt.
Und die weiterführende gründliche Untersuchung durch die Gerichtsmedizin in Zürich bringt noch zusätzliche Rätsel, die am Ende des Filmfalles in einem Gespräch der Kriminalbeamten mit dem zuständigen Professor erörtert werden: So ist der Tote nicht nur erdrosselt worden, sondern auch ertrunken. Allerdings ergibt die chemische Analyse der Rückstände in Lunge und Herzkammerblut nicht etwa -wie anzunehmen- Rheinwasser, nein, es handelt sich um klares Leitungswasser! Der Pathologe deutet es an, auch eine Reihe anderer Gründe sprechen dafür, daß Josef L. in einem geschlossenen Raum erdrosselt und ertränkt worden ist.
Dramaturgisch typisch für die eher verklemmte Darstellung von Szenen mit sexueller Thematik in den damaligen Schwarz-Weiß-Folgen von "Aktenzeichen XY...ungelöst", erläutert der Mediziner ganz zum Schluß und mit fast verschämtem Ton, die bereits erwähnten Verletzungen im Genitalbereich.
Soweit die filmische Rekonstruktion der letzten Wochen im Leben des Selbitzer Frisörmeisters...
_______________________________
Im Züricher Aufnahmestudio innerhalb des Gebäudes der Kantonspolizei, war im Anschluß ein Oberleutnant des Polizeikommissariats aus Frauenfeld, mit dem Namen Blantzer (phon.) zu Gast bei Werner Vetterli. Der rein äußerlich schon über dem Pensionsalter stehende Beamte, mit dicker dunkler Hornbrille, bis weit über die Ohren abrasiertem Haupthaar und um den Hals gehängten Reportage-Mikrofon, stellte im Wechselgespräch mit dem Moderator, Fragen zu den ungeklärten Punkten der Irrfahrt des Josef L. rund um den Bodensee. Besonders der Zeitraum unmittelbar nach seiner Abreise von Daheim, also vom 3. - 6. August 1969, war für den Ermittler von Wichtigkeit, da hier ja noch nicht einmal bekannt war, wo L. übernachtet hatte. Wer wußte davon, daß sich der Friseurmeister im Hotel "Krone" in Konstanz aufhielt, eine Woche vor seinem Tod? Wer hat ihm dorthin den Brief geschrieben? Werner Vetterli gab zu Bedenken, daß sich dieser Aspekt auch ggf. als harmlos herausstellen könne, trotzdem seien Hinweise sehr wichtig. Und der bejahrte Kriminalist wußte ergänzend zur Spielhandlung im Film zu berichten, daß das Mordopfer kurz vor seinem Ableben noch einen Arzt, eventuell einen Hautarzt, aufgesucht haben könnte. Dann präsentierte der Schweizer Moderator den mittlerweile getrockneten Waschlappen, ein sogenannter "Waschhandschuh". Und streifte ihn sich zur Demonstration auch gleich über seine rechte Hand. "Ede" Zimmermann in München übernahm und fragte die Zuschauer nach dem Verbleib der Personalpapiere (Familienpaß und Handwerkskarte). Die Belohnung mutete für ein Tötungsdelikt im Vergleich zum heutigen Standard eher gering an: 2000,- DM und 1000,- Schweizer Franken. Melden konnten sich Hinweisgeber neben den drei Aufnahmestudios auch bei den Polizei-Dienststellen in Konstanz und Frauenfeld, sowie jeder anderen Polizeistation.
_______________________________
Eigene Gedanken zum Fall und weitere Informationen aus späteren Sendungen:
Für mich eine eindeutige Agenten-Geschichte! Eventuell mit Beziehungen in den homo- oder heterosexuellen zwischenmenschlichen Bereich. Möglicherweise eine Mischung aus beidem; also Agenten- und Lovestory. Die Ära und das politische Klima Ende der sechziger Jahre war typisch dafür, der "kalte Krieg" noch nicht abgeschlossen; der Wohnsitz des Opfers nahe der Zonengrenze ideal für das Ausforschen von für den Ostblock strategisch wichtigen, grenznahen Bereichen. Auch die auffällige Bekleidung -ausschließlich- während der Reise getragen, das häufige Wechseln der Unterkunft ("Kontakt-Suche") und die -für mich eindeutigen- "Signale" mit dem unnötigen, versuchten Scherenverkauf, alles typisch Spionage-Story. Sich zu erkennen geben und doch nicht von jedermann erkannt werden. Dummer "Betriebsunfall", wenn einem dann am Seeufer die Nachbarn aus der Heimatstadt über den Weg laufen. "Augen zu und durch" kann da nur die Devise lauten, zumal wenn man ggf. davon ausgeht, nicht wieder nach Hause zurückzukehren...
Ein praktiziertes Doppelleben mit Ehefrau, Kindern und Enkeln - nicht untypisch für Menschen, die auch als Agent gelernt haben, sich zu verstecken und dabei doch präsent zu sein. Und mal ehrlich gefragt: Was ist denn das für eine Ehefrau, die ohne weitere Nachfrage den (geliebten?) Ehegatten zur Nachtzeit ziehen läßt wohin er will und ohne nach dem Grund zu fragen? Zumal, wie der gezeigten Handwerkskarte zu entnehmen war, der Getötete am 17. September geboren wurde und mithin also demnächst auch noch seinen Geburtstag begehen sollte. Was freilich allerdings auch ein Indiz, für einen möglichen beziehungsmäßigen Aspekt des Falles sein könnte (Treffen mit Geliebter oder Geliebtem?)...
Bestärkt wurde ich in der Vermutung einer Spionage-Geschichte dann bei den zurückhaltenden "Erfolgsmeldungen" in den Sendungen der nächsten Monate.
Im zweiten Teil der Sendung am 17. April um 22.30 Uhr sprach Eduard Zimmermann zunächst von einigen "sehr interessanten Hinweisen", ganz konkret wurde eine bis dato nicht bekannte „Kontakt-Anbahnung" (was immer darunter zu verstehen war?), des Opfers in Schaffhausen erwähnt. Dann klingelte das Telefon und Werner Vetterli aus Zürich vermeldete einen Anrufer-Ansturm -gerade auch in Sachen Josef L.- von mehreren Dutzend Telefonaten, der betagte Oberleutnant sei in dieser Angelegenheit momentan in einem "heißen Telefon" mit Schaffhausen.
Die folgende Sendung am 22. Mai 1970, wurde von „Ede" mit dem Satz eingeleitet: "Die Aufgaben, die sich unserer Sendung heute Abend stellen, sind nicht leicht".
Das machte sich offenbar auch Werner Vetterli in seinem Rückblick auf die vorangegangene Sendung zu eigen, wo er nur kurz und oberflächlich auf den mysteriösen Fall des "Coiffeurmeisters, des Deutschen" einging: "Im Fall L. gibt es bemerkenswerte Hinweise und Spuren, die sehr genau weiter verfolgt werden und wir hoffen, ihnen vielleicht schon in der nächsten Sendung diesen Fall als gelöst bekanntgeben zu können."
Pustekuchen, in der Juni-Sendung am 19.6.1970 gab es weder Auflösung noch Zwischenergebnis dieser unheimlichen Fahndung. Auch drei Wochen später -die letzte Sendung vor der Sommerpause läuft bereits am 10. Juli 1970 über die schwarz-weißen Bildschirme- keine Silbe vom Fall Josef L. Und nach den optimistischen Äußerungen im Mai erscheint es umso verwunderlicher, daß plötzlich von einem spektakulären und offensichtlich kurz vor der Aufklärung stehenden Mordfall, nun nichts mehr erwähnt wird. Meine abschließende Vermutung: Staatliche Nachrichtendienste haben hier die Federführung in den „Ermittlungen" übernommen, freilich weniger mit dem Ziel, Licht in diesen dubiosen Fall zu bringen, sondern aus taktischen staatspolitischen Gründen die Aufklärung, respektive Ergebnisse, zurückzuhalten. Und die TV-Ermittler müssen ihre offenbar eingetretenen Erfolge opfern und dürfen sie dem Publikum nicht präsentieren...
melde mich in Eurer geschätzten Runde "zum Dienst" und lege als Einstand den von mir erstellten Bericht über einen der spektakulärsten und unheimlichsten Fälle aus der ZDF-Fahndungssendung "Aktenzeichen: XY... ungelöst" vor. Dieses so grausame wie mysteriöse Verbrechen hat mich bereits seinerzeit als vierzehnjährigen Jugendlichen sehr berührt und durch die Möglichkeiten des Internet bin ich dann vor einigen Jahren
wieder darauf gestoßen. Bedanke mich bei den Machern von "allmystery.de" dafür, eventuell auf diesem Wege näheres Konkretes in der Sache zu erfahren, weitere Fahndungsansätze zu verfolgen - aber auch gerne Möglichkeiten, Mutmaßungen und Gerüchte zu diskutieren.
Den Namen des Mordopfers habe ich zunächst abgekürzt; laut "XY-Wiki" ist der Fall zwar ungelöst - vielleicht ergibt sich hier aber mittlerweile auch eine gegenteilige
Information. Und da will ich auch mit Rücksichtnahme auf die Nachkommen mich lieber mit einem entsprechenden Kürzel beschränken. Unser aller Bundestrainer würde es wohl genauso handhaben... ;-)
Für diejenigen, welche es interessiert: Meinen "nick" habe ich zum Gedenken an den großen deutschen Schauspieler Günther Neutze gewählt, der in der Krimi-Serie
"Dem Täter auf der Spur" (17 Folgen 1967-73; Regie: Jürgen Roland) die Hauptrolle, den "Commissaire Bernard" unnachahmlich verkörperte. Und ich glaube, das paßt im Zusammenhang mit unseren Aufgaben hier denn auch ganz gut...
Begleitet mich also nun auf eine kriminalistische Zeitreise in das Jahr 1969; Richard M.Nixon wird 37. US-Präsident, Jassir Arafat Vorsitzender der PLO und in Bonn Kai-Uwe von Hassel Bundestagspräsident. Der "Jumbo Jet", die Boeing 474, startet ihren ersten Versuchsflug, in Deutschland wird erstmals ein Herz verpflanzt und die Zuchthausstrafe abgeschafft. Ehebruch und Homosexualität sind von nun an straffrei, in den USA kommt der Kultfilm "Easy Rider" in die Kinos und der Modetrend schwankt zwischen Mini und Maxi...
Der Fall Josef L. - Tödliche Irrfahrt rund um den Bodensee
Der Fall wurde in der 25. Sendung (Schweiz: 13. Sendung) am 17.4.1970 als erster Film-Beitrag behandelt. Er stellt wohl eine der undurchsichtigsten Geschichten dar, die jemals im Rahmen der Fernsehfahndung ausgestrahlt wurden.
Begonnen hat es am Montag, dem 22. September 1969 um 17.20 Uhr, mit dem Auffinden einer männlichen Wasserleiche im Hochrhein bei Dießenhofen im Kanton
Thurgau in der Schweiz, zwischen Konstanz und Schaffhausen. Zunächst wird angenommen, daß es sich um einen über Bord gefallenen Schiffspassagier handelt.
Korrekte Bekleidung, keine Verletzungen und auch das Vorhandensein von 120,- DM Bargeld in der Jackentasche, geben zunächst keinen Anlaß, an ein Verbrechen zu denken. Unfall oder Freitod - so die ersten Mutmaßungen der beiden Kriminalbeamten am Seziertisch der Gerichtsmedizin. Ausweispapiere sind keine vorhanden - nichts Ungewöhnliches bei Selbstmördern. Ein Schließfach-Schlüssel für die DB-Anlage im Bahnhof Konstanz und eine Schiffs-Rückfahrkarte, entwertet am 16. September für die Hinfahrt von Konstanz nach Stein am Rhein auf dem Motorschiff "Thurgau", sind weitere Gegenstände die bei dem Toten gefunden werden.
Und eine Automatik-Uhr, diese ist an besagtem Tage stehengeblieben. Allerdings stolpern die beiden Polizisten über den Umstand, daß eine solche Uhr eine Laufreserve von vierundzwanzig Stunden hat, mithin der Tod also bereits einen Tag früher eingetreten sein muß. Und messerscharfe Schweizer Logik zusammengefaßt in einem Satz, läßt beide Kantons-Kriminalisten nunmehr mißtrauisch werden: "Der kann doch nicht als Leiche vom Schiff gefallen sein!"
Die genauere gerichtsmedizinische Untersuchung ergibt denn auch, daß der Tote erdrosselt worden ist. Mehr noch: Wenige Stunden vor seinem Tod, sind ihm gefährliche und stark blutende Verletzungen am Geschlechtsteil zugefügt worden. Die Blutungen müssen auch noch Stunden nach dem Ableben angehalten haben. Doch Körper und Kleider sind absolut frei von jeglichen Blutspuren, als Erklärung bleibt, wenn auch unglaublich, daß die Leiche gründlich abgewaschen und danach wieder angekleidet worden sein muß.
Auch die Identität kann relativ schnell geklärt werden: Der 56-jährige Friseurmeister Josef L. aus Selbitz bei Hof (Saale), unweit der Zonengrenze. Und von nun an werden die Ermittlungsergebnisse äußerst undurchsichtig: Der Friseur hatte urplötzlich am 3. August 1969 spätabends beim Fernsehen seine Frau damit überrascht, daß er aufstand, seinen Koffer packte und ohne weitere Erläuterung erklärte: "Ich fahr´ jetzt in die Schweiz!" Zu Pfingsten war er schon einmal für drei Tage nach Zürich gereist, auch hier ohne Begründung seiner Frau gegenüber. Nachfragen beim Fahrkartenschalter in Hof ergaben, daß an diesem Tag die einzige Auslandsfahrkarte als einfache Fahrt nach Innsbruck gelöst worden war. Dort ist Josef L. aber nicht eingetroffen; zumindest ist er in keinem Hotel der Stadt unter seinem Namen abgestiegen. Dafür mietet er sich drei Tage nach seiner Abreise von daheim im Hotel "Stoller" in Zürich ein Einzelzimmer. Unter Vorlage seines deutschen Passes hält er sich drei Tage in diesem Hause auf, dem Personal ist späterhin seine ständige Bekleidung gut erinnerlich: Plissierte Smokinghemden mit einer Fliege zu einem hellgrauen Anzug. Und das ungewöhnliche Schuhwerk: Schwarze Halbschuhe mit weißem Absatz auf dem Oberleder. Was er tagsüber in Zürich unternommen hat, ist unbekannt geblieben. Er wird als ruhiger und zurückhaltender Gast empfunden.
Nach drei Tagen kehrt er nach Deutschland zurück, Lindau am Bodensee ist nun sein Ziel. Er wohnt im Hotel "Seegarten", einem der besten Häuser am Platz. Nach vier Tagen wechselt er in die kleine und einfache Pension "Ruf" in derselben Stadt über, hier ist er plötzlich darauf bedacht, ein besonders billiges Zimmer zu bekommen. Auch hier verläßt L. morgens sehr früh das Haus und kehrt erst spätabends zurück. Und auch seine täglichen Unternehmungen in Lindau bleiben für die Ermittler ein Rätsel. Ebenso unerklärlich ein Vorkommnis in dieser Zeit: Auf der Uferpromenade begegnet er einer Familie aus seinem Heimatort, die dort Urlaub macht. Josef L. geht an den Leuten, die er gut kennt vorbei, ohne sie zu grüßen. Auch dafür gibt es keine plausible Erklärung...
Von Lindau aus begibt sich das spätere Mordopfer am 19. August 1969 an das andere Ende des Bodensees, nach Konstanz. Hier bezieht er wieder in einem Hotel der gehobenen Preisklasse Quartier, im "Deutschen Haus". Zehn Tage hält er sich hier auf. Und wieder fällt dem Personal auf, daß er morgens das Hotel sehr zeitig und ohne Frühstück verläßt. Die späteren Ermittlungen der Polizei ergeben, daß er fast täglich auf die nahegelegene Insel Reichenau fährt und sich dort häufig im Hotel "Schloß Königsegg" aufhält. Und wieder Unerklärliches, wenige Wochen vor seinem gewaltsamen Ende: Obwohl er zweifellos bis zu seiner Ermordung über
genügend Bargeld verfügt hat, versucht er in zwei Frisörgeschäften auf der Insel, zwei Haarscheren aus seinem Besitz für 18,- DM zu verkaufen. Ohne Erfolg.
Nach zehn Tagen fährt er von Konstanz wieder zurück nach Lindau, diesmal mietet er sich im Gasthof "Zum Stift" ein, ebenfalls für zehn Tage. Und schließlich zieht es ihn wieder zurück nach Konstanz, etwa eine Woche vor seinem Tode bezieht er ein Zimmer im Hotel "Krone". Wieder verläßt er jeden Morgen das Haus und begibt sich für gewöhnlich auf die Insel Reichenau, wo er meistens im Hotel "Schloß Königsegg" frühstückt. An einem dieser Tage erhält er abends bei seiner Rückkehr in das Hotel "Krone" vom Nachtportier einen Brief ausgehändigt. Die Herkunft des Briefes war seinerzeit eine der wichtigsten ungeklärten Fragen im Mordfall L. Niemand von seinen Verwandten oder Freunden wußte zu dieser Zeit, daß sich Josef L. in Konstanz aufhielt. Möglicherweise stammte der Brief vom späteren Mörder...
Am 13. September 1969, einem Sonnabend, verabschiedet sich Josef L. beim Ober im "Schloß Königsegg" auf der Insel Reichenau, wo er mittlerweile gut bekannt ist. Die Polizei vermutet im Nachhinein, daß es sich eventuell um eine bewußte Ablenkung gehandelt haben könnte. Auf jeden Fall kauft er wenige Minuten später an der Dampfer-Anlegestelle eine Rückfahrkarte und kehrt trotz seines Abschieds am folgenden Tag noch einmal auf die Insel zurück.
Am nächsten Morgen, dem 15. September, verläßt L. gegen 9.30 Uhr mit seinem Gepäck das Hotel "Krone" in Konstanz. Zum erstenmal trägt er, unter einem braunen
Mantel, einen dunkelblauen Anzug und eine Krawatte. Auch die auffälligen schwarz-weißen Schuhe sind im Koffer verpackt. Ob Josef L. dann sein Gepäck selbst im Schließfach am Bahnhof eingestellt hat, kann später nicht mehr einwandfrei ermittelt werden. Auch der mysteriöse Brief wird später weder in seiner Kleidung noch in seinem Gepäck gefunden. Stattdessen findet die Polizei aber in seinem Koffer einen feuchten Waschlappen, der weder ihm gehört noch aus einem der Hotels stammt.
Und die weiterführende gründliche Untersuchung durch die Gerichtsmedizin in Zürich bringt noch zusätzliche Rätsel, die am Ende des Filmfalles in einem Gespräch der Kriminalbeamten mit dem zuständigen Professor erörtert werden: So ist der Tote nicht nur erdrosselt worden, sondern auch ertrunken. Allerdings ergibt die chemische Analyse der Rückstände in Lunge und Herzkammerblut nicht etwa -wie anzunehmen- Rheinwasser, nein, es handelt sich um klares Leitungswasser! Der Pathologe deutet es an, auch eine Reihe anderer Gründe sprechen dafür, daß Josef L. in einem geschlossenen Raum erdrosselt und ertränkt worden ist.
Dramaturgisch typisch für die eher verklemmte Darstellung von Szenen mit sexueller Thematik in den damaligen Schwarz-Weiß-Folgen von "Aktenzeichen XY...ungelöst", erläutert der Mediziner ganz zum Schluß und mit fast verschämtem Ton, die bereits erwähnten Verletzungen im Genitalbereich.
Soweit die filmische Rekonstruktion der letzten Wochen im Leben des Selbitzer Frisörmeisters...
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Im Züricher Aufnahmestudio innerhalb des Gebäudes der Kantonspolizei, war im Anschluß ein Oberleutnant des Polizeikommissariats aus Frauenfeld, mit dem Namen Blantzer (phon.) zu Gast bei Werner Vetterli. Der rein äußerlich schon über dem Pensionsalter stehende Beamte, mit dicker dunkler Hornbrille, bis weit über die Ohren abrasiertem Haupthaar und um den Hals gehängten Reportage-Mikrofon, stellte im Wechselgespräch mit dem Moderator, Fragen zu den ungeklärten Punkten der Irrfahrt des Josef L. rund um den Bodensee. Besonders der Zeitraum unmittelbar nach seiner Abreise von Daheim, also vom 3. - 6. August 1969, war für den Ermittler von Wichtigkeit, da hier ja noch nicht einmal bekannt war, wo L. übernachtet hatte. Wer wußte davon, daß sich der Friseurmeister im Hotel "Krone" in Konstanz aufhielt, eine Woche vor seinem Tod? Wer hat ihm dorthin den Brief geschrieben? Werner Vetterli gab zu Bedenken, daß sich dieser Aspekt auch ggf. als harmlos herausstellen könne, trotzdem seien Hinweise sehr wichtig. Und der bejahrte Kriminalist wußte ergänzend zur Spielhandlung im Film zu berichten, daß das Mordopfer kurz vor seinem Ableben noch einen Arzt, eventuell einen Hautarzt, aufgesucht haben könnte. Dann präsentierte der Schweizer Moderator den mittlerweile getrockneten Waschlappen, ein sogenannter "Waschhandschuh". Und streifte ihn sich zur Demonstration auch gleich über seine rechte Hand. "Ede" Zimmermann in München übernahm und fragte die Zuschauer nach dem Verbleib der Personalpapiere (Familienpaß und Handwerkskarte). Die Belohnung mutete für ein Tötungsdelikt im Vergleich zum heutigen Standard eher gering an: 2000,- DM und 1000,- Schweizer Franken. Melden konnten sich Hinweisgeber neben den drei Aufnahmestudios auch bei den Polizei-Dienststellen in Konstanz und Frauenfeld, sowie jeder anderen Polizeistation.
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Eigene Gedanken zum Fall und weitere Informationen aus späteren Sendungen:
Für mich eine eindeutige Agenten-Geschichte! Eventuell mit Beziehungen in den homo- oder heterosexuellen zwischenmenschlichen Bereich. Möglicherweise eine Mischung aus beidem; also Agenten- und Lovestory. Die Ära und das politische Klima Ende der sechziger Jahre war typisch dafür, der "kalte Krieg" noch nicht abgeschlossen; der Wohnsitz des Opfers nahe der Zonengrenze ideal für das Ausforschen von für den Ostblock strategisch wichtigen, grenznahen Bereichen. Auch die auffällige Bekleidung -ausschließlich- während der Reise getragen, das häufige Wechseln der Unterkunft ("Kontakt-Suche") und die -für mich eindeutigen- "Signale" mit dem unnötigen, versuchten Scherenverkauf, alles typisch Spionage-Story. Sich zu erkennen geben und doch nicht von jedermann erkannt werden. Dummer "Betriebsunfall", wenn einem dann am Seeufer die Nachbarn aus der Heimatstadt über den Weg laufen. "Augen zu und durch" kann da nur die Devise lauten, zumal wenn man ggf. davon ausgeht, nicht wieder nach Hause zurückzukehren...
Ein praktiziertes Doppelleben mit Ehefrau, Kindern und Enkeln - nicht untypisch für Menschen, die auch als Agent gelernt haben, sich zu verstecken und dabei doch präsent zu sein. Und mal ehrlich gefragt: Was ist denn das für eine Ehefrau, die ohne weitere Nachfrage den (geliebten?) Ehegatten zur Nachtzeit ziehen läßt wohin er will und ohne nach dem Grund zu fragen? Zumal, wie der gezeigten Handwerkskarte zu entnehmen war, der Getötete am 17. September geboren wurde und mithin also demnächst auch noch seinen Geburtstag begehen sollte. Was freilich allerdings auch ein Indiz, für einen möglichen beziehungsmäßigen Aspekt des Falles sein könnte (Treffen mit Geliebter oder Geliebtem?)...
Bestärkt wurde ich in der Vermutung einer Spionage-Geschichte dann bei den zurückhaltenden "Erfolgsmeldungen" in den Sendungen der nächsten Monate.
Im zweiten Teil der Sendung am 17. April um 22.30 Uhr sprach Eduard Zimmermann zunächst von einigen "sehr interessanten Hinweisen", ganz konkret wurde eine bis dato nicht bekannte „Kontakt-Anbahnung" (was immer darunter zu verstehen war?), des Opfers in Schaffhausen erwähnt. Dann klingelte das Telefon und Werner Vetterli aus Zürich vermeldete einen Anrufer-Ansturm -gerade auch in Sachen Josef L.- von mehreren Dutzend Telefonaten, der betagte Oberleutnant sei in dieser Angelegenheit momentan in einem "heißen Telefon" mit Schaffhausen.
Die folgende Sendung am 22. Mai 1970, wurde von „Ede" mit dem Satz eingeleitet: "Die Aufgaben, die sich unserer Sendung heute Abend stellen, sind nicht leicht".
Das machte sich offenbar auch Werner Vetterli in seinem Rückblick auf die vorangegangene Sendung zu eigen, wo er nur kurz und oberflächlich auf den mysteriösen Fall des "Coiffeurmeisters, des Deutschen" einging: "Im Fall L. gibt es bemerkenswerte Hinweise und Spuren, die sehr genau weiter verfolgt werden und wir hoffen, ihnen vielleicht schon in der nächsten Sendung diesen Fall als gelöst bekanntgeben zu können."
Pustekuchen, in der Juni-Sendung am 19.6.1970 gab es weder Auflösung noch Zwischenergebnis dieser unheimlichen Fahndung. Auch drei Wochen später -die letzte Sendung vor der Sommerpause läuft bereits am 10. Juli 1970 über die schwarz-weißen Bildschirme- keine Silbe vom Fall Josef L. Und nach den optimistischen Äußerungen im Mai erscheint es umso verwunderlicher, daß plötzlich von einem spektakulären und offensichtlich kurz vor der Aufklärung stehenden Mordfall, nun nichts mehr erwähnt wird. Meine abschließende Vermutung: Staatliche Nachrichtendienste haben hier die Federführung in den „Ermittlungen" übernommen, freilich weniger mit dem Ziel, Licht in diesen dubiosen Fall zu bringen, sondern aus taktischen staatspolitischen Gründen die Aufklärung, respektive Ergebnisse, zurückzuhalten. Und die TV-Ermittler müssen ihre offenbar eingetretenen Erfolge opfern und dürfen sie dem Publikum nicht präsentieren...